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Handelsbezogene Entwicklungszusammenarbeit und Welthandel

Die Öffnung der Märkte ist für den Export der Entwicklungsländer eine grosse Chance. Doch eine plötzliche Liberalisierung – beispielsweise im Anschluss an eine Verhandlungsrunde – erweist sich unter Umständen als Schock für die wirtschaftlich schwächsten Länder. Im Rahmen der Verhandlungen der Doha-Runde weisen verschiedene Anzeichen darauf hin, dass die Entwicklungsländer beträchtliche Anpassungskosten tragen müssen, die sich auf rund 1,5 Mrd. US-Dollar pro Jahr belaufen werden. Bei der Finanzierung dieser Anpassungskosten spielt auch die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit eine bedeutende Rolle. Der freie Zugang zu den internationalen Märkten ist lediglich eine Vorbedingung zur besseren Integration der Entwicklungsländer in den Welthandel.

Die Fähigkeit der Entwicklungsländer, aus ihrer Integration in das multilaterale Handelssystem den grösstmöglichen Nutzen zu ziehen, wird durch zahlreiche Einschränkungen auf der Angebotsseite beeinträchtigt. Dazu zählen eine beschränkte Produktionskapazität, eine unzureichend diversifizierte Palette der Exportprodukte und eine mangelhafte wirtschaftliche Infrastruktur. Zudem unterliegen die Waren und Dienstleistungen in den Importmärkten zahlreichen technischen Normen und nicht-kommerziellen Handelsbeschränkungen. Einige Exportländer haben Mühe, sich an diese Voraussetzungen anzupassen, was ihren Marktzutritt erschwert oder gar verunmöglicht. Vor diesem Hintergrund haben die WTO-Mitglieder an ihrer Ministerkonferenz in Hongkong 2005 die Initiative Aid for Trade lanciert, mit der den betreffenden Ländern geholfen werden soll, aus dem Handel einen grösseren Nutzen für ihre Entwicklung zu ziehen.

Wirtschaftliche Rechtfertigung


Die Existenzberechtigung der handelsbezogenen Entwicklungshilfe wird heutzutage nicht mehr bestritten. Doch das war nicht immer so. Früher wurde in der entsprechenden Debatte der Ökonomen in der Regel der Handel der Hilfe gegenübergestellt. Während die einseitige Senkung von Zöllen über eine Zunahme des Wettbewerbs zu Produktivitätsgewinnen in einem bestimmten Sektor führen kann, resultieren aus Hilfsmassnahmen in Form von finanzieller oder technischer Unterstützung andere wirtschaftliche Vorteile, die aber schwieriger zu messen sind. Studien zu den Auswirkungen der Entwicklungshilfe auf das Wachstum und Entwicklungsniveau gelangen jedoch nicht immer zum gleichen Ergebnis, da die Entwicklung auch durch andere Faktoren wie die Qualität und die Leistung der Institutionen beeinflusst wird. Unter Ökonomen besteht zunehmend Einigkeit darüber, dass sich handelspolitische Massnahmen und Entwicklungshilfe nicht konkurrenzieren, sondern gegenseitig ergänzen – eine ideale Verbindung, welche die Initiative der WTO rechtfertigen würde. Die kombinierten Auswirkungen der Entwicklungszusammenarbeit im Handelsbereich müssen noch verstärkt empirisch untermauert werden.

