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Die Revision des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen aus Sicht der Schweiz

Die Revision des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen aus Sicht der Schweiz

Die Revision des plurilateralen WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (ÜoeB) vom 15. April 1994 ist von weitreichender Bedeutung. Das ÜoeB deckt rund 80% des weltweiten öffentlichen Beschaffungswesens ab. Sein Geltungsbereich geht indes über die Grenzen der angeschlossenen Staaten hinaus. Es ist richtungsweisend für künftige Beitritte und stellt eine Referenzübereinkunft für Freihandelsabkommen (FHA) mit Drittstaaten dar. Die OECD hat das weltweite Volumen des öffentlichen Beschaffungswesens auf 2000 Mrd. US-Dollar geschätzt; davon entfallen 1795 Mrd. auf die OECD-Länder. In der Schweiz wird das entsprechende Volumen auf 36 Mrd. Franken geschätzt, was rund 25% der öffentlichen Ausgaben entspricht. Davon entfallen 19% auf den Bund, 38% auf die Kantone und 43% auf die Gemeinden.

Der Auftrag und die Zielsetzungen der Revision des ÜoeB sind in Absatz 7 (Buchstaben b und c) von Artikel XXIV («Schlussbestimmungen») festgehalten.
Der Text des ÜoeB steht auf der Website der WTO (http://www.wto.org, Rubriken «Trade topics», «Government procurement», «Agreement on Government Procurement (GPA)») und auf der Website der Bundeskanzlei zur Verfügung (http://www.admin.ch, Rubriken «Dokumentation», «Systematische Sammlung», «0.632.231.422», «Übereinkommen vom 15. April 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen»). Die Vertragsparteien werden aufgefordert, drei Jahre nach dem Inkrafttreten des ÜoeB am 1. Januar 1996 weitere Verhandlungen mit dem Ziel zu führen, das Übereinkommen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit zu verbessern und dessen Geltungsbereich so weit wie möglich auszudehnen. Die Vertragsparteien haben sich verpflichtet, die Einführung und Verlängerung von diskriminierenden Massnahmen oder Praktiken, welche offene Beschaffungsverfahren verzerren, zu vermeiden sowie die bestehenden zu eliminieren. Auf der Grundlage der Verhandlungsmodalitäten, die in den Jahren 2004 und 2005 von den Signatarstaaten des ÜoeB verabschiedet worden sind, werden die Verhandlungen innerhalb des WTO-Ausschusses für öffentliches Beschaffungswesen geführt.
Entscheidungen «Modalities for the negotiations on extension of coverage and elimination of discriminatory measures and practices» (Modalitäten der Verhandlungen über die Erweiterung des Geltungsbereichs des Übereinkommens und die Beseitigung von diskriminierenden Massnahmen und Praktiken) vom 16. Juli 2004 [GPA/79] und vom 21. Juli 2005 [GPA/79/Add1]. Die Schweiz hält seit 2007 in diesem Ausschuss den Vorsitz inne.
Die Mitgliedstaaten des ÜoeB übertrugen den Vorsitz an Nicholas Niggli, Mitarbeiter der Ständigen Mission der Schweiz bei der WTO und Efta (ECE/UNO, Unctad, ITC) in Genf.Die Revisionsverhandlungen beziehen sich auf vier zusammenhängende Bereiche, die sich gegenseitig stärken oder schwächen können:– die Ausweitung der geografischen Abdeckung;– die Verbesserung des Texts des ÜoeB (1994);– die Erweiterung des Marktzugangs;– die Beseitigung von individuellen diskriminierenden Massnahmen pro Land.Durch die Zunahme von Volumen und Komplexität des öffentlichen Beschaffungswesens sowie die Einführung der elektronischen Verwaltung war ein Regelungsbedarf entstanden, der vom ÜoeB (1994) nicht abgedeckt war. Die EU revidierte in der Folge ihre Richtlinien zum öffentlichen Beschaffungswesen, die am 31. März 2004 verabschiedet wurden. Diese Richtlinien waren für die Revision des ÜoeB wegweisend.
Siehe http://ec.europa.eu/internal_market/ index.htm, Rubriken «Unternehmensumfeld», «Öffentliche Aufträge», «Gesetzgebung zur öffentlichen Auftragsvergabe». Die Schweiz unterstützt die Revision des ÜoeB vorbehaltlos und hat Lösungsvorschläge unterbreitet, mit denen die Kohärenz zwischen den erwähnten Bereichen gewährleistet werden kann. Die technische Vorbereitung der Position der Schweiz erfolgt im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im Rahmen einer Verhandlungsgruppe, die sich aus Vertretern der Kantone, der Bundesverwaltung und verschiedener Ressorts zusammensetzt. Die Schwerpunkte der Schweiz werden von der Kommission für das Beschaffungswesen Bund-Kantone (KBBK) geprüft. Diese wurde geschaffen, um eine kohärente Umsetzung der Verpflichtungen zu gewährleisten, welche die Schweiz im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens auf internationaler Ebene eingegangen ist.
Beschlüsse des Bundesrats vom 4. Dezember 1995 und 3. April 1996 und Entscheid der Konferenz der Kantonsregierungen vom 21. Juni 1996.

