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Der Schweizer Arbeitsmarkt – eine Lagebeurteilung

Das übergeordnete Ziel der Arbeitsmarktpolitik ist es, möglichst allen Menschen im Erwerbsalter eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, zu Löhnen, die ein Leben in Würde erlauben. Der Schweizer Arbeitsmarkt schneidet im internationalen Vergleich gut ab. Dazu beigetragen haben neben dem Berufsbildungssystem nicht zuletzt Institutionen, welche den Erwerbstätigen einen guten sozialen Schutz bieten und gleichzeitig den Unternehmen und Beschäftigten erlauben, rasch auf veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu reagieren. Dieser Artikel bildet den Auftakt zur neuen Serie, welche den Schweizer Arbeitsmarkt genauer unter die Lupe nimmt.

Die Konjunkturaussichten haben sich in den letzten Monaten kontinuierlich verbessert. Die Spuren der Weltwirtschaftskrise auf den Arbeitsmärkten dürften aber noch eine Weile sichtbar bleiben. In den letzten eineinhalb Jahren ist die Arbeitslosenquote in der Schweiz saisonbereinigt von 2,6% auf 4,1% angestiegen. Im internationalen Vergleich steht die Schweiz mit einer Quote von 4,6% im Dezember 2009 gut da (siehe Grafik 1).
Es wird zwischen den amtlichen Arbeitslosenzahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und den Erwerbslosenzahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) unterschieden. Die Arbeitslosenstatistik des Seco basiert auf einer Vollerhebung der Personen, welche in einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) erfasst sind. Das BFS erhebt anhand einer Stichprobe die Zahl der Erwerbslosen entsprechend den Empfehlungen des Internationalen Arbeitsamtes und der OECD sowie den Definitionen von Eurostat. Für internationale Vergleiche sind die Zahlen des BFS relevant. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit war deutlich weniger stark als z.B. in der EU oder den USA. Die Schweiz war von der Krise weniger stark betroffen als andere Länder: Sie kannte weder eine Immobilien- noch eine Kreditkrise.Ein weiterer Grund erklärt, warum die Wirtschaftstätigkeit in der Schweiz deutlich weniger eingebrochen und die Beschäftigung stabiler geblieben ist als in anderen Ländern. In den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise ist die Wirtschaft hierzulande stark gewachsen. Jährlich wurden in den Vorkrisenjahren mehr als 85 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die steigende Beschäftigung, eine wachsende Bevölkerung und höhere Löhne ermöglichten ein starkes Wachstum der Konsumausgaben und der Bautätigkeit. Diese Dynamik hat sich während der Krise nur langsam abgeschwächt. Während die Industrie und einige Zulieferbranchen nach dem Herbst 2008 von einem beispiellosen Einbruch der Auftragseingänge heimgesucht wurden, vermochte die inländische Wirtschaft dank steigender Aufträge weiter zu wachsen. Die Beschäftigung ist dementsprechend nur leicht zurückgegangen (–0,1%).
Quelle: BFS (Besta), Vollzeit- und Teilzeiterwerbstätige, Vergleich des 4. Quartals 2009 mit dem 4. Quartal 2008.Die vorlaufenden Indikatoren für den Arbeitsmarkt haben sich in den letzten Monaten gebessert. Der Tiefpunkt auf dem Arbeitsmarkt könnte erreicht sein. Trotzdem kann noch nicht ausgeschlossen werden, dass die Arbeitslosigkeit in der zweiten Jahreshälfte wieder steigen wird. Die Konjunkturerholung ist in Europa noch sehr zaghaft. Solange die Beschäftigung in diesen Ländern nicht zunimmt, kann ein erneuter Rückschlag nicht ausgeschlossen werden. In der Schweiz dürfte sich die inländische Nachfrage wegen einer stagnierenden Beschäftigung weniger dynamisch entwickeln als in den letzten Jahren, und ein hoch bewerteter Franken verlangsamt die Erholung der Exporte. Ein neuerlicher Konjunktureinbruch hätte spürbare und längerfristige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