Die politische Dimension


Schon am G8-Gipfel in Gleneagles 2005 war Aid for Trade Gegenstand intensiver politischer Debatten. Die Teilnehmer verpflichteten sich, ihre Hilfe im Handelsbereich für die ärmsten Länder und Afrika zu verdoppeln. Die gleichen Verpflichtungen wurden von den Jahresversammlungen der Weltbank und des IWF eingegangen. Schliesslich wurde die Initiative Aid for Trade im Dezember 2005 in Hongkong offiziell verabschiedet. Die WTO-Mitglieder erteilten Generaldirektor Pascal Lamy den Auftrag, die Grundlagen und Modalitäten im Rahmen einer Task Force festzulegen. Die WTO übernahm die Leitung der Initiative und etablierte sich so als neuer Partner in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, obschon dies grundsätzlich nicht zu ihren Aufgaben gehört. Gleichzeitig erlaubt die Initiative eine Annäherung zwischen den Handels-, Entwicklungs- und Finanzministern, was den Dialog zwischen den für den Handel zentralen Ministerien verstärkte. Die zahlreichen Ankündigungen der G8 und der übrigen Geberländer waren aber auch politisch gefärbt. Gemäss den vorliegenden Zahlen sagten die EU 2 Mrd. Euro pro Jahr bis 2010, die USA 2,7 Mrd. US-Dollar bis 2010 und Japan 10 Mrd. US-Dollar zu. Es ist zwar schwierig, die Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen zu überprüfen und nachzurechnen. Doch aus neueren Daten der OECD geht hervor, dass der Anteil der handelsbezogenenen Entwicklungszusammenarbeit an der Gesamtsumme zugenommen hat. So stieg dieser Anteil 2005–2007 um 20% und im Jahr 2008 um 10%. Im Jahr 2008 wurden rund 57 Mrd. US-Dollar für die handelsbezogenene Entwicklungszusammenarbeit aufgewendet. Diese Dynamik wurde durch die Finanzkrise unter Umständen etwas abgeschwächt.

Die Modalitäten der Initiative


Im Juli 2006 legte die Task Force der WTO seinen Bericht vor, in dem die Ziele der Initiative, ihr Anwendungsbereich sowie die Rollen der institutionellen Akteure, der Geber- und der Empfängerländer festgelegt wurden. Die Task Force kam auch zum Schluss, dass zusätzliche, besser voraussehbare und nachhaltigere Finanzierungen erforderlich sind, um die mit der Initiative verbundenen Aufgaben zu erfüllen, und dass die Initiative gemäss den Grundsätzen der Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit gesteuert werden sollte. Vor diesem Hintergrund schlossen die WTO-Mitglieder die Möglichkeit aus, einen speziellen Finanzierungsmechanismus für die handelsbezogenene Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen, und empfahlen die Nutzung von bestehenden multi- und bilateralen Finanzierungskanälen. Der Anwendungsbereich umfasst fünf hauptsächliche Unterstützungskategorien:– Ausbau der Kapazitäten im Bereich der Handelspolitik;– Unterstützung des Privatsektors;– Ausbau der Produktionskapazitäten;– Entwicklung der Handelsinfrastruktur;– Anpassungskosten im Zusammenhang mit der Liberalisierung und den Reformen.Auf der Basis ihrer periodischen Länderexamen kann die WTO im Rahmen ihrer politischen Debatten die Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger auf die Aid-for Trade-Initiative lenken. Die OECD erhebt ihrerseits statistische Daten zu den Geldern, die für die fünf oben erwähnten Kategorien eingesetzt werden. Die Geberländer schliesslich verpflichten sich, zusätzliche Hilfe zu leisten und Informationen über die lancierten Aktionen zu liefern, während sich die Empfängerländer verpflichten, den Handel in ihre Entwicklungsstrategien zu integrieren und ihre Prioritäten aufzuzeigen. So sollen gemäss dem geflügelten Wort «What gets measured, grows» (Was gemessen wird, gedeiht) mit dem von der Initiative beabsichtigten Scheinwerfereffekt die Investitionen für den Handel gefördert werden.