Ausweitung der geografischen Abdeckung des ÜoeB


Das öffentliche Beschaffungswesen wird erst seit kurzem vom WTO-System berücksichtigt, denn die damit verbundenen Ausgaben fallen nach wie vor unter die Souveränität und den Einflussbereich der einzelnen Staaten. Im Gegensatz zu den meisten WTO-Übereinkommen gilt das ÜoeB nicht für alle WTO-Mitglieder, sondern nur für jene Länder, die dem ÜoeB beigetreten sind (41 von 154 Staaten). So gehören bedeutende Länder wie China, Brasilien, Indien und Südafrika nicht zu den Mitgliedstaaten des ÜoeB (siehe Tabelle 1). Das ÜoeB ging 1994 aus der Uruguay-Runde hervor und ist eine Erweiterung der materiellen Abdeckung des Übereinkommens, das aus der Tokio-Runde (1979) resultierte. Dieses entstammt dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen der OECD. Daher ist es nicht erstaunlich, dass das ÜoeB nach der Verlegung von der OECD zum Gatt weitgehend mit dem Übereinkommen der OECD übereinstimmt. Abgesehen von Australien, Neuseeland, der Türkei und Mexiko gehören alle OECD-Länder zu den Mitgliedstaaten des ÜoeB. Hinzu kommen Singapur, Hongkong, Taiwan (chinesisches Taipei), Israel, Liechtenstein und Aruba.Die Schweiz hat ein offensichtliches Interesse daran, dass über das ÜoeB, in dem Nichtdiskriminierung, Inländerbehandlung und Transparenz verankert sind, das öffentliche Beschaffungswesen weiterer Staaten für den internationalen Wettbewerb geöffnet wird. Mit der Revision des Übereinkommens aus dem Jahr 1994 werden die Voraussetzungen für die angestrebte geografische Ausweitung geschaffen. So ist in Artikel IV des revidierten ÜoeB vorgesehen, dass Entwicklungsländer, die Fortschritte erzielen, Preisvorteile, Kompensationsgeschäfte («Offsets») und hohe Schwellenwerte schrittweise beseitigen und später Beschaffungsstellen einsetzen können, die nicht unter das Übereinkommen fallen. Die Schweiz unterstützt aktiv jene Länder, die dem ÜoeB beitreten möchten. Einige Staaten wie China und Saudi-Arabien entsprechen damit lediglich den Anforderungen ihres Protokolls über den Beitritt zur WTO, in dem auch der Beitritt zum ÜoeB vorgesehen ist (siehe Tabelle 2). Die Schweiz hat 2009 zwei Seminare veranstaltet, in denen chinesischen Delegationen die Struktur der schweizerischen Gesetzgebung im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens erläutert wurde.

