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Die öffentlichen Finanzen der Schweiz

Mit dem Rechnungsjahr 2008 wurde die Finanzstatistik an neue nationale und internationale Regelwerke angepasst. Mittlerweile liegen erste Resultate gemäss den neuen Modellen der Finanzstatistik vor. Die provisorischen Ergebnisse für das Rechnungsjahr 2008 zeigen, dass Bund, Kantone und Gemeinden trotz der Finanzkrise durchwegs positive Rechnungsabschlüsse ausweisen. Ab dem Jahr 2009 beginnen sich jedoch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Resultate der Kantone, Gemeinden und öffentlichen Sozialversicherungen auszuwirken; und ab 2010 wird auch der Bund Defizite verzeichnen. Besonders zu beachten ist, dass auf Kantonsebene die Reform der Finanzstatistik infolge von neuen Sektorisierungskriterien einen grossen Strukturbruch zur Folge hat.

Reform Finanzstatistik


Die Finanzstatistik wurde mit dem Rechnungsjahr 2008 vollständig revidiert. Die Rechnungsabschlüsse der öffentlichen Haushalte – Bund, Kantone und Gemeinden – sowie der öffentlichen Sozialversicherungen werden neu nach den Sektorisierungskriterien des europäischen Systems volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG95) erhoben. Ausserdem erfolgen Erfassung, Bearbeitung und Auswertung der Finanzstatistik in drei Modellen: FS-, GFS- und ESVG-Modell.

FS-Modell


Die nationale Konsolidierung und Vergleichbarkeit wird durch das FS-Modell sichergestellt. Dieses Modell basiert grundsätzlich auf dem Harmonisierten Rechnungslegungsmodell der Kantone und Gemeinden (HRM2), wobei für die Bedürfnisse der Finanzstatistik eine gegenüber dem HRM2-Kontenplan gestraffte Sachgruppengliederung zur Anwendung kommt. Diese wurde durch Codes für nicht zuteilbare Positionen aus dem HRM1 sowie für bundesspezifische Positionen des Rechnungslegungsmodells des Bundes (NRM) ergänzt. In einem ersten Schritt werden sämtliche Finanzdaten der öffentlichen Haushalte in das FS-Modell eingelesen. Anschliessend werden die ersten statistischen Bearbeitungen sowie die Bereinigungen für die Konsolidierung – d.h. die Elimination von Doppelzählungen – vorgenommen. Das FS-Modell ermöglicht Auswertungen auf der Stufe einzelner Kantone oder Sozialversicherungen.

GFS-Modell


Zum Zweck der internationalen Vergleichbarkeit und der Datenlieferungen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Statistik im GFS-Modell gemäss dem Government Finance Statistics Model 2001 (GFSM2001) des IWF erstellt. Auch hier werden geringfügige Anpassungen an die Schweizer Verhältnisse vorgenommen. Wie die International Public Sector Accounting Standards (Ipsas) ist auch das GFSM2001 ein Standard für die finanzielle Berichterstattung über öffentliche Haushalte. Im Unterschied zu den Ipsas, die mehr die einzel- bzw. betriebswirtschaftliche Sicht (Managementorientierung und Steuerung) betonen, legt das GFSM2001 als Standard für eine Synthesestatistik das Schwergewicht auf die volkswirtschaftliche und globale finanzpolitische Steuerung (Politikorientierung).

