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Die Finanzen der öffentlichen Haushalte der Schweiz

Die Betrachtung der aktuellen Finanzlage der öffentlichen Haushalte der Schweiz zeigt ein zweiseitiges Bild. Einerseits weisen der Bund, die Kantone und die Gemeinden insgesamt für die Jahre 2007 und 2008 trotz Finanzkrise und beginnendem Konjunktureinbruch hohe Einnahmenüberschüsse auf. Andererseits wird sich die schlechte Wirtschaftslage stark auf die Rechnungen des laufenden Jahres auswirken und allen Staatsebenen zum Teil hohe Defizite bescheren. Dabei kommen auch konjunkturelle Stabilisierungsmassnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden zum Tragen.

Hohe Überschüsse in den Jahren 2007 und 2008


Die Rechnungen der Kantone für das Jahr 2007 schlossen zumeist mit Überschüssen ab; nur gerade zwei Kantone verzeichneten ein Defizit. Somit konnten die Kantone insgesamt die im Vorjahr erzielten Überschüsse erneut ausdehnen und um 66% steigern. Die Gesamteinnahmen und -ausgaben der Kantone fallen auch bei der Rechnung der gesamten öffentlichen Haushalte (Bund, Kantone und Gemeinden) stark ins Gewicht, da die Kantone den grössten Anteil an den Finanzen des Staatssektors stellen. Wesentlich zu dieser Steigerung beigetragen haben zwei Faktoren: Da auch der Bundeshaushalt im Jahr 2007 einen grossen Zuwachs an Steuereinnahmen verzeichnete, profitierten die Kantone zum Einen von höheren Kantonsanteilen an Bundeseinnahmen. Zum Anderen haben vor allem die kantonseigenen Einnahmen zu diesem positiven Resultat geführt, da die Kantone annähernd die Hälfte ihrer Ausgaben selbst finanzieren. Durch die erwirtschafteten Überschüsse waren die Kantone in der Lage, ihre Schulden um über 1 Mrd. Franken abzubauen. Bezüglich der Gemeinden liegt für das Jahr 2007 eine erste Schätzung vor. Die Berechnungen beruhen auf einer Auswertung der Finanzen von 42 Städten und Kantonshauptorten, für welche die Rechnungen 2007 bereits vollständig erfasst und bearbeitet wurden. Auf der Basis der fast ausschliesslich positiven Ergebnisse ist zu erwarten, dass die Gemeinden insgesamt mit einem hohen Überschuss abschliessen können. Gemäss den Berechnungen der Finanzstatistik wird sich der positive Rechnungssaldo der Gemeinden auf insgesamt 2,8 Mrd. Franken belaufen. Auch hier dürften insbesondere höhere Einnahmen-Transfers zwischen den Staatsebenen und ein Anstieg der eigenen Einnahmen die Rechnungen positiv beeinflusst haben. Die guten Rechnungsergebnisse der Kantone und Gemeinden widerspiegeln sich auch im Finanzierungssaldo des gesamten Staatssektors, zumal der Bund mit einem Überschuss von 4,8 Mrd. Franken ebenfalls ein sehr erfreuliches Ergebnis erzielte. So zeigen die Schätzungen der Finanzstatistik für 2007 einen Überschuss der Finanzierungsrechnungen von Bund, Kantonen und Gemeinden von insgesamt 10,9 Mrd. Franken. Unter Einbezug der öffentlichen Sozialversicherungen, die mit einem Überschuss von 500 Mio. Franken abschlossen, ist mit einem positiven Finanzierungssaldo des gesamten staatlichen Sektors von 11,4 Mrd. Franken zu rechnen. Im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) entspricht dies einer Überschussquote von 2,2%. Trotz eines verlangsamten Wirtschaftswachstums darf für das Jahr 2008 ein positives Finanzierungsergebnis der Kantone und Gemeinden erwartet werden. Hochrechnungen lassen für die Kantone einen Überschuss von 4,2 Mrd. Franken erwarten. Dieses sehr gute Resultat ist wie im Vorjahr auf eine deutliche Zunahme der Einnahmen zurückzuführen, insbesondere auf ein hohes Wachstum bei den Kantonsanteilen an Bundeseinnahmen. Auch die Gemeinden dürften mit einem Überschuss von schätzungsweise 2,3 Mrd. Franken erneut ein erfreuliches Ergebnis ausweisen. Für den Teilsektor Bund weist die Finanzstatistik hingegen einen Ausgabenüberschuss von fast 1,9 Mrd. Franken aus. Dieses Defizit steht im Gegensatz zur ordentlichen Rechnung des Bundes, die für das Jahr 2008 einen Finanzierungsüberschuss von 7,3 Mrd. Franken ausweist. Diese grosse Differenz zur Finanzstatistik entsteht durch die ausserordentlichen Ausgaben des Bundes, welche – neben der Zeichnung der Wandelanleihe der UBS – auch ausserordentliche Ausgaben im Zusammenhang mit dem Übergang zur NFA einschliessen.  Der Überschuss des gesamten Sektors Staat – Bund, Kantone, Gemeinden und öffentliche Sozialversicherungen – beläuft sich im Jahr 2008 nach unseren Schätzungen auf 5 Mrd. Franken (0,9% des BIP). Dank der überwiegend positiven Ergebnisse konnte die Schuldenquote der öffentlichen Haushalte auf 41,5% gesenkt werden. Dies ist die vierte Abnahme der Verschuldung in Folge, womit das tiefste absolute Niveau der Schulden in diesem Jahrzehnt erreicht wurde. Ausserdem war der Anteil der Schulden am BIP seit 1992 nicht mehr so tief (siehe Tabelle 1).