Risiken und Probleme


Vielfach wird der Vorwurf erhoben, die Aid-for-Trade-Initiative sei zu eng mit der Doha-Runde verbunden und sie sei eines der Ziele dieser Verhandlungen. In Wirklichkeit erfüllt die Doha-Runde ihre Zusagen nur, wenn den Entwicklungsländern ein besserer Zugang zu den Märkten der Industrieländer und der grossen Schwellenländer gewährt wird. Ausserdem müssen sich die Entwicklungsländer zu einem Liberalisierungsprozess und zu internen Reformen verpflichten, wenn sie von der Marktöffnung profitieren wollen. Die handelsbezogene Entwicklungshilfe ist somit ein Beitrag der internationalen Gemeinschaft, um solche Anstrengungen von Entwicklungsländern zu unterstützen und zu ergänzen.Die Initiative hat hingegen auch gewisse Probleme zur Folge: Erstens ist nicht gewährleistet, dass die mit der handelsbezogenen Entwicklungshilfe verbundenen Finanzströme zusätzliche Mittel darstellen. Es besteht somit die Gefahr, dass eine Verschiebung der bestehenden Finanzhilfen von den traditionellen Bereichen (Gesundheit, Sozialbereich, Bildung) zum Handelsbereich und zu den Infrastrukturen erfolgt.Zweitens nimmt die Initiative zwar auf die Grundsätze der OECD-Paris-Erklärung Bezug, die darauf ausgerichtet ist, die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen, die Interventionen der Geberländer besser zu koordinieren und deren Beiträge auf die von den Empfängerländern festgelegten Prioritäten abzustimmen. Doch im Rahmen der Initiative wurde kein Koordinationsmechanismus vorgesehen. Die 49 ärmsten Entwicklungsländer verfügen zwar über Koordinationsstrukturen, die im Integrated Framework – einem mit dem Handel zusammenhängenden technischen Unterstützungsprogramm – schrittweise aufgebaut werden. In den anderen Ländern mit niedrigem Einkommensniveau besteht jedoch kein formeller Mechanismus, so dass die Koordination der Geberländer nur von deren gutem Willen abhängt.Drittens stellt sich mit der schleichenden Übernahme von Entwicklungsaufgaben durch die WTO auch ein systemisches Problem, das mit der Initiative selbst nicht geklärt werden kann. Bei einem Misserfolg könnte gar das Ansehen der WTO in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Absicht, die WTO mit der Koordination und der Überwachung der Initiative zu betrauen, hängt hauptsächlich mit dem Vertrauen der Entwicklungsländer in diese Organisation zusammen. In der WTO hat jeder Staat eine Stimme und verfügt so über eine demokratische Legitimität, welche etwa die Bretton-Woods-Institutionen nicht für sich in Anspruch nehmen können.Schliesslich können über die Wirksamkeit der Initiative noch keine abschliessenden Aussagen gemacht werden. Sie hängt von einem effizienten System zur Kontrolle und Bewertung der Interventionen vor Ort ab, das noch weitgehend festgelegt werden muss und dem schleppenden Vorankommen sowie den unvorhersehbaren Entwicklungen der multilateralen Verhandlungen ausgesetzt ist. Bezüglich Realisierung dieses Systems wurden weder feste Verpflichtungen eingegangen noch ein verbindlicher Zeitplan festgelegt. Wichtig ist jedoch, dass auch die Empfängerländer ihre Eigenverantwortung übernehmen.

Die Umsetzung


Die finanziellen Verpflichtungen für Aid for Trade nehmen laufend zu. Daneben sind auch die Auszahlungen zu berücksichtigen, d.h. die konkreten Überweisungen von Mitteln für die Realisierung von Projekten vor Ort. Gemäss OECD lag die Auszahlungsrate im Jahr 2008 bei sehr hohen 90%. Es ist indessen weiterhin Vorsicht angezeigt, zumal die Initiative ihr Potenzial bei weitem noch nicht entfaltet hat und die Handelsleistung und die Wettbewerbsfähigkeit der Entwicklungsländer nachhaltig verbessern wird. Die ersten konkreten Beispiele für die Umsetzung der Initiative liegen bereits vor. Dazu gehören der Nord-Süd-Transportkorridor im südlichen Afrika, das regionale Kooperationsprogramm im Mekong-Delta und das «Global Trade Liquidity Program». Bei letzterem handelt es sich um einen Mechanismus für die Handelsfinanzierung mit einem Volumen von 50 Mrd. US-Dollar, der vor kurzem unter der Leitung der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank lanciert wurde.

