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Innovation und Marktdynamik als Determinanten des Strukturwandels

Eine im internationalen Vergleich überdurchschnittliche Zunahme der Aussenverflechtung sowie ein ebenfalls überdurchschnittliches Wachstum des öffentlichen Sektors kennzeichnen gemäss der hier vorgestellten Untersuchung das Bild der Wirtschaftsentwicklung der Schweiz seit 1991. Wie die im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) durchgeführte Studie empirisch nachweist, sind die Förderung des Wettbewerbs und des Zugangs zu internationalen Märkten, die Stärkung der Humankapitalbasis und die Förderung der Innovationstätigkeit zentrale Elemente einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik.
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Die Studie1 beschreibt zunächst den Strukturwandel auf der Ebene der einzelnen Wirtschaftssektoren und der einzelnen Branchen. Strukturwandel bedeutet in diesem Zusammenhang eine Veränderung des Wertschöpfungsanteils eines Wirtschaftssektors oder Wirtschaftszweiges an der gesamtwirtschaftlichen Leistungserbringung, dem Bruttoinlandprodukt (BIP). Anschliessend folgt eine vertiefende ökonometrische Analyse, die ein besseres Verständnis der Bestimmungsfaktoren der Branchenentwicklung ermöglicht.


Steigende Bedeutung des Aussensektors

Im Rahmen eines internationalen Vergleiches des Strukturwandels auf Sektorebene wurden insgesamt 12 Sektoren (siehe Tabelle 1) und mehrere führende Industrieländer untersucht. Es zeigt sich, dass in der Schweiz, ebenso wie in der Mehrheit der Referenzländer, eine Erhöhung des Wertschöpfungsanteils des Aussensektors zu beobachten ist (siehe Tabelle 2). Diese Entwicklung ist auf die Anpassung der international ausgerichteten Sektoren an den verschärften internationalen Wettbewerb zurückzuführen. Die Schweiz verzeichnet mit +2,9 Prozentpunkten (PP) nach Finnland den höchsten Anstieg des Wertschöpfungsanteils des Aussensektors. Die binnenorientierten Teile der Schweizer Wirtschaft weisen hingegen die grösste Anteilsabnahme auf.Im Ländervergleich fällt auch die erhebliche Zunahme des Anteils des schweizerischen öffentlichen Sektors (inkl. Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich) seit 1991 auf. Während die Mehrzahl der Referenzländer eine Abnahme des Anteils des im obigen Sinn definierten Staatssektors verzeichnen, ist neben Deutschland nur für die Schweiz eine Zunahme dieses Anteils festzustellen (+1,7 PP).


Sektorale Verschiebung zum wissensintensiven Sektor hin

Werden Hightech-Industrie und moderne wissensbasierte Dienstleistungen neu in eine Hauptkategorie «wissensintensiver Sektor» (WI-Sektor) zusammengefasst, zeigt sich deutlich, dass sich die Wertschöpfung hin zum WI-Sektor verschoben hat. Der Anteil des schweizerischen WI-Sektors stieg von 46,4% im Jahr 1991 auf 50,9% im Jahr 2005 (siehe Tabelle 3). Dies war der höchste Anteil unter den Referenzländern. Innerhalb dieses Sektors dominieren die wissensbasierten Dienstleistungen, insbesondere die Finanzdienstleistungen. Dieser Teilsektor verzeichnet einen Zuwachs von +3,7 PP – verglichen mit den +0,8 PP der Hightech-Industrie.


