Suche

Abo

Grundsätze fairen Steuerwettbewerbs im Lichte der aktuellen Entwicklung

Seit etwa zehn Jahren werden im Kern die gleichen Argumente zugunsten der Verweigerung des fiskalischen Informationsaustausches ins Feld geführt: Erstens wird auf die rechtsstaatliche Souveränität verwiesen. Zweitens wird die Verweigerung als Ausdruck von Steuerwettbewerb gedeutet und dabei angenommen, dass Wettbewerb niemals schädlich sein könne. Drittens wird diese mit dem Schutz der Privatsphäre verteidigt. Alle drei Argumente erweisen sich bei näherer ethischer Betrachtung als unhaltbar. Denn es geht im Kern um nichts anderes, als dass Bürger in jenem Land besteuert werden, in dem sie ihren Wohnsitz haben, auch wenn sie ihr Vermögen von ausländischen Banken verwalten lassen.

Die Epoche der Verweigerung des fiskalischen Informationsaustausches (VDFI) – und damit der Steueroasen – scheint dem Ende entgegenzugehen. Allerdings wird dieses Ende nicht durch die Einsicht der Akteure darüber ausgelöst, dass diese Verweigerung ethisch unhaltbar ist, sondern durch die Entschlossenheit der Steuerfluchtstaaten. Dies ist bedauerlich und für einen aufgeklärten modernen Rechtsstaat ein erstaunlicher Vorgang.

Das Wohnsitzprinzip als Grundlage des Besteuerungsrechts


Das elementarste aller Besteuerungsprinzipien ist das Wohnsitzprinzip. Die Steuerpflichtigen sollen dort besteuert werden, wo sie ihren tatsächlichen Wohnsitz haben. Durch ihre Anwesenheit im Lande begründen sie ja auch erst einen Bedarf für öffentliche Leistungen, der über Steuern zu decken ist. Es ist keinerlei Begründung dafür ersichtlich, dass ein Staat Bürger, die in einem anderem Staat wohnhaft sind, direkt oder indirekt fiskalisch behandelt. Im (seltenen) Falle des Auseinanderfallens von Wohn- und Arbeitsort in verschiedenen Staaten wird gelegentlich (auch) am Arbeitsort besteuert (Beschäftigungslandprinzip). Ob dies legitim ist, sei hier dahingestellt. Festzuhalten ist allerdings, dass mit dieser Art der Ansässigkeit immerhin ein materialer Anknüpfungspunkt für das Besteuererungsrecht eines Staates gegeben ist.  Exakt dies ist jedoch der Fall, wenn ein Staat den fiskalischen Informationsaustausch verweigert. Er nimmt sich damit im Ergebnis das Recht heraus, Personen, die für ihn Steuerausländer sind, von ihrer Steuerpflicht zu befreien. Soweit dies kein zufälliges Versehen ist, tut er dies in der Regel, um Einkommen in der landeseigenen Finanzindustrie zu generieren. Da hierfür keine Rechtsgrundlage existiert, gehört es zu den elementaren Pflichten eines jeden Rechtsstaates, den Informationsaustausch gegenüber den zuständigen Steuerbehörden der jeweiligen Steuerpflichtigen zu gewähren. Ansonsten macht er sich, soweit der grenzüberschreitende Kapitalverkehr zugelassen ist, des Eingriffs in die legitime Steuerautonomie der jeweiligen Wohnsitzstaaten schuldig.  Der Konflikt zwischen den Wohnsitzstaaten und der Schweiz betrifft einzig den fiskalischen Informationsaustausch, den die Schweiz gemäss Art. 3.3 des Rechtshilfegesetzes verweigert, sollte ein Gesuch eine Straftat betreffen, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint, und nicht das Bankgeheimnis gemäss Bankengesetz, welches allein innerstaatliche Rechtsverhältnisse regelt. Es bleibt der Schweiz unbenommen, das innerstaatliche Bankgeheimnis auch dann noch aufrechtzuerhalten, wenn sie ihrer Pflicht zum fiskalischen Informationsaustausch nachkommt (womit sie die Besteuerung von Kapitaleinkommen zu einer Angelegenheit minderen Rechts erklärte). Ob dies wahrscheinlich ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die Schweizerinnen und Schweizer, die sich in mehreren jüngeren Umfragen mehrheitlich gegen das Bankgeheimnis gegenüber Steuerbehörden ausgesprochen haben, Vgl. Beobachter, August 2008; Sonntagsblick, 1. März 2009. dürften sich dann nämlich fragen, warum Kapitaleinkommen gegenüber Arbeitnehmereinkommen fiskalisch privilegiert werden sollten. Gemäss Frey/Feld (2002) werden in der Schweiz rund ein Viertel aller Einkommenssteuern hinterzogen, wobei es sich angesichts des fiskalischen Bankgeheimnisses vor allem um Kapitaleinkommen handelt dürfte. Das fiskalische Bankgeheimnis im Inland verlöre seine Funktion. Diese Funktion besteht darin, den Eindruck der Rechtsstaatlichkeit zu erwecken. Diesem Zweck dient die Unterscheidung zwischen einfacher Steuerhinterziehung und Steuerbetrug, also Steuerhinterziehung mit Urkundenfälschung, wobei die Steuererklärung nicht als Urkunde gilt: Ebenso wie gegenüber Steuerinländern erst ein Steuerbetrug das Bankgeheimnis bricht, so eröffnet die Schweiz im Aussenverhältnis erst bei Abgabenbetrug den legitimen Steuerbehörden der Wohnsitzstaaten den Zugang zu Konten und Depots. Damit erfülle die VDFI den elementaren rechtsstaatlichen Grundsatz der Gleichbehandlung von Steuerinländern und -ausländern (so genannte doppelte Strafbarkeit). Diese Konstruktion übersieht allerdings, dass keinerlei Rechtsgrundlage dafür ersichtlich ist, dass die Schweiz Steuerausländer überhaupt irgendwie – ob gleich oder un-gleich – fiskalisch behandelt (siehe

