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Die Entwicklung der Bahninfrastruktur in der Schweiz

Mit der Realisierung der ersten Etappe von Bahn 2000 sowie dem Parlamentsbeschluss zu ZEB wurden erste wichtige Schritte hin zur Sicherung einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr (ÖV) gemacht. Mit den Arbeiten an der Vorlage zur Bahn 2030 werden nun die Grundlagen geschaffen, um die politische Diskussion darüber zu lancieren, wie den weiteren Herausforderungen des Verkehrswachstums in nachhaltiger Weise begegnet werden kann.

Die Menschen in der Schweiz sind Europameister im Nutzen des ÖV. Sie haben wiederholt an der Urne den Ausbau des ÖV-Systems gutgeheissen und die Grundlagen für den Betrieb ermöglicht. So unterstützte das Volk in Abstimmungen das Konzept Bahn 2000 (1987), die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat, 1992), die Einführung des Alpenschutzartikels und der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA, 1994) sowie den Beschluss zu Bau und Finanzierung der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs (FinöV, 1998). Gleichzeitig wurden die ÖV-Strukturen in den letzten Jahren stetig den veränderten Erfordernissen der Zeit angepasst. Verschiedene Kernelemente machten die Reformen von 1996 und 1999 aus. Eines davon ist die Einführung des Bestellprinzips im Regionalverkehr: Für Verkehrsdienstleistungen werden nur noch im Voraus geplante und vereinbarte finanzielle Defizite von der öffentlichen Hand abgegolten. Damit werden die Unternehmen zu einem effizienteren Handeln gezwungen. Die SBB wurde entschuldet und reformiert, so dass die Führungs- und Produktionsstrukturen dem Markt näher sind. Seit der Bahnreform ist die SBB eine spezialrechtliche Aktiengesellschaft im Besitz des Bundes. Der Bund schliesst mit der SBB alle vier Jahre eine Leistungsvereinbarung ab. Der dazugehörige Zahlungsrahmen stellt der SBB die benötigten Mittel für den Infrastrukturbereich zur Verfügung.

Anspruch auf Grundversorgung mit öffentlichem Verkehr


In der Schweiz gibt es für die Gemeinden das in Europa wohl einmalige, gesetzlich verbriefte Recht auf eine minimale ÖV-Grunderschliessung. So profitieren nicht nur Agglomerationen und dicht besiedelte Gebiete von Bus- und Bahnverbindungen, sondern auch ländliche Regionen. Diese garantierte Grundversorgung – der Service Public – spielt eine gewichtige Rolle in der Verkehrspolitik der Schweiz. Im europäischen Vergleich ebenfalls eine Besonderheit sind die weit reichenden Tarifverbünde (der so genannte direkte Verkehr). Die rund 250 schweizerischen Unternehmen des öffentlichen Verkehrs sind so koordiniert, dass für eine Fahrt quer durch die Schweiz mit verschiedenen Transportunternehmen und mit verschiedenen Verkehrsmitteln nur ein einziges Billett nötig ist. Dies hat bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Nutzung des schweizerischen öffentlichen Verkehrs stark vereinfacht.  Ein weiterer Pfeiler des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz ist der hohe Organisationsgrad: Das Verkehrsangebot ist so vernetzt, dass Anschlüsse innerhalb und zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln wie Bahnen, Bussen, Schiffen und teilweise auch Seilbahnen in der Regel gewährleistet sind. Erst diese Vernetzung ermöglicht den hohen Standard des ÖV in der Schweiz.

