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Schuldenbremse: Die Stunde der Wahrheit

Schuldenbremse: Die Stunde der Wahrheit

Im Dezember 2001 hat der Souverän die Schuldenbremse mit grossem Mehr angenommen. Sie verpflichtet das Parlament und die Regierung, die Bundesfinanzen auf einen nachhaltigen Pfad zu führen. Defizite sollten in Rezessionsjahren erlaubt sein, aber nur in dem Umfang, wie sie durch entsprechende Überschüsse während der Hochkonjunktur kompensiert werden können. Diese Entscheidung war Ausdruck der Unzufriedenheit mit den chronischen Defiziten und der rasant zunehmenden Verschuldung unseres Staates während der Neunzigerjahre. Diese Verpflichung, die wir uns selber gegenüber eingegangen sind, ist wegweisend, weil sie verhindert, dass die staatlichen Finanzen strukturell aus dem Ruder laufen. Das ist für die Entwicklung der langfristigen Zinsen und damit die Kapitalkosten der gesamten Volkswirtschaft von überragender Bedeutung.

Zurzeit ist nicht die Staatsverschuldung, sondern die Krise in aller Munde. Mit der betrüblichen Prognose des Seco ist die «allgemeine Weltuntergangsstimmung» nun auch in den offiziellen Statistiken angekommen. Kaum eine Regierung hat der Versuchung widerstanden, mit der grossen Kelle Geld auszugeben um zu zeigen, dass sie entschlossen gegen die drohende Rezession ankämpft. Allerdings sind Konjunkturprognosen immer unpräzise, weil sie auf gewissen plausiblen Annahmen beruhen, die sich im Nachhinein als falsch erweisen können. Entsprechend weisen verschiedene Prognosen auch deutliche Unterschiede auf. Die G8-Statten haben kürzlich verlauten lassen, sie sähen bereits Anzeichen für eine Erholung. Was ist also angesichts der Rezession, von der wir nicht so genau wissen, wie stark sie sein und wie lange sie dauern wird, von fiskalischen Stimulierungsmassnahmen zu halten? Sofern es um eine Verschiebung des Zeitpunktes der Ausgaben um ein oder zwei Jahre wie bei den ersten beiden Konjunkturpaketen des Bundes geht, ist wenig einzuwenden. Die Massnahmen des dritten Paketes – etwa die Vergünstigung der Krankenkassenprämien – gehen aber weiter. Das ist nicht ungefährlich, denn Ausgaben haben eine «klebrige Qualität»: Einmal beschlossen, wird es schwierig, sie nicht dauerhaft aufrechtzuerhalten. Generell gilt, dass fiskalische Impulse in einer kleinen, offenen Volkswirtschaft, wie die Schweiz eine ist, wenig Wirkung entfalten. Einerseits stimulieren sie zu einem guten Teil den Import, was der heimischen Produktion nichts nützt. Der Aussenhandelsüberschuss der Schweiz wird dadurch einfach kleiner, was impliziert, dass die Schweiz als Volkswirtschaft weniger Kapital exportiert als vorher. Dies stärkt andererseits tendenziell den Aussenwert des Frankens, was unseren Export schwächt. Da beide Effekte den Aussenhandelsbeitrag schmälern, bleibt netto für die Konjunktur wenig oder nichts übrig. Das ist einer der Gründe, weshalb normalerweise von fiskalischen Konjunkturmassnahmen in einer kleinen, offenen Wirtschaft nicht viel zu erwarten ist. Nun kann genau diese Aufwertung, die mit der fiskalischen Stimulierung einhergehen sollte, diesmal nicht eintreten, solange die Nationalbank ihr bekundetes Wechselkursziel aufrecht erhält. Aus diesem Grund könnten in der jetzigen Situation die fiskalischen Massnahmen durchaus die Konjunktur stimulieren. Die geldpolitischen Massnahmen sind aber sicherlich die wirksameren. Die Wechselkurspolitik, welche die Nationalbank zurzeit betreibt, stellt eine deutliche Stützung der exportgetriebenen Konjunktur dar, und zwar mit oder auch ohne fiskalische Begleitung. Beide Massnahmen bergen allerdings mittelfristig ein Inflationsrisiko. Die langfristigen Folgen der Kalamität, die wir seit nun bald zwei Jahren durchleben, werden wahrscheinlich eine politische Verschiebung hin zu mehr staatlicher Intervention, mehr Umverteilung und weniger Freiheit sein. Dies verdüstert das langfristige Entwicklungspotenzial unserer Gesellschaft. Das nächste grosse Problem wird aber der Schuldenberg sein, den vor allem der amerikanische Staat zurzeit akkumuliert. In diesem Sinn ist es ein Gebot der Voraussicht, die Schulden unserer öffentlichen Hand nicht über alle Massen anwachsen zu lassen. Die Schuldenbremse ist die Verpflichtung, die wir uns selber gegenüber abgegeben haben, genau das zu tun. Dass die nun beschlossenen fiskalischen Massnahmen, gemäss Aussagen des Bundesrates, im Jahr 2010 den Rahmen der Schuldenbremse befolgen, ist zwar begrüssenswert, aber irreführend. Bereits im Jahr darauf ist ein Defizit von 4,1 Mrd. Franken geplant, während die Schuldenbremse – wiederum basierend auf unsicheren Prognosen – gerade mal 1,6 Mrd. Franken erlauben würde. Die von unserem Finanzminister in Aussicht gestellte Sanierung im Umfang von 2,5 Mrd. Franken scheint – wie soll man sagen – recht «sportlich». Es handelt sich hier um die eigentliche Feuerprobe, um einen Test, wie ernst es unsere Institutionen mit der Nachhaltigkeit des Haushaltes meinen. Sollte die Schuldenbremse in grobem Umfang verletzt werden, offenbart sie sich als Schönwettergesetz. Die Glaubwürdigkeit der Fiskalpolitik wäre beschädigt, und die Auswirkungen auf die (künftigen) Steuerzahler und die Kapitalkosten der schweizerischen Volkswirtschaft sind düster.

Zitiervorschlag: Yvan Lengwiler (2009). Schuldenbremse: Die Stunde der Wahrheit. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.