Die Bedeutung der Preise im touristischen Wettbewerb
Aus internationalen Vergleichen geht regelmässig hervor, dass die Preise für touristische Leistungen in der Schweiz höher sind als im Ausland. Dennoch ist keine Abwanderung von Betrieben festzustellen; und ausländische Investoren zeigen grosses Interesse am Tourismusland Schweiz. Dass dem so ist, hängt damit zusammen, dass die Schweiz bezüglich touristischem Potenzial – gemäss Competitiveness-Report des WEF – weltweit zu den Spitzenreitern gehört. Die Preise und Kosten der Tourismuswirtschaft werden hier im grösseren Kontext der relevanten Märkte analysiert. Dabei wird die Methodik der Industrieökonomik verwendet, die – wie das Wettbewerbs- und Kartellrecht – vom Structure-Conduct-Performance-Paradigma ausgeht. Bei der Frage, ob die Struktur das Verhalten bestimmt oder umgekehrt, wird hier davon ausgegangen, dass beide Faktoren den Preis/Gewinn beeinflussen.
Marktstruktur und Marktverhalten
Die Schweizer Hotellerie zählt etwa 5600 Betriebe, die pro Jahr von gut 20 Mio. Gästen aufgesucht werden. Die Gaststätten übertreffen diese Zahlen noch erheblich. Eine solche Marktstruktur deutet auf vollständige Konkurrenz hin, in welcher der Unternehmer den Preis nicht entscheidend beeinflussen kann. Man bezeichnet diesen Unternehmer in der Theorie als sog. Preisnehmer, da ihm aufgrund gegebener Kosten der Spielraum fehlt. Diese rigorose Interpretation des touristischen Wettbewerbs wird allerdings in der Theorie und Praxis kaum geteilt. Viele sind der Ansicht, dass Preisspielräume bestehen, und handeln auch entsprechend.
Monopolistischer Wettbewerb
Nach unserer Beurteilung haben die meisten Tourismusunternehmen einen Preisspielraum, auch wenn dieser nicht immer gross ist. Ein tüchtiger Manager schafft sich Ellbogenfreiheit auf dem Markt, indem er sich von den übrigen Konkurrenten abhebt. Die Beherbergungswirtschaft ist ein Markt mit vielen Anbietern ähnlicher, aber nicht gleicher Dienstleistungen. Hotels unterscheiden sich bezüglich Lage, Community, Geschichte (historische Hotels), Öffnungszeiten, Service, Grösse und vielem mehr. Es gibt tausend Möglichkeiten, sich von der Konkurrenz abzuheben. Diese Art von Wettbewerb – die sog. monopolistische Konkurrenz – ist im Tourismus die Regel. Eine Ausnahme bilden die touristischen Transportbahnen. Die Seilbahnkonzession garantiert ihnen ein örtliches Monopol, das aber nicht überschätzt werden darf, weil der Wettbewerb auch zwischen den Skigebieten und Destinationen spielt. Die monopolistische Konkurrenz gibt dem Unternehmer innerhalb eines beschränkten Preisbandes die gleichen Freiheiten, wie sie der Monopolist geniesst. Ein Monopolist beschränkt die Menge und erhöht den Preis im Vergleich zu einem Wettbewerbsmarkt. Die Begrenzung der Menge mag irritieren: Welcher Hotelier verzichtet schon aus freien Stücken auf Gäste? Es ist aber zu bedenken, dass er zum «Monopolisten» wird, indem er sich von seinen Konkurrenten abgrenzt. Dazu muss er den Markt segmentieren. Wenn er sich entscheidet, das Haus als sog. «Boutique-Hotel» zu führen (Paare ohne Kinder, die Ruhe suchen), wird er auf das grosse Segment der Familien verzichten müssen. Die Spezialisierung führt zu einer Reduktion des Marktpotenzials. Die Segmentierung des Marktes ist aus der Sicht der Gäste etwas sehr Gutes. Die Kunden haben dadurch eine grössere Auswahl. Diese Vielfalt ist ein Trumpf für jeden Markt. Eine höhere Vielfalt steigert die Nachfrage. Die Tourismusunternehmen operieren bei monopolistischer Konkurrenz im Bereich der fallenden Durchschnittskostenkurve. Mehr Übernachtungen führen deshalb zu tieferen Durchschnittskosten, d.h. zu tieferen Preisen oder höheren Margen. Bei monopolistischer Konkurrenz sind also Kosten, Preise und Mengen in Bewegung. Sie hängen vom richtigen Gespür des Unternehmers, von der Qualität des Geschäftsmodells (Conduct) und von der Marktstruktur (Structure) ab.