Kasten 1
Die gegenwärtige Diskussion um das Bankgeheimnis im Verhältnis der Staaten zueinander ist davon geprägt, dass der eigentliche Sachverhalt verkannt wird. So wird die VDFI typischerweise damit gerechtfertigt, dass «in der Schweiz» ein anderes Steuersystem bestehe als beispielsweise in Deutschland, was zu respektieren sei. Dabei wird übersehen, dass die fraglichen Steuerpflichtigen «in der Schweiz» gar nicht anwesend sind und darum – aus der Sicht der Schweiz – Steuerausländer darstellen. Allein um die fiskalische Behandlung dieser Steuerausländer dreht sich der Streit, nicht um die Steuerinländer, d.h. um die Steuerpflichtigen «in der Schweiz».).  Dies ist dann auch der Grund dafür, dass die USA der UBS – bzw. indirekt der Schweiz – ein Ultimatum gestellt hat (19. Februar 2009). Man sah nicht ein, warum die USA komplexeste Strafverfahren mit ungewissem Ausgang abwarten sollten, in denen es einzig um die Klärung der Frage ging, ob Steuerpflichtige, die unzweideutig dem amerikanischen Steuerrecht unterliegen, gemäss der schweizerischen Rechtsspezialität einfache Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug begangen haben. Die Verbindung dieser Steuerpflichtigen zur Schweiz bestand allein darin, Kunde einer Bank zu sein, die ihren Firmensitz in der Schweiz hat, in den USA eine grosse Zweigniederlassung unterhält und amerikanische Steuerpflichtige, die hierzu noch nicht einmal temporär ihr Land verlassen mussten, in das Schweizer Steuerrechtssystem überführte, um sie von der gleichmässigen Besteuerung zu befreien und dadurch Finanzdienstleistungsumsätze zu generieren. Die Empörung so ziemlich aller politischen Kräfte der Schweiz über diese «Aushebelung des schweizerischen Rechtsstaates» durch die «nackte Machtpolitik» der USA entsprach einer Phantomdiskussion, weil auch nicht ansatzweise nach der Legitimität für die reklamierte Unterstellung US-amerikanischer Steuerinländer unter das Schweizer Steuerrechtssystem gefragt wurde. Eine solche Rechtsgrundlage lässt sich offenkundig nicht auffinden. Insofern wurde mit dem Vorgehen eher das Unrecht der VDFI ausgehebelt und die Rechtsstaatlichkeit der Schweiz im Ergebnis gestärkt. Selbstverständlich liegt die Rechtsstaatlichkeit der Substanz eines Rechtssystems der blossen Verfahrensform voraus. Festzuhalten ist, dass nicht etwa die Wohnsitzstaaten, sondern die Steueroasen in die legitime Steuersouveränität anderer Staaten eingreifen, und zwar durchaus massiv.