Verbesserung des Textes des ÜoeB aus dem Jahre 1994


Im Dezember 2006 wurde im Zusammenhang mit der Revision des Textes des ÜoeB ein Durchbruch erzielt: Hinsichtlich der ersten 21 Artikel des revidierten ÜoeB, das insgesamt 22 Artikel umfasst, konnte ein Konsens erzielt werden. Dieser kann unter der Voraussetzung aufrechterhalten werden, dass sich die Mitgliedstaaten über den Umfang des vom revidierten ÜoeB abgedeckten Bereichs einig werden. Dies bestätigt das geflügelte Wort, wonach nichts vereinbart ist, solange nicht alles vereinbart ist.
Das revidierte ÜoeB ist auf der Website der WTO aufgeführt (http://www.wto.org, Rubriken «Trade topics», «Government procurement», «Provisionally agreed revised GPA text»).Wie schon das ÜoeB (1994) ist auch das revidierte ÜoeB darauf ausgerichtet, die Kosten und das Volumen der öffentlichen Ausgaben für die Beschaffung von Gütern, Dienstleistungen und Leistungen des Baugewerbes durch die Schaffung eines grenzüberschreitenden Wettbewerbs zu reduzieren. Die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Inländerbehandlung und der Transparenz werden beibehalten, und das wirtschaftlich günstigste Angebot bleibt bei der Auftragsvergabe das entscheidende Kriterium. Darüberhinaus enthält das revidierte ÜoeB substanzielle Verbesserungen gegenüber dem ÜoeB (1994). Im Gegensatz zum letzteren legt es die Begriffe fest und schafft eine logische Struktur, in deren Rahmen der Geltungsbereich, die Ausnahmen, die Grundsätze, der Beitritt, die Verfahren, die Fristen, die Zuschlagskriterien, die Regeln für die Änderung des Geltungsbereichs und das Rechtsmittelsystem schrittweise behandelt werden. Damit wird das ÜoeB modernisiert, klarer strukturiert und flexibler ausgestaltet. Im revidierten ÜoeB werden Regeln für die elektronische Verwaltung der Aufträge vorgesehen. Es übernimmt die drei Verfahren – «offenes», «selektives» und «freihändiges» Verfahren – des ÜoeB (1994), räumt aber gleichzeitig die Möglichkeit ein, diese Verfahren zu kombinieren. Mit der Lockerung der Verhandlungsbedingungen (Artikel IV und XII) bietet das revidierte ÜoeB einen aktualisierten Rahmen, um die Komplexität der Anwendung der Gesetzgebungen im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens zu bewältigen.Der Konsens konnte erzielt werden, indem im Jahr 2006 darauf verzichtet wurde, gleichzeitig über die Erweiterung des Marktzugangs zu verhandeln. Diese Erweiterung ist ein Sammelpunkt der Interessenskonflikte. Der erreichte Konsens ist ein Beispiel für eine erfolgreiche multilaterale Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaft, denn den bedeutenden Akteuren – in erster Linie den USA, der EU und Japan – ist es gelungen, transparente und substanzielle Verhandlungen zu führen sowie die Auffassungen und Vorschläge anderer Mitgliedstaaten – darunter auch der Schweiz – zu integrieren (siehe Kasten 1Die Schweiz konnte insbesondere die folgenden Bestimmungen des revidierten ÜoeB mitgestalten.– Ausdrückliche Erwähnung der Regelungen zur Bekämpfung der Korruption und zu deren Prävention (Präambel und Artikel IV.4).– Möglichkeit, dass eine nicht erfasste öffentliche Beschaffung eines Staates auch unterstellt werden kann, wenn eine entsprechende bilaterale Vereinbarung diese Unterstellung vorsieht (Artikel II.3).– Antiprotektionistische Klausel zur Steuerung der Registrierungssysteme und Qualifikationsverfahren (Artikel IX.3 in Einklang mit Artikel X.1.)– Klausel, die den Anbietern die Eintragung auf einer Mehrfachnutzungsliste ermöglicht (Artikel IX.10 und 11). – Bestimmung zur Festlegung der Fristen bezüglich Einreichung der Offerten (Artikel XI).– Antiprotektionistische Klausel, die für elektronische Ausschreibungen eine Frist von mindestens zehn Tagen vorsieht (Artikel XI.7).– Erleichterung der freihändigen Vergabe (Artikel XIII).– Mathematische Formel im Artikel zu den elektronischen Versteigerungen (Artikel XIV.a) und Rückverfolgbarkeit von elektronischen Zuschlägen im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens (Artikel XVI.3 b).– Klausel, die einem Offertsteller die Möglichkeit einräumt, innerhalb einer Frist von mindestens zehn Tagen eine Beschwerde einzureichen (Artikel XVIII.3).). Im Jahr 2010 stehen die Verhandlungen zu Artikel XXII («Schlussbestimmungen») an, wo es um den Entscheid zur Koexistenz des ÜoeB (1994) und des revidierten ÜoeB sowie um das Mandat für die künftigen Verhandlungen geht. Entsprechend dem Auftrag in Artikel XIX (Änderungen und Berichtigungen des Geltungsbereichs) des revidierten ÜoeB müssen die Verhandlungsführer zwei wesentliche Verfahren erarbeiten, die bei der künftigen Umsetzung des revidierten ÜoeB eine wichtige Rolle spielen werden: – die Kriterien, die anzuwenden sind, um die tatsächliche Beseitigung der Kontrolle oder des Einflusses zu belegen, den eine Regierung auf die Vergabe von Aufträgen ausübt;– die Schiedsgerichtsverfahren, welche die Aufhebung von Einwänden erleichtern müssen, wenn ein Land den Geltungsbereich entsprechend dem revidierten ÜoeB ändern will.

