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Das Kartellgesetz und seine Wirkungen in der Praxis: Fallstudien

Mit Inkrafttreten der Schweizer Kartellrechtsrevision am 1. April 2004 hat die Wettbewerbskommission (Weko) umfassende neue Befugnisse erhalten, so unter anderem im Bereich der Verhängung von Sanktionen für Wettbewerbsvergehen. Um den Erfolg der Gesetzesrevision sowie deren Umsetzung zu überprüfen, verlangt Art. 59a Kartellgesetz (KG) vom Bundesrat eine Evaluation der Wirksamkeit der Massnahmen und des Vollzugs des KG. Fallstudien sind eine Möglichkeit, im Rahmen einer solch umfassenden Evaluation Erkenntnisse zu gewinnen. Diese gehen insbesondere den Fragen nach, welche konkreten Effekte in den Markt eingreifende bzw. nichteingreifende Entscheide hatten und wie sich diese Entscheide bei den Betroffenen und in den entsprechenden Märkten ausgewirkt haben.

Angelehnt an die Struktur des KG betrachtet die diesem Artikel zugrunde liegende Studie Hüschelrath, K., Leheyda, N., Beschorner, P., Licht, G., Arvanitis, S., Wörter, M., und H. Hollenstein (2008), Studien zu den Wirkungen des Kartellgesetzes, Mannheim und Zürich. Der Bericht kann unter der folgenden Adresse heruntergeladen werden: www.weko.admin.ch/dokumentation/00216/index.html?lang=de . insgesamt vier Fallstudien in den Bereichen Wettbewerbsabreden, Missbrauch marktbeherrschender Stellungen, horizontale Unternehmenszusammenschlüsse sowie vertikale Vereinbarungen. Im Folgenden werden schwerpunktmässig eine Fallstudie zur wettbewerbsrechtlichen Behandlung von vertikalen Abreden im Automobilverkauf sowie eine Fallstudie zu Kartellabsprachen im Markt für Strassenbeläge dargestellt. Die wesentlichen Ergebnisse der beiden anderen im Rahmen der Untersuchung betrachteten Fälle im Pharmabzw. Telekommunikationsmarkt werden in Kasten 2 Im Bereich des Marktmachtmissbrauchs wurde der Fall Swisscom ADSL (2003) betrachtet, in dem insbesondere die Wettbewerbswirkungen einer Rabattstaffel untersucht wurden. Obwohl der Fall an sich sowohl vom alteingesessenen Unternehmen wie auch von einem Wettbewerber als wenig bedeutsam eingeordnet wurde, liessen sich aus der durchgeführten Branchenstudie doch einige wichtige Empfehlungen ableiten. So erscheint es im Hinblick auf die Förderung des Wettbewerbs im Breitbandmarkt bedeutsam, eine effiziente Regulierung herzustellen. Ohne eine entsprechende Regulierung der monopolistischen Bereiche können die Entscheide der Weko nicht ihre volle Wirkung entfalten, was jungen Unternehmen den Wettbewerb mit alteingesessenen Marktteilnehmern erschwert. Im Hinblick auf das Ziel einer Intensivierung des Wettbewerbs wären unmittelbar wirksame Schritte in der Reduzierung der Verfahrensdauern sowie der Vermeidung aufschiebender Wirkungen von Entscheiden zu sehen. In Bezug auf den Zugang zur letzten Meile sollte insbesondere die Frage der Preisgestaltung geklärt werden, da die letzte Revision des Fernmeldegesetzes formal bereits die Entbündelung vorschreibt. und Kasten 3 Im Bereich der Unternehmenszusammenschlüsse wurde der Fall Pfizer Inc./Pharmacia Corp. (2003) im Schweizer Pharmamarkt betrachtet. Insgesamt zeigte die durchgeführte Analyse, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb auf dem Schweizer Pharmamarkt kaum verändert hat. Die Gründe liegen in erster Linie darin, dass die Produktportfolien der beiden Unternehmen nur wenige Überschneidungen aufwiesen. In den beiden kritischen Produktmärkten wurden Auflagen ausgesprochen, die verhindern, dass eine marktbeherrschende Stellung verstärkt wird. Dabei wurden auch Produkte berücksichtigt, deren Markteinführung absehbar, aber noch nicht effektiv war. Einige Auswirkungen der Fusion – wie beispielsweise auf das Investitionsverhalten, F&E, die Erlösentwicklung oder die Beschäftigung – können allenfalls auf Konzernebene untersucht werden. Ein Rückschluss auf den Effekt des Zusammenschlusses ist somit nicht isolierbar. Als Politikempfehlung lässt sich ableiten, dass die Weko die internationale Zusammenarbeit mit Wettbewerbsbehörden bei der Fusionskontrolle – besonders in forschungsintensiven Industrien – intensivieren sollte, um doppelte Arbeit im Rahmen von Untersuchungen zu vermeiden. zusammengefasst. In Ergänzung zu den vier durchgeführten Fallstudien fasst die genannte Studie auch die Ergebnisse einer Befragung zu den Wirkungen des Kartellgesetzes bei Anwälten, Unternehmen und Verbänden zusammen. Dabei erfolgt eine Unterteilung in generelle Entwicklungen des Kartellrechts, Existenz und Ausgestaltung von Antitrust-Compliance-Programmen, Einfluss des Kartellrechts auf die Unternehmens- und Geschäftsfeldstrategien, die Beurteilung ausgewählter Instrumente (Übergangsregelung, Sanktionsmöglichkeiten, Bonusregelung, Hausdurchsuchungen, Widerspruchsverfahren, Fusionskontrolle und Bekanntmachungen) sowie institutionelle Aspekte des Wettbewerbsrechts. Auf die Darstellung dieser Ergebnisse muss hier aus Platzgründen verzichtet werden.