Hohe Erwerbsquote und tiefe Arbeitslosigkeit


Die OECD umschreibt das Ziel ihrer Job Strategy seit einigen Jahren mit More and better Jobs. Dies bedeutet, möglichst allen Menschen im Erwerbsalter eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, zu Löhnen, die ein Leben in Würde erlauben, und zu Bedingungen, die der Gesundheit nicht schaden. Ein internationaler Vergleich zeigt, dass die Schweiz diese Ziele bisher gut erreicht hat. Der Schweizer Arbeitsmarkt zeichnet sich durch eine hohe Erwerbsquote
Die Erwerbsquote misst den Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) in % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15–64 Jahre). Der Begriff Erwerbspersonen umfasst alle 15- bis 64-jährigen Personen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen möchten. Als erwerbslos gelten diejenigen Personen, die in der Referenzwoche nicht erwerbstätig waren, aktiv eine Arbeit gesucht haben und die für die Aufnahme einer Tätigkeit verfügbar wären. Nichterwerbspersonen sind Personen, die nicht arbeiten wollen oder können.und eine tiefe Arbeitslosigkeit aus (siehe Grafik 2 und Kasten 1Die Erwerbsbeteiligung ist ein guter Indikator für die Aufnahmefähigkeit eines Arbeitsmarktes und das Erwerbsverhalten einer Bevölkerung. Eine hohe Arbeitsmarktpartizipation ist für die Wirtschaftsleistung eines Landes entscheidend. Nicht nur der hohe Lebensstandard der Erwerbshaushalte, sondern auch die Finanzierung öffentlicher Leistungen und der sozialen Sicherungssysteme baut auf der hohen Erwerbsbeteiligung unserer Bevölkerung auf. Mit einer Erwerbsquote der 15- bis 64-jährigen Bevölkerung von 82,3% (2008) nimmt die Schweiz im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein (siehe Grafik 2). Auch die Erwerbsbeteiligung der 15- bis 24- und der 55- bis 64-Jährigen liegt weit über dem OECD-Durchschnitt. Gründe für das unterschiedliche Erwerbsverhalten in den einzelnen Ländern gibt es viele. Das kulturelle, aber auch das politische, wirtschaftliche und institutionelle Umfeld spielen eine entscheidende Rolle. Ob eine Person erwerbstätig sein kann oder will, ist neben persönlichen Merkmalen wie vom realisierbaren Lohn, den Erwerbsanreizen der Steuer- und Transferssysteme, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, den Vorruhestandsregelungen und der allgemeinen Arbeitsmarktsituation abhängig.In der Schweiz konnte die Erwerbsquote während der langen Rezessionsphase der 1990er-Jahre auf hohem Niveau gehalten und im letzten Aufschwung nochmals gesteigert werden. Die zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen spielte dabei eine wichtige Rolle (siehe Tabelle 1). Obwohl die Frauen sich zunehmend am «bezahlten» Erwerbsleben beteiligen, liegt ihre Erwerbsquote immer noch deutlich unter derjenigen der Männer. Besonders stark weichen die Quoten in der Familiengründungsphase (30–45 Jahre) und in den Jahren vor dem ordentlichen Rentenalter (55–64 Jahre) voneinander ab. Die Erwerbsbeteiligung der Schweizer Frauen ist im internationalen Vergleich zwar hoch, viele Frauen sind aber mit kleinen Pensen teilzeiterwerbstätig. Mit Ausnahme der Niederlande sind in keiner Volkswirtschaft so viele Frauen teilzeiterwerbstätig wie in der Schweiz. Hinter dem hohen Teilzeitanteil können frei gefällte Entscheide der Frauen über den Umfang der Erwerbsarbeit stehen, den sie leisten möchten, aber es werden auch gesellschaftliche Traditionen vermutet, die sich zumindest kurzfristig kaum verändern lassen. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht interessiert vor allem, inwieweit die institutionellen Voraussetzungen zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit verbessert werden können.). Gleichzeitig ist die Lohnstruktur in den letzten Jahrzehnten – mit Ausnahme des markanten Anstiegs der höchsten Löhne – relativ stabil geblieben (siehe Grafik 3 und Kasten 2Wie steht es mit den Arbeitsbedingungen in der Schweiz? Gemäss der europäischen Erhebung über Arbeitsbedingungen, die von der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen seit 1990 alle fünf Jahre durchgeführt wird, sind 91% der Schweizer Erwerbstätigen mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden oder sehr zufrieden. Nur Dänemark, Norwegen und Grossbritannien erreichen höhere Zufriedenheitswerte. Die Arbeitsbedingungen in der Schweiz sind somit im europäischen Vergleich gut.