Erweiterung des Marktzugangs


Der Umfang des Marktzugangs wird durch den persönlichen (Vergabestellen) und den materiellen (Güter, Dienstleistungen und Baudienstleistungen) Geltungsbereich bestimmt, den der betreffende Mitgliedstaat seinen Partnern auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bietet.
Siehe http://www.wto.org, Rubriken «Trade topics», «Government procurement», «Agreement on Government Procurement (GPA), «Appendices and Annexes»: In Annex I des ÜoeB sind die ausschreibenden Stellen der Zentralregierung (Anhang 1), jene der subterritorialen Ebene (Anhang 2) und der Sektoren (Anhang 3) sowie die Dienstleistungen (Anhang 4) und die Leistungen des Baugewerbes (Anhang 5) aufgeführt, die von jedem Mitgliedstaat des ÜoeB eingeräumt werden. Die Güter sind im Text des ÜoeB selbst enthalten. Wie im Auftrag zur Revision des ÜoeB vorgesehen ist, wird der Marktzugang im Rahmen des revidierten ÜoeB nicht durch das von der WTO praktizierte Prinzip der Meistbegünstigung (die einem Land gewährten Vorteile gelten automatisch für die anderen Mitgliedstaaten der Organisation), sondern durch das Prinzip der Gegenseitigkeit geregelt: Ein Offertsteller kann für einen Dienstleistungsvertrag nur berücksichtigt werden, wenn die Verpflichtungsliste seines Herkunftslandes die betreffende Dienstleistung ebenfalls enthält. Das System der Gegenseitigkeit gibt den Mitgliedstaaten des revidierten ÜoeB die Möglichkeit, in Bezug auf den Zugang zu ihrem öffentlichen Beschaffungswesen weiterhin spezielle Vorbehalte festzulegen. Diese Vorbehalte sind in den «Allgemeinen Hinweisen» der unter Annex I eingegangenen Verpflichtungen enthalten.
Siehe Anhang 6 von Annex I. Im Verlauf der Revision wurden mehrere nationale Ausnahmen in Artikel II.3 des revidierten ÜoeB übertragen. Durch diese «Plurilateralisierung» wird die Zahl der individuellen Ausnahmen verringert, die in den Verpflichtungslisten mehrerer Mitgliedstaaten des ÜoeB (1994) enthalten sind.Im Jahr 2004 formulierten die EU, Hongkong, Japan, Kanada, Korea, Norwegen, die Schweiz, Singapur und die USA Gesuche zu Handen der Mitgliedstaaten des ÜoeB zwecks einer Erweiterung der Abdeckung des Übereinkommens und nahmen Verhandlungen über den Marktzugang auf. Die ab 2005 in Form von Angeboten redigierten Antworten der Mitgliedstaaten des Übereinkommens entsprachen – abgesehen von zwei Ausnahmen – nicht der Zielsetzung der Gesuchsteller, die einen substanziellen Ausbau des Marktzugangs erwartet hatten. In ihrem revidierten Angebot (2008) schlug die Schweiz eine substanzielle Ausweitung des Abdeckungsbereichs des Übereinkommens vor. Anfang 2008 revidierte die EU ihr Angebot von Ende 2005 nach unten. Dies weckte Zweifel am Mehrwert, der von einer Erweiterung des ÜoeB (1994) zu erwarten war. Die unterschiedlichen Prioritäten der Mitgliedstaaten in Bezug auf die vier Verhandlungsbereiche führten zu Spannungen, die sich ab Februar 2009 weiter verschärften, als der US-Präsident Massnahmen für einen präferenziellen Marktzugang im Umfang von rund 780 Mrd. US-Dollar im Rahmen des «Buy America Act» genehmigte. Die Befürchtungen betrafen insbesondere das Marktzugangsrecht in 37 der 50 US-Bundesstaaten, die unter das ÜoeB (1994) fallen. Die von China ergriffenen Initiativen veranschaulichen den starken weltweiten Nachahmungseffekt, den solche Massnahmen zur Folge haben können. Es verbleiben weiterhin ungelöste Fragen. Angesichts der Zunahme der Initiativen zu Gunsten der «lokalen Beschaffung» wäre es sinnvoll, wenn das revidierte ÜoeB gegebenenfalls verstärkt zu einem Bollwerk gegen solche Massnahmen gemacht werden könnte (siehe Kasten 2Im Februar 2010 haben Kanada und die USA ein bilaterales Abkommen abgeschlossen, das das ÜoeB auf die kanadischen Provinzen und 37 US-Bundesstaaten ausdehnt. Letztere hatten ihre Märkte bereits für diejenigen ÜoeB-Mitgliedstaaten geöffnet, welche ihrerseits Marktzugang zu ihren subterritorialen Einheiten gewähren. Das gilt auch für die Schweiz, die ihre kantonalen Beschaffungsmärkte für die internationale Konkurrenz geöffnet hat. Kanada hatte den Marktzugang zu ihren Provinzen bisher verwehrt. Ende Februar hat das Land nun beschlossen, die im Abkommen mit den USA gewährten Vorteile auch allen anderen ÜoeB-Mitgliedern – immer auf der Basis der Gegenseitigkeit – einzuräumen. Dieser Beschluss kommt einem historischen Durchbruch gleich, der auch der Revision des ÜoeB einen entscheidenden Anstoss verleihen dürfte. ).

