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Offensive Informationspolitik statt Verharren in der Defensive

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Das Bankgeheimnis wird seit Jahren mit dem Bedürfnis nach Privatsphäre und Datenschutz begründet. In der Tat sind diese Güter wichtig und schützenswert. Bei Angestellten und Lohnempfängern spielen sie aber offenbar keine Rolle. Über die Höhe ihres Einkommens muss der Arbeitgeber der Steuerverwaltung jederzeit Auskunft geben. Wenn es hingegen um das Einkommen von selbstständig Erwerbenden oder um Kapitalerträge geht, darf die Steuerbehörde nichts wissen. Der Zugriff auf Bankkontoauszüge ist ihr versagt. Ganz offensichtlich geht es hier nicht nur um Privatsphäre und Datenschutz, sondern auch um das handfeste Interesse, Steuern am Fiskus vorbeizuschleusen. Dagegen wehren sich andere Länder. Sie verlangen, dass das Bankgeheimnis nicht dazu missbraucht werden darf, andere Staaten um Steuern zu prellen, die ihnen rechtmässig zustehen.

Der Druck auf die Schweiz, in Steuersachen international besser zu kooperieren, nahm in den letzten Jahren dauernd zu. Immer wieder musste unser Land Konzessionen machen. Doch an der Doktrin wurde nichts geändert: Das Bankgeheimnis galt in der Schweiz als «nicht verhandelbar», bis der Bundesrat am 13. März 2009 – wenige Tage vor dem G20-Gipfel – von dieser Haltung abrückte und entschied, auch bei Steuerhinterziehung mit anderen Ländern zu kooperieren.

Innenpolitisch motivierter Rückzug des Bundesrates


Doch statt diesen Entscheid gegenüber der globalen Gemeinschaft offensiv zu kommunizieren, trat der Bundesrat schon bald wieder den Rückzug an. Er versprach, Amtshilfe nur unter strengsten Voraussetzungen zu gewähren, auf einem umfassenden Rekursverfahren für die Kunden zu beharren und die Steuerhinterziehung im Inland weiterhin als Kavaliersdelikt zu behandeln. Dieses innenpolitisch motivierte Rückzugsgefecht hat zur Folge, dass man der Schweiz auf dem internationalen Parkett nach wie vor nicht wirklich glaubt. Das könnte sich auch auf andere Bereiche wie Handel, Export und Tourismus ausweiten. Für die Schweiz eine fatale Entwicklung! Der Bundesrat verstrickt sich aber auch im Inland in Widersprüche. Mit seinen Vorschlägen nimmt er in Kauf, dass ausländische Steuerpflichtige über mehr Rekursrechte verfügen als die Schweizer Steuerpflichtigen, was nicht akzeptabel ist. Und die unterschiedliche Behandlung von Steuerhinterziehung gegenüber in- und ausländischen Steuerbehörden führt dazu, dass die kantonalen Steuerbehörden für die korrekte Veranlagung der Steuern schlechtere Karten haben als die Eidgenössische Steuerverwaltung, die im Auftrag von ausländischen Steuerbehörden Informationen beschaffen kann. Ob sich die Kantone so etwas bieten lassen?

Kohärente Informationspolitik in Steuersachen


Mit seiner Defensivstrategie riskiert der Bundesrat, dass er seine Aussagen immer wieder korrigieren muss, was seiner Glaubwürdigkeit kaum dienlich ist. Es wäre deshalb ratsam, die Karten endlich auf den Tisch zu legen und in Sachen Informationsaustausch eine offensive Haltung einzunehmen. Dabei soll die Schweiz sogenannte «Fishing Expeditions» sowie den automatischen Informationsaustausch weiterhin ablehnen, denn diese sind für die Beschaffung von steuerrelevanten Daten weder notwendig noch hilfreich. Hingegen sollten wir aufzeigen, wie eine kohärente Informationspolitik in Steuersachen aussieht: – klare und rasche Verfahren in der Amts- und Rechtshilfe mit festgelegten Fristen und überschaubaren Rekursmöglichkeiten; – Amts- und Rechtshilfe nicht nur, wenn es um Steuern auf Einkommen geht, sondern auch bei Lebensversicherungen und anderen Finanzgeschäften; – Angebot analoger Doppelbesteuerungsabkommen an sämtliche Länder, die in der Lage sind, die Vertragsbestimmungen einzuhalten; – keine Privilegierung der Eidgenössischen Steuerverwaltung gegenüber den kantonalen Steuerbehörden (beide sollen bei Steuerbetrug und -hinterziehung Zugang zu den notwendigen Informationen erhalten); – mit einer Steueramnestie den Kurswechsel auch im Inland vollziehen; – die Ausdehnung des Zinsbesteuerungsabkommens mit der EU auf Dividenden, Anlagefonds und gewisse Lebensversicherungen sowie auf Stiftungen und andere juristische Personen liegt auch im Interesse der Schweiz.  Indem wir diese Forderungen offensiv einbringen und deren Einhaltung auch von unseren Vertragspartnern verlangen, können wir dazu beitragen, dass sich die Konkurrenz zwischen den Finanzplätzen nicht länger auf der Ebene von Steuerhinterziehung und -optimierung abspielt, sondern auf der Ebene der Dienstleistungen, der Performance, der Qualifikation des Personals und der Sicherheit und Stabilität im politischen Umfeld. Bewegt sich der Wettbewerb auf diesen Ebenen, hat der Schweizer Finanzplatz auch in Zukunft gute Aussichten auf einen Spitzenplatz!

Zitiervorschlag: Sommaruga, Simonetta (2009). Offensive Informationspolitik statt Verharren in der Defensive. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.