European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (2007). Fourth European Working Conditions Survey. Luxembourg. Auch das im internationalen Vergleich hohe durchschnittliche Lohnniveau in der Schweiz zeugt vom Wohlstand und Leistungsniveau unserer Volkswirtschaft.In gesellschaftspolitischer Hinsicht interessiert aber nicht nur die Lohnhöhe, sondern auch deren Verteilung. Im internationalen Vergleich der OECD fällt der Unterschied der höchsten und tiefsten Löhne – gemessen am Verhältnis des 9. zum 1. Dezil der Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit – in der Schweiz moderat aus. Einzig in Finnland, Schweden, Norwegen und Belgien war die Lohnungleichheit im OECD-Vergleich weniger ausgeprägt.
Das 9. Dezil lag 2007 2,65-mal über dem 1. Dezil. 1997 lag dieser Wert noch bei 2,41. Bedeutung des 1. Dezil: 10% der Erwerbstätigen verdienen weniger als diesen Wert. Bedeutung des 9. Dezil: 10% der Erwerbstätigen verdienen mehr als diesen Wert. Über einen Zeitraum von 10 Jahren (1997–2007) resultierte in der Schweiz zudem ein eher bescheidenes Wachstum der Ungleichheit. Im unteren Bereich der Lohnstruktur hat sie sogar abgenommen, was auch auf die Erhöhung der Mindestlöhne in vielen Gesamtarbeitsverträgen (GAV) in den letzten 10 Jahren zurückzuführen sein dürfte. Im oberen Bereich der Lohnstruktur hat die Ungleichheit wie in den meisten OECD-Staaten zugenommen.
OECD Employment Outlook 2009: Tackling the Jobs Crisis, Statistical Annex, S. 303.Bedeutsam für die Stabilität der Lohnstruktur sind wie erwähnt die GAV. Diese enthalten in gewerblichen Branchen meistens auch Mindestlöhne und dürften massgeblich zur Stabilität der Lohnstruktur in der unteren Hälfte der Lohnpyramide gesorgt haben. Mit der Einführung der Personenfreizügigkeit haben die GAV an Bedeutung gewonnen, weil nicht mehr wie früher die Ausländerbehörden prüfen, ob bei Neueinstellungen von Personen aus den EU-Ländern die in der Schweiz geltenden orts- und branchenüblichen Löhne eingehalten werden. Auch müssen gemäss Entsendegesetz ausländische Firmen ortsübliche Löhne bezahlen, wenn sie in der Schweiz ihre Dienstleistungen erbringen. Wo GAV allgemeinverbindlich erklärt sind, müssen sie diese Mindestlöhne einhalten. Bei Anstellungen aus sogenannten Drittstaaten prüfen die Ausländerbehörden, ob die orts- und branchenüblichen Löhne eingehalten werden. Die relative Stabilität der Lohnstruktur ist auch ein Hinweis darauf, dass das Bildungswesen mit der technologischen Entwicklung Schritt halten konnte. Die starke Verbreitung des beruflichen Wissens, die wir in der Schweiz dank des dualen Berufsbildungssystems haben, dürfte hierbei eine Rolle gespielt haben. Investitionen in Ausbildung und Humankapital verringern die Gefahr für jeden Einzelnen, im Verlauf seiner Erwerbsbiografie einen Lohn zu erwirtschaften, mit welchem sich der Lebensunterhalt nicht bestreiten lässt. ). Die Schweiz ist ein gutes Beispiel dafür, dass es keinen Zielkonflikt gibt zwischen einer hohen Beschäftigung einerseits und einer stabilen Lohnstruktur andererseits.Die Erwerbslosenquote in der Schweiz hat seit Anfang der 1990er-Jahre zwar deutlich zugenommen. Dennoch liegt sie im internationalen Vergleich auch heute noch auf tiefem Niveau. 2008 lag die Arbeitslosigkeit der 15- bis 64-Jährigen gemäss internationaler Definition in der EU15 im Durchschnitt bei 7,1% und damit rund doppelt so hoch wie in der Schweiz (3,5%). Auch bei den Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz mit 7% tiefer als der EU15-Durchschnitt (14,9%).Die hohe Erwerbsquote und die tiefe Arbeitslosenquote können auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden: Erstens gelingt es der Schweiz gut, die Jugend in das Erwerbsleben zu integrieren. Zweitens versteht es die Schweiz, einen guten sozialen Schutz mit dem Ziel zu verbinden, erwerbslose Personen auch in Rezessionszeiten nahe am Arbeitsmarkt zu halten. Und drittens: Ein häufig unterschätzter Grund dürfte auch sein, dass die Schweiz makroökonomische Ungleichgewichte meistens rasch beseitigen konnte und deshalb nie lange mit hohen Arbeitslosenquoten zu kämpfen hatte.

