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Für ein griffiges und effizientes Kartellgesetz – unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit

Ein funktionierender Wettbewerb ist für eine Marktwirtschaft unabdingbar. Er kann nur mit einem griffigen Kartellrecht sichergestellt werden. Aus dieser Überzeugung heraus hat die international ausgerichtete Schweizer Wirtschaft die Einführung der direkten Sanktionen in der Kartellgesetzrevision von 2003 unterstützt, gleichzeitig aber verlangt, dass die Rechtsstaatlichkeit der neuen Sanktionierung gewährt ist. Unter dem geltenden Recht bestehen diesbezüglich nach wie vor erhebliche Mängel, die der Evaluationsbericht leider nicht befriedigend adressiert.

Seit Einführung der direkten Sanktionen hat die Wettbewerbskommission (Weko) vier Sanktionsentscheide gefällt. Im Fall der Swisscom Mobile erreichte das Bussgeld bereits 333 Mio. Franken. Werden ausländische Entwicklungen zum Massstab genommen, ist zu befürchten, dass die Höhe der Kartellrechtsbussen in Zukunft noch zunehmen wird. Allein im Aufzugskartell im Jahr 2007 sprach die Europäische Kommission eine Gesamtstrafe von 992 Mio. Euro aus.

Rechtsstaatliche Mängel


Bei der stetigen Verschärfung von Recht und Praxis muss der Rechtsstaatlichkeit des Sanktionssystems und der Einhaltung der Verfahrensgarantien besondere Beachtung zukommen. Das geltende Kartellgesetz (KG) hat diesbezüglich verschiedene Defizite, wie etwa die ungenügende Berücksichtigung der Verschuldensfrage. Schuldausschliessungsgründe – wie der Rechtsirrtum – sind nicht vorgesehen. Dies wirkt sich für die Unternehmen insbesondere in den von Art. 7 KG erfassten Fällen negativ aus. Es ist vielfach nicht möglich, vorherzusehen, wann und für welchen Markt ein Unternehmen als marktbeherrschend erklärt wird und worin aus Sicht der Wettbewerbsbehörde ein Missbrauch liegen könnte. Diese Rechtsunsicherheit darf nicht zu Lasten der Unternehmen gehen. Als Korrektiv müsste die Berufung auf einen Rechtsirrtum möglich sein. Bei der Festlegung von Sanktionen sind auch stärker als bisher die von Unternehmen unternommenen Antitrust-Compliance-Bemühungen zu berücksichtigen. Wenn ein Unternehmen angemessene und nachhaltige Massnahmen zur Einhaltung des Kartellrechts ergriffen hat, muss dies zu einer Strafbefreiung führen oder sich zumindest stark strafmildernd auswirken. In institutioneller Hinsicht ist die enge strukturelle Verflechtung der entscheidenden Weko mit dem ermittelnden Kommissionsekretariat problematisch. Auf verfahrensrechtlicher Ebene bestehen Mängel hinsichtlich grundlegender Verfahrensgarantien. Ungenügende Beachtung findet etwa der Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Die mit Sanktionen bedrohten Unternehmen dürfen nicht an Zeugeneinvernahmen des Sekretariats teilnehmen. Dies steht im Widerspruch zur EMRK-Vorgabe, dass eine beklagte Partei in einem Verfahren mindestens einmal die Gelegenheit haben muss, Belastungszeugen Fragen zu stellen. Wichtig ist dies vor allem im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung. Um die Sanktionsbefreiung für ihre Unternehmen zu erlangen, versuchen die Kronzeugen, andere Kartellbeteiligte möglichst zu belasten.

Evaluationsbericht erfüllt Erwartungen nicht


Der Evaluationsbericht geht zwar auf einige dieser Fragen ein. Die von ihm gezogenen Schlüsse vermögen aber nicht in allen Fällen zu überzeugen und gehen teilweise gar in eine falsche Richtung. Statt mit Empfehlungen eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit anzuvisieren, wird der Fokus einseitig auf eine effizientere Durchsetzung des Kartellrechts gerichtet. Die institutionellen – und letztlich auch die meisten verfahrensrechtlichen – Bedenken werden mit dem Argument zu beseitigen versucht, dass das Bundesverwaltungsgericht als Rechtsmittelinstanz allfällige Mängel im Verfahren vor der Weko heilen könne. Wer so argumentiert, müsste gleichzeitig fordern, dass der Rechtsmittelinstanz die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um beispielsweise Beweisverfahren neu aufrollen zu können. Auch bezüglich der Berücksichtigung von Antitrust-Compliance-Bemühungen und der Frage, wer die Folgen mangelnder Rechtssicherheit zu tragen hat, erfüllt der Evaluationsbericht die Erwartungen nicht. Warum sich die Evaluationsgruppe schliesslich gegen ein Berufsgeheimnis für Unternehmensjuristen ausspricht, ist unverständlich. Nur mit einem Geheimnisschutz können Unternehmensjuristen die «Beichtvaterrolle» übernehmen, die anerkanntermassen die Compliance – und damit die Beachtung des Wettbewerbsrechts – in den Unternehmen stärkt. Aus Sicht der Unternehmen ist zu hoffen, dass der Bundesrat genau prüft, welche Empfehlungen er weiterverfolgen und welche er nicht oder allenfalls modifiziert aufnehmen will. Wie eingangs erwähnt sind die Unternehmen für ein griffiges und effizientes Kartellgesetz – Rechtsstaatsgarantien dürfen aber nicht auf der Strecke bleiben.

Zitiervorschlag: Christian Stiefel (2009). Für ein griffiges und effizientes Kartellgesetz – unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit. Die Volkswirtschaft, 01. April.