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Verkehrsnetze: Investitionen in die Zukunft

Verkehrsnetze: Investitionen in die Zukunft

Ein neuer OECD-Bericht über die Zukunft der Infrastrukturen bestätigt die grosse Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur in einer Welt, die immer stärker vernetzt ist. Der Bericht weist zugleich auf ein Problem hin: In allen OECD-Ländern öffnet sich eine Lücke zwischen den in Zukunft notwendigen Infrastrukturinvestitionen und der Fähigkeit des öffentlichen Sektors, die Finanzierung mit traditionellen Mitteln zu sichern. Vgl. OECD (2007), Futures Project on Global Infrastructure Needs. Wenn es nicht rechtzeitig gelingt, diese Infrastrukturlücke zu überbrücken, entstehen gemäss OECD hohe volkswirtschaftliche Kosten in Form von Staus und Verkehrszusammenbrüchen, unzuverlässiger Versorgung und beeinträchtigter Wettbewerbsfähigkeit. Verkehrsengpässe würden dann sehr rasch zu Wachstumsengpässen. Das Problem der Infrastrukturlücke erhält seine besondere Brisanz durch die Tatsache, dass sich Verkehrsinvestitionen durch eine ausgeprägte Langfristigkeit auszeichnen: Zwischen der Planung und der Inbetriebnahme einer grossen Verkehrsanlage vergehen in aller Regel 10 bis 20 Jahre. Wir entscheiden somit heute über die Verkehrs- und Wachstumsengpässe des Jahres 2025. Wo steht die Schweiz in dieser Herausforderung? Wie in vielen andern Bereichen lautet die Antwort: Wir haben eine ausgezeichnete Ausgangslage, laufen aber das grosse Risiko, zurückzufallen und den Anschluss zu verlieren.

Die Schweiz hat traditionellerweise gute und leistungsfähige Verkehrsnetze, die auch ein wichtiger Standortfaktor sind. Es besteht aber die erhebliche Gefahr, dass unsere Verkehrsnetze im Jahre 2030 den Anforderungen nicht mehr genügen werden und damit die wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig gefährdet ist. Hinweise dafür sind die Probleme im Agglomerationsverkehr und die sich immer deutlicher zeigenden Engpässe im nationalen Schienen- und Strassennetz.

Verkehr und Bundeshaushalt


Wenn man über die Verkehrsausgaben des Bundes spricht, wird immer wieder übersehen, dass sich der Verkehr in der Schweiz weitgehend selber finanziert. Die von den Strassenbenutzern erhobenen Abgaben betragen jährlich rund 7,5 Mrd. Franken (nur Bundesebene). Mineralölsteuer, Mineralölsteuerzuschlag, Automobilsteuer, Autobahnvignette, LSVA (2008). Damit werden die gesamten Strassenausgaben des Bundes sowie wichtige Teile des öffentlichen Verkehrs – Neat, Bahn 2000, Lärmschutz, Hochgeschwindigkeitsanschlüsse, Agglomerationsverkehr – finanziert. Zusätzlich fliessen rund 1,9 Mrd. Franken in den allgemeinen Bundeshaushalt. 50% der Mineralölsteuer sowie Automobilsteuer. Im öffentlichen Verkehr finanziert der Markt zwei Drittel der Ausgaben; ein Drittel steuert die öffentliche Hand bei. Insgesamt werden aus allgemeinen Bundesmitteln nur etwa 5% der gesamten Verkehrsausgaben finanziert, insbesondere die Abgeltungen für den regionalen Personenverkehr und die Eisenbahninfrastruktur. Der Anteil der Verkehrsausgaben am Bundeshaushalt ist in den letzten 20 Jahren von 14,8% (Legislatur 1991-1995) auf 13,2% (laufende Legislatur) gesunken. Im Rahmen der Aufgabenüberprüfung soll dieser Anteil weiter sinken. Der Bundesrat hat dem Verkehr bis 2015 eine unterproportionale Wachstumsrate von nominell 2% (real = 0,5%) vorgegeben. Damit liegt das Wachstum der Verkehrsausgaben unter dem angenommenen Wirtschaftswachstum und beträgt weniger als die Hälfte des Wachstums der Sozialoder der Bildungsausgaben. Das Parlament wird zu entscheiden haben, ob diese Vorgaben volkswirtschaftlich vertretbar sind.

Zur künftigen Verkehrsfinanzierung


Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich in der Schweiz eine erhebliche Finanzierungslücke im Verkehr abzeichnet. Erste Vorboten dafür sind das zeitliche Hinausschieben wichtiger Projekte oder die zunehmende Vorfinanzierung von Bundesinvestitionen durch die Kantone. Grundsätzlich gibt es drei Strategien, um diese Finanzierungslücke zu schliessen und um die Funktionsfähigkeit unserer Verkehrsnetze im Jahr 2030 zu sichern: – strenge Prioritätensetzung und effizienter Mitteleinsatz; – bessere Ausnutzung der bestehenden Kapazitäten durch Nachfragesteuerung; – zusätzliche Einnahmen für die Verkehrsinfrastruktur. Alle drei Strategien müssen kombiniert verfolgt werden, um die künftige Leistungsfähigkeit unserer Verkehrsnetze zu sichern. Keine sinnvolle Lösung sind hingegen das zeitliche Hinausschieben notwendiger Investitionen und die Vernachlässigung des Unterhaltes.

