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Agrotouristische Angebote gemeinsam vermarkten

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Der Agrotourismus weist im benachbarten Ausland eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung auf. In der Schweiz wird dessen Marktpotenzial durch stark zersplitterte Angebotsstrukturen nicht ausgeschöpft. Mit einer einheitlichen nationalen Plattform soll deshalb die Zusammenarbeit unter den Anbietern gestärkt und ein gemeinsames Marketing betrieben werden. Ein nationales Label mit entsprechenden Qualitätskriterien müsste für einheitliche Standards sorgen. Zudem muss eine einheitliche Signalisation eingeführt werden. Bei der Förderung des Agrotourismus ist es wichtig, dass die Bereiche Tourismus und Landwirtschaft eng zusammenarbeiten.

Die Landwirtschaftspolitik fordert von den Bauern, unternehmerisch tätig zu sein. Die Bauern müssen sich deshalb mit neuen Produkten und Dienstleistungen auf dem Markt positionieren. Der Agrotourismus ist dabei eine viel versprechende Option. Und doch muss festgestellt werden, dass der Agrotourismus in der Schweiz nicht richtig vom Fleck kommt. Lange wurde das Raumplanungsgesetz (RPG) mit seinen restriktiven Umnutzungs- und Erweiterungsmöglichkeiten für Bauten ausserhalb der Bauzone dafür verantwortlich gemacht. Per 1. September 2007 wurde dies mit einer Revision des RPG korrigiert. Trotzdem ist der grosse Aufbruch noch nicht sichtbar. Die Westschweizer Bauernvereinigung Agora und tourisme-rural.ch haben deshalb die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) beauftragt, eine Analyse der Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren für den Agrotourismus in der Schweiz vorzunehmen und Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Agrotourismus liegt im Trend


Der Tourismus ist weltweit ein Wachstumsmarkt. Die Welttourismusorganisation UNWTO geht davon aus, dass sich die Reisebewegungen bis zum Jahr 2020 mehr als verdoppeln werden. Wichtige Reisemotive sind dabei die Suche nach Ruhe und Erholung, Selbsterfahrung, Abenteuer und Sinngebung. All diese Bedürfnisse vermag der Agrotourismus gut zu befriedigen. Vor allem für Familien mit Kindern kann der Agrotourismus eine ideale Form des Urlaubs sein.  Falsch wäre die Vermutung, dass die Gäste des Agrotourismus einfach nur billig übernachten wollen. Die grosse Mehrheit der Gäste des Agrotourismus (rund 65%) wünscht eine gute Qualität, die allerdings auch preisgünstig sein sollte. Dabei ist Authentizität sicher wichtiger als eine schöne Verpackung. Agrotouristische Anbieter müssen also einen Spagat vollziehen zwischen Preisdruck und Qualitätsansprüchen. Mit originellen, auf die Kundenbedürfnisse ausgerichteten Angeboten erschliesst sich ihnen ein hohes Marktpotenzial.