Fairer Steuerwettbewerb vs. Steuer-Nichtleistungswettbewerb


Zugunsten der VDFI wird überdies angeführt, nur so könne dem Ansinnen der «Hochsteuerländer» entgegengetreten werden, ein «Steuerkartell» zum Zwecke der «Steuerharmonisierung» zu etablieren. Sollte das Bankgeheimnis gegenüber den Steuerbehörden der Wohnsitzstaaten aufgehoben werden, so der belgische Steueranwalt Prof. Thierry Afschrift, «wäre Schluss mit dem Steuerwettbewerb, und das wäre eine Gefahr für alle». Dann nämlich hätten die Leute nicht mehr die Möglichkeit, «mit ihren Füssen abzustimmen und mit ihrem Geld dorthin zu gehen, wo die Belastungen geringer sind.» Tagesanzeiger vom 23. Februar 2009. Diese Argumentation übersieht allerdings, dass die Leute in den allein fraglichen Fällen nicht etwa «Voting by Feet» betreiben, sondern lediglich Vermögenswerte in Steueroasen verschaffen, ohne selbst auszuwandern, womit das Wohnsitzprinzip ja auch gar nicht verletzt würde. Im Unterschied zu einer Auswanderung ad personam hat der Vermögenstransfer bloss ad pecuniam allerdings nichts mit einem fairen Leistungswettbewerb zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen parasitären «Nichtleistungswettbewerb», den Ordoliberale wie Wilhelm Röpke und Franz Böhm als einen unechten oder verfälschten Wettbewerb bezeichneten oder gar von «räuberischer Konkurrenz» und «feindlichem Kampf» sprachen. Den gleichem Sachverhalt belegt die OECD mit dem nicht ganz präzisen Begriff des schädlichem Steuerwettbewerbs. Weder die Steueroase noch die Steuerflüchtlinge erbringen eine Leistung, die den Namen verdient. Sie verhalten sich vielmehr als Trittbrettfahrer: Die Steuerpflichtigen nehmen nach wie vor steuerfinanzierte Leistungen in ihrem Wohnsitzstaat in Anspruch, ohne den ihrer Steuerpflicht gemässen Beitrag zu entrichten, wie es sonst alle übrigen Steuerpflichtigen tun, die sich ihren steuerlichen Bürgerpflichten nicht entziehen wollen oder können. Und die Leistung der Steueroase besteht lediglich darin, den fiskalischen Informationsaustausch konsequent zu verweigern und ihr Steuersystem entsprechend einzurichten. Sie und die unter ihrer Jurisdiktion agierenden Finanzdienstleister erhalten dadurch «Money for nothing». W. F. Wechsler, von 1999-2001 Beauftragter des US-Finanzministeriums. Der Steueroase fliessen also Einkommensströme erheblichen Ausmasses zu, zu deren Entstehung sie keinerlei Beitrag geleistet hat. Diesen Beitrag haben vielmehr die Wohnsitzstaaten geleistet. Von Unkenntnis über diese elementaren Zusammenhänge zeugt die verbreitete Ansicht, der so genannte Erfolg der Steueroasen zeige an, dass die Steuerlast in den als Hochsteuerländer titulierten Wohnsitzstaaten offenbar zu hoch sei. Abgesehen davon, dass es Einkommenssteuerbelastung in der Schweiz diejenige etwa Deutschlands deutlich übersteigt (OECD Revenue Statistics) und auch die Fiskalquote der Schweiz gemäss Economiesuisse (Februar 2006) im oder gar über dem EU-Durchschnitt liegt, und abgesehen davon, dass es die Schweiz nicht zu interessieren hat, ob die Besteuerung in anderen Ländern zu hoch oder zu tief ist, hat ein Wohnsitzstaat gar nicht die faire Chance, rein pekuniärer Abwanderung zu begegnen, da diese für die Steuerflüchtlinge – kriminelle Energie vorausgesetzt – stets finanziell vorteilhafter ist. Der fiskalische Informationsaustausch führt nicht zu einer Steuerharmonisierung, sondern erlaubt im Gegenteil erst die Wahrnehmung der Steuerautonomie souveräner demokratischer Rechtsstaaten. Zu einer Harmonisierung führt demgegenüber die VDFI – sei es in Form einer De-facto-Degressivbesteuerung von Kapitaleinkommen (im Grenzfall: von null) oder in Form einer Quellenbesteuerung zu zwischenstaatlich vereinbarten Sätzen.