Die einzelnen Branchen wachsen unterschiedlich

Ein weiterer deskriptiver Teil bezieht sich ausschliesslich auf die Schweiz und beschreibt den Strukturwandel auf Branchenebene. Aus insgesamt 72 in der Studie erfassten Branchen der Schweizer Wirtschaft wurden jeweils die zehn Wirtschaftszweige mit der günstigsten und ungünstigsten Entwicklung – basierend auf den Kriterien «Wachstumsrate der Wertschöpfung» und «Wachstumsrate der Beschäftigung» – ermittelt. Anhand dieser Kriterien gehören wie erwartet u.a. die Bereiche Nachrichtenübermittlung, Medizinaltechnik, pharmazeutische Produkte, Dienstleistungen für Unternehmen und Informatikdienste zu den Top-10-Branchen. Wird die durchschnittliche Arbeitsproduktivität als Reihungskriterium herangezogen, gehören die pharmazeutische Industrie und die Medizinaltechnik ebenfalls zu den zehn besten Branchen, nicht aber die Nachrichtenübermittlung und die Informatikdienste, deren Entwicklung primär von extensivem Wachstum bestimmt war.


Wachstumstreiber auf Branchenstufe

Der ökonometrische Teil der Analyse liefert aufschlussreiche empirische Evidenz darüber, welche Bestimmungsfaktoren für die Branchenentwicklung entscheidend sind. In einer ersten Regression (statistische multivariate Analyse) wurde der Einfluss folgender Determinanten auf die Wachstumsrate der realen Wertschöpfung einer Branche untersucht:− Ausstattung mit den klassischen Produktionsfaktoren Arbeitskräfte und Kapitalgüter;− Wettbewerbsintensität (gemessen durch die Marktkonzentration oder die Markteintrittsrate, d.h. den Anteil der neu eintretenden Unternehmen);− internationale Öffnung (gemessen durch den Anteil der Exporte am Umsatz und den Anteil ausländischer Firmen);− Humankapital (gemessen durch den Anteil der Beschäftigten mit einer Ausbildung auf tertiärer Stufe);− Innovation (gemessen durch verschiedene Angaben aus dem Innovationstest der KOF). Die Resultate zeigen, dass der Kapitaleinsatz, die Exportintensität und die Wettbewerbsbedingungen (hohe Markteintrittsrate; niedrige Marktkonzentration) die Haupttreiber des Wachstums auf Branchenstufe gewesen sind (siehe Tabelle 4). Dieses Ergebnis unterstreicht, wie wichtig es für die Schweiz ist, dass Wirtschaftspolitiken entwickelt und angewendet werden, die den Zugang zu internationalen Märkten und den Wettbewerb fördern. Keinen Einfluss auf das Wertschöpfungswachstum übte die Innovationsleistung der Branchen aus. Auch die Ausstattung mit hoch qualifiziertem Personal zeigte keine bedeutenden Auswirkungen. Mittels weiterer Regressionen wurden die Bestimmungsfaktoren des Niveaus der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität analysiert. Dabei haben sich folgende Hauptbestimmungsfaktoren auf Branchenstufe herauskristallisiert: Kapitalintensität, Humankapitalintensität (sowohl bezüglich der Hoch- als auch bezüglich der Mittelqualifizierten, d.h. der Beschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung), Innovationsleistung, internationale Verflechtung (nicht nur hohe Exportquote, sondern auch starke Präsenz von ausländischen Firmen in den einheimischen Branchen), hohe Intensität der nichtpreislichen Konkurrenz und hohe Marktkonzentration bzw. niedrige Marktmobilität (niedrige Markteintrittsrate). Das Wachstum der Arbeitsproduktivität wurde vom Wachstum der Kapitalintensität, der Exportquote und der Marktkonzentration – nicht aber von der Nettomarkteintrittsrate – positiv beeinflusst.Wie erklären sich die unterschiedlichen Effekte von Marktkonzentration auf Wertschöpfungswachstum (negativ) und Produktivitätswachstum bzw. Produktivitätsniveau (positiv)? Eine niedrige Marktkonzentration deutet auf niedrige Eintrittsbarrieren hin und begünstigt somit den Eintritt neuer Firmen. Das führt zur Erhöhung der Branchenkapazität und somit zur Ausschöpfung des Marktpotenzials. Daraus folgt, dass eine niedrige Marktkonzentration das Wertschöpfungswachstum begünstigt. Eine hohe Marktkonzentration impliziert in der Regel geringeren Wettbewerb; geringerer Wettbewerb bedeutet wiederum hohe Bruttogewinne. Unternehmen mit höherem «Markup» können mehr in die Produkt- und Prozessinnovation investieren. Somit hat die Marktkonzentration einen positiven Einfluss auf die Arbeitsproduktivität.Ein weiteres wichtiges Resultat ist, dass die nichtpreisliche Konkurrenz eng mit der Innovationsleistung zusammenhängt, da die Einführung von neuen Produkten, die Produktdifferenzierung und der technische Vorsprung bei den Produkten – wichtige Dimensionen des nichtpreislichen Wettbewerbs – stark vom Innovationsverhalten des Unternehmens abhängen. Dies unterstreicht die Bedeutung des Bestimmungsfaktors «Innovationsleistung» für die Arbeitsplätze, bei denen die Wertschöpfung pro Arbeitskraft über dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt liegt.Die Analyse der Bestimmungsfaktoren der Arbeitsproduktivität zeigt folglich, dass die Stärkung der Humankapitalbasis der Schweizer Wirtschaft und die Förderung der Innovationstätigkeit der Firmen zentrale Elemente einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik sein sollten.


