Suche

Abo

Zwischen Wettbewerb und Harmonisierung: Schweizer Steuerpolitik im internationalen Rahmen

Die grosse Zahl an staatlichen Unterstützungs- und Rettungspaketen hat den Finanzbedarf insbesondere in den Industriestaaten sprunghaft erhöht. Wettbewerb um mobile Steuerquellen kommt unter diesen Voraussetzungen insbesondere grossen Staaten ungelegen. Berücksichtigt man, dass gemäss einer Zusammenstellung der OECD (2007) ausländische Direktinvestitionen bei einer Erhöhung der Steuerbelastung um 1% im Durchschnitt um 3,7% zurückgehen, wird die Bedeutung der Steuerpolitik offenkundig. Gerne wurde die Finanzkrise daher von verschiedenen Staaten und Organisationen genutzt, neue Dynamik bei der Beurteilung des internationalen Steuerwettbewerbs und der Ächtung sogenannt schädlicher Steuerpraktiken zu entwickeln.

Im Zentrum des nachfolgenden Artikels stehen drei Fragestellungen: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirkung des internationalen Steuerwettbewerbs liegen vor? Welche Wirkungen haben Wettbewerbsregeln auf die Unternehmensbesteuerung? Und: Welche grundsätzlichen Optionen hat eine kleine, offene Volkswirtschaft wie die Schweiz? In einem separaten Kasten werden die Entwicklung der Positionen zum Steuerwettbewerb und zur Steuerharmonisierung der EU beleuchtet.

Theoretische Argumente…


Der internationale Steuerwettbewerb ist ein politisch wie auch wissenschaftlich kontrovers diskutiertes Thema. Kritiker fürchten, dass ohne strenge institutionelle Regeln ein zügelloser Unterbietungswettlauf zwischen den Gebietskörperschaften die Grundlage zur Finanzierung des Sozialstaats untergräbt. Vgl. Sinn (2002). Dabei stehen die Steuern auf Kapitalerträge im Mittelpunkt der Diskussion, die einen besonders mobilen Standortfaktor darstellen. Gebietskörperschaften sehen sich unter Wettbewerbsbedingungen gezwungen, solche Steuerbasen mit immer attraktiveren steuerlichen Bedingungen anzuziehen und zu halten. Sinkende inländische Steuereinnahmen und ein geringeres Angebot an öffentlichen Leistungen werden folglich als unausweichliche Konsequenz des Steuerwettbewerbs prophezeit. Einige westliche Industrienationen blicken diesem Szenario mit Besorgnis entgegen, umso mehr, als sie wegen der demografischen Entwicklung in Zukunft mit einem steigenden Finanzbedarf für die staatlichen Renten- und Gesundheitssysteme rechnen. Anderseits wenden vor allem politische Ökonomen ein, dass Wettbewerb zwischen den Staaten die Regierungen an übermässiger Machtentfaltung hindert – sozusagen einen «ungesunden» Steuerappetit zügelt. Es wird befürchtet, dass die staatlichen Handlungsträger ohne die institutionelle Sicherung durch den Wettbewerb der Systeme dazu neigen, Steuerkartelle gegen die Bürger zu etablieren. Vgl. Brennan, Buchanan (1980). Der Druck der Wähler in rein parlamentarischen Demokratien ist zu gering, um die politischen Akteure wirksam auf die Verfolgung des Gemeinwohls zu beschränken. Eine Ergänzung durch die Auswanderungsmöglichkeit kann dieses so genannte Prinzipial-Agenten-Problem mildern. Steuerwettbewerb ist ausserdem auch Qualitätswettbewerb. Der ehemalige Richter am US Supreme Court, Louis Brandeis, hatte dies 1932 treffend zusammengefasst: «It is one of the happy incidents of the federal system, that a single courageous state may, if its citizens choose, serve as a laboratory; and try novel social and economic experiments without risk to the rest of the country.» Der Steuerwettbewerb wirkt in diesem Sinne wie eine offene Arena für gesellschaftliche Experimente. In deren Verlauf werden bessere Lösungen beibehalten und imitiert, unterlegene Lösungen aufgegeben. Vorteilhafte politische Regelungen werden nicht bloss von planender Voraussicht, sondern vom Prinzip «Versuch und Irrtum» geleitet. Denn bei allem Bemühen ist man auch in der Politik nie sicher, jeweils auf Anhieb die beste Lösung gefunden zu haben. Wie in allen Lebensbereichen ist auch die Politik auf das Entdeckungspotenzial wettbewerblicher Prozesse angewiesen.

