Klimaveränderung und Post-Kyoto-Verhandlungen: Im Gespräch mit Thomas Stocker
Der Klimaphysiker an der Universität Bern, Thomas Stocker, leitet als Ko-Vorsitzender die Wissenschafts-Arbeitsgruppe 1 des Weltklimarats, welche die wissenschaftlichen Grundlagen des nächsten IPCC-Berichts verfasst. IPCC steht für Intergovernmental Panel on Climate Change oder Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen. Mit dem Bericht werden regelmässig die politischen Entscheidungsträger über den Stand der Erkenntnis zum Klimawandel informiert. Das Interview umfasst Fragen zu den Erwartungen an Kopenhagen, zur Stellung der Schweiz in diesem Prozess, aber auch zu Arbeitsweise und Umgang mit kontroversen Positionen beim IPCC. Professor Stocker hat bereits vor zwanzig Jahren über den Zusammenhang zwischen der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre und dem globalen Temperaturanstieg geforscht und ist als Bürger Verfechter einer aktiven Klimapolitik.
Die Volkswirtschaft: Auf dem Klimagipfel vom 7. bis 18. Dezember 2009 in Kopenhagen geht es um ein neues globales Klimaschutzabkommen, das Nach-Kyoto-Protokoll. Was muss in Kopenhagen geschehen, damit Sie die Konferenz als Erfolg werten? Stocker: Zentral ist, dass eine Einigung mit konkreten Klimazielen zustande kommt und die industrialisierten Länder verbindlich zusagen, ihre CO2-Emissionen bis 2020 um 20%, 30% oder eventuell sogar 40% zu reduzieren; Schweden hat sich dazu bereiterklärt. Ohne diesen ersten Schritt der Industrieländer werden die Schwellenländer nicht bereit sein, ihrerseits Verpflichtungen einzugehen. Die weltweiten Verpflichtungen sind wiederum unumgänglich, um längerfristig die Klimaziele, wie etwa eine Begrenzung der Erderwärmung auf 2° C, zu erreichen. Die Volkswirtschaft: Kern- und Knackpunkt des Gipfels ist die Finanzierung des Klimawandels und damit verbunden die Umstellung auf die deutliche Reduktion des weltweiten CO2-Ausstosses. Angesichts der immensen Löcher, welche die Finanz- und Wirtschaftskrise in die öffentlichen Haushalte der Industrieländer gerissen hat, sind die Chancen nicht grösser geworden, dass sich eben diese Länder auf der Konferenz grosszügig zeigen werden. Was spricht für Sie dennoch dafür, dass die Weltgemeinschaft einer Einigung näher kommt? Stocker: Klimaschutz zieht nicht nur Kosten, von denen immer wieder die Rede ist, nach sich, sondern bringt auch Nutzen in Form verminderter künftiger Schäden. Der Klimawandel wird auf der Kostenseite sehr stark einschenken: Mit jedem Grad Temperaturanstieg werden Folgeerscheinungen – wie die Veränderung von Ökosystemen, des Wasserhaushaltes, oder des Lebensraums durch den Anstieg des Meeresspiegels – schlimmer sein und folglich auch die Anpassung an diese Veränderung viel aufwendiger. Weltweiter Klimaschutz ist somit eine langfristige Grossinvestition, bei der man den Nutzen erst in ferner Zukunft haben wird, nämlich durch intakte Ökosysteme, deren Dienstleistungen, z.B. die Produktion von Nahrungsmitteln, lebenswichtig sind, durch gewährleisteten Zugang zu Ressourcen wie Wasser, und durch erhaltenen Lebensraum in Küstengebieten. Die Volkswirtschaft: Das Kyoto-Protokoll läuft Ende 2012 aus – also erst in drei Jahren. Damit verbleibt noch Zeit für eine Einigung. Was würde für Sie eine Einigung erst «in letzter Minute» bedeuten? Stocker: «Die letzte Minute» gibt es in diesem Sinne nicht. Aber wenn man zu lange wartet, verringert sich die Breite der zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen. So wäre ein Erreichen des 2° C-Ziels vor 30 Jahren, als die wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaerwärmung als Folge