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Evaluation der wirtschaftlichen Wirkungen des Kartellgesetzes

Um den Einfluss der kartellgesetzbasierten Aktivitäten auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu messen, wurde Polynomics mit einer entsprechenden Outcome-Analyse beauftragt. Für die Branchen Detailhandel, Retail-Banking und Energieversorgung wurde mit ökonometrischen und qualitativen Analysen der Zusammenhang zwischen wettbewerbspolitisch motivierten Eingriffen auf Basis des Kartellgesetzes (KG) 1995 und der Branchenperformance untersucht. Zudem galt es, anhand von Expertengesprächen und internationalen Erfahrungen die Wirkungen der Änderungen der Instrumente der Kartellgesetzrevision 2003 zu beurteilen. Im Vordergrund dieser Forschungsfrage standen die Sanktionsmöglichkeiten sowie die Bonus- bzw. Kronzeugenregelung.

Der erste Teil des Forschungsauftrags beschäftigte sich mit den quantitativen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der KG-basierten wettbewerbspolitischen Aktivitäten und wurde in Form einer quantitativen Outcome-Analyse durchgeführt. Im Gegensatz dazu stand beim zweiten Teil des Forschungsauftrages die qualitative Analyse der Wirkung der KG-Revision im Vordergrund, indem basierend auf internationalen Erfahrungen mögliche Analogieschlüsse für die Schweiz gezogen wurden.

Herausforderungen einer Outcome-Analyse


Mithilfe der Outcome-Analyse wird versucht, den Einfluss von wettbewerbspolitischen Aktivitäten der vergangenen Jahre auf zentrale volkswirtschaftliche Entwicklungen nachzuweisen. Eine Outcome-Analyse ist dabei mit verschiedenen Herausforderungen verbunden.  Zuerst stellt sich die Frage, welche gesamtwirtschaftlichen Outcome-Grössen relevant sind. Nimmt man die Zielsetzung des KG als Anhaltspunkt, sollen die Indikatoren die Entwicklung des «wirksamen Wettbewerbs» abbilden. Im Rahmen der Studie wurde der Fokus auf die Wertschöpfungs- und Preisentwicklung gelegt. Dies erlaubt, die Ergebnisse des wirksamen Wettbewerbs sowohl aus Unternehmensals auch aus Konsumentensicht zu beurteilen. Im Gegensatz zu den üblicherweise durchgeführten Einzelfallanalysen wurden die Auswirkungen der wettbewerbspolitischen Aktivitäten bewusst auf der Branchenebene analysiert. Eine weitere Herausforderung ist die Messung der wettbewerbspolitischen Aktivität. Zum einen existieren verschiedene Intensitäten von KG-basierten Vorgehensweisen. Zu nennen sind beispielsweise Bekanntmachungen, Vorabklärungen oder Eingriffe mit und ohne Auflagen. Neben den unterschiedlichen Anreizwirkungen auf die direkt betroffenen Akteure unterscheiden sich die Aktivitäten überdies auch in ihrer Signalwirkung für andere Akteure und in der Wirkung im Zeitablauf. Im Rahmen der Untersuchung wurden alle Kartellrechtsfälle seit 1996 nach Untersuchungsgegenstand aufgearbeitet und den verschiedenen Branchen zugeordnet. Betrachtet wurden dabei sowohl die Vorabklärungen als auch die Untersuchungen mit den entsprechenden Entscheiden. Aufgrund der Häufigkeit der Kartellrechtsfälle und unter Berücksichtigung der Datenverfügbarkeit wurden die Branchen Detailhandel, Retail-Banking und Energieversorgung einer detaillierten Outcome-Analyse unterzogen. Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Messung des Einflusses von wettbewerbspolitischen Aktivitäten auf die verschiedenen Outcome-Indikatoren ist die adäquate Berücksichtigung weiterer Einflussfaktoren. So wurden im Rahmen der quantitativen Analysen der Einfluss der gesamtwirtschaftlichen Konjunktur- und Preisentwicklung, der Entwicklung von spezifischen Branchenindikatoren – wie z.B. der Änderung spezifischer Regulierungen – sowie die entsprechende Entwicklung der Branche im Ausland berücksichtigt.