Fallstudie zum Bereich vertikale Vereinbarungen: Automobilhandel (2002)


Mit der Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden im Kraftfahrzeughandel (Beschluss der Wettbewerbskommission vom 21.Oktober 2002) hat die Weko die Regeln für den Automobilhandel in der Schweiz neu festgelegt. Die Bekanntmachung nimmt Bezug auf die Verordnung Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission vom 31.Juli 2002 im Kraftfahrzeugsektor und berücksichtigt die in der Schweiz herrschenden ökonomischen und rechtlichen Bedingungen. Die Weko-Bekanntmachung hat zum Ziel, den Wettbewerb im Automobilgeschäft zu fördern und dadurch den Verbrauchern Verbesserungen beim Kauf von Neufahrzeugen und beim Zugang zu Reparatur- und Serviceleistungen zu bieten. Im Rahmen der Fallstudie wurde untersucht, in welchem Masse dieses Ziel erreicht wurde und welchen Beitrag die Bekanntmachung dazu geleistet hat.

Entwicklungen im Automobilverkauf


Die Bekanntmachung der Weko wurde von den Automobilimporteuren zum Anlass genommen, ihr Händlernetz und ihr Vertriebssystem umzustrukturieren und zu optimieren. Sie war allerdings nicht der einzige Faktor, der die teilweise Umstrukturierung der Vertriebsorganisation notwendig werden liess. Von einigen Importeuren wurden die Bedingungen hinsichtlich der Qualitäts- und Investitionserfordernisse und der Rabattsysteme angepasst. Insgesamt ist die Zahl der Händler nun rückläufig, auch weil Markteintritte aufgrund der neuen Händlerverträge erschwert wurden. Ausserdem ist eine leichte Konsolidierungstendenz zu verzeichnen. Ein intensiverer Interbrand-Wettbewerb könnte durch eine grössere Zahl von Händlergruppen sowie durch eine grössere Zahl von Mehrmarkenbetrieben entstehen. Die Möglichkeit, mehrere Marken in ihr Sortiment aufzunehmen, haben nur sehr wenige Händler in Anspruch genommen. Dies liegt an den hohen Anforderungen, welche die Importeure in ihren Händlerverträgen stellen. So wird faktisch eine Duplizierung des Geschäftsbetriebs gefordert, ohne dass nennenswert Synergien genutzt werden können. Multibranding wird weiterhin in der Schweiz durch grosse Händlergruppen betrieben. Die Zahl kleinerer Mehrmarkenbetriebe hat in Folge der Weko-Bekanntmachung nicht zugenommen. Auch das Ziel der Weko, den Intrabrand-Wettbewerb zu fördern, wurde nicht erreicht. Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Distributionskanälen hat nicht zugenommen. Die Rolle von innovativen Vertriebskanälen – wie z.B. dem Internet – bleibt im Automobilvertrieb nachrangig. Beim Neuwagenkauf spielen Emotionalität und physische Präsenz der Kunden eine grosse Rolle. Das Internet erfüllt mehr die Funktion eines Informations- und Werbemediums.  Die Parallelimporte haben seit Inkrafttreten der Bekanntmachung nicht spürbar zugenommen und werden nach Ansicht der befragten Experten auch in Zukunft nicht bedeutend steigen. Premium- und insbesondere Nischenmarken sind für die Parallelimporteure attraktiver als die Volumenmarken. Der Wechselkurs hat einen grossen Einfluss auf die Parallelimporte. Trotz des verstärkten Wettbewerbsdrucks besteht eine Preisdifferenz zwischen Neuwagen auf dem Schweizer Markt und dem EU-Markt (siehe Grafik 1). Zum Teil lässt sich dies durch die bessere Ausstattung der Schweizer Modelle erklären. Ausstattungsmerkmale, die in EU-Ländern für einen Aufpreis eingebaut werden, sind in der Schweiz bereits als Standard verfügbar. Dies könnte auf ein höheres Anspruchsniveau in der Schweiz zurückzuführen sein. Die Schweizer Kunden sind aber zunehmend preissensitiv geworden.

