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Mit Pragmatismus ans Werk gehen

Kein Teilbereich der Wirtschaftspolitik ist ideologisch dermassen aufgeladen und wird so kontrovers diskutiert wie die Konjunktur- und Wachstumspolitik. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Makroökonomie mit der Kreislaufbetrachtung der Volkswirtschaft einen hohen Abstraktionsgrad erfordert. Hinzu kommen die «Altlasten» des Ökonomenstreits um die antizyklische Politik und die Rolle des Staates, der zwischen Keynesianern und Monetaristen (bzw. Neoliberalen) ausgetragen wurde. Noch heute geht es deshalb bei den Diskussionen über Konjunktur- und Wachstumspolitik um viel ordnungspolitische Dogmen und wenig Pragmatismus.
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Nicht alles, was unter dem Anspruch der Rezessionsbekämpfung und der konjunkturellen Stabilisierung figuriert, stützt die Beschäftigungssituation. Dies trifft auch für die Stabilisierungsprogramme I und II des Bundesrates vom November 2008 und Februar 2009 zu, die einen bemerkenswerten Eklektizismus – oder deutlicher: ein Sammelsurium von Streusubventionen – aufweisen.


Was ist das Ziel der Konjunkturpolitik?

Die Grundsatzfrage zur Beurteilung aller Rezepte der Rezessionsbekämpfung sollte heissen: Was will man damit eigentlich erreichen? Will man eine statistische Aufblähung des Bruttoinlandprodukts? Will man primär Arbeitsplätze schaffen? Oder will man damit gleichzeitig auch alte fiskalische, strukturpolitische oder verteilungspolitische Ziele erreichen?Artikel 100 der Bundesverfassung hält klar in der Muss-Formulierung fest: «Der Bund trifft Massnahmen für eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung, insbesondere zur Verhütung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Teuerung.» Primäres Ziel eines Konjunkturprogramms ist also die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit im Inland.


Rahmenbedingungen eines wirksamen Programms

Im Gegensatz zum Vulgärkeynesianis-mus, der undifferenziert eine Stützung der wirtschaftlichen Nachfrage durch «Deficit Spending» fordert, müssen die Rahmenbedingungen der realen Wirtschaft mit berücksichtigt werden, damit man beschäftigungspolitisch eine Wirkung erzielt: − Wir haben eine offene Volkswirtschaft. Von den Haushaltausgaben werden nach Abzug der konjunkturunabhängigen Miet- und Krankenversicherungskosten mindestens 70% für Importgüter verwendet. Wer also die Rezession durch Steuersenkungen oder gar durch blosses Verteilen öffentlicher Mittel an die Haushalte bekämpfen will, fördert bestenfalls Arbeitsplätze im Ausland. − Die Krisenstimmung – bedingt durch die Angst um den Arbeitsplatz und die ständigen Entlassungsmeldungen – lässt die Sparquoten in der Volkswirtschaft hochschnellen. Werden in dieser Situation Mittel an Haushalte oder Unternehmen verteilt, wird die volkswirtschaftliche Nachfrage nicht im gewünschten Mass erhöht, sondern bloss mehr gespart.− Strukturelle Effekte von staatlichen Programmen lassen sich nie ganz vermeiden. Diese Effekte müssen jedoch in Richtung Struktur- und Effizienzverbesserung – also z.B. in Richtung Energiesparen, Nachhaltigkeit, Bildungsinvestitionen – und nicht zur Zementierung veralteter Branchenstrukturen, wie der Erhaltung auslagerungsreifer Giessereien, Autoindustrien oder dezentralisierter Werkstätten mit ausgereifter Technologie, gehen.− Wenn im Inland tatsächlich eine Beschäftigungswirkung erzielt werden soll, muss es sich um Investitionen des Staates oder um Investitionsanreize handeln. Investitionen im Inland haben im Gegensatz zum Konsum einen höheren Multiplikatoreffekt; zusätzliche Einkommen (Löhne) und zusätzliche Zulieferungen anderer Firmen (Vorleistungen) werden ausgelöst, die ihrerseits wieder Einkommen generieren. Noch wirksamer werden Investitionsanreize des Staates, wenn damit kurzfristig noch Investitionsmittel von Privaten ausgelöst werden, wie zum Beispiel bei energetischen Sanierungen im umbauten Raum.


Sinnvolle und nicht sinnvolle Rezessionsbekämpfung

Aus diesen Erkenntnissen und Erfahrungen lässt sich folgende Faustregel für staatliche Konjunkturprogramme ableiten: Wenn der Staat 1 Mrd. Franken an die Haushalte (durch Steuererleichterungen oder direkte Zahlungen) abgibt, löst dies im Inland nur rund 300 Mio. Franken an Wertschöpfung und einen entsprechend minimen Beschäftigungseffekt aus. Wenn er jedoch 1 Mrd. Franken für Investitionen im Inland ausgibt, generiert er durch die Multiplikatorwirkung erfahrungsgemäss 1,6 bis 2 Mrd. Franken an Inlandwertschöpfung.Senkungen von Mehrwertsteuern oder direkten Steuern, Verbilligungen von Krankenkassenprämien (die familienpolitisch durchaus sinnvoll sind), Direktzahlungen oder Rentenleistungen an die Haushalte, Autokaufprämien, aber auch die staatliche Übernahme unverkäuflicher Finanztitel und dergleichen sind nicht oder nur marginal beschäftigungswirksam. Sie sind blosser Aktivismus, ohne zur Zielsetzung nach BV 100, nämlich zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, beizutragen. Unter diesem ernüchternden Blickwinkel gilt es, die Prioritäten auf sinnvolle Investitionen zu setzen und angesichts der weit auseinander liegenden parteipolitischen Wunschprogramme politische Führung zu zeigen.


