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Materielle Steuerharmonisierung: Fluch oder Segen? Ein Streitgespräch

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Die Diskussion um Fluch oder Segen des Steuerwettbewerbs ist ein Dauerbrenner. Während die einen im Steuerwettbewerb ein zentrales Element des Föderalismus sowie eine innovative und wohlfahrtsvermehrende Kraft sehen, beurteilen andere ihn als Quelle von Ungerechtigkeiten und verschiedenster Ineffizienzen. Im nachfolgenden Gespräch debattieren Gerold Bührer, Präsident Economiesuisse, als Verfechter sowie Daniel Lampart, Chefökonom Schweiz. Gewerkschaftsbund, als Kritiker des Steuerwettbewerbs. Die Diskussion findet im Kontext mit der von der Sozialdemokratischen Partei eingereichten Volksinitiative für «Faire Steuern» statt.

Die Volkswirtschaft: Die von der SP eingereichte Eidgenössische Volksinitiative für «Faire Steuern» sieht einen Mindeststeuersatz von 22% für zu versteuernde Einkommen über 250 000 Franken und von 5‰ für zu versteuernde Vermögen über 2 Mio. Franken vor. Wie werten Sie – auf den kurzen Nenner gebracht – die Wirkungen dieser Initiative?Bührer: Sie sind in dreifacher Hinsicht negativ: erstens, weil die im Föderalismus inhärente finanzpolitische Verantwortlichkeit auf Kantonsebene geschwächt wird. Zweitens, weil der Hang zu Ausgabenwachstum gefördert und letztlich die steuerliche Attraktivität der Schweiz über kurz oder lang geschmälert wird. Und drittens, weil die Standortattraktivität der Schweiz geschwächt wird.Lampart: Ich begrüsse die Initiative. Sie verhindert, dass die Steuern für hohe Einkommen blind gesenkt werden, und macht den Blick frei für das, was wirtschaftspolitisch relevant ist. Es gibt heute eine Ungerechtigkeitstendenz, dass jene, die Steuern bezahlen können, entlastet werden und jene, die schon Mühe haben, mit ihrem bescheidenen Einkommen zu leben, sich noch stärker an den Staatsfinanzen beteiligen müssen. Diese Tendenz bekämpft die Initiative.Bührer: Wenn dem so wäre, dass in den Kantonen, die heute steuerlich attraktiv sind, mittlere und untere Einkommen stärker belastet würden, müsste ich in der Tat über die Bücher gehen. Denn Steuerpolitik muss der allgemeinen Wohlfahrt dienlich sein. Gerade die Entwicklung in diesen Kantonen zeigt, dass auch die mittleren und unteren Einkommen entlastet worden sind. Die Volkswirtschaft: Herr Lampart, was läuft heute aus Ihrer Sicht in der Steuerpolitik falsch?Lampart: Negativ ist, dass die direkten Steuern gesunken und die indirekten Steuern angestiegen sind. Mit dieser Entwicklung verbunden ist die Tendenz hin zur individuellen Finanzierung von öffentlichen Leistungen. Beispiel dafür sind die Krankenkassenprämien, die heute gerade für mittlere Einkommen eine riesige Belastung der Haushalte sind. Bei dieser Gesamtschau fällt die Bilanz der Steuerpolitik deutlich weniger positiv aus: Hohe Einkommensschichten haben profitiert, während mittlere und tiefe Einkommen zusätzlich belastet wurden.Bührer: Der Anteil der direkten Steuern, den die Schweiz hat, ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Deshalb bestreite ich die Kritik von Herrn Lampart. Ein klares Indiz für die positive Entwicklung, welche die Steuerinnovation in der Schweiz gehabt hat, ist: Ende der 1960er-Jahre war die Innerschweiz – zusammen mit dem Jura – das Armenhaus der Schweiz. Wir alle wissen, was dank