Lehren aus dem Ausland


Ein Vergleich mit dem Ausland erlaubt interessante Hinweise für den Agrotourismus in der Schweiz. In Südtirol bieten beispielsweise 9,5% aller Landwirtschaftsbetriebe agrotouristische Angebote an und erzielen 5% aller Logiernächte. Der dadurch erwirtschaftete Umsatz beträgt rund 40 Mio. Euro. Die Vermarktung der Angebote erfolgt zentral mittels der Marke «Roter Hahn». Seitens der Autonomen Provinz wird der Agrotourismus mit raumplanerischen Massnahmen sowie finanziell unterstützt. Für die Errichtung eines agrotouristischen Angebotes können die Landwirtschaftsbetriebe bis zu 40000 Euro an Fördermitteln in Anspruch nehmen. Der Agrotourismus wird in Südtirol nicht etwa als Konkurrenz zur klassischen Hotellerie aufgefasst, im Gegenteil. Es herrscht eine enge Symbiose; Angebote werden gemeinsam vermarktet und Gäste auf die je anderen Angebote aufmerksam gemacht. So wird unangemeldet anreisenden Gästen empfohlen, auf einem Bauernhof in der Nähe zu übernachten, wenn das Hotel bereits ausgebucht ist.  In Österreich ist der Agrotourismus ähnlich organisiert wie in Südtirol. Auch hier bündelt eine einzige Organisation alle Angebote und vermarktet diese über das Label «Urlaub am Bauernhof» mit transparenten Qualitätskriterien. Mit «Urlaub am Bauernhof» verfügt Österreich über ein professionelles Management und Marketing. Der Agrotourismus ist mit rund 4,2 Mio. Logiernächten und einem Umsatz von 1 bis 1,2 Mrd. Euro ein wichtiger Zweig innerhalb der österreichischen Tourismuswirtschaft. Wie wichtig dieser Nebenerwerb für die Landwirtschaft ist, zeigen Zahlen aus dem Bundesland Tirol. Dort macht der Agrotourismus 13% des landwirtschaftlichen Produktionswertes aus.  In Frankreich bieten rund 18000 Bauernhöfe Agrotourismus an. Das entspricht 3,1% aller Bauernhöfe. Anders als in Südtirol und in Österreich gibt es mehrere nationale Dachorganisationen, die aber nach klaren Produkten respektive Kundensegmenten gegliedert sind. So bietet beispielsweise «Gîtes de France» Übernachtungsmöglichkeiten an, während «Bienvenue à la ferme» eher erlebnisorientierte Gäste anspricht. Die Positionierung der Angebote und das Marketing erfolgen somit in vertikalen Strukturen, aber immer national einheitlich nach einheitlichen Qualitätsstandards. Die Raumplanung ermöglicht die Umnutzung bestehender Landwirtschaftsgebäude. Bauliche Massnahmen für agrotouristische Angebote bedürfen lediglich einer einfachen Baubewilligung. Die entsprechenden Investitionen können mit EU- und nationalen Fördermitteln unterstützt werden.

Zersplitterte Angebotsstrukturen in der Schweiz


Eine Analyse der aktuellen Angebotsstruktur in der Schweiz zeigt, dass diese stark zersplittert ist. In einigen Organisationen – wie «Schlaf im Stroh!», «Ferien auf dem Bauernhof» und tourisme-rural.ch – sind rund 600 Anbieter zusammengeschlossen. Daneben gibt es rund 3000 Anbieter, die nicht organisiert sind. Die verschiedenen Anbieter kommunizieren auch kaum miteinander; ein einheitlicher Marktauftritt fehlt. Die Anbieter sind dadurch auf dem internationalen Tourismusmarkt kaum sichtbar. Entsprechend ist der Agrotourismus in der Schweiz derzeit eher ein niederschwelliges Angebot. Durch die starke Zersplitterung fehlen auch einheitliche Qualitätsstandards. Diese wären aber gerade für die Kunden sehr wichtig. Ebenso fehlt beispielsweise eine einheitliche Signalisation der Angebote. Die Angebote sind dadurch oft schwer auffindbar. Letztlich fehlen auch Statistiken über den Agrotourismus, so dass eine quantitative Analyse – und damit eine gezielte Marktforschung – kaum möglich ist.

Nationale Plattform schaffen


Angesichts der stark zersplitterten Angebotsstrukturen muss als erste und wichtigste Massnahme in der Schweiz eine nationale Plattform für den Agrotourismus geschaffen werden. Wichtigste Aufgaben dieser Plattform sind die Koordination unter den Anbietern, das gemeinsame Marketing und die Qualitätssicherung. Neben den agrotouristischen Anbietern müssen auch die Kantone und der Tourismus in diese Plattform integriert werden. Die Kantone verfügen über weitgehende Kompetenzen im Bereich Raumplanung, während die Vermarktung in Zusammenarbeit mit dem Tourismus erfolgen muss. Ein mögliches Endziel der Plattform ist die Schaffung einer einheitlichen Buchungszentrale. Diese Plattform ist derzeit unter Federführung des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) im Aufbau. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterstützt das Vorhaben mit Mitteln aus der Absatzförderung.

