Die konjunkturpolitisch motivierte Finanzpolitik des Bundes seit 1975
Konjunkturartikel
1978 hiessen Volk und Stände im zweiten Anlauf den neuen Konjunkturartikel in der Bundesverfassung gut (heute BV Art. 100). Diese zweite Vorlage sah nicht mehr vor, dem Bund einen Hebel über die Finanzpolitik der Kantone und Gemeinden in die Hand zu geben. Die Finanzpolitik als konjunkturelles Stabilisierungsinstrument fusst somit weiterhin allein auf dem Bundeshaushalt (ca. 10% des BIP). Eine erste Aufgabe in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist deshalb, die nachgelagerten staatlichen Ebenen auf ein gleichgerichtetes konjunkturpolitisches Handeln zu verpflichten. Dabei gelang es auch dem Bund selbst – trotz Konjunkturprogrammen – nicht durchgehend, ein prozyklisches Handeln zu verhindern; zu oft belasteten drängende Defizite den Bundeshaushalt.
Chronologie der finanzpolitischen Interventionen
Arbeitsbeschaffungsprogramme 1975/76
Nach Jahren des Booms mit oft unterlaufenen Massnahmen zur Konjunkturdämpfung fiel die Schweiz 1975 in die schwerste Krise der Nachkriegszeit. Im Rückblick waren es von 1974 bis 1976 7,5% BIP-Rückgang. Diesem Einbruch wurde finanzpolitisch mit insgesamt drei Arbeitsbeschaffungsprogrammen begegnet, und dies trotz Haushaltdefiziten, die im Schnitt der Jahre 1971 bis 1977 bei 5 Mrd. Franken lagen.
Das Investitionsprogramm I vom Juni 1975 löste ein Auftragsvolumen von 990 Mio. Franken aus und war zu 95% ein Bauprogramm (200 Mio. Fr. im bundeseigenen Bereich, 790 Mio. Fr. in vom Bund subventionierten Bereichen). Beim Investitionsprogramm II vom Dezember 1975 machten die Materialbeschaffungen (Kriegsmaterial, Sachinvestitionen der Hochschulen, Planungsprojekte) bereits 24% des Auftragsvolumens von 946 Mio. Franken aus. Im Investitionsprogramm III vom März 1976 mit einem Auftragsvolumen von 1,2 Mrd. Franken stieg der Anteil der Materialbeschaffungen auf 59% (Kauf von Feuerleitgeräten). Hinzu kam erstmals ein Investitionsbonus: Der Bund zahlte 10% an zusätzlich oder vorgezogen ausgelöste Investitionsvorhaben von Kantonen, Gemeinden und andern Trägern öffentlicher Aufgaben. Insgesamt setzte der Bund eigene Mittel von 2,1 Mrd. Franken ein. Im Schlussbericht wird davon ausgegangen, dass die Inlandnachfrage 1975 um 0,4% und 1976 um 1,2% weniger absackte und diese 1977 um 2,8% und 1978 um 0,8% stärker anstieg, als dies ohne Investitionsprogramme der Fall gewesen wäre (nur Primärimpuls, kein Multiplikator).
Massnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten von 1978
In die anschliessende Aufschwungphase fielen die Massnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten von 1978. Sie wurden ausgelöst, weil ein überhöhter Frankenkurs der Wirtschaft die Luft abzuschnüren drohte. Ein Anliegen der Massnahmen war auch, den Rückstand bei der Mikroelektronik aufzuholen; hinzu kam erstmals das Energiesparen. Damit rückten explizit auch wachstumspolitische Aspekte («Brain not Bricks») in die konjunkturpolitische Diskussion.
