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Freihandelsabkommen sind zentral für unsere Wirtschaft

Freihandelsabkommen sind zentral für unsere Wirtschaft

Freihandelsabkommen (FHA) sind in den letzten Jahren sehr bedeutsam für die Schweizer Wirtschaft geworden. Über 70% unserer Exporte gehen in Länder, mit denen ein solches Abkommen besteht. Neben einer markanten Verbesserung des Marktzugangs durch den Abbau von Zöllen und nichttarifäre Barrieren erhöhen die FHA die Rechtssicherheit. Besonders vorteilhaft ist dies in den Bereichen geistiges Eigentum und Direktinvestitionen. Die Abkommen etablieren zudem eine institutionelle und flexible Plattform für die Lösung von bilateralen Problemen. Aus Sicht der Wirtschaft gilt es, FHA mit allen BRIC-Staaten und den USA voranzutreiben, um diese wichtigen Lücken im FHA-Netz der Schweiz zu schliessen, aber auch Abkommen mit kleineren Ländern, die ein hohes Wachstumspotenzial aufweisen, abzuschliessen.

Freihandelsabkommen werden für die Schweiz aus zwei Gründen noch an Bedeutung gewinnen: – Die WTO-Doha-Runde wird keine weitgehenden Liberalisierungen bringen. Somit kann der Marktzugang nur durch FHA markant verbessert werden. – Ende 2008 waren 418 Präferenzabkommen bei der WTO notifiziert. Die Anzahl der FHA wird weltweit weiter zunehmen. Die Schweiz als stark exportabhängiges Land muss daher weiterhin möglichst umfassende FHA mit den wichtigsten aussereuropäischen Handelspartnern abschliessen, um die Diskriminierung von Schweizer Unternehmen auf ausländischen Märkten zu verhindern.

Strategische Ausrichtung der Freihandelsabkommen


Bezüglich der BRIC-Länder sind der Schweiz in den letzten Monaten wichtige Fortschritte gelungen: Mit Indien konnten Verhandlungen aufgenommen werden; mit Russland stehen solche kurz bevor; mit China konnte in diesem Jahr die Explorationsphase begonnen werden. Mit Brasilien – bzw. dem Mercosur – besteht eine Zusammenarbeitserklärung. Verhandlungen über ein FHA sind in nächster Zeit aber nicht realistisch. Brasilien wird ein FHA nur akzeptieren, wenn die Schweiz den Marktzugang für brasilianische Agrarprodukte öffnet. Eine grosse Lücke im FHA-Netz der Schweiz bilden die USA. Anfang 2006 zog sich der Bundesrat vorzeitig von den Verhandlungen zurück. Dies war ex post betrachtet ein grosser Fehler. Die Furcht vor politisch zu hohen US-Forderungen im Agrarbereich überwog. Unterdessen steigt das Interesse in der EU an Verhandlungen mit den USA. Beim Abschluss eines FHA zwischen der EU und den USA würde die Schweiz einen empfindlichen Wettbewerbsnachteil auf ihrem zweitwichtigsten Absatzmarkt erleiden. Dies gilt es unbedingt zu verhindern. Die zweite Stossrichtung umfasst Länder mit hohem Wachstumspotenzial. Hier ist die Schweiz sehr erfolgreich. Das FHA mit Kanada konnte in Kraft gesetzt werden; dasjenige mit Kolumbien steht kurz vor der Ratifizierung; und das Abkommen mit dem Golfkooperationsrat wurde im vergangenen Juni unterschrieben. Mit der Ukraine werden nächstens Verhandlungen aufgenommen. Vietnam, Neuseeland, Malaysia oder Hongkong sind weitere Länder, die Verhandlungen mit der Schweiz anstreben. Bei der Umsetzung dieser Doppelstrategie geht jedoch Qualität vor Quantität.

Problemfeld in der Schweiz: Agrarprotektionismus


Offensichtlich setzt eine erfolgreiche Umsetzung der Aussenwirtschaftsstrategie eine Anpassung der Schweizer Landwirtschaftspolitik voraus. Der starke Agrarprotektionismus vermindert nicht nur die Exportchancen der Schweizer Unternehmen, sondern konserviert auch die im internationalen Vergleich kaum wettbewerbsfähigen Strukturen der Schweizer Landwirtschaft. Ein FHA im Agrar- und Lebensmittelbereich mit der EU ist daher ein strategisch wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Hierzu gehören auch flankierende Begleitmassnahmen im Inland. Allerdings dürfen diese nicht ein Ausmass erreichen, das den gesamtwirtschaftlichen Nutzen eines Agrarabkommens wieder neutralisiert.

Verdrängen Freihandelsabkommen die WTO?


Die Welthandelsorganisation (WTO) bleibt der Kern des Welthandelssystems. FHA zwischen zwei oder mehreren Staaten sind flexibler und können wesentlich weiter gehen als WTO-Regeln, die von 152 Mitgliedstaaten ausgehandelt werden müssen. Natürlich entsteht durch die weltweit mehr als 400 bestehenden FHA und rund 2400 bilateralen Investitionsschutzabkommen ein komplexes Gebilde. Ein einheitliches WTO-Regelwerk wäre sicher besser als eine derartige «Spaghetti-Bowl». Doch Aussenwirtschaftspolitik muss sich immer an realistischen Zielen orientieren. Zudem ist durchaus denkbar, dass bei einer weiteren Zunahme von FHA immer mehr Staaten bereit sind, die darin bereits vollzogenen Liberalisierungen ins WTO-Recht aufzunehmen.

Zitiervorschlag: Jan Atteslander (2009). Freihandelsabkommen sind zentral für unsere Wirtschaft. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.