Voranschläge 2009 – Defizite von fast 5 Mrd. Franken


Der Ausblick auf die Voranschlags- und Finanzplanjahre hingegen sieht wesentlich düsterer aus. Hier ist der Einfluss des Konjunkturabschwungs deutlich sichtbar, wird doch voraussichtlich keine der Staatsebenen im Jahr 2009 Überschüsse ausweisen können. Auf Bundesebene wird der Konjunkturfaktor der Schuldenbremse zum Tragen kommen; für den ordentlichen Bundeshaushalt sind also während der Phase des konjunkturellen Abschwungs Defizite zulässig. Allerdings wird das zulässige Defizit vollständig ausgeschöpft werden. Der Voranschlag sieht einen negativen Saldo von fast 1 Mrd. Franken vor. Für die Kantone werden ebenfalls rote Zahlen prognostiziert. Dem aufgrund der Wirtschaftskrise starken Rückgang der Einnahmen – tiefere Steuererträge, weniger Einnahmen aus den Anteilen der Bundeseinnahmen – wird ein hohes Ausgabenwachstum gegenüberstehen. Der Umstand, dass die Ausgaben der Kantone in der Regel mit einer gewissen Verzögerung auf tiefere Einnahmen reagieren, trägt somit massgeblich dazu bei, dass sich die Kantone im Krisenjahr 2009 antizyklisch verhalten. Nach den hohen Überschüssen der vergangenen Jahre wird ein Gesamtdefizit von gut 1,5 Mrd. Franken veranschlagt. Auf der Ebene der Gemeinden wird die Einnahmenentwicklung in ähnlicher Weise von der Konjunktur beeinflusst wie bei den Kantonen. Der grosse Rückgang im Saldo ist hier aber stärker auf ein markantes Ausgabenwachstum zurückzuführen. Diese Prognose basiert auf den Budgets der Städte und der Kantonshauptorte, welche zum Teil hohe Mehrausgaben veranschlagen. So werden gemäss unseren Schätzungen die Gemeinden im Vergleich zum Vorjahr eine Verschlechterung des Saldos um rund 4,5 Mrd. Franken hinnehmen müssen. Eine im Gegensatz zu den vorgenannten Staatsebenen etwas verzögerte antizyklische Entwicklung wird für die Sozialversicherungen prognostiziert. Erwartungsgemäss verzögern sich die Auswirkungen eines Abschwungs um ein bis zwei Jahre, bevor sie sich auf die Rechnungen der Sozialversicherungen niederschlagen. Vor allem die Arbeitslosenversicherung dürfte von dieser Entwicklung sehr stark betroffen sein. Die Rechnungen der öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungen der Schweiz werden somit im laufenden Jahr durch das sinkende BIP stark beeinflusst. Das Defizit aller Staatsebenen dürfte insgesamt fast 5 Mrd. Franken betragen, nachdem noch im Jahr 2008 ein ebenso hoher Überschuss erzielt werden konnte.