Operative Abwicklung ist entscheidend

Als einer, der in den Neunzigerjahren die beiden Konjunkturprogramme 1993/95 und 1997 mitgestaltet und in diesem Jahrzehnt auch die internen Verwaltungsabläufe kennen gelernt hat, halte ich die operativen Kapazitäten bei der Abwicklung von Beschäftigungsprogrammen für entscheidend. Die Voraussetzungen dazu sind heute schlechter: Das ehemalige Bundesamt für Konjunkturfragen ist 2000 aufgehoben worden, und die operativen Fachkräfte zur Abwicklung eines Programms sind nicht mehr da. Die Prognosekapazität hat sich weit weg von der Praxis entwickelt. Die frühere Konjunkturpolitik wurde 1980 auf die Konjunkturbeobachtung redimensioniert. Die Eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen ist 2007 aufgelöst worden, und mithin fehlt eine verwaltungsexterne Beratungskapazität, die auf Fehlbeurteilungen hinweisen könnte.Die konjunkturpolitischen Aktivitäten des Bundes der Neunzigerjahre werden heute – meiner Meinung nach – denn auch schlechter dargestellt, als sie waren. Die Nachevaluation von 1996 des ersten Programms 1993/95 hat gezeigt, dass der Bund mit einem Investitionsbonus von 200 Mio. Franken rund 1,4 Mrd. Franken Investitionen bei Kantonen und Gemeinden auslöste. Durch den Beschäftigungseffekt wurden immerhin 468 Mio. Franken an Arbeitslosengeldern eingespart. Das 1997er-Programm kam dann allerdings zu spät, weil die Nationalbank durch ihre massiven Zinssenkungen den Aufschwung schon ausgelöst hatte.


Lehren für ein Stabilisierungs-programm III

Der von den Gegnern antizyklischer Programme ins Feld geführte Verpuffungseffekt (die Programme werden zu spät wirksam und fallen in den Aufschwung) kann vermieden werden, indem ein ausführungsreifes Programm verwaltungsintern frühzeitig vorbereitet wird, damit es auf «Knopfdruck» mit einem dringlichen Bundesbeschluss realisiert werden kann. Die Gefahr des Zu-spät-Kommens und von Mitnahmeeffekten ist bei keinem Konjunkturprogramm von vornherein auszuschliessen. Aber mit einer klaren politischen Führungsrolle und einer frühzeiti-gen operativen Vorbereitung können diese Trade-off-Effekte vermieden oder zumindest verringert werden. Der Bundesrat hat ein drittes Stabilisierungsprogramm in Aussicht gestellt, falls die konjunkturellen Indikatoren auf eine lange und schwere Rezession schliessen lassen. Für den Fall des Notwendigwerdens eines dritten Programms braucht es heute schon eine Leadership zur Prioritätensetzung nach dem Prinzip «klotzen, nicht kleckern» und zum vorübergehenden Verzicht auf die Schuldenbremse. Ein Programm sollte sich nicht bloss an einer Verwaltungsumfrage orientieren, die selbstredend ein Sammelsurium von Wünschen und Finanzierungsbegehren hergibt. Diese Planungsarbeit sollte jetzt ganz pragmatisch ablaufen und sich von den alten ordnungspolitischen Dogmen lösen. Sie müsste sich – nach meiner intuitiven Einschätzung – auf folgende Schwerpunkte konzentrieren:− Erstens sind energetische Investitionen in Mehrfamilienhäusern zu fördern, wobei mehr Gewicht auf die Haustechnik (d.h. Erneuerung und Effizienzverbesserung von Heizungen, Feuerungen, Steuerungen und Regeltechnik) gelegt werden sollte, damit die inländische Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie stärker zum Zuge kommt. Der Bund oder die Kantone zahlen zeitlich befristet 25%, und die Liegenschaftsbesitzer (Pensionskassen, institutionelle Investoren etc.) steuern für jeden Staatsfranken weitere drei Franken bei. Dadurch wird der makroökonomische Multiplikatoreffekt mit dem privaten kumuliert. Steuersenkungen haben bei steuerbefreiten institutionellen Investoren wie Pensionskassen keine Wirkung.− Zweitens wird es nötig sein, eventuell schon 2009 und sicher 2010 dem absehbaren Mangel an Lehrstellen, der mit jeder längeren Rezession einhergeht, zu begegnen und gezielte Massnahmen aufgrund der Erfahrungen mit den Lehrstellenbeschlüssen I und II vorzubereiten.− Drittens halte ich die Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung bei der Arbeitslosenversicherung für vorläufig wirksam; nur muss sie noch stärker mit beruf-lichen Weiterbildungsaktivitäten und mit beruflicher Qualifizierung gekoppelt werden.


Rudolf Strahm

Nationalökonom und Chemiker, alt Nationalrat und WAK-Mitglied (1991–2004), ehemaliger eidgenössischer Preisüberwacher (2004–2008)


Zitiervorschlag: Strahm, Rudolf (2009). Mit Pragmatismus ans Werk gehen. Die Volkswirtschaft, 01. März.