Ergebnisse der Outcome-Analyse nach Sektoren


Für die untersuchten Sektoren Detailhandel, Retail-Banking und Energieversorgung konnten die folgenden Ergebnisse im Rahmen der Outcome-Analyse erzielt werden.

Detailhandel


Im Detailhandel sind die KG-Fälle über die gesamte Zeitperiode gleichmässig verteilt. Die Fälle betrafen sowohl die Kontrolle von Abreden zwischen Unternehmen und Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen als auch die (Vor-)Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen. Bei den Vertikalabsprachen und selektiven Vertriebssystemen resultierten vielfach Vorabklärungen ohne Entscheide. Bei der Frage der marktbeherrschenden Verhaltensweise ergaben sich mehrheitlich Verfahrenseinstellungen oder einvernehmliche Lösungen. Unternehmenszusammenschlüsse schliesslich wurden in der Regel zugelassen. Insbesondere in der jüngsten Vergangenheit wurde die Bewilligung jedoch zunehmend an Auflagen geknüpft.  Die Outcome-Entwicklung im Detailhandel seit 1997 war geprägt durch eine im Vergleich zum umliegenden Ausland moderatere Preissteigerung, abnehmende Gewinnmargen und einem im Vergleich zur Gesamtwirtschaft moderateren Wachstum der realen Bruttowertschöpfung. Die Arbeitsproduktivität konnte in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert werden (vgl. Grafik 1). Neben starken konjunkturellen Einflüssen spielen im Detailhandel viele Regulierungseinflüsse eine wichtige Rolle für die Outcome-Entwicklung. Zu nennen ist insbesondere der in den letzten Jahren vorgenommene Abbau von Aussenhandelsschranken.

Retail-Banking


Im Retail-Banking ist eine Häufung der KG-Fälle um die Jahrtausendwende zu erkennen. Dabei handelt es sich ausnahmslos um Kontrollen von Unternehmenszusammenschlüssen, die mit einer Ausnahme ohne Auflagen genehmigt wurden.  Die Outcome-Entwicklung im Retail-Banking war geprägt von einer bis 1997 zunehmenden und anschliessend tendenziell sinkenden Zinsmarge bei gleichzeitig zunehmender Hypothekarnachfrage. Die Netto-Zinsmarge lag 2006 nach wie vor unter dem Wert aus dem Jahr 1995 und ist in der Schweiz auch im internationalen Vergleich tief. Sowohl das Branchenwachstum als auch die Arbeitsproduktivität konnten in den letzten Jahren massiv und im gesamtwirtschaftlichen Vergleich überdurchschnittlich gesteigert werden. Wesentliche Einflussfaktoren für die beobachtete Outcome-Entwicklung im Retail-Banking waren konjunkturell und spekulationsbedingte Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt, eine zunehmende Internationalisierung des Bankgeschäftes verbunden mit einem Konzentrationsprozess im Bankenbereich, ein erhöhter Kapitaleinsatz sowie der zunehmende Einsatz von IT-Systemen. Ebenfalls beeinflusst wurde die Entwicklung durch die erhöhte Transparenz durch das Internet und die gesetzlichen Vorgaben (v.a. für börsenkotierte Banken).

