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Stabilisierungsmassnahmen zwischen kurzfristiger Rezessionsmilderung und längerfristigen Strukturkosten

Die schweizerische Wirtschaft ist auf dem Weg in die tiefste Rezession seit Jahrzehnten. Noch ist die Krise nicht breitflächig sichtbar. Betroffen sind bis jetzt vor allem grosse Teile der Exportwirtschaft, die auf vielen Märkten mit tiefen Einbrüchen konfrontiert ist. Die Binnenwirtschaft wird sich in den kommenden Monaten dem Abwärtstrend ebenfalls nicht entziehen können. Entsprechend düster sind die aktuellen Konjunkturprognosen, welche für die Schweiz im laufenden Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts um bis zu 3,3% rechnen und auch 2010 mehrheitlich noch kein Wachstum erwarten. Das hat einschneidende Folgen für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungen, mit denen sich der Schweizerische Arbeitgeberverband als Spitzenverband der Arbeitgeber primär auseinandersetzen muss.

Seit dem letzten Quartal 2008 nehmen Kurzarbeit und Entlassungen mit stetiger Beschleunigung zu. Die Arbeitslosenquote, die im Sommer 2008 noch bei 2,3% lag, ist bis Ende Mai auf 3,4% angestiegen. Zahlreiche Unternehmen leisten Kurzarbeit, deren Maximaldauer richtigerweise von 12 auf 18 Monate verlängert wurde. Mit Kurzarbeit allein lässt sich aber die Krise nicht meistern, weshalb die Prognoseinstitute von einem Anstieg der durchschnittlichen Arbeitslosenquote auf ca. 4% im laufenden und deutlich über 5% im kommenden Jahr ausgehen. Wir riskieren also, den Rekord vom Frühjahr 1997 zu brechen, als die Arbeitslosenquote bis 5,7% anstieg.

Arbeitslosenversicherung als wichtiger Stabilisator


In diesem Beschäftigungseinbruch kommt die Arbeitslosenversicherung (ALV) als sozialer und konjunktureller Stabilisator voll zum Tragen. Wer in der Schweiz arbeitslos wird, gerät nicht gleich in eine soziale Notlage. Das erwartete Defizit von ca. 2 Mrd. Franken 2009 und ca. 4,3 Mrd. 2010 wirkt als massive Stütze des Konsums und der Binnenwirtschaft. Das ist in zweierlei Hinsicht zu bedenken: zum einen im Rahmen der Diskussion über besondere Stabilisierungsmassnahmen, zum andern im Hinblick auf die Notwendigkeit, die angehäuften Schulden der ALV von deutlich über 10 Mrd. Franken nach der Rezession wieder abzutragen. Die Rezession wird auch die übrigen Sozialversicherungen stark belasten – zusätzlich zu den strukturellen Defiziten, welche in der IV und EO bereits 2011 zusätzliche Mittel erfordern und bei der AHV nach baldigen Reformen rufen. Bezieht man auch noch die Unterdeckung zahlreicher Vorsorgeeinrichtungen in die Lagebeurteilung ein, so wird klar, dass im Bereich der sozialen Sicherheit grosse finanzielle Probleme zu lösen sind.

Die Risiken von Stabilisierungsprogrammen


Die Diskussion über konjunkturelle Stabilisierungsmassnahmen muss nach Auffassung des Arbeitgeberverbands den Arbeitsmarkt sowie die sozialen Sicherungssysteme berücksichtigen und den Blick auch in die Zeit nach der Rezession hinaus richten. Die Schweiz verfügt mit der ALV und mit den öffentlichen Haushalten über stark wirkende soziale und konjunkturelle Stabilisatoren. Spezielle Programme zur Nachfragestimulierung erreichen die von der Rezession besonders betroffene Exportwirtschaft nicht; sie werden über die hohe Importquote sowie die starke Sparneigung zu einem erheblichen Teil absorbiert. Stabilisierungsprogramme tragen immer die Risiken der Strukturerhaltung, Wettbewerbsverzerrung und von Mitnahmeeffekten in sich. Zudem treiben ihre Kosten die in der Rezession ohnehin ansteigende Staatsverschuldung zusätzlich in die Höhe, was zusammen mit den erwähnten Finanzproblemen der Sozialversicherungen im nächsten Konjunkturzyklus zur Wachstumshypothek werden kann. Letzten Endes stehen wir vor einem Trade-off zwischen kurzfristiger Rezessionsmilderung und längerfristigen (Struktur-)Kosten. Dabei sollten wir uns und der Bevölkerung eingestehen, dass auch die Schweiz nicht ohne schmerzliche Einbussen durch die Rezession kommen wird; der Preis für eine «Komfortstabilisierung» wäre zu hoch.

Bestehende Instrumente ausschöpfen


Der Schweizerische Arbeitgeberverband plädiert deshalb dafür, die bestehenden Stabilisierungs-, Überbrückungs- und Sicherungsinstrumente auszuschöpfen und höchstens punktuell zu verstärken, wie es der Bundesrat für die Milderung der Jugendarbeitslosigkeit vorschlägt. Abzulehnen sind dagegen die Forderungen nach einer allgemeinen Erhöhung und Verlängerung der Arbeitslosen-Taggelder, nach einer massiven Aufstockung der Krankenkassenprämien-Verbilligungen oder nach ungezielten (Weiter-)Bildungsmassnahmen. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Massnahmen wäre zu schlecht.

Zitiervorschlag: Rudolf Staempfli (2009). Stabilisierungsmassnahmen zwischen kurzfristiger Rezessionsmilderung und längerfristigen Strukturkosten. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.