Die Botschaft vom 23.Oktober 1978 hielt einleitend fest, dass die eingetretene Verdüsterung des Konjunkturbildes in erster Linie wechselkursbedingt und somit weniger eine Folge fehlender Nachfrage sei. Massnahmen der Nationalbank wie die Höhergewichtung des Wechselkurses gegenüber der Geldmengensteuerung wurden durch vergünstigte Rediskontmöglichkeiten für Wechselgeschäfte der Banken mit schweizerischen Industrieunternehmen ergänzt, die schon 1975 eingeführt, jetzt aber verlängert wurden. Vom Bund erhielt die Auslandwerbung unter verschiedenen Titeln 20 Mio. Franken. Im Eigenbereich setzte der Bund neben geringen Mitteln für DIN-Träger und Übermittlungsmaterial insbesondere 30 Mio. Franken für Trikothemden der Armee («Gnägi-Libli») ein. Zu 24 Mio. Franken für die praxisorientierte Forschung und Entwicklung (KTI, damals KWF) kamen insgesamt 39 Mio. Franken für fünf sog. Impulsprogramme («Massnahmen zur technologischen Entwicklung und Ausbildung»). Gesamthaft ging es um Mittel von 120 Mio. Franken. Zudem wurden im Steuerrecht die Verlustvortragsperiode auf sieben Jahre verlängert und die Abschreibungssätze erhöht.
Beschaffungsprogramm 1983
1983 wurde ein neues Beschaffungsprogramm aufgelegt. Es fiel in eine Zeit der weltweiten Konjunkturabkühlung, die – im Nachgang und auf die Schweiz bezogen! – allerdings als relativ milde eingeschätzt wurde. Die Massnahmen zur Stärkung der schweizerischen Wirtschaft waren ein erneuter Versuch, ein die Industrie und nicht nur den Bau begünstigendes Konjunkturstimulierungspaket aufzulegen.
Im Januar 1983 beschloss der Bundesrat, den eidg. Räten die vorbereiteten Massnahmen zur Stärkung der schweizerischen Wirtschaft vorzuschlagen, dies, nachdem das BIP im 3. Quartal 1982 im Vorjahresvergleich um rund 2,5% gefallen war (damalige Schätzung). Das Programm umfasste Beschaffungen in der Höhe von 660 Mio. Franken (davon Rüstungsgüter und Zivilschutz 315 Mio. Fr., weiter Privatbahnen und Wohnungsbau). Hinzu kamen Beiträge für die Forschungsförderung 25 Mio. Franken und für den aussenwirtschaftlichen Bereich, und zwar insgesamt 302 Mio. Franken (100 Mio. Fr. für Mischkredite und Zahlungsbilanzhilfen, 170 Mio. Fr. für Exportrisikogarantie, 22 Mio. Fr. für allgemeine Exportförderung und 10 Mio. Fr. für Fremdenverkehrswerbung). 1983 ging man davon aus, dass die Beschaffungen im bundeseigenen und im Transferbereich ein Auftragsvolumen von 1,7 Mrd. Franken auslösen würden und die aussenwirtschaftlichen Massnahmen ein solches von 550–800 Mio. Franken. In den Finanzplänen des Bundes wurden Zahlungen von 305 Mio. Franken (1983), 320 Mio. Franken (1984), 191 Mio. Franken (1985) und 72 Mio. Franken (1986) eingestellt. 50 Eisenbahnwagen E IV wurden dem SBB-Budget belastet. Der Bundesrat ergänzte das im Januar vorgestellte und auf kurzfristige Massnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungslage ausgerichtete Paket im Juli mit Massnahmen zur Erleichterung der Anpassungsanstrengungen. Diese Vorschläge enthielten eine Änderung der Massnahmen zugunsten wirtschaftlich bedrohter Regionen und des Berggebiets sowie die Errichtung einer Innovationsrisikogarantie, die schliesslich beim Volk keine Gnade fand.
Investitionsbonus 1993–1995
1993 wurde die Finanzpolitik erneut zur Konjunkturstabilisierung eingesetzt. Dabei wurde das Instrument des Investitionsbonus prominent zur Anwendung gebracht, d.h. der Bund schaffte Anreize, dass Kantone und Gemeinden Investitionsvorhaben zusätzlich auslösten oder zeitlich vorzogen. So wurde u.a. den eingangs erwähnten Koordinationsproblemen unter den öffentlichen Haushalten entgegengewirkt.