der Emission fossiler Brennstoffe bereits auf dem Tisch lagen, relativ einfach zu erreichen gewesen. Inzwischen ist dieses Ziel sehr ehrgeizig geworden, denn es sind dazu Emissionsreduktionen bis zum Jahr 2050 von weltweit 80% notwendig. Das bedeutet nichts anderes als eine beinahe vollständige Umstellung der Energiebereitstellung und Mobilität. Werden weiterhin keine Massnahmen ergriffen, so wird dieses Klimaziel bald nicht mehr erreichbar sein. Kleine Analogie: Wenn Sie mit Ihrem Fahrzeug auf ein Hindernis zufahren, gibt es einen Punkt, der abhängig ist von Geschwindigkeit und Bremsvermögen, ab dem eine Kollision nicht mehr zu verhindern ist. Die Volkswirtschaft: Die Wirtschaft will die Klimaziele auf eine wirtschaftlich effiziente Weise erreichen. Dazu gehört, dass CO2 dort abgebaut wird, wo es am günstigsten ist – und das bedeutet über den Emissionshandel im Ausland, was sehr verständlich ist. Stocker: Der Emissionshandel ist an sich eine interessante Einrichtung. Dieser Umstand darf aber nicht von der Tatsache ablenken, dass sich letztlich alle Länder an der CO2-Reduktion beteiligen müssen. Heute wird der Emissionshandel häufig dazu benutzt, im eigenen Land nichts zu tun und dafür die Emissionsrechte in einem Land einzukaufen, wo die Reduktion nach den heutigen Preisen am günstigsten ist. Dabei wird vergessen, dass der Preis für Emissionszertifikate sehr volatil ist: Vor rund drei Jahren ist er innerhalb weniger Monate von 5 auf 25 Franken hochgeschnellt. Dieses spekulative Element der Zertifikate macht eine zuverlässige Planung und Abschätzung der wirklichen Kosten unmöglich. Der Kauf eines Zertifikates ist aber nur kurzfristig gedacht die ökonomisch sinnvolle Lösung. Durch den Kauf transferieren wir viel Geld ins Ausland, um den ungebremsten Verbrauch von fossilen Brennstoffen sicherzustellen. Viel vernünftiger wäre die Verwendung dieses Geldes im Inland, um langfristige Investitionen – zum Beispiel in den öffentlichen Verkehr und im Gebäudebereich – zu tätigen und ein aggressives Technologie- und Innovationsprogramm aufzubauen, mit dem Ziel, die CO2-Emissionen der Schweiz konsequent zu reduzieren und von der einseitigen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Dies bedeutet Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen und Wertschöpfung im eigenen Land, anstatt eine neue und zusätzliche Abhängigkeit von Zertifikaten einzugehen. Die Volkswirtschaft: Trotzdem bleibt die Tatsache, dass heute im Ausland die Reduktion einer Tonne CO2 viel billiger ist als im Inland. Stocker: Sie haben recht, wenn Sie ausschliesslich die heutigen Kosten betrachten und die Situation von morgen und übermorgen ausblenden, nämlich die Kosten für künftige Emissionsrechte, die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel sowie die wachsenden Kosten von Klimaschäden. Im Alltag denken wir auch nicht so: Beim Kauf eines Paars Schuhe achten Sie sicher auch darauf, dass diese ein paar Jahre halten und eventuell repariert werden können und nicht gleich auseinanderfallen. Von dieser fast dogmatischen Kurzfristigkeit der ökonomischen Betrachtung müssen wir uns unbedingt lösen. Das hat ja auch die aktuelle Finanzkrise gezeigt. Allerdings bezweifle ich auch dort, dass diese Lektion in den Köpfen angekommen ist. Die Volkswirtschaft: Der Bundesrat ist bei seinen Vorschlägen auch auf die Akzeptanz der Wirtschaft angewiesen und darf sich mit seinen Vorschlägen keine Nachteile für den Wirtschaftsstandort Schweiz einhandeln. Was kann aus Ihrer Sicht die Schweizer Wirtschaft durch eine «Vorreiterrolle» im Clean-Tech-Bereich gewinnen? Stocker: Die Schweiz kann nur gewinnen, handelt