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Gesundheitskosten: An einer Strukturreform kommt niemand vorbei

Gesundheitskosten: An einer Strukturreform kommt niemand vorbei

Aufgrund von Fehlanreizen werden heute versicherte Leistungen teurer oder umfangreicher als erforderlich erbracht. Gleichermassen sind bei den Versicherten Fehlanreize vorhanden. Mindestens die Versicherten mit Minimalfranchise und Prämienverbilligungen schätzen das verzerrte Bild einer sehr günstigen Gesundheitsversorgung. Die ursprüngliche Idee der Krankenversicherung als Schutz vor materieller Not im Krankheitsfall ist praktisch zur Vollkaskoversicherung mutiert. Immerhin regt sich die Volksseele, wenn die Medien berichten, wie Betrunkene auf Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Spital ausgenüchtert werden oder wenn bekannt wird, dass die Grundversicherung die Spätfolgen missglückter Schönheitsoperationen übernehmen muss. Wichtiger ist es aber, ohne Qualitätsverluste die Versorgung der 20% Versicherten zu optimieren, welche 80% der Kosten verursachen.

Nach Bekanntwerden des für 2010 erwarteten Prämienschocks wurden zahlreiche Kostensenkungsrezepte in die gesundheitspolitische Diskussion geworfen. Die von verschiedensten Kreisen – auch von Seiten der Krankenversicherer – vorgeschlagenen Sparmassnahmen sollten den Prämienauftrieb deutlich eindämmen. Eine Parlamentariergruppe um Nationalrat Otto Ineichen setzte sich gar das Ziel, die Kosten um 1,5 Mrd. Franken zu senken. Allerdings wurde das Sparziel weit verfehlt. Der Bundesrat nutzte mit seinem Massnahmenpaket seinen Handlungsspielraum für Preissenkungen – z.B. bei den Medikamenten – nur zum Teil aus. Statt der gemäss Santésuisse möglichen 800 Mio. Franken werden nächstes Jahr bloss 400 Mio. Franken oder zwei Prämienprozente gespart. Im Nationalrat erreichte man in der Herbstsession mit den dringlichen Massnahmen weniger als 150 Mio. Franken an Einsparungen.

Fehlanreize korrigieren


Nach dem Ende der gesundheitspolitischen Debatte im Nationalrat wurde ernüchtert konstatiert, dass mit Notmassnahmen die verpassten Jahre des erfolglosen Ringens um eine Reform des KVG nicht aufzuholen sind. Erneut wurden Rufe nach einem tiefgreifenden Systemumbau laut. Im Vordergrund einer echten Strukturreform steht die Beseitigung von Fehlanreizen auf Seiten der Leistungserbringer wie der Versicherten. Die Vorzeichen, dass eine solche Reform gelingen könnte, stehen nicht schlecht. Um Fehlanreize zu korrigieren, sind Lösungen gefragt, in denen sich Qualität und Kosteneffizienz für Leistungserbringer, Versicherte und Versicherer lohnen. Wer medizinische Pflichtleistungen kostengünstig und qualitativ einwandfrei erbringt, muss dafür belohnt werden. Jetzt ist das Gegenteil der Fall. Die integrierte Versorgung nach den erfolgreichen Managed-Care-Modellen – mit Budgetverantwortung der Leistungserbringer und Lenkung der Patienten – zeigen den zu gehenden Weg auf. Noch nicht in Sicht ist ein brauchbarer Ansatz, um die Kosten der Spitäler – namentlich im ambulanten Bereich – in den Griff zu bekommen. Die Kostenstatistik für das Jahr 2008 weist alleine für diesen Bereich eine schwindelerregend hohe Kostenzunahme von 400 Mio. Franken aus. Wenn ausgerechnet die von den Kantonen beeinflussten Spitalkosten am stärksten steigen, ist das Rezept «mehr Staat» wohl kaum tauglich, um die Kosteneffizienz zu steigern.

Prämiengenehmigung entpolitisieren


In den letzten zwei Jahren konnten die Krankenversicherer mit den Prämieneinnahmen die medizinischen Leistungen nicht mehr decken. Dieser Zustand ist für die betroffenen Versicherer ungesetzlich und gefährdet insgesamt die Sicherheit und Stabilität der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Um es unmissverständlich auszudrücken: Die Aufsicht muss endlich das Krankenversicherungsgesetz anwenden und darf keine nicht kostendeckenden Prämien mehr genehmigen.  Die strukturelle Reform ist dringend anzugehen. Rufen wir uns in Erinnerung: Es geht um die Summe von rund 33,5 Mrd. Franken pro Jahr für die durch Zwangsabgaben finanzierte obligatorische Krankenversicherung in folgender Aufteilung: Kopfprämien 20 Mrd. Franken, Kostenbeteiligung der Versicherten 3 Mrd. Franken, Prämienverbilligungen 3,5 Mrd. Franken, Objektsubventionen der Kantone an die Spitäler 7 Mrd. Franken. Angesichts dieser enormen Beträge haben die Steuer- und Prämienzahlenden einen legitimen Anspruch darauf, dass ihre Mittel effizient und für eine qualitativ hochstehende Grundversorgung eingesetzt werden und das Wachstum auf das Niveau der allgemeinen Teuerung reduziert wird. Die übrigen 36,5 Mrd. Franken des gesamten Gesundheitsmarktes (60 Mrd. Franken pro Jahr) dürfen ruhig stärker wachsen; denn dort bezahlt nicht die Gesamtbevölkerung das Wachstum, sondern der einzelne Kunde.

Zitiervorschlag: Stefan Kaufmann (2009). Gesundheitskosten: An einer Strukturreform kommt niemand vorbei. Die Volkswirtschaft, 01. November.