Die eidg. Räte bewilligten im Frühling 1993 einen Verpflichtungskredit in der Höhe von 200 Mio. Franken. Zusätzlich wurden 100 Mio. Franken für die Förderung des Wohnungsbaus sowie des Hochbaus in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Mittel des Investitionsbonus kamen grösstenteils Gemeinden zugute, welche in der Zeit von 1993 bis Mitte 1995 Bauvorhaben zusätzlich realisierten oder deren Verwirklichung zeitlich vorzogen. Das dank des Investitionsbonus ausgelöste Auftragsvolumen belief sich auf rund 1,4 Mrd. Franken. Die Hauptwirkung entfaltete der Investitionsbonus 1994. Das ausgelöste Auftragsvolumen machte 1994 rund 2% der gesamten Bautätigkeit aus. 1995 dürfte sich die Wirkung auf rund 1% der Bautätigkeit belaufen haben.
Investitionsbonus 1997
Ein weiteres Mal wurde 1997 auf das Instrument des Investitionsbonus zurückgegriffen. Auch wegen gravierender Mängel in der Koordination der stabilitätspolitisch massgebenden Akteure war die Arbeitslosigkeit auf 206000 im Februar 1997 angestiegen und begründete konjunkturpolitischen Handlungsbedarf. Von Januar 1994 bis September 1995 hatte sich die Arbeitslosigkeit noch von 188000 auf 143000 Personen zurückgebildet.
Nach Gesprächen des Bundesrates mit Regierungsparteien, Sozialpartnern sowie Vertretern der Kantone und Gemeinden im Winter 1996/97 hiess das Parlament in der Frühjahrssession 1997 Mittel in der Höhe von 481 Mio. zur Konjunkturstabilisierung gut. Diese wurden auf folgende Bereiche aufgeteilt: Substanzerhaltung der Nationalstrassen (154 Mio. Fr.), Substanzerhaltung bundeseigener Bauten (20 Mio. Fr. Aufhebung der Kreditsperre für investive Ausgaben (43 Mio. Fr.), effizienter und sparsamer Einsatz von Energie im privaten Sektor (64 Mio. Fr.), Substanzerhaltung der öffentlichen Infrastruktur (Investitionsbonus). Mit den 200 Mio. Franken des Investitionsbonus wurden insgesamt 1352 Mio. Franken Bauvolumina bei Kantonen und Gemeinden ausgelöst (1997 423 Mio. Fr., 1998 676 Mio. Fr. und 1999 432 Mio. Fr.). Das Gesamtprogramm ergab ein Bauvolumen von 2,2 Mrd. Franken. Mitnahmeeffekte vorbehalten, ergab speziell die Privaten gewährte Unterstützung energetischer Gebäudesanierungen von 64 Mio. Franken ein grosses Bauvolumen (gegen 600 Mio. Fr.), das allerdings zu zwei Dritteln in das Jahr 1999 fiel.
Konjunktureinbruch 2003
Keinen aktiven Einsatz der Finanzpolitik löste der Konjunktureinbruch 2003 aus. Die Konjunkturlage machte indes das sofortige Inkraftsetzen der Schuldenbremse unmöglich. Dass Defizite auftraten, könnte am Finanzzyklus gelegen haben (vgl. Kasten 1).
Stabilisierungsmassnahmen 2008
Zu den Besonderheiten der Stabilisierungsmassnahmen 2008 gehört der frühe Zeitpunkt des Tätigwerdens. Nach massiven Störungen an den globalen Finanzmärkten wurden in der Dezembersession 2008 vom Parlament erste konjunkturstimulierende Ausgaben von 427 Mio. Franken beschlossen.