Entwicklungen im Servicemarkt und im Ersatzteilmarkt


Die spürbarsten Änderungen aufgrund der Weko-Bekanntmachung sind auf dem Servicemarkt und im Ersatzteilhandel eingetreten. Hier wird die Konkurrenz unter Grosshändlern und freien Servicewerkstätten erleichtert, weil sie vereinfachten Zugang zu Ersatzteilen verschiedener Qualitätskategorien und zu den erforderlichen technischen Werkstattinformationen erhalten. Ausserdem hat die klare Abgrenzung und Definition von Ersatzteilen zu einer Intensivierung des Wettbewerbs beigetragen. Die Erwartung, dass sich der markengebundene Servicemarkt verstärkt im freien Ersatzteilhandel bedient, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr wurde die übliche Praxis der markengebundenen Werkstätten, nur wenige Teile im freien Ersatzteilhandel zu beziehen, beibehalten. Die Bekanntmachung hat dazu nur die Legitimation geliefert. Oftmals sind die Markenhändler jedoch gehalten, fast alle Teile vom Importeur zu beziehen. Dieser Anreiz wird durch Bonussysteme geschaffen, welche die Händler stark an die Importeure binden. Dagegen bieten die grossen Systemanbieter für freie Garagen und Endverbraucher Vorteile in Verfügbarkeit und Geschwindigkeit.  Die Befragung über die Bedeutung und zukünftige Entwicklung von Serviceketten wie A.T.U. hat keine eindeutige Meinung ergeben. Einige Befragte waren der Ansicht, dass die Serviceketten zwar gute Arbeit leisten, aber nicht den Bedürfnissen der Schweizer Kunden entsprechen, sodass sich Serviceketten nicht etablieren werden. Das könnte an der starken lokalen und persönlichen Bindung der Kunden sowie der Schweizer Topografie liegen. Ein anderer Teil der Befragten war der Auffassung, dass die Serviceketten ihren Marktanteil im Schweizer Markt für standardisierte Reparaturen und Serviceleistungen behaupten können, aber nur beschränktes Potenzial für weiteres Wachstum in der Schweiz haben.  Die heutige Wahrnehmung von freien Werkstätten durch Kunden ist durch mehrere Faktoren beeinflusst. Einige Werkstätten haben ihre Markenbindung im Zuge der Vertragsverhandlungen mit den Importeuren aufgegeben, wobei Kundenbeziehungen bestehen bleiben. Zudem sind Serviceketten in den Schweizer Markt eingetreten, die keiner Markenbindung unterliegen. Daher könnte die Akzeptanz freier Werkstätten weiter steigen und der Wettbewerb auf dem Servicemarkt zunehmen. Das Bewusstsein der Kunden, dass die bisherige Bindung zur Markenwerkstatt nicht notwendig ist, hat sich durch die Werbung von Serviceketten und den Ausbau ihres Filialnetzes verstärkt.  Die allgemeine Marktentwicklung ist geprägt durch Bemühungen der Importeure, die Kunden im Service- und Reparaturgeschäft an die Markenwerkstatt zu binden. Dies geschieht durch das verstärkte Anbieten von Paketleistungen, bei denen der Kunde mit einer monatlichen Zahlung alle Leistungen im Zusammenhang mit einem Automobil abdeckt. Dies umfasst – neben dem Fahrzeug – die Versicherung und alle anfallenden Reparatur- und Wartungsarbeiten. Das ist einer der Gründe, weshalb die Weko-Bekanntmachung im Bezug auf die Trennung von Service und Verkauf das Ziel einer Erleichterung von Markteintritten verfehlt hat. Abgesehen davon ist Service ein lukratives Geschäft, da es die Möglichkeit bietet, die bestehenden Risiken und sinkenden Margen beim Neuautomobilverkauf aufzufangen und insgesamt profitabel zu operieren. Allerdings haben einige kleinere Betriebe den Neuwagenverkauf aufgeben und sich auf den Service konzentriert, zum Beispiel, wenn die nötigen Verkaufsvolumina, die eine grosse Rolle im Neuwagenverkauf spielen, nicht erreicht wurden. Besonders in ländlichen Gebieten kann diese Strategie profitabel sein.