…und empirische Befunde


Was sagen die empirischen Fakten zu den beiden Sichtweisen? Sollte ein ruinöser Steuersenkungswettlauf stattfinden, müsste dies am ehesten bei den Körperschaftssteuern sichtbar werden. Grafik 1 scheint auf den ersten Blick den Unterbietungswettlauf zu bestätigen. So lag der durchschnittliche Körperschaftssteuersatz zu Beginn der 1980er-Jahre in der OECD bei 49%, im Jahr 2007 noch bei etwa 28%. Es ergibt sich auch kein anderes Bild, wenn man zusätzlich die sehr unterschiedlich bemessene Steuerbasis berücksichtigt. So entwickelte sich der effektive Durchschnittssteuersatz in der OECD zwischen 1982 und 2005 von über 34% auf etwas über 24%. Die tatsächliche Wirkung der Steuersatzsenkungen auf den Wohlfahrtsstaat ist empirisch jedoch umstritten, da sich die Abgabenquoten im internationalen Durchschnitt weiterhin auf historischen Höchstständen befinden. Im OECD-Durchschnitt stiegen die Steuereinnahmen zwischen 1965 und 2005 um rund 12 Prozentpunkte und die Steuerquote um rund 7,5. Eine Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch liegt in der Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlage (vgl. Grafik 2).  Interessant ist dabei die Aufteilung zwischen kleinen und grossen Ländern. Der Druck des Steuerwettbewerbs scheint vor allem kleine Länder zu betreffen, die aufgrund eines kleinen Binnenmarkts stärker auf die internationale Standortattraktivität ihres Steuersystems angewiesen sind als bevölkerungsreiche Länder, die aus einem grossen Binnenmarkt Vorteile ziehen können (vgl. Grafik 3). Folgerichtig überrascht daher auch nicht, dass kleine Volkswirtschaften ihre Steuerbasis weit stärker ausdehnen mussten, um die Finanzierung ihres Wohlfahrtsstaats zu sichern, als dies bei grossen Ländern der Fall war (vgl. Grafik 4).

Wirkung von Wettbewerbsregeln für die Unternehmensbesteuerung


Über die Frage der allgemeinen Entwicklung der Körperschaftsbesteuerung hinaus haben viele Länder – insbesondere für hochmobile multinationale Firmen – spezielle Steuerberechnungsvorschriften geschaffen. Beispiel dafür war der mit dem EU-Beitritt Irlands eingeführte reduzierte Körperschaftssteuersatz von 10% für das verarbeitende Gewerbe und die 1987 erfolgte Ausweitung auf die Finanzindustrie in den Dublin Docks. Ein weiteres Beispiel waren die steuervergünstigten Koordinationszentren in Belgien. Weitere Beispiele finden sich im Bericht des Bundesrats «Staatliche Beihilfen an Unternehmen» in Beantwortung des Postulats 07.3003 der WAK-S vom 7. November 2007.Spezielle, zeitlich befristete Sonderregelun-gen erliess auch das spanische Parlament im Jahr 2004 im Zusammenhang mit der internationalen Segelregatta America’s Cup. Vgl. Juarez (2007). Traditionellerweise bietet auch der US-Bundestaat Delaware steuerrechtliche Sonderregelungen, um mobile Unternehmen anzuziehen. Mittlerweile liegt einiges an empirischer Evidenz vor, dass derartige Sonderregelungen in beträchtlichem Umfang von multinationalen Unternehmen zur Steuerarbitrage genutzt werden. Vgl. Haufler (2007). Dies betrifft sowohl Gewinnverschiebungen im Rahmen der Transferpreissetzung als auch die Aufteilung der steuerlich absetzbaren Aufwendungen für Forschung und Entwicklung innerhalb eines multinationalen Konzerns. Vgl. Clausing (2003); Grubert (2003). Wie sind solche steuerrechtlichen Sonderregelungen zu beurteilen? Sowohl der Verhaltenskodex zur Unternehmensbesteuerung der EU Vgl. European Communities, (1998).(siehe