Währungs- und Finanzmarktturbulenzen als Auslöser finanzpolitischen Handelns
Dass 1975/76 gleich drei Konjunkturprogramme nötig wurden, lag an den gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen, die 1973 zum abrupten Ende des Bretton-Woods-Systems mit festen Wechselkursen geführt hatten. Eine hohe Teuerung – im Dezember 1973 lag der Landesindex der Konsumentenpreise 11,9% über dem Vorjahreswert – rasch auf ein erträgliches Mass zurückzuführen, ging nicht ohne markanten Einbruch in der wirtschaftlichen Aktivität.1978 brachte erste Erkenntnisse zu den stabilitätspolitischen Herausforderungen flexibler Wechselkurse. Diese erlaubten wohl das Abkoppeln der inländischen Teuerung von jener des Auslands, aber um den Preis stark schwankender Wechselkurse. Die 1978 tolerierte Geldschöpfung trieb die Teuerung Ende 1981 auf 6,6%. Der Frankenkurs blieb auch nach 1978 weiter Thema, namentlich als Anfang der 1990er-Jahre in grossem Stil gegen das Europäische Währungssystem (EWS) spekuliert wurde und der Kurs der Lira durchsackte. Erst der Euro brachte eine relative Beruhigung. Für die Konjunkturabkühlung von 1992 wird die Ursache indes weniger im internationalen Währungsgeschehen denn in problematischen Entscheiden der Geldpolitik und im Fehlverhalten des Bankensektors geortet, neben der Abwertung des Standortes Schweiz durch das EWR-Nein. Beeindruckt vom «Schwarzen Montag» (27.10.1987), an dem der Dow Jones an einem Tag 22% verlor, wurde die Einführung des Swiss Interbank Clearing 1989 mit einer grosszügigen Liquiditätsversorgung verbunden. Die Rückführung der 1991 auf über 6% angestiegenen Konsumteuerung erwies sich als zäh und war nicht ohne konjunkturelle Abkühlung durchführbar. Die wohl während der ganzen 1980er-Jahre etwas zu grosszügige Geldversorgung2 mag mit dazu beigetragen haben, dass am schweizerischen Immobilienmarkt Ende der 1980er-Jahre Erscheinungen aufgetreten waren, wie sie in der jüngsten Zeit in den USA zu beobachteten sind: Neue Häuser wurden in Einzelfällen bis zu 107% des Ankaufspreises belehnt, damit der Gläubiger auch die Schuldzinsen des ersten Jahres finanziert hatte. Und die Wohneigentumsförderung des Bundes fusste auf einer Formel, die von laufend steigenden Nominaleinkommen des Bürgschaftsnehmers ausging. Entsprechend brutal waren die Abschreiber, die der Bankensektor in den 1990er-Jahren auf dem hiesigen Immobilienmarkt verbuchen musste. 1995 musste sich die Geldpolitik von unten her an den Zielpfad der Geldmenge annähern, dies, nachdem die Notenbankleitung 1994 gestützt auf die Erfahrungen von 1989 gezögert hatte, den Zins unter 4% abfallen zu lassen. Dass eigentliche deflationäre Tendenzen auftraten, lag aber auch an Bund, Kantonen und Gemeinden. Letztere hatten finanzpolitisch den Einbruch der Konjunktur von 1992 auszugleichen, der wegen der Postnumerando-Besteuerung erst mit Verzögerung wirksam wurde, und setzten Sparprogramme um – auch weil sie sich mit wachsenden Sozialausgaben konfrontiert sahen. Gleichzeitig wurde der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung (ALV) erhöht. Dass auch die Ablösung der Warenumsatzsteuer (Wust) durch die Mehrwertsteuer (MWST) eher dämpfend wirkte, ist wegen der angestrebten Mehreinnahmen wahrscheinlich. Die Krise von 2008 steht klar im Zeichen globalisierter Finanzmärkte und ihrer Instabilitäten. Schieflagen im Inland sind fast keine auszumachen: Die öffentlichen Haushalte sind in einer günstigen Position, und wenn der Bau- und Immobilienbereich überhaupt überhitzte, war dies auf wenige Regionen begrenzt. Grundlegend neu ist eine Spaltung im Bankensystem in dem Sinn, dass die Grossbanken mit Mittelabflüssen und einer angeschlagenen Kreditwürdigkeit im Interbankengeschäft kämpfen, während quasi alle anderen Banken eher überliquide sind.