es sich doch um hochwertige neue Arbeitsplätze, die vor allem im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) geschaffen werden können. Wer heute stehen bleibt, der ist morgen im Hintertreffen. Grosse Innovationsleistungen zeichnen sich bereits am Horizont ab. Wenn wir sie in der Schweiz nicht erbringen, dann wird es jemand anderes tun. Die Volkswirtschaft: Sie arbeiten gegenwärtig am 5. IPCC-Bericht zum Klimawandel. Wie wird im Rahmen des IPCC gearbeitet? Stocker: Es gibt drei Arbeitsgruppen: Die erste, die ich zusammen mit einem chinesischen Kollegen leite, beurteilt den Kenntnisstand über die wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels. Die zweite Arbeitsgruppe befasst sich mit den Auswirkungen auf Umwelt und Mensch; und die dritte Arbeitsgruppe bewertet die Handlungsoptionen zur Verminderung der Klimafolgen und zur Anpassung an den Klimawandel. Die Volkswirtschaft: Wie geht IPCC mit nicht gesicherten Aussagen um? Stocker: Unsere Aufgabe im IPCC ist es, die politischen Entscheidungsträger zum Stand des Wissens bezüglich Klimawandel zu informieren, und das in einer umfassenden, offenen, transparenten und politikneutralen Art und Weise. Vom IPCC ist denn auch nie eine Aussage zu hören, dass z.B. ein Ziel von maximal 2° C Erwärmung erreicht werden muss. Wir sagen nur: Falls die Policymakers ein Ziel von 2° C beschliessen, hat das folgende Auswirkungen und Konsequenzen für Emissionen, Impact und Meeresspiegel. Wir sagen im selben Bericht auch, was eine Erwärmung von 3° C oder 4° C oder auch 1,5° C bedeutet. Das ist unsere Aufgabe. Alles andere hat nichts mit IPCC zu tun, sondern sind Aussagen von Einzelnen oder Interessengruppen oder ist ungenaue Berichterstattung. Diese Aufgabe impliziert, dass wir die Themen in ihrer ganzen Breite darstellen. Wenn es einen Konsens gibt, zum Beispiel über die bisher beobachteten Klimaänderungen, dann schreiben wir das in unserem Bericht und belegen das durch die vorhandene wissenschaftliche Literatur. Nur Publikationen, die nach den Regeln der Wissenschaft begutachtet worden sind, können berücksichtigt werden, also keine graue Literatur oder sonstige Informationen. Wenn eine Kontroverse vorliegt, schreiben wir das ebenfalls. Zum Beispiel konnten wir bei den Wolken im 3. Bericht von 2001 das Vorzeichen der Veränderung noch nicht genau bestimmen. Dass aber der Effekt der Wolken nicht so stark sein kann, dass er den viel stärkeren Wasserdampf-Rückkoppelungseffekt überkompensieren kann, haben wir auch geschrieben – und das entsprach dem damaligen Konsens. Mittlerweile konnten wir das Vorzeichen des Wolkenfeedbacks im letzten Bericht als wissenschaftlichen Fortschritt vermelden. Jetzt hoffen wir, dass wir im nächsten Bericht diesen Unsicherheitsbereich noch etwas reduzieren können. Noch ein letzter Punkt bezüglich Kontroversen im IPCC: Im dritten Zustandsbericht haben wir sogar zwei renommierte Wissenschafter als Autoren eingeladen, die erklärte Klimaskeptiker waren. Ich selber habe damals in meinem Kapitel mit einem sehr prominenten US-amerikanischen Wissenschafter zusammengearbeitet, der auch heute immer noch zu den Klimaskeptikern gehört. Wir rangen hart um den Konsens und erreichten ihn auch in den meisten Punkten. Dissens, der in einigen spezifischen technischen Fragen vorlag, wurde ebenfalls formuliert. Die Volkswirtschaft: Einer der prominentesten wissenschaftlichen Zweifler an den Aussagen des IPCC ist der Umweltphysiker Augusto Mangini von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, mit dem Sie auch bereits im Rahmen der Sternstunden am Schweizer Fernsehen debattierten. Vgl. Die Klima-Kontroverse. Die