Energieversorgung


Bei der Energieversorgung standen seit 1996 Fälle im Zentrum, die im Zusammenhang mit der Öffnung des Strommarkts zu sehen sind. Bei der Kontrolle von Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen nach Art. 7 KG handelte es sich vor allem um Durchleitungsbegehren, zu denen Untersuchungen in den Jahren 2000 bzw. 2001 eingeleitet wurden. Mit dem Bundesgerichtsentscheid zur Durchleitungspflicht im Jahr 2003 konnte dabei ein wesentlicher wettbewerbspolitischer Eingriff registriert werden. Überdies stand auch die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen nach Art. 9ff KG, insbesondere die Gründung der Swissgrid AG, im Fokus, zu der ebenfalls ein Bundesgerichtsentscheid vorliegt.  Bezüglich der Outcome-Entwicklung können seit 2002 leicht sinkende Preise und ein Branchenwachstum, welches starken jährlichen Schwankungen ausgesetzt ist, beobachtet werden. Ebenfalls sehr volatil ist die Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Die Outcome-Entwicklung in der Energieversorgung ist vor allem durch Wetterbedingungen (und Sonderfaktoren wie den Stillstand eines AKW) sowie konjunkturelle Faktoren bestimmt. Erstere beeinflussen die Produktionsmöglichkeiten und Letztere die Energienachfrage. In den letzten Jahren sind zusätzlich zu diesen zentralen Einflussfaktoren auch regulatorische Einflüsse zu berücksichtigen. Besonders bedeutend war dabei die Öffnung der Energiemärkte in Europa.

Einfluss von KG-basierten Aktivitäten auf die Sektorentwicklung


Die KG-basierten Entscheide haben die Outcome-Indikatoren im Detailhandel nicht sichtbar beeinflusst. Andere Umfeldfaktoren – wie die Konjunktur bzw. der Abbau von Aussenhandelsschranken – hatten einen grösseren Einfluss. Die eher zurückhaltenden wettbewerbspolitischen Eingriffe haben Anpassungen in der Branche, die positive Outcome-Entwicklungen induzieren, nicht behindert (z.B. die Nutzung von Skaleneffekten). Der Verzicht auf starke wettbewerbspolitische Eingriffe kann demnach positiv gewertet werden, wobei die Auswirkungen der in jüngster Zeit zunehmend vorgenommenen Eingriffe noch nicht beurteilt werden können. Diese Aussage basiert vor allem auf den qualitativen Analysen. Die ökonometrischen Schätzungen widersprechen diesem Ergebnis nicht, sind jedoch wegen der begrenzten Erklärungskraft des Branchenmodells wenig belastbar. Im Retail-Banking ist keine Beeinflussung der Outcome-Entwicklung aufgrund der KG-basierten Aktivitäten auszumachen. Vielmehr zeichnet sich der Sektor durch ein dynamisches Wachstum aus, welches sowohl vor als auch nach den Fallbearbeitungen durch die Wettbewerbsbehörde erkennbar ist. Die wettbewerbspolitischen Entscheide, die in der Regel keine Eingriffe zur Folge hatten, haben den Konsolidierungsprozess in der Branche – und damit die positive Outcome-Entwicklung – nicht behindert. Dies kann so interpretiert werden, dass durch den Verzicht auf starke Eingriffe wettbewerbspolitische Fehler vermieden wurden. Auch im Retail-Banking sind diese Ergebnisse der qualitativen Analyse mit den Ergebnissen der ökonometrischen Analyse vereinbar, bei der kein statistischer Einfluss der KG-basierten «Nicht-Eingriffe» identifiziert werden konnte. In der Energieversorgung spielte insbesondere der Eingriff im Zusammenhang mit dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Elektrizitätsverteilnetzbetreiber nach Artikel 7 KG eine wichtige Rolle für die Outcome-Entwicklung (Weko-Verfügung 2001, BG-Entscheid 2003). Damit wurde der Elektrizitätsmarkt in der Schweiz faktisch geöffnet, sodass zumindest rudimentär potenzieller Wettbewerb in Produktion, Handel und Lieferung entstand. Dies kann mit den seit diesem Zeitraum relativ zu vorher und zum Ausland sinkenden Preisen in Verbindung gebracht werden. Verstärkt wurde dieser Einfluss noch durch die mit dem Entscheid verbundene Neulancierung der Marktöffnungsdiskussion in der Schweiz und dem damit von den Akteuren erwarteten regulierten Netzzugang. All diese Faktoren dürften einen positiven Einfluss auf den Outcome gehabt haben. Diese Einschätzung wird durch die Ergebnisse der ökonometrischen Analysen gestützt. Für die Energiepreise konnten signifikante Einflüsse der KG-basierten Entscheide bzw. der Marktöffnungsdiskussion identifiziert werden (vgl. Grafik 2).