Zusammenarbeit mit dem Tourismus


Allzu oft wird der Agrotourismus von Seiten der Hotellerie als Konkurrenz empfunden. Das Beispiel aus Südtirol zeigt, dass es auch anders geht: Agrotourismus und Hotellerie können eine Symbiose bilden. Der Agrotourismus bringt in der Regel neue, zusätzlich Gäste in die Region. Diese Gäste konsumieren gerne auch einmal etwas in einem Restaurant oder kommen bei der nächsten Gelegenheit als Hotelgäste wieder. Umgekehrt können agrotouristische Betriebe mit Streichelzoo, Maislabyrinth usw. das touristische Angebot vor Ort steigern und dadurch mehr Logiernächte in der Hotellerie generieren. In der Vermarktung ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Agrotourismus und Tourismus zwingend. Allzu viele Bauernhöfe versuchen heute, sich im Alleingang mit einer Webseite in der virtuellen Welt zu vermarkten. Eine kleine Stichprobe hat auf Google rund 175000 Treffer für agrotouristische Angebote in der Schweiz ergeben. Die potenziellen Kunden können sich auf diesem Markt nicht zurechtfinden. Die Landwirte müssen deshalb aktiv auf die lokalen Tourismusorganisationen zugehen und darauf hinarbeiten, dass sie in die Marketingkanäle aufgenommen werden. In Graubünden funk-tioniert diesbezüglich die Zusammenarbeit mit Graubünden Ferien gut. National ist eine enge Zusammenarbeit mit Schweiz Tourismus unerlässlich. Deshalb muss der Tourismus in die oben erwähnte nationale Plattform integriert werden.  Doch auch die agrotouristischen Anbieter untereinander müssen in den verschiedenen Regionen intensiver zusammenarbeiten. Denkbar ist eine Arbeitsteilung zwischen den Betrieben. So könnte sich beispielsweise ein Hof auf Übernachtungsangebote spezialisieren, während der andere Hof einen Streichelzoo betreibt. Für den einzelnen Betrieb wird dadurch die Arbeitsbelastung geringer. Gleichzeitig kann das Gesamtangebot zu Gunsten des Gastes wesentlich attraktiver gestaltet werden.

Qualitätssicherung!


In der Hotellerie sind Qualitätsstandards mit dem Sternesystem schon lange etabliert. In benachbarten Ländern werden Angebote des Agrotourismus beispielsweise mit Blumen gekennzeichnet. In der Schweiz verfügen die Angebote heute aber über keine einheitlichen Qualitätsstandards. Jeder nationale Verein kennt seine eigenen Kriterien. Die nicht einem Verein angeschlossenen Betriebe verfügen in der Regel über gar keine Standards. Die Angebote sind dadurch für den Gast nicht vergleichbar. Er weiss bei der Buchung nicht, was ihn erwartet. Dieser Missstand muss dringend behoben werden. Im Interesse des Gastes muss ein einheitliches, nationales Label für den Agrotourismus geschaffen werden. Label wie der «Rote Hahn» im Südtirol können als Vorbild dienen. Abgestimmt auf dieses Label muss eine einheitliche Strassensignalisation eingeführt werden. Dieser Punkt scheint auf den ersten Blick banal. Doch heute sind viele agrotouristischen Angebote kaum auffindbar, oder einzelne Bauernhöfe behelfen sich mit Hinweistafeln aus Karton oder Holz. Eine einheitliche Signalisation würde viel zu einer besseren Auffindbarkeit und Sichtbarkeit der Angebote beitragen.