Verknüpfung mit Massnahmen zur Stärkung der volkswirtschaftlichen Angebotsseite
Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Zyklen und finanzpolitischen Episoden lassen sich nicht nur bei den Ursachen finden, sondern auch in der Tatsache, dass das konjunkturstabilisierende Wirken meist mit Vorkehren zur Stärkung der volkswirtschaftlichen Angebotsseite verknüpft wurde. Eher industriepolitischen Ansätzen folgten später stärker auf die Schaffung von Wettbewerb ausgerichtete Massnahmen. Erstmals wurden 1978 dem Parlament parallel mit konjunkturstabilisierenden Massnahmen auch Massnahmen zur Stärkung der Angebotskräfte unterbreitet. Beschaffungen in eng begrenztem Umfang wurden mit den ersten sog. Impulsprogrammen verbunden (u.a. Förderung der Komponenten der elektronischen Uhr oder wärmetechnische Gebäudesanierung).Dem Beschaffungsprogramm 1983 war im Oktober 1982 die zweite Serie von Impulsprogrammen vorausgegangen (Wirtschaftsinformatik, Haustechnik, CAD). Beim Investitionsbonus 1993 gehen aus der Botschaft keine flankierenden angebotsseitigen Massnahmen hervor. Man kann aber im Programm zur Überwindung der wirtschaftlichen Auswirkungen des EWR-Neins (insb. Revitalisierungsprogramm mit Revision Kartellgesetz und Schaffung des Binnenmarktgesetzes und des Bundesgesetzes über technische Handelshemmnisse) das angebotsseitige Gegenstück zur Konjunkturstimulierung sehen, diesmal indes mit ordnungspolitischem und nicht innovationspolitischem Fokus. In der Botschaft zum Investitionsbonus 1997 finden sich dagegen noch weitere, eher angebots- denn nachfrageseitig wirkende Massnahmen. Ausländern wurde der Erwerb von Gewerbebauten aller Art erlaubt. Erneut war die Gebäudesanierung ein Thema, aber es kam auch zum Lehrstellenbeschluss. In der Schwächephase von 2002 wurde der Wachstumsbericht des EVD aufgelegt. Das 2004 beschlossene Wachstumspaket 2004–2007 sollte die seit Beginn der 1990er-Jahre anhaltende Stagnation der Einkommen überwinden. Die u.a. von der KOF vertretene Auffassung, das schwache Wachstum sei Folge einer Sequenz von Jahren ungenügender Nachfrage gewesen, wurde verworfen. Denkt man an die aktuelle konjunkturpolitische Debatte, mag unter dem Stichwort der Stärkung der volkswirtschaftlichen Angebotsseite auf die Absichten der EU verwiesen werden. Diese will im Rahmen der Konjunkturstabilisierungsmassnahmen Gelder in «grüne Autos», energiearme Gebäude und «Fabriken von morgen» investieren. Auch soll mit Investitionen in Bildung und Weiterbildung nicht nur die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gefördert, sondern auch die Produktivität gesteigert werden. Die Verknüpfung von konjunkturstabilisierenden Massnahmen mit Strukturreformen ist auch als Ausdruck der «Political Economy» konjunkturpolitischen Handelns zu sehen. Die Debatte zum Investitionsbonus von 1993 lief zeitlich parallel zur Debatte um die Einführung der MWST, die dann vom Volk am 28.11.1993 angenommen wurde. Und anlässlich der Sondersession von Ende April 1997 haben die eidg. Räte die Botschaft zum Investitionsprogramm gleichzeitig mit der Botschaft zur Unternehmenssteuerreform I (Erstrat) beraten.
Vorkehren für einen verringerten Bedarf an aktiven finanzpolitischen Massnahmen
Angesichts des beschränkten Instrumentenkastens für zweckmässiges diskretionäres Handeln im Rahmen der Finanzpolitik kommt der Stärkung der Selbststabilisierungskräfte der Wirtschaft erstrangige Bedeutung zu. Seit 1975 ist denn auch ein markanter Ausbau der automatischen Stabilisatoren erfolgt. Dazu zählen – wie nachstehend näher ausgeführt – die ALV insbesondere mit Einführung der Kurzarbeitsregelung, der Übergang zur einjährigen Veranlagung der direkten Steuern und die Schuldenbremse. 