Schlussfolgerungen und Politikempfehlungen


Die Weko-Bekanntmachung hatte das Ziel, den Wettbewerb im Automobilgeschäft zu fördern und dem Kunden dadurch konkrete Vorteile bei Kauf, Reparatur und Unterhalt eines Autos zu bieten. So sollte die Liberalisierung des Marktes den Interessen der Konsumenten entgegenkommen. Insgesamt konnte festgestellt werden, dass die Bekanntmachung eher geringe Auswirkungen auf den Wettbewerb im Schweizer Automobilmarkt hatte. Zwar sind Änderungen erkennbar, die sich aber nicht eindeutig auf die Bekanntmachung zurückführen lassen. Eher hat die allgemeine Marktentwicklung zu einem verstärkten Wettbewerb geführt. Dieser Prozess könnte jedoch durch die Bekanntmachung beschleunigt worden sein. Es wurden einige Bereiche aufgezeigt, in denen die Ziele der Weko nicht bzw. nur eingeschränkt erreicht wurden: ein verstärktes Multibranding, die Trennung von Service und Verkauf, die Unabhängigkeit der Händler von Automobilimporteuren, steigende Parallelimporte sowie die Förderung des Intrabrand-Wettbewerbs insgesamt.  Die Weko-Bekanntmachung kann insofern positiv beurteilt werden, als sie mehr Transparenz und Klarheit in den Automobilmarkt gebracht hat. Allerdings wäre es im Hinblick auf die Umsetzung der Bekanntmachung empfehlenswert, die Informationspolitik der Weko zu verbessern. Als eine andere unmittelbare Handlungsempfehlung wird das Festhalten an der Harmonisierung mit dem EU-Recht vorgeschlagen. Beide Aspekte führen zu einer Reduzierung der bestehenden Unsicherheit der Marktakteure. Eine explizite ökonomische Evaluierung der Bekanntmachung sollte in Erwägung gezogen werden. Hierbei sollte unter anderem untersucht werden, in welchem Ausmass die aktuelle Regulierung des Automobildistributionssystems wohlfahrtsfördernd wirkt.

Fallstudie zum Bereich Wettbewerbsabreden: Markt für Strassenbeläge (2000)