Kasten 2
Die Frage der Steuerharmonisierung ist in der EU ein politischer Dauerbrenner. Bereits kurz nach Einführung der Montanunion entbrannte 1953 insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich eine Kontroverse zu steuerbedingten Wettbewerbsverzerrungen bei der Umsatzsteuer. Fünf Staaten erhoben eine Brutto-Umsatzsteuer, die aufgrund des Kaskadeneffekts vertikal integrierten Unternehmen einen Steuervorteil verschaffte. Frankreich kannte dagegen bereits damals eine Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug. Der Entscheid für eine europäische Mehrwertsteuer (gemäss Umsatzsteuerrichtlinien) wurde 1967 gefällt, nachdem das System des Grenzausgleichs mit der Inkraftsetzung des EWG-Vertrags von 1958 immer grössere Probleme schuf. Nach der relativ raschen Harmonisierung des Steuersystems in den 1960er-Jahren und der Harmonisierung der Steuerbemessungsgrundlage in den 1970er-Jahren geriet die europäische Umsatzsteuerpolitik in den 1980er-Jahren ins Stocken. Seither ist die Umsatzsteuerharmonisierung kaum nennenswert vorangekommen. Unterschiede bei der Besteuerung von Kapitalerträgen waren aus Sicht der EU so lange kein Thema, wie strenge Kapitalverkehrskontrollen und mangelnde Währungskonvertibilität die nationalen Kapitalmärkte streng voneinander abschotteten. 1958 wurden die europäischen Währungen voll konvertibel. Anfang der 1960er-Jahre verringerte man ausserdem die Hindernisse für den grenzüberschreitenden Kapitalfluss. Mit zunehmender Kapitalmarktintegration nahmen auch die Bestrebungen zur Harmonisierung der Kapitalertragssteuern zu. Erste Versuche der Kommission zur Harmonisierung datieren von 1967. Bereits damals ging es um ein Kontrollmitteilungssystem (Informationsaustausch) oder eine Quellensteuerharmonisierung. Auf Druck von Deutschland und Luxemburg wurde ersteres vorerst nicht weiterverfolgt: Man sah das System nicht mit dem damals in beiden Ländern fest verankerten Bankgeheimnis vereinbar. Die Einigung auf eine Quellensteuerharmonisierung scheiterte jedoch 1989 endgültig. Mit der Schaffung des gemeinsamen Binnenmarkts warnte die Kommission wiederholt vor Wettbewerbsverzerrungen, falls keine Harmonisierung der Kapitalbesteuerung erreicht würde. 1997 kam es dann zur Verabschiedung eines Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung innerhalb der EU, in dem sich die Mitgliedstaaten dazu verpflichteten, diskriminierende Steuerregimes abzuschaffen. Nach mehreren gescheiterten Vorstössen gelang der EU im Frühjahr 2000 schliesslich eine Einigung zur Harmonisierung der Zinsbesteuerung am Gipfel von Feira. Die Gemeinschaftsregelung soll auf einem möglichst breit angelegten System des Informationsaustauschs beruhen. Bis dieses System des Informationsaustausches erreicht ist, soll das Koexistenzmodell zur Anwendung kommen. Für eine Übergangszeit dürfen die Mitgliedstaaten auch Quellensteuern erheben. Die Einigung wurde zudem von der Kooperationsbereitschaft der relevanten Drittländer abhängig gemacht (Genschel, 2002; Haufler, 2007). In einer gleichzeitigen Initiative etablierte die OECD 1998 und 2000 ebenfalls einen Verhaltenskodex, der unter Harmonisierung die Schaffung eines Level Playing Field versteht. Die Kriterien schädlichen Steuerwettbewerbs sind ebenfalls ähnlich gehalten wie bei der EU: keine effektiven Null-Steuersätze bzw. nahe bei Null, kein Ring Fencing sowie Transparenz und effektiver Informationsaustausch.) als auch die OECD-Initiative gegen «unfairen» Steuerwettbewerb Vgl. OECD (1998, 2000). bezeichnen steuerliche Bevorzugungen mobiler Produktionsfaktoren im Vergleich zum nicht-präferenziellen Tarifwettbewerb als schädlich. Dabei sind die ökonomischen Auswirkungen keineswegs eindeutig. Dies liegt einerseits daran, dass eine gleichmässige Besteuerung im Sinne der Reinvermögenszugangsbesteuerung nur unter der Voraussetzung identischer Elastizitäten der unterschiedlichen Steuerbasen optimal ist. Berücksichtigt man aufgrund der stark gestiegenen Mobilität verschiedener Formen von Kapitalerträgen die unterschiedlichen Elastizitäten, kann auch eine Spreizung der Gewinnsteuerbelastung durchaus Sinn machen. Dieser Gedanke war letztlich auch Anstoss für den Übergang zu dualen Einkommensteuermodellen in den nordischen Ländern anfangs der 1990er-Jahre, die Kapitaleinkommen im Vergleich zum Arbeitseinkommen systematisch einer privilegierten Besteuerung unterwerfen.