Steuerinnovation aus der Innerschweiz geworden ist.Lampart: Die Entwicklung der kleinen Kantone in der Innerschweiz belegt nur, dass man mit wenig eigener Wirtschaftsleistung von den Zentren profitieren kann. Bei attraktiven Steuern für hohe Einkommen wurden Reiche angezogen. Der Fluch ist, dass jene Kantone, die Wertschöpfung generieren, mehr und mehr unter Druck kommen. Das Beispiel des Kantons Luzern ist augenfällig: Die Produktivität ist im Schweizer Quervergleich tief. Doch politisch reiht sich eine Steuerreform an die andere, statt dass in den Standort investiert wird, beispielsweise in eine Fachhochschule für Versicherungswirtschaft. Der Kanton wird damit punkto Wertschöpfung weiter an Terrain verlieren. Am Schluss nützt das niemandem: Wenn kein Geld erwirtschaftet wird, haben auch die Nidwaldner keine Steuereinnahmen mehr.Bührer: Die Entwicklung im Kanton Schaffhausen widerlegt Ihre These. Ich war in den 1980er-Jahren dort in der Politik tätig und habe mich als Grossrat stark für eine neue Steuerpolitik engagiert. Dank des Wettbewerbsdrucks musste Schaffhausen Strukturreformen an die Hand nehmen und eine Ausgabenprüfung durchführen. Diese Reformen haben dazu gedient, neue Unternehmen anzusiedeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Wertschöpfungskraft des Kantons ist gestärkt worden, dank des Zwangs, sich steuerlich zu verbessern. Heute ist Schaffhausen steuerlich fast gleich gut positioniert wie der Kanton Zürich.Die Volkswirtschaft: Das sind doch eindrückliche Beweise für den Steuerwettbewerb, Herr Lampart, oder?Lampart: Das Problem ist, dass der Steuerwettbewerb in der Schweiz gar nicht funktioniert, weil jeder und jede sich bei uns frei bewegen kann. Wenn jemand im Kanton Obwalden ansässig ist, kann er nach Zürich oder Luzern gehen und dort von allen öffentlichen Dienstleistungen profitieren. Steuerwettbewerb würde streng genommen nur dann funktionieren, wenn das Verbraucherprinzip gelten würde, d.h. wenn alle nur das bekommen, wofür sie zahlen. Das können und wollen wir nicht. Ausgehend von der Zentralschweiz hatten wir in den letzten Jahren eine Intensivierung dieser Steuerschraube. Mit der Wirtschaftskrise kommen jetzt die Defizite zum Vorschein. Wenn man die Unternehmen fragt, sind nicht die Steuern das Problem, sondern der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Nachhaltige Besserung verlangt Investitionen in Bildung. Ein zweiter Schwachpunkt ist in der Schweiz die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Neben Krankenkasse und Wohnung ist die familienexterne Kinderbetreuung der grosse Ausgabenposten, welcher gerade Mittelschichtfamilien belastet. Wer dort Steuersenkungen gewährt, wo genügend Geld vorhanden ist, das nicht gebraucht wird − nämlich bei den oberen Einkommen −, macht einen Riesenfehler. Vielmehr sollten wir zu den Leuten Sorge tragen, welche die Wirtschaft dringend braucht.Bührer: Ich möchte es nochmals betonen: Mein Ziel war und ist es, den Steuertarif über alle Einkommensklassen zu senken. Deshalb war ich auch nie ein Befürworter einer reinen proportionalen Besteuerung und habe mich für eine Zweistufenbesteuerung, also eine «Flat Rate Tax Minus», engagiert, die in Schaffhausen auch eingeführt wurde. Damit verbunden ist ein tieferer Satz für die unteren Einkommen und ein proportional höherer Satz für die höheren Einkommen. Dieses System hat damals selbst in unserem