Im November 1998 reichten zwei unabhängige Nordostschweizer Strassenbauunternehmen Anzeige wegen kartellistischer Abreden (Art. 5 KG) auf dem Markt für Strassenbeläge ein. Die Untersuchung durch die Weko fand eine gesetzwidrige Alleinvertriebsvereinbarung vor, an der auch grenznahe deutsche Unternehmen beteiligt waren.  Im Rahmen der angebotsseitigen Analyse der Fallstudie wurde der Markt für Strassenbeläge in der Schweiz als stagnierender Markt identifiziert. Die Anzahl der Produktionsanlagen ist hingegen seit 2002 stetig gewachsen und ist im internationalen Vergleich – relativ zur Grösse des Staatsgebiets und Länge des Strassennetzes – hoch. Der internationale Handel mit Mischgut spielt – absolut gesehen – eine untergeordnete Rolle. Nach dem Aufdecken der Wettbewerbsabreden sind jedoch Anstiege im Import von Mischgut in die Schweiz sowie fallende Durchschnittspreise (siehe Grafik 2) feststellbar, die von der Entscheidung mit beeinflusst sein könnten. Die nachfrageseitige Analyse brachte teilweise deutliche Schwankungen in den Bauausgaben in den betroffenen Kantonen zu Tage. Ein systematischer Zusammenhang zwischen Nachfrage- und Preisentwicklung konnte nicht identifiziert werden. Die Analyse der Preisentwicklung zeigte, dass es im Anschluss an den Entscheid der Weko zu Preissenkungen kam. Ob und in welchem Ausmass hierfür die Entscheidung ursächlich war, kann mit den vorliegenden Daten nicht genauer untersucht werden. Eine robuste Quantifizierung der Effekte der Entscheidung ist einerseits aufgrund der unzureichenden Datenlage nicht möglich; andererseits fehlen Indizien dafür, dass sich die kollusionsfreundliche Industriestruktur durch die bzw. seit der Entscheidung nennenswert verändert hat. Hypothetisch lässt sich mit Hilfe der verfügbaren Marktdaten aber grob abschätzen, welches Einsparpotenzial eine durch Wettbewerbspolitik erzielte effiziente Preissenkung in den betroffenen Kantonen hätte. Geht man beispielsweise von einem erhöhten Kartellpreis von 130 Franken pro Tonne Mischgut aus und einem wettbewerblichen Preis von 100 Franken, so liesse sich – unter gewissen Annahmen – mit einer effizienten Wettbewerbspolitik eine Kostenreduktion von ca. 32 Mio. Franken pro Jahr erzielen.  Der eigentliche Wert der Entscheidung sollte nicht in direkten pekuniären Einsparungen gesehen werden, sondern vielmehr im Signal, dass Wettbewerbsabreden nunmehr verboten sind und verfolgt werden. Wenn ein hypothetisches Kartell sich aufgrund dieser Aufdeckungsgefahr entscheiden sollte, den Preis für eine Tonne Mischgut von 130 Franken auf 125 Franken zu senken, um auf diese Weise die Aufdeckungswahrscheinlichkeit zu reduzieren, so würde dies immerhin zu Einsparungen von ca. 5,5 Mio. Franken pro Jahr auf Seiten der Auftraggeber – und damit letztlich der Steuerzahler – führen.  Zukünftig sollte überlegt werden, ob ein verstärktes aktives Monitoring verdächtiger Branchen durch die Weko nicht eine lohnende Investition wäre. Verdächtige Branchen könnte mittels eines Screening-Mechanismus identifiziert werden.

Fazit


Die analysierten Marktentwicklungen lassen durchaus den Schluss zu, dass das revidierte Kartellrecht aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive einen positiven Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen genommen hat. Allerdings sind die festgestellten Marktentwicklungen in der Regel nicht eindeutig auf die Revision zurückzuführen.  Abschliessend kann festgehalten werden, dass die Evaluation des Kartellgesetzes und die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zur Sensibilisierung der Wirtschaftsakteure hinsichtlich wettbewerbsschädlicher Praktiken führen und schon alleine deshalb sehr zu begrüssen sind. Auch wenn diese erstmalige Durchführung aufgrund einer sehr beschränkten Datenbasis nur wenige robuste Ergebnisse erbringt, so trägt sie doch dazu bei, allfällige Anpassungen und Modernisierungen des Gesetzes sowie seiner Umsetzung frühzeitig einzuleiten. Dies hat das Schweizer Kartellgesetz den Regelungen in zahlreichen anderen Ländern voraus.