Verbot von präferenziellen Steuerregimes unter Umständen kontraproduktiv


Im Weiteren ist es durchaus möglich, dass ein Verbot von präferenziellen Steuerregimes kontraproduktiv ist, weil gerade erst dadurch ein ruinöser Steuersenkungswettlauf ausgelöst werden könnte. Dies ist dann der Fall, wenn Länder aufgrund des Diskriminierungsverbots einerseits und der Standortattraktivität anderseits den allgemeinen Körperschaftssteuersatz derart stark senken müssen, dass die Gesamteinnahmen durch diese Steuerharmonisierung fallen. In einer vielbeachteten Arbeit kommt Keen (2001) zum Ergebnis, dass ein Diskriminierungsverbot, wie es die EU oder die OECD fordern, den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten entgegen der Absicht durchaus auch verschärfen könne. Dass dies keine unrealistische Annahme ist, belegt er mit dem Beispiel von Irland: Unter Druck des EU-Verhaltenskodex schuf Irland die präferenziellen Steuerregimes ab und senkte gleichzeitig den regulären statutarischen Steuersatz von 32% auf 12,5%. Die folgende Aussage von Bundesrat Merz vom 28.4.2007 in der NZZ illustriert die Problematik der Forderung nach Abschaffung der Steuerregimes ebenfalls: «Ich werde die EU bei dieser Gelegenheit auch darauf hinweisen, dass sie daran ist, ein Eigentor zu schiessen. […] Eine Steuerreform – welcher Art auch immer – darf insgesamt nicht zu höheren Steuern, wohl aber zu tieferen Steuern führen. Eine autonom durchgeführte Revision, welche das Steuerklima in der Schweiz verbessert, dürfte kaum im Sinne der EU-Politiker sein, denen unsere heutige Unternehmensbesteuerung ein Dorn im Auge ist». Vgl. NZZ vom 28.4.2007. Die ruinöse Wirkung eines Diskriminierungsverbots auf den Steuerwettbewerb hängt natürlich unter anderem von der Höhe der präferenziellen Steuersätze und dem Finanzbedarf des Staats ab. Wenn die präferenziellen Steuersätze nahe bei Null und die regulären Steuersätze sehr hoch sind, würde mit der Einführung eines Diskriminierungsverbots eher eine Entschärfung des Steuerwettbewerbs eintreten, da das generelle Körperschaftssteuerniveau kaum auf Null sinken kann. Vgl. Haufler (2007). Welche Annahme man auch für realistischer hält – die Kontroverse zeigt, dass die Forderungen des Verhaltenskodexes der EU oder der OECD ökonomisch durchaus kritisiert werden können.