Der «Schutz der Privatsphäre»


Schliesslich wird die VDFI als Ausdruck des Schutzes der Privatsphäre gedeutet. Entgegen landläufiger Suggestionen geht es beim fiskalischen Informationsaustausch nicht etwa um eine Veröffentlichung von Bankdaten in den Medien, sondern allein um den Kenntnisstand autorisierter Steuerbehörden, die ihrerseits dem Steuergeheimnis unterliegen. Dies wird auch vom OECD-Musterabkommen in Artikel 26(2) unterstrichen. Da ohne diese Kenntnisse die Steuerpflichtigen nun einmal nicht gleichmässig und vollständig besteuert werden können, kann es keine fiskalische Privatsphäre geben. Die Alternative wäre die Abschaffung der Besteuerung bzw. deren Ersetzung durch Spenden.  Das Privatsphärenargument ist allerdings von vornherein irrelevant, da es die Schweiz nichts angeht, ob andere Staaten ein fiskalisch relevantes Bankgeheimnis kennen oder nicht. Abgesehen davon diskriminiert das fiskalische Bankgeheimnis Arbeitnehmende, die mit ihrem Lohnausweis vollständig steuertransparent sind und sich nicht auf ihre Privatsphäre berufen können. Die korrespondierende fiskalische Privilegierung von Kapitaleinkommen ist mit elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung unvereinbar.

Quellensteuer oder Informationsaustausch?


Mit der Zahlstellensteuer und ihrer Teilabführung an die jeweiligen Wohnsitzstaaten hat die Schweiz implizit deren Besteuerungsrecht und damit das Wohnsitzprinzip anerkannt. Allerdings wird diesem Besteuerungsrecht über eine Quellenbesteuerung nur äusserst unvollkommen entsprochen (von diversen Ausweichmöglichkeiten ganz zu schweigen), nicht nur, weil das Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit, dem der zuständige Wohnsitzstaat durch Steuerprogression nachkommen mag, unterlaufen und damit erneut die horizontale Steuergerechtigkeit verletzt wird, sondern vor allem, da so lediglich die vergleichsweise unbedeutenden Zinsen auf das hinterzogene Kapital der Besteuerung unterworfen, das Schwarzgeld selbst jedoch nach wie vor von der Steuer befreit würde. In wohlwollender Auslegung zeugt auch dieser Vorschlag davon, dass die elementaren Zusammenhänge über die Grundlagen des Besteuerungsrechts von Staaten unverstanden bleiben.

Kasten 1: Steuerausländer vs. Steuerinländer
Die gegenwärtige Diskussion um das Bankgeheimnis im Verhältnis der Staaten zueinander ist davon geprägt, dass der eigentliche Sachverhalt verkannt wird. So wird die VDFI typischerweise damit gerechtfertigt, dass «in der Schweiz» ein anderes Steuersystem bestehe als beispielsweise in Deutschland, was zu respektieren sei. Dabei wird übersehen, dass die fraglichen Steuerpflichtigen «in der Schweiz» gar nicht anwesend sind und darum – aus der Sicht der Schweiz – Steuerausländer darstellen. Allein um die fiskalische Behandlung dieser Steuerausländer dreht sich der Streit, nicht um die Steuerinländer, d.h. um die Steuerpflichtigen «in der Schweiz».

Kasten 2: Literatur
– Frey, Bruno S. und Feld, Lars P.: Deterrence and Morale in Taxation, CESIFO Working Paper Nr. 760, August 2002.- www.iwe.unisg.ch , Projekte, Forschungsschwerpunkt Politik & Gesellschaft, Bankgeheimnis, Informationsaustausch und Steuerwettbewerb.

Zitiervorschlag: Ulrich Thielemann (2009). Grundsätze fairen Steuerwettbewerbs im Lichte der aktuellen Entwicklung. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.

Das könnte Sie auch interessieren