Neue Berichterstattung


In einem weiteren Schritt werden die Daten aus dem GFS- in das ESVG-Modell überführt. Zur Eingliederung der Daten in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, welche nach dem ESVG95-Standard von Eurostat erstellt wird, werden die Daten an das Bundesamt für Statistik (BFS) weitergeliefert.Die Eidg. Finanzstatistik ihrerseits erstellt künftig im April einen Zwischenbericht
Siehe http://www.efv.admin.ch, Rubriken «Dokumentation», «Zahlen und Fakten», «Finanzstatistik». mit den Auswertungen von Bund, Kantonen, Städten und Kantonshauptorten sowie Sozialversicherungen und im September einen Jahresbericht mit Auswertungen über sämtliche Teilsektoren des Staates. Ausgewählte Datentabellen werden im Excel-Format jeweils im Februar und im August auf dem Internet veröffentlicht. Die Datentabellen ersetzen die bisherigen gedruckten Publikationen. Im Weiteren werden wie bis anhin Kennzahlen und Indikatoren auf dem Internet publiziert. Die Kennzahlen beziehen sich auf die finanzstatistischen Standards des IWF. Die Schuldenquote wird zu Vergleichszwecken mit den EU-Staaten zusätzlich nach der Maastricht-Definition ausgewiesen.

Rechnungsabschlüsse 2008 gemäss FS-Modell


Die konsolidierte Rechnung basierend auf dem FS-Modell weist im Rechnungsjahr 2008 für die öffentlichen Haushalte teilweise hohe Überschüsse aus (siehe Tabelle 1. Insbesondere Bund und Kantone profitierten dabei vom sehr guten wirtschaftlichen Klima der Vorjahre. Der Bundeshaushalt weist einen hohen ordentlichen Saldo von über 7 Mrd. Franken aus. Jedoch reduziert sich der gesamte Überschuss auf 463 Mio. Franken, dies bedingt durch den Kauf der UBS-Wandelanleihe, der als ausserordentliche Position in die Rechnung einfliesst. Einzig die Sozialversicherungen vermelden im Jahr 2008 einen negativen Rechnungsabschluss. Auf Kantonsebene hat die Reform der Finanzstatistik einen grossen Strukturbruch zur Folge. Die neue Abgrenzung des Sektors Staat wirkt sich auf das Niveau sowohl der Einnahmen als auch der Ausgaben aus. So werden etwa die öffentlichen Spitäler gemäss den neuen Sektorisierungskriterien nicht mehr dem Sektor Staat zugeordnet, sondern dem Sektor der öffentlichen Unternehmungen. Die entsprechenden statistischen Anpassungen erklären – neben den konjunkturellen Faktoren – einen Teil des grossen Rückgangs der Werte im Jahr 2008. Tabelle 2zeigt die Jahresergebnisse der Kantone im Jahr 2008. Die Mehrheit der Kantone weisen Überschüsse aus. Einzig die Kantone Glarus und Wallis verzeichnen Defizite in der Erfolgsrechnung. Der Saldo der Finanzierungsrechnung der Kantone beträgt insgesamt 3,4 Mrd. Franken, und netto haben die Kantone 3,6 Mrd. Franken investiert.Ab dem Jahr 2009 beginnt sich der wirtschaftliche Abschwung auszuwirken, was sich in einem starken Rückgang der (ordentlichen) Saldi niederschlägt. Das gute Gesamtergebnis des Bundes ist auf die ausserordentlichen Einnahmen aus dem Verkauf der UBS-Pflichtwandelanleihe zurückzuführen. Ab 2010 meldet auch der Bund Defizite.