Umweltphysiker Thomas Stocker und Augusto Mangini im Gespräch. Sternstunde Philosophie vom 9.11.2008 (www.sf.tv/sendungen/sternstunden/index.php?docid=20081109). Was sagen Sie zu seiner Kritik? Stocker: Mein Freund Augusto Mangini ist ein guter Physiker, der in einem Teilgebiet der Klimaforschung ausgezeichnete Arbeit geleistet hat, nämlich bei den Stalagmiten. Stalagmiten entstehen bekanntlich im Innern von Höhlen durch die Kalkausfällung von Wassertropfen. Das Klimasignal, das man in der Atmosphäre feststellt, mit den Bedingungen, die in dieser feuchten Höhle herrschen, zu verbinden, ist alles andere als trivial. Noch eine Stufe schwieriger ist dann, dieses Klimasignal aus Messungen an den Stalagmiten herauszulesen. Zu beachten ist auch, dass es sich um ein relativ junges Wissenschaftsgebiet handelt, wo noch viele Fragen offen sind. Herr Mangini hat meiner Meinung nach etwas vorschnell aus Messungen an Stalagmiten aus vereinzelten Höhlen Schlüsse über die gesamte Nordhalbkugel und ihrer Temperaturveränderung gezogen. Das kann man tun, solange man noch keine anderen gesicherten Informationen hat. Aber es gibt mit den Baumjahrringen, den Eisbohrkernen, den Bohrlochtemperaturen und anderen eine Reihe von wunderbaren Klimaarchiven, die bereits sehr konsistent zeigen, wie sich die Temperatur in den letzten 500 Jahren entwickelt hat. Und wer mit seinen Forschungen später dazu stösst, hat die Pflicht, zunächst einmal die eigenen Resultate grundsätzlich zu verstehen, sozusagen die Sprache des neuen Klimaarchivs zu lernen und es dann zu lesen. Erst danach können diese Resultate in den grösseren Kontext gestellt werden. Die Volkswirtschaft: Können Sie bereits etwas darüber sagen, was die grossen Themen des 5. IPCC-Berichts sein werden? Stocker: Bei der Plenarversammlung des IPCC vom 26. bis 29. Oktober 2009 in Bali wurde die Struktur des Berichts der Gruppe I, der 2013 publiziert werden soll, verabschiedet. Ein neues Kapitel wird sich mit den Wolkenprozessen und Aerosolen befassen und damit – so hoffen wir – eine der grossen Unsicherheiten in den Klimaprojektionen für die nächsten 50 bis 100 Jahre reduzieren. Ein weiteres neues Kapitel betrifft die Reaktion des Meeresspiegels auf die Erwärmung – einerseits durch die Ausdehnung des Wassers und andererseits durch das teilweise Abschmelzen der Polkappen und der Gletscher. Hier haben im letzten Zustandsbericht von 2007 noch relativ grosse Unsicherheiten geherrscht, die für uns selber wie auch für die Policymakers unbefriedigend waren. Die Volkswirtschaft: Wollen wir die Klimawende erreichen, müssen weltweit die Verhaltensweisen geändert werden. Das bedeutet auch eine immense Überzeugungsarbeit, die von allen in diesem Kontext relevanten gesellschaftlichen Institutionen geleistet werden muss. Stocker: Das ist in der Tat der Fall. Beginnen wir mit der Wissenschaft: Sie muss klar kommunizieren, neueste Erkenntnisse verständlich bekanntgeben und auf Unsicherheiten aufmerksam machen. Es ist zwar unangenehm für Öffentlichkeit und Politik, von der Wissenschaft hören zu müssen: «Das können wir noch nicht sagen, hier sind wir unsicher.» Das ist jedoch die Essenz der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit, dass neben der gesicherten Erkenntnis auch die Lücken bekannt gemacht werden. Policymakers sind auch in ihrem Alltag ständig damit konfrontiert, in Unsicherheit zu entscheiden. Auftrag der Politik muss sein, langfristig zu denken. Der Benefit der ergriffenen und noch zu ergreifenden Massnahmen fällt zum Grossteil nicht bei uns, sondern bei den nachfolgenden Generationen an. Ein solches langfristiges Denken war früher