Kanton die Linke unterstützt. Es hat sich bewährt und zu einer Vereinfachung des Steuersystems geführt. Schaffhausen hat Jahre mit Überschüssen hinter sich; jetzt wird wegen der Rezession einmal ein Fehlbetrag herauskommen, der jedoch niedrig ist und daher nicht dramatisiert werden darf.Die Volkswirtschaft: Wie sehr handelt es sich Ihrer Meinung nach bei den Postulaten «Steuergerechtigkeit» und «Standortattraktivität» um gegensätzliche Ziele?Bührer: In der Steuerpolitik braucht es eine Optimierung von drei Zielsetzungen: Erstens sind Wohlfahrt und Wachstum nur möglich, wenn das Steuersystem attraktiv ist. Zweitens muss das System gerecht sein und drittens administrativ keine unnötigen Kosten verursachen. Ich stehe dazu, dass eine gewisse Progression aus Gerechtigkeitsgründen akzeptabel ist, was der Zweistufentarif bei der Einkommenssteuer bestens erfüllt.Lampart: Auch ich empfinde die beiden Postulate nicht als Gegensatz, schon gar nicht unter den Verhältnissen, wie wir sie haben. Bezüglich Steuerbelastung ist unser Land Spitze. Deshalb gilt auch: Jeder Franken, den wir zur steuerlichen Entlastung ausgeben, ist zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Der Staat braucht Geld für Investitionen in jenen Bereichen, wo wir Probleme haben: bei der Bildung und bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Umso bedauerlicher, dass bis heute keine Kantonsregierung sauber evaluiert hat, was die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Steuersenkung sind, verglichen mit anderen wachstumsfördernden Massnahmen wie die beiden erwähnten. Bührer: Bildung, Infrastruktur und Gesundheit sind zweifellos wichtige Pfeiler einer Volkswirtschaft. Hochsteuerländer wie Deutschland zeigen, wie alle Bereiche des öffentlichen Lebens unter einer falschen Steuerpolitik leiden. Umgekehrt ist es offensichtlich, dass mit einer attraktiven Steuerpolitik, wie bei uns, hervorragende Leistungen im infrastrukturellen Bereich finanziert werden können. Wenn wir dem nicht Sorge getragen und die Steuern auch nach oben gefahren hätten, wäre das Niveau des Service public, wie wir es heute haben, nicht möglich gewesen.Lampart: Wir reden ja nicht von einer Erhöhung der Steuern in Richtung Deutschland, sondern von einer Harmonisierung. Und da besteht kein Handlungsbedarf. Wenn wir Geld für Steuersenkungen ausgeben, machen wir etwas Unnötiges, weil wir ohnehin schon tief sind. Der Kanton Schwyz hat etwa die Steuern massiv gesenkt, ohne damit entsprechend Arbeitsplätze zu schaffen. Der Zuzug von Personen mit hohen Einkommen und Vermögen, der damit bewirkt wurde, hat hingegen die Bodenpreise steigen lassen und die einheimische Bevölkerung verdrängt. Der Kanton Zürich erhöht die Fachhochschulgebühren und will gleichzeitig die Steuern der obersten Einkommen senken. Das sind die Fakten, Herr Bührer. Ich frage Sie: Warum wollen Sie weiter Geld für etwas ausgeben, wo die Schweiz jetzt schon gut bis sehr gut dasteht?Bührer: Ich bekämpfe die Initiative, weil sie dazu führen würde, dass sich das allgemeine Steuerniveau erhöht. Das wäre für unser Land sehr schlecht. Die Schweiz muss als Hochkostenland in Sachen Forschung und Innovation, aber auch in Bezug auf Steuern Spitze sein. Die Steuerinnovationen der letzten Jahre sind aus dem Wettbewerb unter den Kantonen entstanden. Wenn wir diesen mit der Initiative einengen, wird die Innovationskraft gelähmt. Lampart: Man muss die Innovation dorthin lenken, wo sie sinnvoll ist. Das ist nicht der Fall, wenn etwa der Kanton Luzern, der in Bezug auf die Steuern für juristische Personen bereits gut dasteht, sich nun zum Ziel setzt, es mit der Steuergesetzrevision 2011 auf Platz 1 zu schaffen. Das ist ein Unsinn sondergleichen, der viel Geld kostet und kaum zu Ansiedelungen von Unternehmen führen wird. Dank der Initiative könnten die Kantone auf den blinden Steuersenkungswettlauf verzichten und in sinnvollen Bereichen innovativ werden.Die Volkswirtschaft: Kritiker des Steuerwettbewerbs verwenden gerne das Bild vom «Race to the bottom» bzw. vom «Abwärts-Wettlauf», der durch den Wettbewerb ausgelöst werde. Herr Lampart, wie erklären Sie dann, dass die Fiskalquote (inkl. Sozialversicherungsbeiträge) steigt?Lampart: Economiesuisse vergleicht die Steuern mit dem Bruttoinlandprodukt (BIP) − das ist schon fast abenteuerlich. Wenn wir die Fakten sprechen lassen, werden die Reichen entlastet und mittlere und untere Einkommen stärker belastet; mit der Abnahme der direkten und der Zunahme der indirekten Steuern, aber auch mit der Abschaffung der Erbschaftssteuer sind die Steuern für die Reichen massiv gesunken. Dadurch ging dem Staat eine halbe Milliarde Einnahmen verloren.Bührer: Gegenüber der Kenngrösse BIP sind seit 1970 die Unternehmenssteuern am stärksten gestiegen. Die Einkommenssteuern für natürliche Personen haben in diesem Zeitraum gegenüber dem Haushaltseinkommen massiv zugenommen. Die Erklärung liegt auf der Hand: Es ist der positive Effekt einer attraktiven Steuerpolitik, die durch den Zuzug von sehr gut verdienenden ausländischen Personen und einer gut laufenden Wirtschaft begünstigt wurde. Ausdruck dieser Entwicklung ist die starke Ansiedelung von Headquarters und Verwaltungsgesellschaften vor allem bei den Finanzdienstleistungen, aber auch in den Bereichen Forschung und Innovation.Die Volkswirtschaft: Vom «Race to the bottom» ist häufig auch die Rede im Kontext mit der Abschaffung der Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen. Wie beurteilen Sie diese Abschaffung?Bührer: Ich habe seinerzeit im Kanton Schaffhausen dafür gekämpft, dass die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen beseitigt wird. Die Zustimmung betrug etwa 60%. Scheinbar konnten wir also über die bürgerlichen Kreise hinaus auch einen Teil der Linken überzeugen. Die Überlegung dahinter war, dass die Schweiz ja bereits eine Vermögenssteuer kennt, im Gegensatz zu anderen Ländern wie etwa Deutschland, wo statt der Vermögens- eine Erbschaftssteuer besteht. Ich finde, beides zu haben ist zu viel. Denn die Einkommen werden ja bereits einmal besteuert, dann nochmals – wenn auch geringfügig – als Vermögen. Uns ging es darum, nur die direkten Nachkommen von der Erbschaftssteuer auszunehmen. Der Hintergrund ist, dass das Gros der kleinen und viele mittlere Unternehmen noch immer Familienunternehmen sind. Für Unternehmen mit viel Substanz an Gebäuden und Maschinen kann die Erbschaftssteuer bei der Übergabe zum Problem werden. In Deutschland hat selbst die rot-schwarze Regierung Erleichterungen bei der Betriebsübergabe in der Erbschaftssteuer beschlossen. Wir wollten dies vor allem im Interesse der Arbeitsplätze begünstigen, und es hat sich, glaube ich, gelohnt. Es war auch der Ausdruck einer an Selbstverantwortung orientierten Familienpolitik, nämlich dass in