Bestimmungsfaktoren der Wettbewerbsbedingungen und der Innovationsleistung

Da die Wettbewerbsbedingungen und die Innovationsleistung zu den wichtigsten Bestimmungsfaktoren des Wirtschaftswachstums gehören, werden diese im letzten Teil der Studie eingehender untersucht. Wettbewerb wird hierbei im Zusammenhang mit der Marktmobilität der Unternehmen betrachtet. Dabei zeigt sich, dass der Markteintritt von Unternehmen von einem höheren Marktwachstum, einer hohen Exportintensität, einer hohen Intensität der Preiskonkurrenz und einem hohen Eigenfinanzierungsgrad gefördert wird. Hohe Wettbewerbsintensität und geringes Marktwachstum sind hingegen die Hauptursachen für den Marktaustritt von Unternehmen.Hinsichtlich der Innovationsleistung zeigen die Berechnungen, dass die Neigung zu Produkt- und/oder Prozessinnovationen mit der Nutzung des externen Wissens (z.B. Kunden- und Lieferantenwissen, Wissen aus Patentschriften), der F&E-Intensität (F&E-Aufwendungen dividiert durch den Umsatz), der Exportintensität, der Marktkonzentration und der Intensität der nichtpreislichen Konkurrenz positiv korreliert.


Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen

Die Rolle der offenen Märkte

Wie bereits ausgeführt, ist der Aussensektor der in der Periode 1991–2005 am stärksten gewachsene Wirtschaftsbereich. Hauptträger dieses Wachstums waren die beiden Teilsektoren des WI-Sektors, die Hightech-Industrie und die wissensbasierten Dienstleistungen. Sowohl die statistisch-deskriptive als auch die ökonometrische Analyse zeigen, dass dieses Wachstum wesentlich durch den Öffnungsgrad der involvierten Märkte (Inland: Markteintrittsrate; Ausland: Exportintensität) begünstigt worden ist. Somit ist es für die Schweizer Wirtschaft von grosser Bedeutung, dass Zugangshindernisse auf den internationalen Märkten beseitigt werden. Dazu tragen sowohl die auf bilateraler Basis bereits bestehenden Abkommen mit der EU als auch die geplanten bzw. beabsichtigten Abkommen mit Wirtschaftspartnern ausserhalb des europäischen Wirtschaftsraumes bei.Wir gehen davon aus, dass eine weitere Öffnung der Märkte auch im Binnensektor Wachstumsimpulse hervorrufen würde. Die Wirtschaftspolitik in der Schweiz hat in den Neunzigerjahren wesentlich zur Verbesserung der Rahmenbedingungen in diesem Bereich beigetragen. In dieser Perspektive sind eine Vielzahl von Politikbereichen angesprochen: Realisierung des schweizerischen Binnenmarkts (geschützte Berufe, Gewerbe, öffentliches Beschaffungswesen usw.), Liberalisierung von Branchen mit Netz-Externalitäten und Öffnung der Märkte für ausländische Konkurrenz (WTO-Doha-Runde, Parallelimporte usw.).