Infrastruktur auf der Höhe der Zeit


Voraussetzung für das Funktionieren eines derart dichten, gut vernetzten öffentlichen Verkehrs ist eine entsprechende Infrastruktur. Insbesondere im Bahnbereich ist diese sehr aufwändig und teuer. Das Bahnnetz der Schweiz misst insgesamt rund 5000 km. Davon sind rund 3700 km Teil des Normalspurnetzes; der Rest gehört zu den Schmalspurbahnen. Im Vergleich zu grossen europäischen Ländern ist dies nicht sehr umfangreich. Bestimmend für die Bahnkunden ist jedoch in den stark besiedelten Regionen der Schweiz die hohe Dichte des Eisenbahnnetzes. Die Planung der Infrastruktur beruht in der Schweiz auf einem konkreten Verkehrsangebot. Im Unterschied dazu wird in vielen europäischen Staaten zuerst die Infrastruktur nach grundsätzlichen Kapazitätsvorstellungen festgelegt und anschliessend ein Fahrplan erarbeitet. Mit dem schweizerischen Vorgehen kann deutlich gezielter geplant und gebaut werden. Es werden keine Kapazitäten geschaffen, die später dann doch nicht gebraucht werden. Grundlage für die Arbeiten ist eine Abschätzung der künftigen Nachfrage: Sind Engpässe im Netz absehbar, so wird in erster Priorität versucht, mit dem Einsatz von angepasstem Rollmaterial (Zügen) diese Engpässe zu beheben. Erst in zweiter Priorität werden Infrastrukturerweiterungen ins Auge gefasst. Es wird folglich im Drei-eck «Angebot-Rollmaterial-Infrastruktur» in mehreren Durchgängen geplant. Dieses Vorgehen ermöglicht es, für ein konkretes Verkehrsangebot die Investitionsausgaben zu optimieren.

Die Modernisierung der Bahn


Der FinöV-Bundesbeschluss von 1998 sicherte mit der Einrichtung des Fonds für Eisenbahn-Grossprojekte (FinöV-Fonds) die Finanzierung. Diese Projekte umfassen neben der Bahn 2000 die Neat, die Hochgeschwindigkeitsanschlüsse HGV sowie die Lärmsanierung der Eisenbahnen. Mit dieser Fondslösung besteht für die Entwicklung der Infrastruktur grosse Planungssicherheit. Da die Quellen für den Fonds nicht jährlich in der allgemeinen Budgetdebatte des Parlaments in Frage gestellt werden, können mit grosser Sicherheit auch langfristige Investitionsvorhaben verlässlich umgesetzt werden.

