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Möglichkeiten und Grenzen einer diskretionären Fiskalpolitik

Das erste und wichtigste Instrument des Staates zur Konjunkturstabilisierung ist die Geldpolitik, die durch Zinssenkungen den Konsum der privaten Haushalte stimuliert und Unternehmen kostenseitig entlastet. Die Notenbank hat mit ihren drastischen Zinsschritten im letzten Jahr bereits früh reagiert und ihren Beitrag zur Konjunkturstabilisierung geleistet. Es muss alles unternommen werden, um eine Kreditklemme in der Schweiz zu vermeiden. Die wichtigste Aufgabe des Bundes ist es, die automatischen Stabilisatoren spielen zu lassen. Eine diskretionäre Fiskalpolitik mit Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen kann schliesslich bei einem gesamtwirtschaftlichen Nachfrageeinbruch stabilisierend wirken. Der Weg ist in der Praxis jedoch mit vielen Stolpersteinen gepflastert. Der Bund sollte sich daher auf Massnahmen konzentrieren, die langfristig sowieso beabsichtigt sind, aber aus konjunkturellen Gründen vorgezogen oder verschoben werden.

Möglichkeiten und Grenzen einer diskretionären Fiskalpolitik

Die wichtigste konjunkturpolitische Rolle der Fiskalpolitik ist das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren, deren grosse Bedeutung für die Schweiz vielfach unterschätzt wird. Im wirtschaftlichen Abschwung steigen die Ausgaben des Staates. Insbesondere die in der Schweiz gut ausgebaute Arbeitslosenversicherung wird gemäss Schätzungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) 2009 und 2010 einen Fiskalimpuls von je rund 1,6 Mrd. Franken auslösen, ohne dass ein parlamentarischer Entscheid dazu nötig wäre. In den USA stellt demgegenüber die Erhöhung der Unterstützung für die schlecht abgesicherten Arbeitslosen einen diskretionären Fiskalimpuls dar. Die höheren Ausgaben werden dort nicht automatisch, sondern durch einen parlamentarischen Entscheid ausgelöst. Naturgemäss sinken in der Rezession – besonders ausgeprägt bei einem progressiven Steuertarif – auch die Steuereinnahmen des Staates. Das Konzept der Schuldenbremse lässt in wirtschaftlich schlechten Zeiten ein entsprechendes Staatsdefizit zu. Neben den zusätzlichen Ausgaben besteht ein wichtiger automatischer Stabilisator somit darin, dass bei einem Defizit keine Steuererhöhungen vorgenommen werden müssen. Das Ausnützen der automatischen Stabilisatoren ist die effizienteste antizyklische Fiskalpolitik.