Ausbildung und Beratung


Die landwirtschaftliche Beratung hat seit längerem das Potenzial des Agrotourismus erkannt. Ihr kommt eine wichtige Funktion zu. Denn vielfach wenden sich die Landwirte vor dem Entscheid zum Aufbau eines neuen Angebotes an die Beratung. Alle interviewten Beratungsdienste haben aber darüber geklagt, dass sie bereits durch andere Arbeiten ausgelastet seien und seitens des Kantons kein Zeitbudget für Beratungen im Bereich Agrotourismus vorgesehen sei. Hier besteht dringender Korrekturbedarf. Auch in der landwirtschaftlichen Ausbildung muss dem Agrotourismus ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Gerade in diesem Bereich ist auch eine enge Zusammenarbeit mit dem Tourismus anzustreben. Das Landwirtschaftliche Zentrum in Salez (SG) hat es vorgemacht und gemeinsame Kurse und Austauschprogramme mit einer Tourismusschule durchgeführt. So erhalten die Lernenden beider Seiten Einblick in den Alltag und die Bedürfnisse des jeweils anderen Partners. Der Grundstein für eine spätere, fruchtbare Zusammenarbeit ist dadurch gelegt.

Rolle der Kantone


Den Kantonen kommt mit ihrer Gesetzgebung und Vollzugspraxis eine wichtige Rolle zu. Das Bundesgesetz über die Raumplanung wurde per 1. September 2007 revidiert und damit ein wesentlicher Hemmfaktor für die Entwicklung des Agrotourismus abgebaut. Der Vollzug dieser neuen Bestimmungen ist in den Kantonen aber noch sehr unterschiedlich. In dieser Hinsicht ist es hilfreich, wenn in den Kantonen gesetzliche Grundlagen zur Unterstützung des Agrotourismus vorhanden sind. Die Kantone Tessin und Wallis haben bereits Gesetzgebungen zur aktiven Förderung des Agrotourismus erlassen. Mit einer gesetzlichen Grundlage im Rücken findet der Agrotourismus leichter Eingang in die Raumentwicklungsstrategien der Kantone, namentlich in die Richtpläne. Es darf aber nicht bei einer einseitigen Absichtserklärung bleiben. Es bringt zum Beispiel wenig, wenn der Kanton Bern in seinem Landwirtschaftsgesetz die Förderung des Agrotourismus explizit vorsieht, diesen Zweig im Tourismusleitbild aber gar nicht erwähnt. Auf den Homepages der (zu) zahlreichen bernischen Tourismusorganisationen finden sich denn auch keine agrotouristischen Angebote. Dieses Beispiel zeigt erneut, wie wichtig die Kooperation von Landwirtschaft und Tourismus ist.

Persönliche Motivation entscheidet über Erfolg


Nicht jeder Landwirt eignet sich als Gastgeber. Wer nicht gerne mit Gästen umgeht und den Kontakt zu fremden Menschen sucht, sollte besser die Finger vom Agrotourismus lassen. Er würde sonst nur sich selbst und mit schlechten Dienstleistungen letztlich auch allen anderen Anbietern schaden. Kommt hinzu, dass die Arbeitslast für den agrotouristischen Nebenerwerb meistens bei der Bäuerin liegt. Der Entscheid, in den Agrotourismus einzusteigen, muss deshalb innerhalb der Bauernfamilie gut abgesprochen werden.

Kasten 1: Was ist Agrotourismus?
Unter Agrotourismus werden in der Studie alle touristischen Dienstleistungen verstanden, die auf einem Bauernhof angeboten werden. Der Agrotourismus umfasst dementsprechend neben der Beherbergung auch die Verpflegung und die Freizeitangebote. Agrotourismus ist damit enger gefasst als etwa die Begriffe ländlicher Tourismus oder naturnaher Tourismus, wobei Letzterer z.B. auch alle Wanderaktivitäten in der Natur umfasst.

Kasten 2: Studie
Die Studie «Der Agrotourismus in der Schweiz – Analyse der aktuellen Situation und Empfehlungen für die Zukunft» wurde im Auftrag der Agora und von tourisme-rural.ch erstellt. Der vollständige Bericht steht unter www.agora-romandie.ch, www.tourisme-rural.ch und www.sab.ch zum Download bereit.

Zitiervorschlag: Egger, Thomas (2009). Agrotouristische Angebote gemeinsam vermarkten. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.