Finanzpolitische Kennzahlen gemäss GFS-Modell


Die Wirtschaftskrise im Jahr 2009 wirkt sich unterschiedlich auf die Kennzahlen der einzelnen Staatssektoren aus. Beim Bund sind in erster Linie die Fiskaleinnahmen betroffen: 2009 sinkt die Fiskalquote vor allem auf Grund eines Rückgangs beim Ertrag der Verrechnungssteuer um 0,6 %-Punkte. 2010 verursachen insbesondere der verzögerte Einfluss der Konjunktur auf die direkte Bundessteuer sowie Steuerreformen einen zusätzlichen Rückgang um 0,6 %-Punkte. Bei den Kantonen zeigen sich 2009 die Folgen des konjunkturellen Abschwungs vorerst ausgabenseitig. Zwar bleibt die Fiskalquote konstant; aufgrund eines Wachstums der Staatsquote, das unter anderem durch Mehrausgaben zur Konjunkturstabilisierung bedingt ist, zeichnet sich jedoch ein deutlicher Rückgang des Saldos auf 0,2 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) ab. Die Gemeindefinanzen reagieren hingegen weniger stark auf die Konjunkturschwankungen.Im Jahr 2010 steigt die Defizitquote der öffentlichen Haushalte voraussichtlich auf insgesamt über 1,2 % des BIP an. Dieser Anstieg geht hauptsächlich auf das Konto der öffentlichen Sozialversicherungen, wo die erwartete hohe Arbeitslosigkeit 2010 bei der Arbeitslosenversicherung hohe Defizite zur Folge hat. 2011 lassen sich unterschiedliche Trends ausmachen: Während die Kantone und Gemeinden sowie die Sozialversicherungen ihre Defizite wieder verringern können, wird beim Bund eine weitere Zunahme erwartet. Diese ist teilweise auf einen ausserordentlichen Zuschuss an die Pensionskasse der SBB von 1,2 Mrd. Franken zurückzuführen.Die Schuldenquote der öffentlichen Haushalte in Anlehnung an die Maastricht-Definition reduzierte sich dank der starken Vorjahre bis 2009 auf 38,8%. Seit 2002 konnte die Bruttoschuldenquote des Gesamtstaates das siebte Jahr in Folge gesenkt werden. Sie befindet sich nun auf dem tiefsten Stand seit 1991 und beträgt erstmals seit 1992 wieder weniger als 40% des BIP. Die Tabelle 3 zeigt die finanzpolitischen Kennzahlen im Überblick.

Fazit


Trotz der positiven Ergebnisse in den Jahren 2007 und 2008 ist der wirtschaftliche Einbruch bei den öffentlichen Haushalten in den Folgejahren deutlich erkennbar. Für die Rechnung 2009 meldete der Bund etwa, dass die Mehrwertsteuer unmittelbar und stark auf den Rückgang der Wertschöpfung reagierte. Die Mindereinnahmen konnten nur dank Erträgen aus der direkten Bundessteuer und der Verrechnungssteuer aufgefangen werden, deren Bemessungsgrundlage teilweise in den wirtschaftlich starken Vorjahren liegt oder von der im Jahr 2009 erfreulichen Entwicklung der Finanzmärkte profitieren.Trotz der aktuellen Konjunkturerholung bleiben die kurzfristigen Aussichten düster. Die Krise wird besonders in den Jahren 2010 und 2011 nachwirkend spürbar sein. Infolge der wirtschaftlichen Unterauslastung sowie der durch die konjunkturstabilisierenden Massnahmen und Steuerreformen bedingten Mindereinnahmen werden Defizite bei allen Teilsektoren des Staates erwartet. Ausserdem werden Verlustvorträge der Unternehmen aus den Krisenjahren einen dämpfenden Einfluss auf die Steuereinnahmen ausüben. Erst im Verlaufe von 2011 dürfte sich die Konjunktur nachhaltig erholen und die Arbeitslosenrate wieder zu sinken beginnen.Die Auswirkungen der Rezession werden insgesamt jedoch deutlich schwächer ausfallen als in anderen europäischen Ländern. Die von der Wirtschaftskrise gebeutelten Länder sind insbesondere Island, England, Irland, Spanien und Griechenland. Sie weisen Defizitquoten von bis zu 15,7% aus. Die Maastricht-Schuld des Euro-Raumes wird in den Jahren 2010 und 2011 auf über 84% ansteigen. Im Vergleich dazu ist der von der Finanzstatistik für die Schweiz erwartete Zuwachs bei der Defizit- und Schuldenquote gering.

Tabelle 1: «Rechnungsabschlüsse gemäss FS-Modell, 2007–2011»

Tabelle 2: «Rechnungsabschlüsse der Kantone gemäss FS-Modell, 2008»

Tabelle 3: «Kennzahlen gemäss GFS-Modell, 2007–2011»

Zitiervorschlag: Adrian Bruelhart (2010). Die öffentlichen Finanzen der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. April.