Diskretionäre Steuer- und Ausgabenpolitik mit Fragezeichen

Eine diskretionäre Fiskalpolitik versucht den Konjunkturverlauf aktiv zu beeinflussen. Im Gegensatz zu den automatischen Stabilisatoren ist ihr Erfolgsausweis allerdings ernüchternd. Der Versuch, mittels Steuer- oder Ausgabenveränderungen die Konjunktur zu stimulieren, scheiterte meist, weil die Wirkungen zu spät, am falschen Ort oder deutlich unter den Erwartungen eintraten. Oft trifft der in den Lehrbüchern diskutierte Multiplikatoreffekt – d.h. in welchem Umfang der Impuls des Staates zu einer Erhöhung des BIP führt – nur in bescheidenem Umfang ein. Die Bandbreite der empirisch ermittelten Multiplikatoren ist auffallend gross. Bei Ausgabenveränderungen reicht sie von –2 bis mehr als 4, wobei der Grossteil zwischen 0,5 und 1 liegt.1 Für die Schweiz hat die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH kürzlich den Multiplikator für Staatsinvestitionen mit Hilfe einer Simulation auf 1,6 geschätzt. Allerdings geht sie von relativ bescheidenen Effekten auf die Arbeitslosigkeit aus.2 Aus der Literaturübersicht ziehen Spilimbergo et al. (2009) folgende Schlussfolgerungen: Die empirisch ermittelten Multiplikatoren für Staatsinvestitionen sind nicht substanziell höher als diejenigen für den Staatskonsum. Die Multiplikatoren variieren von Land zu Land, sind aber in grösseren Ländern tendenziell grösser. Steuersenkungen scheinen kurzfristig einen kleineren Einfluss auf die Konjunktur zu haben als Ausgabenerhöhungen; längerfristig aber ist dies nicht mehr notwendigerweise gegeben.3 Wenig umstritten ist, dass Steuererhöhungen einen stark negativen Effekt auf den Output haben.4 Tabelle 1 bewertet die Schwierigkeiten der verschiedenen fiskalpolitischen Impulse, die drei TTT-Kriterien (timely, targeted, temporary) in der Praxis einzuhalten (siehe Kasten 1).5 Offensichtlich gibt es keine perfekte Massnahme ohne effizienzmindernde Nebenwirkung. Allgemein stellt sich bei Steuersenkungen das Problem, dass die konjunkturelle Wirkung nicht präzise gesteuert werden kann und der Inside-Lag relativ gross ist. Effizienzmindernd wirkt sich in der Schweiz besonders die hohe Spar- und Importquote aus. Demgegenüber kann die Erhöhung der Konsumausgaben des Staates kurzfristig etwas wirkungsvoller sein, doch sind diese nur schwer wieder rückgängig zu machen. Während Bauinvestitionen relativ einfach temporär auszugestalten sind, wirken sie häufig über die Rezessionsphase hinaus. Höhere Transferzahlungen an private Haushalte (Kinderzulagen, Krankenkassenverbilligungen) tendieren dazu, permanent zu sein und somit das Staatsbudget langfristig zu belasten. Generell wird die Effizienz einer diskretionären Fiskalpolitik weiter vermindert, weil gewisse Interessengruppen politisch effizient organisiert sind und sich unter dem Deckmantel der Konjunkturstabilisierung deutliche Vorteile sichern. Politiker neigen auch dazu, durch breit gestreute Geschenke die Wählerstimmen zu maximieren und weniger auf die konjunkturelle Effizienz Rücksicht zu nehmen.


Stufenweises Vorgehen des Bundesrates zweckmässig

Der Bundesrat hat mit den im November 2008 lancierten Stabilisierungsmassnahmen neben den automatischen Stabilisatoren auch eine diskretionäre Fiskalpolitik vorgeschlagen. Diese nutzt den Spielraum innerhalb der Schuldenbremse für 2009 aus und sieht in zwei Etappen zusätzliche Mittel in der Höhe von rund 1,5 Mrd. Franken vor. Das stufenweise Vorgehen des Bundesrates entspricht in den Grundzügen einem von Feldstein6 vorgeschlagenen bedingten Stimulierungsplan: Massnahmen werden vorbereitet, aber nur dann ausgelöst, wenn bestimmte Entwicklungen eintreten. Durch dieses Vorgehen kann der Inside-Lag reduziert werden. Gleichzeitig können die Massnahmen sorgfältig geprüft und bei Bedarf ohne grosse Verzögerung lanciert werden. Mit der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Lageverschlechterung ist es zweckmässig, in diesem Jahr die zweite Stufe auszulösen. Besonderes Augenmerk sollte der stark gebeutelten Exportindustrie gelten. Dazu sollten die Möglichkeiten der Exportrisikogarantie ausgeschöpft und die Kurzarbeitsentschädigung von 12 auf 18 Monate verlängert werden.