der Familie etwas für Krisenzeiten und für die Weitergabe an die nächste Generation gespart wird.Lampart: Die Abschaffung der Erbschaftssteuern war ein Riesenfehler. Es braucht jetzt eine nationale Erbschaftssteuer. Es kann nicht sein, dass Leute, die mit dem goldenen Löffel im Mund geboren sind, viel bessere Möglichkeiten haben als solche, die in eine weniger wohlhabende Familie geboren werden. Die Erbschaftssteuer wäre eine Möglichkeit, wenigstens ein bisschen Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu schaffen. Volkswirtschaftlich gesehen ist es auch aus einem anderen Grund ein Unsinn: Wir werden alle gerne älter. Aber dadurch verschiebt sich der Erbkreislauf immer mehr nach hinten; die Erben sind meist über 50 Jahre alt. Diejenigen, die in der Existenzgründungsphase stecken, sind davon ausgeschlossen. Es braucht also eine Harmonisierung oder eine nationale Lösung bei der Erbschaftssteuer. Eine mögliche Lösung wäre eine Lenkungsabgabe, d.h. eine Rückerstattung pro Kopf. Eine Familie hätte dann rund 1000 Franken mehr pro Jahr zum Leben. Dafür könnte man Mehrheiten finden.Bührer: Dem Vorschlag einer Bundeserbschaftssteuer sehe ich sehr gelassen entgegen. Im Parlament wurden immer wieder solche Vorstösse lanciert, und die hatten nie den Hauch einer Chance. Der Vorschlag dürfte bei den Stimmberechtigten ohnehin keine Chance haben. Es gibt eine breite Front von Vertretern der kantonalen Steuerhoheit und von solchen, die prinzipiell gegen Steuererhöhungen sind. Die Volkswirtschaft: Der Steuerwettbewerb führt zu einer Verschiebung der Steuerlast auf immobile Faktoren. Finden Sie das richtig? Und wenn ja, würden Sie eine stärkere Belastung von Wohneigentum befürworten?Lampart: Das kann man diskutieren. Ich sehe zwei Punkte, die wir im Auge behalten müssen. Erstens: Wir haben in den letzten Jahren starke Boden- und Immobilienpreissteigerungen gehabt. Das ist aus volkswirtschaftlicher Sicht störend, weil das Erträge sind, die anfallen, ohne dass jemand etwas dafür tun muss. Wir haben zwar Grundstücksgewinnsteuern, die aber noch zu tief sind, um diese Spirale zu dämpfen. Das Zweite ist die steigende Wohneigentumsquote. In manchen Städten sind ganze Mikrokosmen von Eigentumswohnungen entstanden. Sollten wir in Zukunft städteplanerisch grössere Würfe wagen, engt die hohe Quote den städteplanerischen Handlungsspielraum enorm ein, hätten wir doch dann mit Interessen von Tausenden von Kleineigentümern zu tun. Diese Argumente würden dafür sprechen, das Wohneigentum stärker zu besteuern. Die Tendenz geht jedoch in die andere Richtung: Bundesrat Merz will ja trotz Systemwechsel einen weiteren Abzug auf den Hypothekarzinsen insbesondere für Eigentümer mit hohem Einkommen und Vermögen gewähren. Da machen wir nicht mit.Bührer: Störend ist immer noch die Handänderungsabgabe, die ja steuersystematisch falsch ist. Wenn man Kantone mit deutlichen Erhöhungen der Eigenmietwerte ausnimmt, sehe ich bei der Besteuerung des selbst genutzten Wohneigentums keine massive Verschlechterung in den letzten Jahren. Über einen Systemwechsel zu diskutieren, ist allerdings richtig. Wobei klar ist, dass, wenn der Eigenmietwert nicht mehr als Steuertatbestand erhoben wird, auch nicht mehr die gleichen Abzüge zu gewähren sind. Ich bin im Fall eines Systemwechsels aber dafür, einen zeitlich befristeten Anreiz für den Wohnungsersterwerb zu schaffen. Die Volkswirtschaft: Wie beurteilen Sie die Pauschalbesteuerung reicher Ausländer?Bührer: Ich war nie ein Protagonist der Pauschalbesteuerung. Als Föderalist bin ich der Meinung, man sollte diese Frage den Stimmberechtigten in den Kantonen überlassen. Zürich hat es jetzt ja abgelehnt; andere Kantone werden es wahrscheinlich nicht tun. Vom Steuergerechtigkeitskriterium her steht diese Art der Besteuerung quer in der Landschaft. Das einzige Argument, für das ich Verständnis habe, ist, dass gewisse Länder in Europa ähnliche Steueranreize für nicht erwerbstätige Ausländer kennen. Europaweit ein «Level Playing Field» zu finden, dürfte schwierig sein. Lampart: Die Pauschalbesteuerung widerspricht dem verfassungsmässigen Grundsatz der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Etliche pauschal Besteuerte müssten wohl bei regulärer Besteuerung fünfmal höhere Steuer zahlen.Die Volkswirtschaft: Meine Herren, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Kasten 1: Steuerlandschaft Schweiz: Grüne WieseDie Volkswirtschaft: Wenn Sie heute «Grüne Wiese» hätten, wie würden Sie die «Steuerlandschaft Schweiz» gestalten?Lampart: Steuern senken müssen wir in der Schweiz keine − da sind wir top. Aber es gibt Lücken im Steuersystem: Wir haben keine Kapitalgewinnsteuer. Für mich ist klar, dass ein Steuersystem progressiv gestaltet sein muss, so dass Leute, die Steuern zahlen können, sie auch wirklich zahlen müssen. Es braucht eine Abkehr von indirekten Steuern und eine Verlagerung hin zu direkten Steuern, damit das Steueraufkommen dort anfällt, wo es erbracht werden kann. Bei den Unternehmen darf die Schweiz im europäischen Vergleich nicht sehr hohe Steuern haben; dieses Problem haben wir aber nicht. Dem Steuerföderalismus muss über die SP-Initiative Grenzen gesetzt werden. Und mindestens das Existenzminimum muss steuerfrei sein. Bührer: Wir müssen stets schauen, dass wir im internationalen Vergleich steuerattraktiv bleiben. Das gilt sowohl für die Unternehmen wie auch für die natürlichen Personen. Die Unternehmenssteuerreform III darf daher nicht hinaus geschoben werden. Für natürliche Personen bin ich ein klarer Verfechter einer «Flat Rate Tax Minus», also eines Zweistufentarifs. Wichtig ist auch die Einfachheit der Steuererhebung. Da sind wir zwar immer noch viel besser als viele Länder um uns herum. Doch es ist ganz wichtig, dass Kleinunternehmer, aber auch die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, die Steuererklärung selbst auszufüllen. Bei der Mehrwertsteuer bin ich klar der Meinung, dass, nach den beschlossenen Vereinfachungen im Parlament, der Einheitssteuersatz als wichtige Reform angestrebt werden sollte. Ein weiterer Punkt sind die Transaktionsabgaben, die steuersystematisch noch quer in der Landschaft liegen. Hier besteht auch noch Handlungsbedarf.Lampart: Der Einheitssatz in der Mehrwertsteuer steht für uns gar nicht zur Diskussion. Das führt nur zu einer Verlagerung der Steuerlast in Bereiche, wo wir bereits öffentliche Dienste haben. Irgendwer bezahlt dann doppelt; oder es wird an einem Ort bezahlt, wo das Problem nicht ist. Tiefere Einkommen werden dann eher stärker belastet als höhere. Das Volk müsste diesem Einheitssatz zustimmen, was es wohl aus Eigeninteresse nicht tun wird.

Zitiervorschlag: Spescha, Geli (2010). Materielle Steuerharmonisierung: Fluch oder Segen? Ein Streitgespräch. Die Volkswirtschaft, 01. März.