Berufliche Qualifikationen


Im internationalen Vergleich lässt sich die hohe Erwerbsquote der Schweiz hauptsächlich auf die guten Resultate bei Jugendlichen und älteren Personen zurückführen. In diesen Alterskategorien sind im Ländervergleich die grössten Unterschiede auszumachen. Die Berufsbildung leistet für die Arbeitsmarktintegration von Jugendlichen einen bedeutenden Beitrag. Im dualen Berufsbildungssystem bilden die Unternehmen – zusammen mit den Berufsschulen – rund zwei Drittel des Nachwuchses an Fachkräften aus. Die enge Einbindung der Sozialpartner in den Ausbildungsprozess sorgt für eine gute Übereinstimmung der Lehrpläne mit den Bedürfnissen der Wirtschaft. Heute verfügen rund 90% der Jugendlichen mindestens über einen Abschluss auf Sekundarstufe II (berufliche Grundausbildung oder Matur). Bereits vor 5 Jahrzehnten ermöglichte das duale Bildungssystem breiten Bevölkerungsschichten den Erwerb beruflicher Qualifikationen: 81% der heute 55- bis 64-Jährigen verfügen mindestens über einen Abschluss der Sekundarstufe II, was deren hohe Arbeitsmarktpartizipation mit erklärt.
OECD 2009. Education at a Glance 2009, Chapter A. The Output of Educational Institutions and the Impact of Learning, S. 38. Vergleich OECD: Durchschnitt 57%.Erfreulicherweise blieb der Lehrstellenmarkt im Sommer 2009 trotz angespannter Wirtschaftslage weit gehend stabil. Die ausgeglichene Situation ist massgeblich auf den Einsatz wirkungsvoller Instrumente zur Erhaltung und Schaffung von Lehrstellen seitens Bund, Kantonen und Sozialpartnern zurückzuführen. Die Kantone haben etwa das Lehrstellenmarketing institutionalisiert und sind daran, die Betreuung von jugendlichen Schulabgängern ohne Anschlussmöglichkeit im Rahmen des Case-Managements systematisch zu verbessern.
Das Lehrstellenmarketing steht etwa für folgende Massnahmen: Berufsinformation und -beratung, Lehrstellennachweis, Aufbau von Lehrbetriebsverbünden, Bereitstellen von staatlichen Übergangslösungen, Einsatz von Lehrstellenförderinnen und -förderern, Vermittlung und individuelle Begleitung von Jugendlichen ohne Lehrstelle. Dank einer individuellen Unterstützung wird damit Jugendlichen mit Schwierigkeiten in der Schule die Suche nach einer Lehrstelle und der Einstieg in die Berufswelt erleichtert. Mittelfristiges Ziel des Bundesrates ist es, eine Abschlussquote von 95% der Jugendlichen auf der Sekundarstufe II zu erreichen.

Arbeitslosenversicherung und Aktivierungspolitik


Bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit spielt die Arbeitslosenversicherung (ALV) eine wichtige Rolle. Ihre Leistungen sind im internationalen Vergleich als gut zu bezeichnen. Sie ist jedoch mit strengen Auflagen zur aktiven Stellensuche oder zur Teilnahme an Bildungs- und Beschäftigungsprogrammen verbunden. Dabei verfolgt die ALV das Ziel, dass erwerbslose Personen möglichst rasch wieder in das Erwerbsleben zurückfinden. Leider befindet sich die ALV seit 2003 nicht mehr im finanziellen Gleichgewicht, weil die Beiträge damals auf ein zu tiefes Niveau gesenkt worden sind. Die laufende AVIG-Revision verfolgt das Ziel, die Einnahmen und Ausgaben wieder in ein längerfristiges Gleichgewicht zu bringen. Die gemachten Vorschläge zielen nicht auf einen Abbau der Grundleistungen. Gewisse Einsparungen lassen sich jedoch nicht vermeiden, damit das finanzielle Gleichgewicht nicht allein mit Beitragserhöhungen erreicht werden muss. Die Einsparungen zielen darauf, punktuelle Fehlanreize zu beseitigen, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu fördern und damit die ALV bei der Arbeitsmarktintegration noch effektiver zu machen.