Optionen für die Schweiz


Im internationalen Steuerwettbewerb hat die Schweiz ein paar Vorteile auf ihrer Seite; aber ebenso hat sie einige Nachteile gegen sich. Der Gipfel der G20 hat der Schweiz deutlich vor Augen geführt, dass weniger wissenschaftlich fundierte und differenzierte Argumente, als vielmehr die machtpolitischen Realitäten ausschlaggebend für die Ausgestaltung der Steuerpolitik sind. Obwohl die Schweiz wirtschaftlich zu den 20 grössten Volkswirtschaften der Welt zählt, kann sie politisch kein entsprechendes Gewicht in die Waagschale werfen. Der Handlungsspielraum wird für die Schweiz deshalb primär durch die Restriktionen, welche sich aus den internationalen Spielregeln ergeben, abgesteckt. Innerhalb dieser Restriktionen sollte aber die Schweiz aktiv darauf hinwirken, ihre Steuerpolitik zu optimieren.  Tatsächlich ist die Schweiz im internationalen Steuerwettbewerb bereits gut positioniert. Wenn in der gegenwärtigen Krise die Fiskallast nicht unnötig aufgebläht wird, hat sie ebenso gute Chancen, vergleichsweise attraktiv zu bleiben. Weitere Chancen ergeben sich daraus, dass die Schweiz nach Innen ihre Steuerpolitik relativ rasch und autonom optimieren kann. Ziel müsste sein, zu jenen Ländern zu gehören, die im Verhältnis zum Angebot öffentlicher Dienstleistungen die tiefsten Steuersätze aufweist. Die Steuerautonomie der Kantone dürfte sich dabei als grosser Vorteil für die Schweiz erweisen. Im Steuerwettbewerb haben kleine Gebietskörperschaften gegenüber den grossen komparative Vorteile. Dieser Vorteil wird durch den Steuerwettbewerb unter den Kantonen noch akzentuiert. In zahlreichen Kantonen wurden denn auch zum Teil mutige Steuerreformen bereits umgesetzt.  Nachteilig wirkt sich hingegen die Kleinheit des Binnenmarktes aus, der es der Schweiz nur beschränkt erlaubt, Skaleneffekte auszunützen und ihre Steuerbasis auszudehnen. Die hohe Aussenhandelselastizität birgt ferner die Gefahr der Abwanderung von Steuersubstrat. Ein Aspekt, dem in der Diskussion noch zuwenig Aufmerksamkeit zuteil wurde, ist auch die Komplexität des Steuersystems. Gerade die Anstrengungen, die im Rahmen der Revision der Mehrwertsteuer unternommen werden, um das System grundsätzlich zu vereinfachen, sollten daher als positiv gewürdigt werden. Sie werden auch dazu führen, dass das System im internationalen Wettbewerb attraktiver wird. Ähnliche Überlegungen sollten auch bei den direkten Steuern angestellt werden. Die hohe Komplexität der Einkommensbesteuerung sowie die teilweise sehr hohen Grenzsteuersätze wirken leistungsmindernd auf das Arbeitsangebot und erhöhen die Anreize für Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft.  Was schliesslich die verschiedenen Varianten der Ausgestaltung der Besteuerung der Holding-, Verwaltungsoder gemischten Gesellschaften durch die Kantone angeht, so sollte hier eine möglichst proaktive Strategie eingeschlagen werden. Ihre Bedeutung ist mit einem Steuervolumen von über 7 Mrd. Franken für die Schweizer Volkswirtschaft eminent. Der Handlungsbedarf für eine langfristig tragfähige, international akzeptierte und damit rechtssichere Ausgestaltung der Unternehmensbesteuerung – bei gleichzeitiger Wahrung der Standortattraktivität – ist insbesondere in jenen Kantonen gegeben, die eine starke Spreizung zwischen Normalbesteuerung und präferenzieller Besteuerung kennen. Dabei sind unterschiedliche Anpassungen denkbar, die nicht für alle Kantone gleich aussehen müssen und nicht notwendigerweise über alle Einkunftsarten eine einheitliche Gewinnbesteuerung nach sich ziehen. Trotzdem hat die Senkung des allgemeinen Gewinnsteuersatzes auch aufgrund seiner Signalfunktion eine wichtige Bedeutung. Daneben gilt es ganz allgemein auch die Substanzbesteuerung nach Möglichkeit abzuschaffen. Letztlich verunmöglichen es die internationalen Spielregeln der Schweiz nicht, weiterhin steuerlich attraktiv zu bleiben. Diese Chance sollte auch über entsprechende Freiräume im Steuerharmonisierungsgesetz geschaffen und konsequent genutzt werden.