Analyse der KG-Revision 2003


Neben der Analyse der Wirkungen des KG 1995 auf die Outcome-Entwicklung von ausgewählten Sektoren beschäftigte sich der zweite Teil der Studie mit den Wirkungen der Änderungen der Instrumente der KG-Revision 2003. Aufgrund des kurzen Zeitraums seit Inkraftsetzung liegen in der Schweiz zu wenige Erfahrungen mit den neuen Instrumenten vor, um eine Evaluation durchführen zu können. Daher wurden mithilfe eines strukturierten Fragebogens Erfahrungen in Ländern erhoben und aufbereitet, welche bereits seit Längerem über die in der Schweiz neu eingeführten Instrumente verfügen. Von den geänderten Bestimmungen und Instrumenten standen die Sanktionsmöglichkeiten (Art. 49a Abs. 1 KG) sowie die Bonusbzw. Kronzeugenregelung (Art. 49a Abs. 2 KG) im Fokus der Untersuchung, da diese für das schweizerische Wettbewerbsrecht im Vergleich zum KG 1995 einen tiefgreifenden Wechsel der wettbewerbsrechtlichen Praxis darstellen. Betrachtet wurden die EU und drei Mitgliedsländer (Deutschland, Grossbritannien und die Niederlande) sowie die USA. In allen Ländern wurden jeweils ein Vertreter einer Wettbewerbsbehörde und einer privaten Kanzlei befragt. Die Umfrage hat gezeigt, dass in allen untersuchten Ländern in der Vergangenheit zunehmend Kartelle aufgedeckt und Sanktionen ausgesprochen wurden. Gemäss den Aussagen der Befragten haben dabei die beiden analysierten Instrumente (Bussenmöglichkeiten und Bonusresp. Kronzeugenregelung) eine wichtige Rolle gespielt. Bei der Bussenpraxis besteht dabei kein wesentlicher Unterschied, ob ein Unternehmen oder eine Privatperson gebüsst wird, da in Unternehmen Kompensationszahlungen für gebüsste Mitarbeiter möglich sind, sodass faktisch immer das Unternehmen die Busse trägt. Geldbussen können zwar abschreckend wirken, jedoch fliesst die erwartete Sanktionshöhe zusammen mit der Aufdeckungswahrscheinlichkeit in das Kosten-Nutzen-Kalkül für ein potenziell wettbewerbsschädliches Verhalten eines Unternehmens ein. Eine stärkere Abschreckungswirkung kann erreicht werden, wenn Privatpersonen als Sanktionen mit Freiheitsstrafen rechnen müssen. Für einen derartigen Eingriff müsste gemäss Befragung jedoch eine besondere Rechtfertigung gegeben sein, sodass Freiheitsstrafen nur für wettbewerbsökonomisch unumstrittene Tatbestände wie harte Kartelle in Frage kommen sollten. Zu bedenken ist bei einem Einsatz von Freiheitsentzug und auch Geldbussen gegenüber Privatpersonen, dass in einer dynamischen Sicht die Bussenpraxis die Schwere der Busse in Erwägung zieht und Freiheitsstrafen eher zögernd ausgesprochen werden. Damit wäre die Abschreckungswirkung weniger stark. Die Befragung zeigt, dass die Instrumente Sanktionen und Kronzeugenregelung in den einzelnen Ländern in der Feingestaltung unterschiedlich ausfallen, aber unabhängig von der Ausgestaltung einen Beitrag zur Erhöhung der Wirksamkeit der Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden leisten. Die Sanktionen haben in den letzten Jahren in den untersuchten Ländern sowohl bezüglich der Anzahl als auch in der Höhe der ausgesprochenen Geldbussen zugenommen.

Grafik 1 «Zusammenfassung Detailhandel»

Grafik 2 «Zusammenfassung Energieversorgung»

Zitiervorschlag: Stephan Vaterlaus, Heike Worm, (2009). Evaluation der wirtschaftlichen Wirkungen des Kartellgesetzes. Die Volkswirtschaft, 01. April.