Effizienter Mitteleinsatz und Prioritätensetzung


Die Stossrichtung ist angesichts der knappen Mittel eine Selbstverständlichkeit und wird von der Verwaltung auch konsequent umgesetzt. Dazu gehören umfassende Wirtschaftlichkeitsberechnungen, der Einbezug der Folgekosten von Investitionen und die Beschränkung auf Engpassbeseitigungen von nationaler Bedeutung. Sie stösst aber in den Kantonen, im Parlament und in der Öffentlichkeit nicht immer auf Verständnis.

Nachfragesteuerung


Es ist ein elementarer ökonomischer Grundsatz, die bestehenden Kapazitäten optimal auszunutzen, bevor neue Infrastrukturen gebaut werden. Dies gilt auch für den Verkehr auf der Schiene, auf der Strasse und in der Luft. Die optimale Kapazitätsauslastung muss auf drei Ebenen erfolgen, nämlich durch den Einsatz modernster Technologie (z.B. ETCS), betriebliche Massnahmen (Betriebssteuerung/Verkehrsmanagement) sowie Preissignale (nachfrageorientierte Tarife). Nur wenn alle drei Ebenen zusammenspielen, können die vorhandenen Kapazitäten optimal bewirtschaftet werden. Die Akzeptanz der drei Ebenen ist allerdings heute noch unterschiedlich: Während der Einsatz moderner Technologien unbestritten ist, stösst das Verkehrsmanagement auf der Strasse gelegentlich noch auf Widerstand. Die grösste Opposition besteht gegen die Nachfragesteuerung über den Preismechanismus – und zwar sowohl auf der Schiene wie auf der Strasse. Die Zukunft unserer Verkehrsinfrastrukturen hängt jedoch wesentlich davon ab, ob die vorhandenen Kapazitäten durch eine intelligente Nachfragesteuerung optimal ausgeschöpft werden können. Bei allen Verkehrsträgern sind es nämlich die für die Spitzenstunden notwendigen Kapazitäten, welche hohe Kosten verursachen.

Zusätzliche Einnahmen


Die Massnahmen zur Nachfragesteuerung werden die drohende Finanzierungslücke zwar etwas mildern, aber keinesfalls schliessen können. Zusätzlich sind deshalb Massnahmen auf der Einnahmenseite nötig, wenn wir auch im Jahr 2030 leistungsfähige Verkehrsinfrastrukturen haben wollen.  Das heutige Finanzierungssystem im Verkehr ist im Grundsatz sinnvoll. Mit Blick auf die Zukunft weist das System jedoch einzelne Mängel auf: Es ist nicht verursachergerecht bezüglich der zeitlichen Beanspruchung der Infrastrukturen. Zudem nimmt die Ergiebigkeit der Mineralölsteuer mittelfristig ab (effizientere Fahrzeuge) und tendiert längerfristig gegen null (Ersatz des Erdöls durch andere Energien). Schliesslich ist die Unsicherheit und Volatilität der jährlichen Budget-Verteilkämpfe keine gute Voraussetzung für eine langfristige Verkehrsplanung. Für die zukünftige Verkehrsfinanzierung sind deshalb drei Stossrichtungen wichtig: – Kurz- und mittelfristig darf der Verkehr nicht weiter durch andere Aufgaben verdrängt werden; sein Anteil am Bundeshaushalt sollte nicht unter 14% sinken.  – Ebenfalls kurz- und mittelfristig sind die Möglichkeiten von Public-Private-Partnerships zur Finanzierung und insbesondere zur Vorfinanzierung von Verkehrsinfrastrukturen auszuschöpfen.  – Längerfristig muss die Verursacher- und Nutzerfinanzierung ein noch stärkeres Gewicht erhalten. Das heisst: Die Verkehrsteilnehmer (Bahnfahrer, Autofahrer) bezahlen mehr und entlasten so die Steuerzahler. Dadurch kann die Abhängigkeit vom Bundeshaushalt reduziert und die längerfristige Finanzierung der Verkehrsnetze gesichert werden. Das Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) wird im Rahmen der Aufgabenüberprüfung neben Sparmassnahmen auch eine stärkere Verursacher- und Nutzerfinanzierung zur Diskussion stellen. Dabei muss selbstverständlich die Erhöhung der Kostendeckung bei Schiene und Strasse koordiniert erfolgen. Wenn man die Ideen zur Nachfragesteuerung und zur längerfristigen Finanzierung des Verkehrs zusammennimmt, endet man beim Konzept des Mobility Pricing. Dies bedeutet nichts anderes als die möglichst verursachergerechte Finanzierung des Verkehrs und den Einsatz des Preismechanismus für eine optimale Nutzung der Verkehrsinfrastruktur. Dieses Konzept ist wichtig für die Zukunft unserer Verkehrsnetze; es sollte deshalb vorurteilsfrei diskutiert werden.

Zitiervorschlag: Hans Werder (2009). Verkehrsnetze: Investitionen in die Zukunft. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.