Die Rolle des Humankapitals

Unsere Analyse hat ebenfalls gezeigt, wie wichtig der Einsatz des Humankapitals (sowohl Hoch- als auch Mittelqualifizierte) für die Entwicklung der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität gewesen ist. Die in der Schweiz immer wieder auftretende mangelnde Verfügbarkeit von Fachpersonal wurde durch das Abkommen mit der EU zum freien Personenverkehr weitgehend entschärft. Beim Mangel an Fachpersonal zeichnen sich auf mittlere Frist zwar keine grösseren Probleme ab. Dennoch wäre es im Hinblick auf die künftige demografische Entwicklung und den grösseren «Eigenbedarf» qualifizierter Arbeitskräfte im Ausland – insbesondere in den überdurchschnittlich stark wachsenden osteuropäischen Ländern – unklug, sich zu sehr auf die Immigration zu verlassen. Deshalb bleibt die Stärkung der Humankapitalbasis der Schweizer Wirtschaft ein zentrales Element einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik. Teilweise wurden Massnahmen in diesen Bereichen bereits realisiert (z.B. Einführung der Berufsmaturität und Aufwertung der Fachhochschulen). Die geplanten Verbesserungen (kräftige reale Steigerung der Ausgaben des Bundes für Bildung, Forschung und Technologie in der Periode 2008–2011) sollten indes auch unter ungünstigen Konjunkturbedingungen umgesetzt werden.


Dr. Spyros Arvanitis

Leiter des Forschungsbereichs Strukturwandel, KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich


Marius Ley

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich


Tobias Stucki

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich


Dr. Martin Wörter

Höherer wissenschaftlicher Mitarbeiter,KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich


1 Arvanitis, S., Ley, M., Stucki, T. und M. Wörter (2008): Innovation und Marktdynamik als Determinanten des Strukturwandels, Strukturberichterstattung Nr. 43, herausgegeben vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern.


Definition der Variablen

ΔlnQ: Veränderung des Logarithmus der realen Bruttowertschöpfung

(Δ)ln(Q/L): (Veränderung des) Logarithmus der realen Bruttowertschöpfung pro Beschäftigten

ΔlnC: Veränderung des Logarithmus des realen Sachkapitals

(Δ)ln(C/L): (Veränderung des) Logarithmus des realen Sachkapitals pro Beschäftigten

ln(INNOV): Logarithmus der Innovationsmessgrösse (verschiedene Innovationsindikatoren: F&E-Aufwendungen; Anteil der Unternehmen, welche im Produktbereich innovieren etc.)

ln(EXP/S): Logarithmus des Verhältnisses Exporte/Umsatz

ln(HQUAL): Logarithmus des Anteils der Beschäftigten mit tertiärer Ausbildung

ln(FOREIGN): Logarithmus des Anteils ausländischer Unternehmen

ln(FIN): Logarithmus des Eigenkapitalanteils

N_ENTRY_N: Anteil der neu eintretenden Unternehmen (Nettobetrachtung)

Δln(CONC5): Veränderung des Logarithmus der Marktkonzentration (C5)

IPC: Anteil der Unternehmen, die eine hohe Intensität der preislichen Konkurrenz melden

INPC: Anteil der Unternehmen, die eine hohe Intensität der nichtpreislichen Konkurrenz melden


Zitiervorschlag: Arvanitis, Spyros; Ley, Marius; Wörter, Martin (2009). Innovation und Marktdynamik als Determinanten des Strukturwandels. Die Volkswirtschaft, 01. März.