selbstverständlich, wenn ich etwa an die Einführung der AHV 1948 oder das Forstpolizeigesetz von 1876 denke. Aber auch der Bau der Neat ist ein Projekt, das bei kurzfristiger Renditebetrachtung niemals in Angriff genommen worden wäre. Die Wirtschaft wiederum muss zur Kenntnis nehmen, dass die Klimaforschung seit über 30 Jahren eine korrekte Botschaft vermittelt hat, die jedoch lange von einigen Kreisen der Wirtschaft mit allen möglichen Mitteln bekämpft worden ist. Heute wissen wir noch viel genauer, was die Konsequenzen unserer Entscheidungen für den Klimazustand 2020/2050/2100 sind. Diesen konkreten Wissensrahmen zur Verfügung zu haben, ist eine einmalige Situation; normalerweise muss die Wirtschaft Entscheidungen bei grösster Unsicherheit treffen. Wir wissen definitiv, dass wir von der einseitigen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen wegkommen müssen, um weltweite Klimaschäden und Veränderungen der Ressourcen zu vermeiden. Hier sind Chancen, welche die Wirtschaft der industrialisierten Welt ergreifen muss. Die Volkswirtschaft: Wie beurteilen Sie die Rolle der Schweiz mit Blick auf Kopenhagen? Stocker: Bei der Formulierung des Klimaziels haben wir es verpasst, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Stattdessen hat die Schweiz das EU-Ziel übernommen. Eine Vorreiterrolle hat – wie bereits erwähnt – Schweden übernommen. Schweden ist zwar EU-Mitglied, will aber dennoch mit dem 40%-Reduktionsziel über die EU-Zielsetzung hinausgehen. Die Schweiz verpasst damit die Möglichkeit, eine von der EU unabhängige, ehrgeizigere Position einzunehmen. Nicht nur würde dies einen Innovationsschub auslösen; mit einem Voranschreiten könnte unser Land international auch deutlich an Image gewinnen, was wir gegenwärtig bitter nötig hätten. Wir könnten der Welt zeigen, wie ein hochindustrialisiertes Land mit grosser Finanz- und Innovationskraft die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern durch eigene Kraft konsequent reduzieren kann. Die Volkswirtschaft: Und wie beurteilen Sie die Umsetzung der Kyoto-Ziele, welche die Schweiz immerhin erreichen wird? Stocker: Wir werden die Vorgaben von Kyoto nur durch den Zukauf von Zertifikaten erreichen. Chancen, Anreize und Leitplanken zur Reduktion der Emissionen im Inland zu setzen, wurden mehrmals verpasst. So wurde das Energiegesetz abgelehnt. Und einige der im CO2-Gesetz festgeschriebenen Massnahmen kamen nicht einmal zum Tragen. Die vorgesehene Einführung einer CO2-Abgabe auf Treibstoffen wurde durch den Klimarappen elegant abgewendet. Die Volkswirtschaft: Am 5. November 2009 fand in Basel die von Bundesrätin Doris Leuthard einberufene 2. Innovationskonferenz statt. Hauptthema der Konferenz war, die Schweiz als Forschungs- und Werkplatz für Cleantech in einem weltweiten Wachstumsmarkt noch besser zu positionieren. Es gibt also durchaus auch positive Zeichen. Stocker: Zu konkreten Massnahmen gehören – neben den guten Worten – auch verbindliche Leitplanken, die von der Gesellschaft vereinbart werden und innerhalb derer sich die Wirtschaft frei entwickeln kann. Notwendig wäre eine Politik, die im Thema Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung die Partikularinteressen hinter langfristiges und überparteiliches Denken stellt. Die Volkswirtschaft: Herr Stocker, besten Dank für das Gespräch.
Gesprächsleitung und Redaktion: Geli Spescha, Chefredaktor «Die Volkswirtschaft» Abschrift: Simon Dällenbach, Redaktor «Die Volkswirtschaft»
Zitiervorschlag: Spescha, Geli (2009). Klimaveränderung und Post-Kyoto-Verhandlungen: Im Gespräch mit Thomas Stocker. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.