Engagement der Schweiz


Die Schweiz als Handelsnation und Sitzstaat verschiedener wichtiger Handelsorganisationen setzt sich gezielt für eine bessere Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt ein und unterstützte die Aid-for-Trade-Initiative seit Beginn aktiv. Dabei konzentriert sie sich vor allem auf die Unterstützung von Massnahmen der technischen Assistenz in den beiden Bereichen Handelspolitik und Regulierungsfragen sowie Export-/Privatsektor-Förderung. Die Schweiz ist in diesen beiden Bereichen einer der wichtigsten Geber.Die Unterstützung erfolgt im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) durch die Handels- und Privatsektor-Förderung. Dabei werden die Partnerländer beim Aufbau von handelsfördernden und investitionsfreundlichen Rahmenbedingungen und der Formulierung entsprechender Politiken unterstützt. Das Seco fördert die Stärkung von lokalen Institutionen, die Export-Know-how an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vermitteln, und bietet technische Assistenz bei der Vermittlung von Wissen zu technischen Qualitätsanforderungen von Produkten oder bei der Einführung von umwelt- und sozialverträglichen Produktionsweisen. Diese Massnahmen werden ergänzt durch Programme im Finanzsektor, wo einerseits lokale Banken über die Bereitstellung von Garantien bei der Gewährung von Handelskrediten an KMU unterstützt werden. Andererseits werden über die Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Finanzintermediären der Zugang für KMU zu langfristigen Krediten oder Kapitalbeteiligungen ermöglicht, damit Investitionen getätigt werden können. Abgeschlossen werden diese Massnahmen mittels Zugangserleichterungen zum schweizerischen und europäischen Markt. Hierbei gewährt die Schweiz Waren aus Entwicklungsländern vergünstigte Zölle. Die ärmsten Länder können ihre Waren zoll- und kontingentsfrei in die Schweiz exportieren können. Ferner werden KMU aus Entwicklungsländern bei ihrem Messeauftritt und bei der Vermittlung von Importeuren durch das Swiss Import Promotion Programme (Sippo) unterstützt.Sämtliche Massnahmen werden bilateral mit ausgewiesenen Experten, spezialisierten Nichtregierungsorganisationen oder in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen – wie dem internationalen Handelszentrum in Genf, der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (Unido), der internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Weltbank und der International Finance Corporation (IFC) – umgesetzt. Hauptzielländer dieser Zusammenarbeit sind die sieben Partnerländer des Seco: Peru, Kolumbien, Ägypten, Ghana, Südafrika, Vietnam und Indonesien. Zudem werden komplementäre Seco-Programme in ausgewählten Partnerländern der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) umgesetzt. Das jährliche Budget beträgt rund 70 Mio. Franken.

Fazit


Die handelsbezogenene Entwicklungszusammenarbeit ist heute ein integrierender Bestandteil der politischen Agenda der Entwicklungszusammenarbeit. Der Scheinwerfereffekt des Kontrollmechanismus funktioniert gut: Sie nimmt kontinuierlich zu. Die handelsbezogenene Entwicklungszusammenarbeit ist schliesslich eine zentrale Herausforderung für den Welthandel und eine unerlässliche Ergänzung der Doha-Runde. Die Empfängerländer integrieren die Handelsfragen zunehmend in ihre Entwicklungsstrategien und werden sich bewusst, dass sie einen wichtigen Beitrag zum Wachstum und zur Verringerung der Armut leistet. Doch unabhängig davon, ob die handelsbezogenene Entwicklungszusammenarbeit entsprechend den modernsten Erkenntnissen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ausgestaltet wird: Ihr Erfolg hängt letztlich – wie bei den Millennium-Entwicklungszielen – davon ab, dass einerseits die Geber ihre Verpflichtungen und andererseits die Empfänger ihre Engagements einhalten.

Grafik 1 «Wachstumsprojektion der Handelshilfe»

Kasten 1: InternetWeitere Informationen zum Thema sind zu finden auf der Homepage des Seco unter: www.seco-http://cooperation.admin.ch, Rubriken «Themen», «Handelsförderung».

Kasten 2: Literatur− Adam, Ch. S., O’Connell, S. A.: Aid versus Trade Revisited. WPS 2000-19.− IMF/World Bank: Doha Development Agenda and Aid for Trade: Development Committee Paper. 8. August 2006.− Njinkeu, D., Cameron, H. (Hrsg.): Aid for Trade and Development. Cambridge University Press 2008.− OECD: Aid for Trade: Making It Effective. Paris, 2006.− OECD: Aid for Trade: Support for an Expanding Agenda. Paris, 8. März 2006. COM/DCD/TD(2006)2.− OECD: Effective Aid for Trade Partnerships: Local Accountability and Global Review. Paris, 1. Juni 2006. COM/DCD/TD/(2006)4/REV1.− OECD/WTO: Aid for Trade At A Glance 2007: 1st Global Review. Geneva, Paris, 2007.− OECD: Aid for Trade At A Glance 2009: Maintaining Momentum. Geneva, Paris, 2009.− WTO Aid for Trade Task Force. Recommendations of the Aid for Trade Task Force. 27 Juli 2006.

Zitiervorschlag: Hans-Peter Egler, Darius Kurek, (2010). Handelsbezogene Entwicklungszusammenarbeit und Welthandel. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.