Ein Agrarabkommen mit der EU stärkt die Branche
Die schweizerische Ernährungswirtschaft ist nach wie vor stark abgeschottet. Zwar wurde die gegenseitige Abschottung mit der EU durch das Freihandelsabkommen 1972 und durch weitere Abkommen – insbesondere die Bilateralen I und II – reduziert. Dennoch verbleiben bedeutende Schranken. Die Branche hat sich derweil vorwiegend auf den schweizerischen Markt konzentriert und den Blick auf die umliegenden Auslandmärkte vernachlässigt. Die wohlige Stallwärme unter dem Grenzschutz ist aber ein trügerischer Vorteil. Teile der Branche haben es nämlich unterlassen, frühzeitig Exportanstrengungen zu tätigen. Sie verliert nun laufend Marktanteile und agiert aus der Defensive heraus.
Die Tatsache, dass einige Teilmärkte geöffnet sind, während andere geschlossen bleiben, führt zu problematischen Handels- und Wettbewerbsverzerrungen. Vielerorts fehlt es an der Konzentration auf die eigenen Stärken. Der kleine Markt erlaubt nur bescheidene Grössenvorteile. Folge davon sind erhöhte Preise. Gerade in Zeiten konjunktureller Abkühlung steigt jedoch die Preissensibilität der Konsumenten.
Öffnung der Warenmärkte schreitet voran
Die Welt bleibt derweil nicht stehen. Multilaterale und bilaterale Freihandelsbestrebungen werden zu weiteren Liberalisierungsschritten führen. Diese machen auch vor der schweizerischen Landwirtschaft nicht Halt. Die schweizerische Exportwirtschaft ist auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu fremden Märkten angewiesen. Die Abnehmerländer werden sich jedoch nur dann öffnen, wenn die Schweiz im Gegenzug ihren Grenzschutz ebenfalls reduziert. Die Verhandlungen mit der EU über ein Agrarabkommen machen Fortschritte. Das Abkommen soll die gesamte Wertschöpfungskette von der Heubis zur Speisegabel umfassen. Alle gegenseitigen Handelshemmnisse – tarifäre wie nicht-tarifäre – sollen beseitigt werden. Damit die inländische Ernährungswirtschaft über gleichwertige Spiesse verfügt wie ihre europäische Konkurrenz, braucht es zudem geeignete Begleitmassnahmen. Ein solches Abkommen wird der eingepferchten Ernährungswirtschaft Raum für Entwicklungen bieten. Die Branche kann sich vermehrt auf ihre Stärken konzentrieren und auf anderen Märkten Fuss fassen. Davon profitiert nicht zuletzt auch die Landwirtschaft, die auf starke Partner angewiesen ist. Denn ohne Lebensmittelindustrie gibt es auch keine produzierende Landwirtschaft in der Schweiz. Die ausländischen Konsumenten schliesslich profitieren von hochwertigen Produkten, die schweizerischen Konsumenten von einem breiteren Angebot und höherer Kaufkraft. Der Zeitpunkt ist günstig, denn Agrarprodukte sind im Trend – hochwertige erst recht. Wer attraktive Marktnischen besetzen will, muss sich aber rechtzeitig auf die Beine machen. Ein weiteres Zuwarten könnte sich dereinst leicht als fatal erweisen. Ein gutes Agrarabkommen und passende Begleitmassnahmen bieten der Ernährungswirtschaft wieder Perspektiven.
Weniger attraktive Öffnungsszenarien
Andere Öffnungsszenarien sind für die Branche weniger attraktiv. Das gilt etwa für einen Abschluss der Doha-Runde. Ein solcher würde in der Landwirtschaft zu einem Abbau von Zöllen führen, ohne sie im Kostenbereich zu entlasten. Auch die Lebensmittelindustrie wäre stark betroffen, da die bisherigen Mechanismen zum Ausgleich der Rohstoffnachteile als Exportsubventionen in Frage gestellt würden. Gleichzeitig würde sie im Export weiterhin durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse gehindert. Die Wettbewerbsfähigkeit der Branche wäre bei diesem Szenario stark beeinträchtigt. Das gilt auch bei weiteren Teilmarktliberalisierungen, wie sie etwa vom Schweizerischen Bauernverband vorgeschlagen werden. Zwar könnte man dadurch die Märkte gezielt dort öffnen, wo die Schweiz exportstark ist. Nicht wettbewerbsfähige Bereiche liessen sich weiterhin abschotten. Dieser Ansatz würde somit dazu führen, dass die dem europäischen Wettbewerbsdruck ausgesetzten Bereiche ihre Vorprodukte nach wie vor in abgeschotteten Teilmärkten beziehen müssten. Schädliche Handels- und Wettbewerbsverzerrungen wären die unweigerliche Folge. Abgesehen davon, dass es für diese «Teilöffnungen» auch noch interessierte Partner bräuchte, bietet keines dieser Szenarien Perspektiven. Die Branche hat daher ein Interesse, sich beizeiten für ein umfassendes Agrarabkommen mit der EU und für sinnvolle Begleitmassnahmen einzusetzen.
Kasten 1: Information zu Igas
Die Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz (Igas) ist eine breit abgestützte Plattform von 28 Unternehmen und Organisationen, welche die Verhandlungen über ein Agrarabkommen zwischen der Schweiz und der EU befürworten. Die Mitglieder der Igas werden sich autonom für oder gegen das Agrarabkommen aussprechen, wenn das Gesamtpaket – bestehend aus dem Abkommen und den Begleitmassnahmen – vorliegt.
Zitiervorschlag: Niklaus, Juerg (2009). Ein Agrarabkommen mit der EU stärkt die Branche. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.