Beseitigung von individuellen diskriminierenden Massnahmen pro Land


Ob dieses Ziel erreicht werden kann, hängt zwar grundsätzlich vom politischen Willen der direkt betroffenen Länder ab. Die Fähigkeit der ÜoeB-Mitgliedstaaten, den Marktzugang noch stärker zu erweitern, könnte jedoch eine positive Entwicklung begünstigen. Die Schweiz hat denn auch auf die Wechselwirkung zwischen einem Beitritt zum Übereinkommen und dem Marktzugang hingewiesen. So könnten künftige Partner unter Umständen diskriminierende Massnahmen nachahmen und ihr öffentliches Beschaffungswesen abschotten. Um eine solche Entwicklung zu vermeiden und eine multilaterale Dynamik in Gang zu setzen, lancierte sie im Mai 2009 eine Initiative: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen künftig auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung und Inländerbehandlung gemäss Artikel IV des revidierten ÜoeB Zugang zu öffentlichen Aufträgen erhalten. Die Schweiz hofft, dass damit ein Konsens gefunden werden kann, der eine geografische Ausweitung des ÜoeB und einen verbesserten Marktzugang im Einklang mit den Zielsetzungen und den Grundregeln des ÜoeB ermöglicht.

Fazit


Dank der Zusammenarbeit der grossen Staaten, welche die Vorschläge der Mitgliedstaaten des ÜoeB – darunter auch jene der Schweiz – berücksichtigten, konnte Ende 2006 in Bezug auf die Revision des ÜoeB ein eigentlicher Durchbruch erzielt werden. Dieser Konsens bezieht sich zwar nicht auf den Marktzugang. Doch das revidierte Angebot brachte der Schweiz Respekt ein und stärkte ihre Glaubwürdigkeit, sodass sie seit Anfang 2009 eine offensivere Rolle spielen kann. Die Schweiz engagiert sich für ein kohärentes und ausgewogenes Resultat, das durch wesentliche Fortschritte in allen vier Bereichen gekennzeichnet ist. Einer ihrer Vorschläge, die auf eine Reaktivierung der Verhandlungen in diesem Sinne ausgerichtet sind, wurde im Dezember 2009 von den Mitgliedstaaten des ÜoeB verabschiedet. Die Vertreter der wichtigsten Staaten signalisierten ihre Absicht, die bilateralen Verhandlungen über den Marktzugang im Februar 2010 zu intensivieren und die Revision des Übereinkommens noch in diesem Jahr abzuschliessen. Ein erfolgreicher Abschluss der Revision kann der Doha-Runde neuen Schwung verleihen. Umgekehrt kann der politische Wille zu Gunsten der Doha-Runde auch den Rhythmus beeinflussen, in dem das revidierte ÜoeB umgesetzt wird.Was die externe Ebene anbelangt, geht der Geltungsbereich des revidierten ÜoeB bezüglich Marktzugang weit über die geografische Abdeckung des gegenwärtigen ÜoeB hinaus. Das ÜoeB gilt als Referenz für Freihandelsabkommen, insbesondere für Abkommen zwischen der Efta und den Nichtvertragsstaaten des ÜoeB.
Siehe http://www.efta.int, Rubriken «Free Trade», «EFTA Free Trade Agreements». Das ÜoeB (1994) ist die Grundlage der FHA, die mit Chile (2003) und Mexiko (2000) abgeschlossen wurden. Dagegen beruhen die FHA, welche die Efta mit dem Golfkooperationsrat (GCC) und mit Kolumbien abgeschlossen hat, sowie das mit Peru abgeschlossene Kapitel über das öffentliche Beschaffungswesen bereits auf den Bestimmungen des revidierten ÜoeB. Auf der innerstaatlichen Ebene trägt die Revision des ÜoeB dazu bei, drei der vier Ziele der Revision zu realisieren, die in der Schweiz im Anschluss an parlamentarische Vorstösse in Angriff genommen wurde: die Modernisierung, die klarere Ausgestaltung und die Flexibilisierung der rechtlichen Bestimmungen im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens. Hinsichtlich der Herausforderungen, die mit der Harmonisierung der Gesetzgebungen von Bund und Kantonen einhergehen, bringt das revidierte ÜoeB zwar keine Lösung; es trägt aber dazu bei, alle entsprechenden Anstrengungen zu erleichtern.