1975 bestand eine Arbeitslosenversicherung nur auf sozialpartnerschaftlicher Basis, und der Anteil der erfassten Arbeitnehmenden war sehr tief. Mit dem Obligatorium wurden die konjunkturellen Reaktionsmechanismen grundlegend verändert, gerade auch im Zusammenwirken mit der Migration. In den 1990er-Jahren wurde die ALV flexibel eingesetzt, allerdings überwiegend in Richtung einer Verlängerung der Bezugsdauer. Da Automatismen für die Rückführung der Zahl der Taggelder nicht eingeführt wurden, begann sich Konjunkturpolitik mit Sozialpolitik zu vermischen. Die Regelungen bezüglich Ausgleich des ALV-Fonds bringen hier nun eine Verbesserung.Nicht unerwähnt bleiben kann unter dem Titel der automatischen Stabilisatoren auch die Änderung der Veranlagungsperioden bei den direkten Steuern von Bund und Kantonen. Die Bezugnahme auf zwei oder drei Jahre zurückliegende Einkommen für die Bemessung der direkten Steuern war konjunkturpolitisch unzweckmässig. Wichtig ist allerdings, dass Kantone und Gemeinden auf einen rascher der Konjunktur folgenden Einnahmenverlauf nun nicht mit einem noch stärker prozyklischen Ausgabenverhalten rea-gieren. Beim Bund ist mit der Einführung der Schuldenbremse ein wesentlich stärkerer Mechanismus zur Stabilisierung der Ausgabenentwicklung in Kraft gesetzt worden, als er unter der vorangehenden Verfassungsbestimmung bestand. Gemäss dieser war der Fehlbetrag der Bilanz nach Massgabe der Konjunkturentwicklung abzubauen. Noch eingehender zu untersuchen ist der Konjunkturkorrekturfaktor in dieser Ausgabenregel, der möglicherweise dem Steueraufkommen aus dem Finanzsektor zu wenig Rechnung trägt. Die zyklische Entwicklung im Finanzsektor übertrifft heute ja jene im als «konjunkturexponiert» angesehenen Bau.
Fazit
Wegen der Wirksamkeit der Instrumente dürfte nach der Auffassung des Verfassers dem monetären Geschehen bei Auslösung wie Überwindung wirtschaftlicher Stagnationsphasen die primäre Rolle zufallen. Es fehlt hier der Raum, um auf die stabilisierenden Wirkungen geldpolitischer Konzepte und diskretionär gefasster Zinsentscheide der Nationalbank einzugehen, auch wenn dies Teil einer konjunkturpolitischen Rückschau sein müsste. Die geldpolitischen Instrumente stehen jedenfalls nicht immer im gleichen Umfang zur Verfügung und wirken auch nicht immer gleich gut. Namentlich in der Phase, bis nach einer geldpolitischen Lockerung «die Pferde wieder zu saufen beginnen», können Zusatzausgaben der öffentlichen Hand der Konjunktur eine willkommenene Stütze geben. Geeignete Instrumente vorausgesetzt, wäre es wünschenswert, Nachfrageeinbrüche auf der Ebene der Auftragsbestände der Unternehmen – und nicht erst auf der Ebene der Ersatzeinkommen der Haushalte – auffangen zu können. Die Vorgaben «rechtzeitig», «gezielt» und «vorübergehend» einzuhalten, ist aber nicht einfach. Der Konjunkturabschwung wurde immer erst sehr kurzfristig erkannt; Ausgabenbeschlüsse und ihre Wirkungen kamen deshalb oft relativ spät im Zyklus (vgl. Grafik 1 und Kasten 2). Trotz Verknüpfung mit angebotsorientierten Massnahmen können die Stabilisierungsprogramme strukturerhaltend wirken: Anhand der Bauquote konnte man in den 1990er-Jahren meinen, man stütze diesen Sektor zu Recht. Wie stark sich der Anteil der Bauinvestitionen am BIP trendmässig zurückbildete, wurde erst im Rückblick – beim Vergleich konjunktureller Spitzenjahre – evident. Und in konjunkturell schwierigen Jahren beschlossene Massnahmen (wie der Bundesbeschluss über die wirtschaftlichen Erneuerungsgebiete von 1975) wurden wiederholt verlängert und genügten deshalb dem Kriterium «vorübergehend» nicht. Ganz allgemein lässt sich argumentieren, dass sich, koordiniertes internationales Handeln vorbehalten, über die vergangenen 30 Jahre hinweg der Nutzen aktiven finanzpolitischen Handelns laufend zurückgebildet hat. Die Gründe dafür liegen einerseits in der verstärkten internationalen Öffnung (Absinken des Multiplikators nach Keynes, wonach jede Zusatzausgabe eine zweite Zusatzausgabe auslöst) und anderseits im Ausbau der automatischen Stabilisatoren, welche in der Krise die für den Konsum relevanten Haushalteinkommen hoch halten.