Bahn 2000 als Meilenstein


Massgeblich für das gegenwärtige Bahnangebot ist das Konzept Bahn 2000. Es verbesserte landesweit das Angebot des öffentlichen Verkehrs mit häufigeren und vermehrt umsteigefreien Verbindungen. 1987 vom Volk beschlossen, wurde nach massiven Kostensteigerungen im Mai 1994 eine erste Etappe der Bahn 2000 festgelegt, die innerhalb des Kostenrahmens realisiert werden konnte. Diese Etappe wurde in mehreren Schritten zwischen 1990 und 2004 fertiggestellt und umfasste neben grossen Infrastrukturprojekten – wie der Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist – eine Vielzahl kleinerer Projekte, die alle der Verkürzung der Reisezeit und der Kapazitätssteigerung des Verkehrs dienten. Damit konnten der Stundentakt mit Intercity- und Schnellzügen zwischen den regionalen und städtischen Zentren und der Halbstundentakt auf verkehrsstarken Strecken – wie z.B. Zürich-Bern oder Lausanne-Bern – eingeführt werden.  Zentrales Prinzip von Bahn 2000 war die Einführung des Knotenprinzips. Bei diesem stehen zur vollen bzw. zur halben Stunde die Züge in alle Richtungen in einem (Knoten-)Bahnhof. So ist ein Umsteigen zwischen den Zügen ohne Warten möglich. Anschliessend fahren alle Züge zu ihrem nächsten Knoten weiter, wo wieder alle Züge gleichzeitig an den Perrons stehen werden. Damit dieses System funktioniert, muss die Fahrzeit zwischen zwei Knoten immer etwas unter dem Vielfachen einer Viertelstunde liegen. So beträgt die Fahrzeit zwischen Basel und Olten 25 Minuten und zwischen Olten und Bern 27 Minuten. Damit kann auch bei Berücksichtigung der Standzeit in den Bahnhöfen ein sich stündlich über den Tag wiederholender Taktfahrplan realisiert werden. Dieses gut funktionierende Knotenprinzip ist im europäischen Vergleich eine grosse Errungenschaft der Schweiz und besitzt einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen. Von den Reisezeitverkürzungen im Personenverkehr profitieren alle Landesteile, nicht nur die direkt an den Hauptlinien liegenden Ortschaften. Gemäss dem Grundsatz «Technik vor Beton» wurde – wo möglich und sinnvoll – auf Neigetechnik statt auf teure Infrastrukturbauten gesetzt, um die erforderlichen Fahrzeiten für das Knotensystem zu erreichen. Auf den Fahrplanwechsel vom 12.Dezember 2004 konnte mit der Inbetriebnahme der Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist, der Ausbaustrecke Derendingen-Inkwil, dem ausgebauten Knoten Zürich und weiteren kleinen Projekten ein bedeutender Angebotsschritt gemacht werden.  Der Fernverkehr der SBB wuchs als Folge der ersten Etappe Bahn 2000 in den Jahren 2005 und 2006 um aussergewöhnliche 16% auf 10,7 Mrd. Personenkilometer. Die Kunden legten rund einen Viertel mehr Personenkilometer zurück als ursprünglich erwartet. Heute betreibt die SBB das am stärksten ausgelastete Bahnnetz Europas. Es wird beinahe doppelt so intensiv wie das deutsche Netz genutzt und rund drei Mal stärker als das französische. Dies hat Folgen für die Verfügbarkeit von Fahrtrassen («Slots») und erhöht die Kosten für Infrastrukturunterhalt und -ersatz.  Mit der Inbetriebnahme der ersten Etappe Bahn 2000 werden heute auch die letzten freien Kapazitäten im Bahnnetz genutzt. Nachteilig wirkt sich aus, dass zusätzliche Züge zur Verstärkung von Spitzenstunden heute nicht mehr problemlos eingesetzt werden können; sie würden andere Züge vom Netz verdrängen. Die Bahninfrastruktur stösst damit an die Grenzen ihrer Auslastungsmöglichkeiten.

Zukünftige Entwicklung der Bahninfrastruktur: Das Konzept


Diese Grenzen des heutigen Bahnsystems vor Augen, erteilte das Parlament dem Bundesrat im Jahr 2005 den Auftrag, eine Gesamtschau über die noch mit FinöV zu finanzierenden Eisenbahn-Infrastrukturpro-jekte vorzulegen. Der Auftrag erfolgte mit den Beschlüssen zu Änderungen bei der Finanzierung der FinöV-Projekte (Finis) und zum Anschluss der Ost- und Westschweiz an das europäische Eisenbahn-Hochleistungsnetz (HGV-A). Die Gesamtschau FinöV, welche das Parlament am 20.3.2009 beschloss, zeigt die weitere Entwicklung der Eisenbahngrossprojekte sowie ihre Finanzierung auf. Im Rahmen der Gesamtschau FinöV hatte das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) zusammen mit der SBB abzuklären, welche weitere Entwicklung des Angebots und der Bahninfrastruktur mit den im Fonds verbliebenen rund 5 Mrd. Franken realisiert werden kann. Auf der Basis von Abklärungen wurden Bedarfsanalysen erstellt. Zusätzlich wurde das notwendige Angebot zur Befriedigung der Nachfrage in den Normalstunden mit der zusätzlich notwendigen Infrastruktur aufgezeigt. Das darauf beruhende Projekt zum Ausbau des Angebots und der Infrastruktur trägt den Namen Zukünftige Entwicklung der Bahninfrastruktur (ZEB). Das Investitionsvolumen beträgt rund 5,4 Mrd. Franken (Preisbasis 2005). Die Investitionen verteilen sich über die gesamte Schweiz. Da der zur Verfügung stehende Finanzrahmen keineswegs ausreichend ist, um alle notwendigen Investitionen zu tätigen, ist eine Priorisierung der Massnahmen unumgänglich. Verschiedene politisch stark unterstützte Projekte können daher mit ZEB vorerst nicht realisiert werden.