Tabelle 1: «Mitgliedstaaten des ÜoeB»

Tabelle 2: «WTO-Mitglieder, die vor dem Beitritt zum ÜoeB stehen»

Kasten 1: Einbezug der Schweiz in das revidierte ÜoeBDie Schweiz konnte insbesondere die folgenden Bestimmungen des revidierten ÜoeB mitgestalten.– Ausdrückliche Erwähnung der Regelungen zur Bekämpfung der Korruption und zu deren Prävention (Präambel und Artikel IV.4).– Möglichkeit, dass eine nicht erfasste öffentliche Beschaffung eines Staates auch unterstellt werden kann, wenn eine entsprechende bilaterale Vereinbarung diese Unterstellung vorsieht (Artikel II.3).– Antiprotektionistische Klausel zur Steuerung der Registrierungssysteme und Qualifikationsverfahren (Artikel IX.3 in Einklang mit Artikel X.1.)– Klausel, die den Anbietern die Eintragung auf einer Mehrfachnutzungsliste ermöglicht (Artikel IX.10 und 11). – Bestimmung zur Festlegung der Fristen bezüglich Einreichung der Offerten (Artikel XI).– Antiprotektionistische Klausel, die für elektronische Ausschreibungen eine Frist von mindestens zehn Tagen vorsieht (Artikel XI.7).– Erleichterung der freihändigen Vergabe (Artikel XIII).– Mathematische Formel im Artikel zu den elektronischen Versteigerungen (Artikel XIV.a) und Rückverfolgbarkeit von elektronischen Zuschlägen im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens (Artikel XVI.3 b).– Klausel, die einem Offertsteller die Möglichkeit einräumt, innerhalb einer Frist von mindestens zehn Tagen eine Beschwerde einzureichen (Artikel XVIII.3).

Kasten 2: Erweiterung des Abkommens USA-Kanada: Ein historischer Durchbruch für das ÜoeBIm Februar 2010 haben Kanada und die USA ein bilaterales Abkommen abgeschlossen, das das ÜoeB auf die kanadischen Provinzen und 37 US-Bundesstaaten ausdehnt. Letztere hatten ihre Märkte bereits für diejenigen ÜoeB-Mitgliedstaaten geöffnet, welche ihrerseits Marktzugang zu ihren subterritorialen Einheiten gewähren. Das gilt auch für die Schweiz, die ihre kantonalen Beschaffungsmärkte für die internationale Konkurrenz geöffnet hat. Kanada hatte den Marktzugang zu ihren Provinzen bisher verwehrt. Ende Februar hat das Land nun beschlossen, die im Abkommen mit den USA gewährten Vorteile auch allen anderen ÜoeB-Mitgliedern – immer auf der Basis der Gegenseitigkeit – einzuräumen. Dieser Beschluss kommt einem historischen Durchbruch gleich, der auch der Revision des ÜoeB einen entscheidenden Anstoss verleihen dürfte.

Zitiervorschlag: Patrick Leduc (2010). Die Revision des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen aus Sicht der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. März.