Grafik 1 «Automobilvorsteuerpreisindex für verschiedene europäische Staaten, 2005»

Grafik 2 «Durchschnittlicher Tonnenpreis für bituminöses Mischgut (Einfuhr und Ausfuhr, D-CH), 1996-2006»

Kasten 1: Methodologische Anmerkungen Der Beobachtungszeitraum seit Inkrafttreten der Revision ist relativ kurz, sodass man erwarten darf, dass sich Unternehmen noch im Anpassungsprozess befinden, beispielsweise mit der Einrichtung von Compliance-Programmen und der Organisation interner Entscheidungsabläufe. Ferner erschwert die kurze Beobachtungsdauer die robuste Identifizierung bestimmter Marktentwicklungen als ein Resultat des revidierten Kartellgesetzes. Diesem Umstand ist die stets zurückhaltende Formulierung kausaler Zusammenhänge und Schlussfolgerungen geschuldet. Die Auswahl der Fallstudien oblag den beteiligten Instituten und wurde im Hinblick auf die Bedeutung der Sektoren für die schweizerische Volkswirtschaft, auf ihre exemplarische Wirkung für das Kartellgesetz und auf die Verfügbarkeit von Daten getroffen. Es wurden Informationen durch eigene Befragungen von Unternehmen und Anwälten eingeholt. Dabei sind auch persönliche Einschätzungen von Marktakteuren, die unmittelbar mit der Umsetzung und Anpassung an die neuen Regelungen befasst sind, eingeflossen.

Kasten 2: Fallstudie zum Bereich Marktmachtmissbrauch: Swisscom ADSL (2003) Im Bereich des Marktmachtmissbrauchs wurde der Fall Swisscom ADSL (2003) betrachtet, in dem insbesondere die Wettbewerbswirkungen einer Rabattstaffel untersucht wurden. Obwohl der Fall an sich sowohl vom alteingesessenen Unternehmen wie auch von einem Wettbewerber als wenig bedeutsam eingeordnet wurde, liessen sich aus der durchgeführten Branchenstudie doch einige wichtige Empfehlungen ableiten. So erscheint es im Hinblick auf die Förderung des Wettbewerbs im Breitbandmarkt bedeutsam, eine effiziente Regulierung herzustellen. Ohne eine entsprechende Regulierung der monopolistischen Bereiche können die Entscheide der Weko nicht ihre volle Wirkung entfalten, was jungen Unternehmen den Wettbewerb mit alteingesessenen Marktteilnehmern erschwert. Im Hinblick auf das Ziel einer Intensivierung des Wettbewerbs wären unmittelbar wirksame Schritte in der Reduzierung der Verfahrensdauern sowie der Vermeidung aufschiebender Wirkungen von Entscheiden zu sehen. In Bezug auf den Zugang zur letzten Meile sollte insbesondere die Frage der Preisgestaltung geklärt werden, da die letzte Revision des Fernmeldegesetzes formal bereits die Entbündelung vorschreibt.

Kasten 3: Fallstudie zum Bereich Unternehmenszusammenschlüsse: Pfizer Inc./Pharmacia Corp. (2003) Im Bereich der Unternehmenszusammenschlüsse wurde der Fall Pfizer Inc./Pharmacia Corp. (2003) im Schweizer Pharmamarkt betrachtet. Insgesamt zeigte die durchgeführte Analyse, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb auf dem Schweizer Pharmamarkt kaum verändert hat. Die Gründe liegen in erster Linie darin, dass die Produktportfolien der beiden Unternehmen nur wenige Überschneidungen aufwiesen. In den beiden kritischen Produktmärkten wurden Auflagen ausgesprochen, die verhindern, dass eine marktbeherrschende Stellung verstärkt wird. Dabei wurden auch Produkte berücksichtigt, deren Markteinführung absehbar, aber noch nicht effektiv war. Einige Auswirkungen der Fusion – wie beispielsweise auf das Investitionsverhalten, F&E, die Erlösentwicklung oder die Beschäftigung – können allenfalls auf Konzernebene untersucht werden. Ein Rückschluss auf den Effekt des Zusammenschlusses ist somit nicht isolierbar. Als Politikempfehlung lässt sich ableiten, dass die Weko die internationale Zusammenarbeit mit Wettbewerbsbehörden bei der Fusionskontrolle – besonders in forschungsintensiven Industrien – intensivieren sollte, um doppelte Arbeit im Rahmen von Untersuchungen zu vermeiden.

Zitiervorschlag: Kai Hueschelrath, Nina Leheyda, Patrick Beschorner, Spyros Arvanitis, Martin Wörter, (2009). Das Kartellgesetz und seine Wirkungen in der Praxis: Fallstudien. Die Volkswirtschaft, 01. April.