Grafik 1 «Durchschnittlicher Körperschaftssteuersatz der OECD-Länder, 1982-2005»

Grafik 2 «Durchschnittliche Körperschaftssteuerbasis und Einnahmen der OECD-Länder, 1982-2005»

Grafik 3 «Statutarische Steuersätze grosser und kleiner OECD-Länder, 1982-2005»

Grafik 4 «Steuerbasis und Bruttoinlandprodukt grosser und kleiner OECD-Länder, 1982-2005»

Kasten 1: Literatur
– Brennan, Geoffrey and James M. Buchanan (1980), The Power to Tax: Analytical Foundations of a Fiscal Constitution, Cambridge, Cambridge University Press.- Clausing, Kimberly (2003): Tax-Motivated Transfer Pricing and US Intrafirm Trade Prices. Journal of Public Economics, 87, S. 2207-2223.- European Communities (1998): Conclusions of the ECOFIN Council Meeting on 1. December 1997 Concerning Taxation Policy (Including Code of Conduct for Business Taxation). Official Journal of the European Communities 98/C 2/01. Brüssel.- European Communities (1999): Report from the Code of Conduct Group to the ECOFIN Council (Primarolo Report): 29 November 1999.- Grubert, Harry (2003): Intangible income, intercompany transactions, income shifting, and the choice of location. National Tax Journal, 56, 221-242.- Haufler, Andreas (2007),Sollen multinationale Unternehmen weniger Steuern bezahlen?, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung des DIW 76, S. 8-20.- Juarez Angel J. (2004), Special Tax Regime Applicable to Participants in the XXXII America’s Cup 2007: An Overview, European Taxation, 2004; 44 (7), S. 316-322.- OECD (1998): Harmful Tax Competition: An Emerging Global Issue. Paris.- OECD (2000): Towards Global Tax Cooperation. Progress in Identifying and Eliminating Harmful Tax Practices. Paris.- OECD (2007), Tax Effects on Foreign Direct Investment: Recent Evidence and Policy Analysis.- Sinn, Hans-Werner (2002), The New Systems Competition. Yrjö Jahnsson Lectures 1999, Blackwell, Oxford and Malden, MA.