Bedingten Stimulierungsplan für 2010 erarbeiten

Eine allfällige dritte Stufe ist nur dann angezeigt, wenn sich abzeichnen sollte, dass 2010 auch die Binnenwirtschaft in eine starke Rezession abzugleiten droht. Eine solche dritte Stufe würde allerdings dazu führen, dass das erwartete Defizit 2010 nicht mehr schuldenbremskonform wäre. Um die langfristige Finanzstabilität des Bundes nicht zu gefährden, sind allfällige Massnahmen für die Konjunkturstabilisierung als ausserordentliche Ausgaben zu qualifizieren und dementsprechend der Ergänzungsregel zu unterstellen. Die konkreten Massnahmen sind in den nächsten Monaten im Detail vorzubereiten. Sie dürfen aber nur dann ausgelöst werden, wenn sich die konjunkturellen Aussichten bis in den Sommer massiv verschlechtern würden. Aufgrund der schlechten Effizienz der verschiedenen finanzpolitischen Massnahmen in der Schweiz sollten nur solche weiterverfolgt werden, die früher oder später ohnehin realisiert werden. Im Steuerbereich sind die vorgesehene Revision der Familienbesteuerung und der Ausgleich der kalten Progression bereits für die Steuererklärung des Jahres 2009 einzuführen. Schliesslich sind Investitionen der öffentlichen Hand vorzubereiten, die auch der nächsten Generation zur Verfügung stehen. Allerdings müssen solche Massnahmen die TTT-Kriterien zu einem wesentlichen Teil erfüllen.


Dr. Rudolf Minsch

Chefökonom, Mitglied der Geschäftsleitung economiesuisse, Zürich


1 IMF (2008): World Economic Outlook, Oktober, S. 166.

2 Abrahamsen, Atukeren, Frick (2009): Beschäftigungswirkungen eines Investitionsprogramms für die Schweiz. Simulationen mit dem KOF-Makromodell, KOF-ETH.

3 Spilimbergo, Symansky, Blanchard, Cottarelli (2008): Fiscal Policy for the Crisis. IMF Staff Position Note. 29. Dezember, S. 17f.

4 Romer, Romer (2008): The Macroeconomic Effects of Tax Changes: Estimates Based on a New Measure of Fiscal Shocks. Working Paper. University of California, Berkeley.

5 Elmendorf, Furman (2008): If, When, How: A Primer on Fiscal Stimulus. The Hamilton Project. Brookings Institution.

6 Feldstein (2007): How to Avert Recession. The Wall Street Journal, 5. Dezember.


TTT-Kriterien für diskretionäre Fiskalpolitik

− Rechtzeitige Wirkung (timely): Der Fiskalimpuls sollte zur richtigen Zeit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen, um den Konjunktureinbruch zu dämpfen. In der Praxis kann die Lag-Problematik allerdings rasch dazu führen, dass der Impuls zu spät und/oder zu lange wirkt und somit bereits den nächsten Konjunkturaufschwung verstärkt. Nach dem Auftreten eines Schocks wird eine gewisse Zeit beansprucht, bis die Politikmassnahmen verabschiedet werden (Inside Lag). Je nach Massnahme vergeht nach dem Entscheid mehr oder weniger Zeit, bis der Impuls in der Volkswirtschaft zu wirken beginnt (Outside Lag).

− Gezielte Wirkung (targeted): Jeder eingesetzte Franken aus Steuerreduktionen oder aus Ausgabenerhöhungen sollte die grösstmögliche konjunkturelle Wirkung erzielen. Dies bedingt, dass der Fiskalimpuls dort ansetzt, wo die Probleme am grössten sind. Mitnahmeeffekte sind möglichst zu vermeiden.

− Zeitliche Befristung (temporary): Steuersenkungen und/oder Ausgabenerhöhungen sollten bei einem Fiskalimpuls befristet sein, um die langfristige Stabilität des Staatshaushaltes nicht zu gefährden.


Zitiervorschlag: Rudolf Minsch (2009). Möglichkeiten und Grenzen einer diskretionären Fiskalpolitik. Die Volkswirtschaft, 01. März.