Unsicherer Ausblick 2010


Die weitere Entwicklung der Staatsfinanzen wird massgeblich davon beeinflusst sein, wie schnell die Schweizer Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zurückfindet. Unter der Annahme, dass die konjunkturelle Erholung bereits im Jahr 2010 einsetzt, dürfte auch bei den Staatsfinanzen der Trend wieder nach oben zeigen, obwohl die öffentlichen Haushalte insgesamt noch grosse Defizite ausweisen werden. Allerdings rufen diese Wachstumsprognosen gewisse Vorbehalte hervor. Die neusten Konjunkturprognosen des Staatsekretariats für Wirtschaft (Seco) lassen für das Jahr 2009 eine grössere Rezession erwarten als in unseren Berechnungen angenommen. Zudem dürfte das BIP auch 2010 noch stagnieren oder bestenfalls sehr bescheiden wachsen. Die Prognosen für die Entwicklung der Staatsfinanzen könnten sich daher für die kommenden Jahre als etwas zu optimistisch erweisen. Der Bund trägt in diesem Szenario noch stark zum negativen Ergebnis bei. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich Veränderungen bei den Einkommen und Gewinnen in der direkten Bundessteuer erst mit einer Verzögerung von einem Jahr auf die Steuereinnahmen auswirken. Im Gegensatz dazu können sich insbesondere die Kantone relativ rasch erholen. Ihnen wird dank leichtem Einnahmenwachstum und einer Stabilisierung des Ausgabenwachstums im nächsten Jahr bereits wieder ein positiver Rechnungsabschluss prognostiziert. Bei den Kantonen wird sich somit eine wirtschaftliche Erholung gemäss unseren Modellen am schnellsten in einer Konsolidierung der Finanzen niederschlagen. Die Gemeinden werden sich im Jahr 2010 aus denselben Gründen ebenfalls wieder an eine ausgeglichene Rechnung herantasten können, weisen aber aller Voraussicht nach mehrheitlich noch Defizite aus. Die Sozialversicherungen werden den Konjunktureinbruch im Jahr 2010 am stärksten spüren und beeinflussen das konsolidierte Defizit der öffentlichen Haushalte aussergewöhnlich stark. Für sie dürfte die Erholung der Finanzlage erst nach unserer Beobachtungsperiode eintreten.

Konjunkturpolitische Massnahmen


Neben den bereits erwähnten automatischen Stabilisatoren, welche sich im Abschwung – z.B. bei den Kantonen – durch sinkende Einnahmen bei gleichzeitig ansteigenden oder zumindest konstanten Ausgaben ergeben, werden die Rechnungen des laufenden Jahres ganz im Zeichen von fiskalpolitischen Massnahmen zur zusätzlichen Stützung der wirtschaftlichen Entwicklung stehen. So enthält der Voranschlag des Bundes 2009 eine erste Stufe der Stabilisierungsmassnahmen für die Konjunktur in der Höhe von 427 Mio. Franken.  Auch die Kantone und Gemeinden sind bestrebt, Massnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur zu ergreifen. Um diese zusätzlichen finanz- und wirtschaftspolitischen Beschlüsse zu erfassen und zu quantifizieren, führte die Finanzstatistik im Januar 2009 eine Umfrage bei Kantonen, Städten und Kantonshauptorten durch. Die Ergebnisse gehen aus Tabelle 2 hervor. Die Auswertung der Rückmeldungen zeigt, dass die Kantone und Gemeinden im Jahr 2009 fiskalpolitische Massnahmen in der Höhe von 2,8 Mrd. Franken umsetzen werden. Gut ein Drittel davon betrifft Massnahmen im Steuerbereich (Steuersenkungen, Steuerreformen), während der andere Teil für allgemeine oder gezielte Mehrausgaben zur Verfügung steht. Vereinzelt ist auch der Verzicht auf Sparmassnahmen explizit vorgesehen. Es ist jedoch zu beachten, dass nur rund 45% dieser Massnahmen ausdrücklich aus konjunkturpolitischen Gründen beschlossen wurden. Zahlreiche Mindereinnahmen oder Mehrausgaben wären nach eigenen Angaben der Kantone ohnehin geplant gewesen. Dies gilt insbesondere für die Steuergesetzrevisionen, welche in einigen Kantonen zu Beginn des Jahres in Kraft traten. Diese Massnahmen wirken jedoch gleichwohl stimulierend für die Konjunktur. Zusammen mit den konjunkturfördernden Massnahmen des Bundes beläuft sich die erwartete Summe der Stabilisierungspakete auf über 3 Mrd. Franken (0,6% des geschätzten BIP 2009).