Ziele von ZEB


Grundsätzlich verfolgt ZEB das Ziel, die mit der ersten Etappe Bahn 2000 angestossenen Zielsetzungen zu vervollständigen. So realisiert sie die mit der Etappierung zurückgestellten Vollknoten in den mittleren Städten und baut bestehende Knoten in den grossen Zentren aus (vgl. Grafik 1). Die konkreten Ziele auf der Nutzenseite sind: – Die Reisezeiten sind kürzer; – das Knotensystem mit guten Anschlüssen ist ausgebaut; – das Zugsangebot ist verdichtet; – der Fernverkehr ist weiter systematisiert, und es verbleibt Spielraum für den Regionalverkehr; – die für die Verlagerung des alpenquerenden Schwerverkehrs auf die Schiene notwendigen Kapazitäten sind bereitgestellt; – die Kapazitäten für den Güterverkehr in Ost-West-Richtung sind erweitert, und der Verkehr ist beschleunigt. Da das schweizerische Eisenbahnnetz im Mischbetrieb zwischen Personen- und Güterverkehr genutzt wird, ist es unabdingbar, dass beide Verkehrsarten gemeinsam geplant werden. Aus diesem Grund wurde das Angebotskonzept des Personen- und des Güterverkehrs von Beginn an integriert erstellt. Dies trifft insbesondere auf die Transitachsen und die Hauptgüterkorridore im Mittelland zu. Die Weiterentwicklung des regionalen Personenverkehrs (RV) ist nicht Teil von ZEB. Die mit ZEB geplanten Angebotserweiterungen und Ausbauten im Fernverkehr schaffen im Allgemeinen günstige Voraussetzungen für eine weitere Verbesserung des Regionalverkehrs. Um allfällige Nachteile – wie z.B. Brüche bei den Anschlüssen, die sich aus der Realisierung ZEB für den RV ergeben könnten – ausgleichen zu können, wurde vom Parlament ein Betrag von insgesamt 250 Mio. Franken gesprochen.

Der nächste Schritt: Bahn 2030


Dass mit ZEB nicht alle Engpässe beseitigt werden können, war absehbar. Zudem sind längst nicht alle Wünsche der Kantone realisiert worden. Das Parlament hat daher während der Beratung der Gesamtschau FinöV (ZEB) den Bundesrat beauftragt, bis 2010 eine weitere Vorlage unter dem Titel Bahn 2030 zu erarbeiten. Darin sollen für den FinöV-Fonds zusätzliche, zeitlich begrenzte Finanzquellen vorgeschlagen und der notwendige Ausbau in zwei Varianten für 21 und für 12 Mrd. Franken aufgezeigt werden. Zentrales Problem ist es, ausreichende Finanzmittel für einen weiteren Ausbau des Bahnnetzes zu beschaffen. Investitionen in Verkehrsinfrastrukturen erfordern hohe Summen, und ihre Planung, Genehmigung und Realisierung dauert – selbst bei mittelgrossen Vorhaben – häufig länger als 10 Jahre. Dafür rechnet sich ihre Lebensdauer auch in Jahrzehnten. Grosse Erweiterungsinvestitionen für das Normalspurnetz der Bahn erfolgen wie erwähnt über den FinöV-Fonds. Ersatzinvestitionen und kleinere Erweiterungen können über die Leistungsvereinbarung zwischen Bund und SBB sowie – in deutlich geringerem Umfang – über den jeweils gültigen Rahmenkredit für die konzessionierten Transportunternehmen (Privatbahnen) finanziert werden. Daneben besteht mit dem Infrastrukturfonds für die Entwicklung der Agglomerationen eine weitere Finanzierungsmöglichkeit für den Ausbau der Infrastruktur.

Grafik 1 «Knotenstruktur mit ZEB»

Zitiervorschlag: Toni Eder, Hauke Fehlberg, (2009). Die Entwicklung der Bahninfrastruktur in der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.