Der Competitiveness-Report des WEF
Das World Economic Forum (WEF) vergleicht jedes Jahr über 100 Tourismusländer. Das WEF hat im Jahr 2009 die Schweiz zum dritten Mal in Folge auf Platz 1 gesetzt. Die Rangliste des WEF ist keine Liste der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismuswirtschaft und seiner Betriebe, sondern eine Rangliste des touristischen Potenzials eines Landes. In Tabelle 1 sind drei ausgewählte Gruppen von Indikatoren aufgelistet: die immobilen Produktionsfaktoren, Clustereffekte und die Distanzkosten. In allen drei Bereichen erreicht die Schweiz Spitzenränge. Unsere Tourismuswirtschaft profitiert von tiefen Distanzkosten, vom hohen Wert der immobilen Produktionsfaktoren und vom allgemeinen Niveau des Wissens und Könnens. Messbare Indikatoren für Clustereffekte gibt es wenige. Die aufgelisteten Indikatoren sind vor allem Anhaltspunkte für das Innovationspotenzial. Sie sagen aber auch etwas über die Qualität des Humankapitals aus.
Marktgleichgewicht zwischen Tourismusländern führt zu Preisunterschieden
Die Kritik an den «hohen» Tourismuspreisen wird in erster Linie aus internationalen Vergleichen abgeleitet. Sie weisen regelmässig nach, dass die Schweizer Preise höher sind als diejenigen im Ausland. Nach BAK Basel Economics sind die Tourismuspreise in unseren Nachbarländern um durchschnittlich 12% tiefer als in der Schweiz. Vgl. den Artikel von Natalia Held und Christian Hunziker auf S. 49ff dieser Ausgabe. Der internationale Vergleich von BHP legt offen, dass die Hotelpreise in Österreich und Südtirol 20% bis 30% tiefer liegen, jedoch in Frankreich 20% höher als in der Schweiz. Vgl. den Artikel von Maria Hug-Sutter, Jürg Kuster, Peder Plaz und Michael Rütimann auf S. 54ff dieser Ausgabe. Ist der Schweizer Tourismusmarkt gegenüber dem Ausland ungebührlich abgeschottet? Dafür gibt es keine Anzeichen. Ein zweiter Grund für höhere Preise ist das Kostenniveau auf dem Binnenmarkt. Die Branchenvertreter beanstanden zu Recht, dass sie die Landwirtschaftsprodukte nicht zu Weltmarktpreisen beschaffen können. Die Studien von BAK und BHP belegen weitere Kostennachteile. Hohe Kosten führen längerfristig zur Abwanderung von Betrieben, ein Szenario, das wir aus den 1970er- und 1980er-Jahren von der Textilwirtschaft und Uhrenindustrie kennen. Bisher haben im Tourismus keine Abwanderungen eingesetzt. Wir stellen im Gegenteil fest, dass ausländische Investoren am Tourismusland Schweiz Interesse zeigen. Wie ist dies zu erklären? Wenn sich Touristen oder Unternehmen für ein Land entscheiden, beurteilen sie nicht nur die Dienstleistungen der Tourismusunternehmen, sondern die Gesamtattraktivität eines Tourismuslandes. Sie schätzen eine intakte Natur und Landschaft, sie suchen lebhafte Städte mit Charakter, sie wollen eine gute Verkehrsinfrastruktur, Sicherheit und die Gewährleistung von Gesundheit. Auf dem touristischen Weltmarkt pendelt sich – von ausserordentlichen Lagen abgesehen – ein Marktgleichgewicht ein. Es ist erreicht, wenn der Nutzen von Ferien überall gleich ist. Die (Tourismus-)Preise haben in einer Volkswirtschaft die Funktion, die Unterschiede zwischen den Tourismusländern auszugleichen. Sind die öffentlichen Güter der Schweiz attraktiver als andernorts, müssen die Schweizer Preise für touristische Leistungen ansteigen, um das Marktgleichgewicht herzustellen.