Dr. Peter Balastèr
Leiter Ressort Wachstum und Wettbewerbspolitik, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern
1 Der Verfasser war ab 1981 bis zu dessen Übergang ins Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Mitarbeiter des Bundesamtes für Konjunkturfragen. Er dankt seinem damaligen Kollegen Peter Saurer (zuletzt stv. Direktor der Eidg. Finanzverwaltung EFV), und Hans Mühlemann (heute Direktionsadjunkt im Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT) für wertvolle Hinweise.
2 Vgl. die notorischen Liquiditätsengpässe am Monatsletzten.
Besonderheiten der Konjunkturabkühlung von 2002
Die Konjunkturabkühlung von 2002 wird mit dem Platzen der Dotcom-Blase in Verbindung gebracht, d.h. in der Überbewertung von Unternehmen, die sehr spekulativ auf die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) setzten und bei der Umsetzung ihrer Projekte scheiterten. Die Abkühlung hatte aber auch viel mit einem normalen Investitionszyklus zu tun. Dieser wird so erklärt: Die Mehrnachfrage im Konjunkturaufschwung löst einen Kapazitätsausbau aus, der seinerseits eine Mehrnachfrage darstellt. Diese unterstützt zunächst den Aufschwung, ebbt dann aber ab, wenn eine gewisse Saturierung mit z.B. neuen Textilmaschinen erreicht ist, so dass die Fertigung von Investitionsgütern wieder schrumpft. Oftmals wurde argumentiert, dass es nach dem Spitzenjahr 2000 zu einem zeitlichen Zusammentreffen des so erklärten ordentlichen Konjunkturabschwungs mit dem Zyklus an den Finanzmärkten kam. Man kann sich nach den jüngsten Erfahrungen allerdings fragen, ob nicht die Zyklen in der Finanzwelt heute den ganzen Konjunkturzyklus erklären. Die auf Investitionsgüter ausgerichtete schweizerische Industrie tat sich mit der Überwindung des Auftragslochs nach dem «Year 2000 Hype» jedenfalls schwer, stieg doch die Arbeitslosigkeit von 60000 Personen im Sommer 2001 auf 160000 Personen Ende 2004 an.
BIP-Entwicklung und Zeitpunkt der Parlamentsbeschlüsse
Gegen aktives konjunkturpolitisches Handeln wird oft vorgebracht, dass es zu lange dauern würde, bis der Ernst der Lage erkannt und im Parlament geeignete Ausgabenbeschlüsse gefasst seien. Die Darstellung in Grafik 1 setzt den Moment des Eintritts in eine Rezession mit dem Quartal des ersten konjunkturpolitisch motivierten Ausgabenbeschlusses des Parlaments in Verbindung (Märzsession = 1. Quartal usw.) Die Reihen setzen 7 Quartale vor dem Eintritt in eine Rezession ein, um zu zeigen, wie rasch das konjunkturelle Umfeld oft umschlug. Als Eintritt in eine Rezession wird das Quartal genommen, für welches gilt, dass die Jahresveränderungsrate des realen BIP im nachfolgenden Quartal negativ wird. Diesem 8. Quartal der Grafik entsprechen die Quartale 3/1974, 4/1981, 4/1990, 3/1995, 2/2001 und 4/2008 (provisorisch). Die Parlamentsbeschlüsse fielen in die Quartale 2/1975 (=12), 1/1983 (=13), 1/1993 (=19), 1/1997 (=14) und 4/2008 (=8). 1993 wurde somit erst auf eine in diesem Fall ausgedehnte zweite Delle reagiert. 2008 bereiteten die schweren Verwerfungen an den Finanzmärkten das Terrain für frühe Ausgabenbeschlüsse vor.
Die Krise von 2008 steht klar im Zeichen globalisierter Finanzmärkte und ihrer Instabilitäten. Schieflagen im Inland waren fast keine auszumachen, und die öffentlichen Haushalte sind in einer günstigen Position.
Zitiervorschlag: Balaster, Peter (2009). Die konjunkturpolitisch motivierte Finanzpolitik des Bundes seit 1975. Die Volkswirtschaft, 01. März.