Kasten 2: Entwicklung von Steuerwettbewerb und Steuerharmonisierung in der EU
Die Frage der Steuerharmonisierung ist in der EU ein politischer Dauerbrenner. Bereits kurz nach Einführung der Montanunion entbrannte 1953 insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich eine Kontroverse zu steuerbedingten Wettbewerbsverzerrungen bei der Umsatzsteuer. Fünf Staaten erhoben eine Brutto-Umsatzsteuer, die aufgrund des Kaskadeneffekts vertikal integrierten Unternehmen einen Steuervorteil verschaffte. Frankreich kannte dagegen bereits damals eine Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug. Der Entscheid für eine europäische Mehrwertsteuer (gemäss Umsatzsteuerrichtlinien) wurde 1967 gefällt, nachdem das System des Grenzausgleichs mit der Inkraftsetzung des EWG-Vertrags von 1958 immer grössere Probleme schuf. Nach der relativ raschen Harmonisierung des Steuersystems in den 1960er-Jahren und der Harmonisierung der Steuerbemessungsgrundlage in den 1970er-Jahren geriet die europäische Umsatzsteuerpolitik in den 1980er-Jahren ins Stocken. Seither ist die Umsatzsteuerharmonisierung kaum nennenswert vorangekommen. Unterschiede bei der Besteuerung von Kapitalerträgen waren aus Sicht der EU so lange kein Thema, wie strenge Kapitalverkehrskontrollen und mangelnde Währungskonvertibilität die nationalen Kapitalmärkte streng voneinander abschotteten. 1958 wurden die europäischen Währungen voll konvertibel. Anfang der 1960er-Jahre verringerte man ausserdem die Hindernisse für den grenzüberschreitenden Kapitalfluss. Mit zunehmender Kapitalmarktintegration nahmen auch die Bestrebungen zur Harmonisierung der Kapitalertragssteuern zu. Erste Versuche der Kommission zur Harmonisierung datieren von 1967. Bereits damals ging es um ein Kontrollmitteilungssystem (Informationsaustausch) oder eine Quellensteuerharmonisierung. Auf Druck von Deutschland und Luxemburg wurde ersteres vorerst nicht weiterverfolgt: Man sah das System nicht mit dem damals in beiden Ländern fest verankerten Bankgeheimnis vereinbar. Die Einigung auf eine Quellensteuerharmonisierung scheiterte jedoch 1989 endgültig. Mit der Schaffung des gemeinsamen Binnenmarkts warnte die Kommission wiederholt vor Wettbewerbsverzerrungen, falls keine Harmonisierung der Kapitalbesteuerung erreicht würde. 1997 kam es dann zur Verabschiedung eines Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung innerhalb der EU, in dem sich die Mitgliedstaaten dazu verpflichteten, diskriminierende Steuerregimes abzuschaffen. Nach mehreren gescheiterten Vorstössen gelang der EU im Frühjahr 2000 schliesslich eine Einigung zur Harmonisierung der Zinsbesteuerung am Gipfel von Feira. Die Gemeinschaftsregelung soll auf einem möglichst breit angelegten System des Informationsaustauschs beruhen. Bis dieses System des Informationsaustausches erreicht ist, soll das Koexistenzmodell zur Anwendung kommen. Für eine Übergangszeit dürfen die Mitgliedstaaten auch Quellensteuern erheben. Die Einigung wurde zudem von der Kooperationsbereitschaft der relevanten Drittländer abhängig gemacht (Genschel, 2002; Haufler, 2007). In einer gleichzeitigen Initiative etablierte die OECD 1998 und 2000 ebenfalls einen Verhaltenskodex, der unter Harmonisierung die Schaffung eines Level Playing Field versteht. Die Kriterien schädlichen Steuerwettbewerbs sind ebenfalls ähnlich gehalten wie bei der EU: keine effektiven Null-Steuersätze bzw. nahe bei Null, kein Ring Fencing sowie Transparenz und effektiver Informationsaustausch.

Zitiervorschlag: Christoph A. Schaltegger, Boris Zürcher, (2009). Zwischen Wettbewerb und Harmonisierung: Schweizer Steuerpolitik im internationalen Rahmen. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.

Das könnte Sie auch interessieren