Schlussfolgerungen


Die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Rezession im vergangenen Jahr manifestierte, bewirkt eine aussergewöhnlich starke Zäsur bei den öffentlichen Finanzen. So wird die konsolidierte Rechnung der öffentlichen Haushalte inklusive Sozialversicherungen im Jahr 2009 gegenüber dem Vorjahr einen Einnahmenrückgang von knapp 10 Mrd. Franken hinnehmen müssen. In Kombination mit den weiterhin ansteigenden Ausgaben bewirkt dieser Einbruch, dass sich insbesondere die Kantone und Gemeinden antizyklisch und somit im Vergleich zu früheren Rezessionsphasen atypisch verhalten. Unterstützt wird dieser Effekt durch explizit aus konjunkturpolitischen Überlegungen beschlossenen Mindereinnahmen und Mehrausgaben. Die öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungen werden gemäss unseren Prognosen bis ins Jahr 2012 Defizite ausweisen. Aufgrund der unerwartet hohen Überschüsse der letzten Jahre hat diese Entwicklung aber kaum nennenswerte Auswirkungen auf den längerfristigen Trend der Staatsverschuldung. Wie Grafik 1 zeigt, kann die Schuldenquote trotz der negativen Saldi weiter verringert werden. Auch die konjunkturellen Massnahmen haben somit geringe Auswirkungen auf die finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte. Wie bereits erwähnt ist jedoch anzufügen, dass diese Einschätzungen auf den etwas optimistischeren Prognosen des Seco vom Dezember 2008 beruhen. Dabei wird davon ausgegangen, dass das BIP ab 2010 wieder leicht steigt. Dadurch bleibt die Schuld in Prozent des BIP weitgehend konstant, auch wenn der nominelle Stand der Schulden leicht ansteigt. Vor dem Hintergrund der aktuellen, negativeren BIP-Prognosen ist hingegen ein Wiederanstieg der Schuldenquote nicht auszuschliessen. Einschätzungen zur konjunkturellen Entwicklung sind derzeit von einer sehr grossen Unsicherheit geprägt. Dasselbe gilt daher auch für die Prognose der Staatsfinanzen. Das Ausmass der negativen Auswirkungen der gegenwärtigen Rezession auf die öffentlichen Finanzen und somit die Zuverlässigkeit der Prognosen wird sich deshalb erst in den kommenden Jahren zeigen. Dabei dürften auch der Zeitpunkt der Trendwende bei der wirtschaftlichen Entwicklung und die Geschwindigkeit der konjunkturellen Erholung von entscheidender Bedeutung sein.

Grafik 1 «Rechnungssaldo und Schulden, 1991-2012»

Tabelle 1 «Finanzstatistik: Finanzierungsrechnung der öffentlichen Haushalte, 2005-2010»

Tabelle 2 «Kantone»

Zitiervorschlag: Roland Fischer, Simon Luck, (2009). Die Finanzen der öffentlichen Haushalte der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. April.