Fazit
Die Wettbewerbsvorteile des Tourismuslandes Schweiz schlagen sich in Form von Preiszuschlägen für Unternehmensleistungen nieder. Die Preise enthalten ökonomische Renten (einen Preisaufschlag), welche die Wertschätzung für das Land widerspiegeln. Die Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik hat die Ausgabe vom Dezember 2008 diesem Preisbildungsmechanismus gewidmet. Im WEF-Report finden wir die Bestätigung für diesen Zusammenhang. Die Schweiz liegt bei den öffentlichen Gütern auf den vordersten Plätzen, bei den Hotelpreisen hingegen auf Platz 100, was vergleichsweise hohe Preise bedeutet. Dass sich die Schweizer Hotellerie mit ihren kostenbedingt hohen Preisen am Markt behaupten kann, ist somit Ausdruck der hohen Gesamtattraktivität des Tourismuslandes Schweiz.
Tabelle 1 «Das touristische Potenzial der Schweiz»
Kasten 1: Tourismusnachfrage im Sinkflug
Die rückläufige Tourismusnachfrage aus dem In- und Ausland und der starke Franken lassen die Schweizer Tourismusbranche derzeit vermehrt unter der weltweiten Wirtschaftskrise leiden. Kumuliert beträgt der Rückgang der Logiernächte seit Anfang 2009 7,9%, was dem schlechtesten Jahresstart seit 1979 entspricht. Weil aufgrund der Verschlechterung am Arbeitsmarkt viele Schweizer ihre Ferien in diesem Jahr im Inland verbringen, geht die Nachfrage der ausländischen Gäste (-9,8% kumuliert Januar-Mai) deutlich schneller zurück als bei den Inländern. Dadurch kann der Einbruch der Hotelübernachtungen jedoch nicht verhindert, sondern nur abgedämpft werden, zumal auch die Logiernächte von Inländern in den ersten fünf Monaten kumuliert mit -5,3% deutlich abnahmen.Für die nächsten Monate muss weiterhin mit einer negativen Entwicklung gerechnet werden. Die Rezession dürfte sich nämlich vermehrt auch auf den Schweizer Binnenmarkt ausbreiten und damit auch den privaten Konsum verstärkt erfassen. Bei den Auslandgästen muss angesichts des starken Frankens und der schlechten Wirtschaftslage in den entsprechenden Ländern ebenfalls eine rückläufige Nachfrage erwartet werden. Bakbasel rechnet in ihrer aktuellen Tourismusprognose mit einer schwierigen Sommersaison. Die Zahl der Übernachtungen werde um 7,2% zurückgehen, was dem stärksten Einbruch seit 1982 entsprechen würde. Der Bundesrat hat mit zwei Impulsprogrammen im Tourismusmarketing Gegensteuer gegeben. Es ist noch zu früh, um abschätzen zu können, inwieweit diese Massnahmen die negativen Prognosen etwas nach oben korrigieren können.
Zitiervorschlag: Kämpf, Richard; Koch, Karl (2009). Die Bedeutung der Preise im touristischen Wettbewerb. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.