Rasche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erspart langfristig hohe soziale Kosten


Die beste Ausbildung und Arbeitsmarktpolitik nützt wenig, wenn während langer Zeit zu wenig Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Ein wesentlicher Grund für die guten Arbeitsmarktresultate der Schweiz ist darin zu suchen, dass es der Schweiz auch nach wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer wieder rasch gelungen ist, zur Vollbeschäftigung zurückzukehren. Die Gründe dafür sind vielfältig: Dazu beigetragen hat die Tatsache, dass die schweizerische Wirtschaft sehr diversifiziert und kleinräumig organisiert ist, so dass Branchenprobleme durch das Wachstum anderer Wirtschaftszweige kompensiert werden konnten. Gleichzeitig hat die Einwanderung – abgesehen von der ersten Hälfte der 1990er-Jahre – jeweils rasch auf wirtschaftliche Veränderungen reagiert, was den Arbeitsmarkt in schwierigen Zeiten entlastet hat. Schliesslich haben es die Institutionen auf dem Arbeitsmarkt erlaubt, dass sich die Löhne im Einklang mit der Arbeitsproduktivität entwickeln, so dass das makroökonomische Gleichgewicht nach Rezessionszeiten relativ einfach wiederhergestellt werden konnte.

Keine langen Perioden mit hoher Arbeitslosigkeit


Dass die Schweiz in der Vergangenheit mit Ausnahme der 1990er-Jahre nie von lang andauernden Perioden mit sehr hoher Arbeitslosigkeit heimgesucht worden ist, erklärt sicher die hierzulande hohe Arbeitsmarktpartizipation. Denn je hartnäckiger und höher die Arbeitslosigkeit, desto schwieriger wird die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt beim darauf folgenden Aufschwung. Unzählige Personen – insbesondere ältere Arbeitnehmende – werden aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen, verlieren ihr Selbstvertrauen, verpassen betriebliche Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten und schaffen später den Anschluss an das Erwerbsleben nicht mehr.Auch die Wechselbeziehung zwischen hoher Arbeitslosigkeit und den sozialen Institutionen kann dazu führen, dass die Erwerbsquote wegen einer länger dauernden Rezession längerfristig tiefer bleibt. Bei hartnäckig hoher Arbeitslosigkeit werden die Sozialversicherungen häufig dauerhaft für neue Bezügergruppen geöffnet und der Rückzug aus dem Erwerbsleben wird für bestimmte Personengruppen erleichtert, um soziale Not zu verhindern. Bei wieder besserer Arbeitsmarktlage fällt es schwer, diese Anreize zu ändern und bei der Leistungsbeanspruchung wieder strengere Voraussetzungen zu definieren. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Politiken, welche Arbeitslosigkeit durch eine dauerhafte Verringerung des Arbeitsangebots bekämpfen, langfristig problematisch sind und bei den Sozialversicherungen Finanzierungsprobleme schaffen. So wurde während der langen wirtschaftlichen Stagnation in den 1990er-Jahren vielen Personen, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, eine Invalidenrente zuerkannt. Es brauchte danach mehr als 10 Jahre, um die stark wachsenden Kosten wieder einigermassen zu stabilisieren.

Wiedereinstieg für ältere Erwerbslose ermöglichen


Die Schweiz wird bei der Mobilisierung der Erwerbsbevölkerung nur von ganz wenigen Ländern übertroffen. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der Schweizer Arbeitsmarkt mit Problemen zu kämpfen hat. Die Erwerbsquote der Frauen ist zwar hoch, sie sind aber häufig mit kleinen Pensen teilzeiterwerbstätig und ziehen sich früher vom Arbeitsmarkt zurück als die Männer (siehe Kasten 1Die Erwerbsbeteiligung ist ein guter Indikator für die Aufnahmefähigkeit eines Arbeitsmarktes und das Erwerbsverhalten einer Bevölkerung. Eine hohe Arbeitsmarktpartizipation ist für die Wirtschaftsleistung eines Landes entscheidend. Nicht nur der hohe Lebensstandard der Erwerbshaushalte, sondern auch die Finanzierung öffentlicher Leistungen und der sozialen Sicherungssysteme baut auf der hohen Erwerbsbeteiligung unserer Bevölkerung auf. Mit einer Erwerbsquote der 15- bis 64-jährigen Bevölkerung von 82,3% (2008) nimmt die Schweiz im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein (siehe Grafik 2). Auch die Erwerbsbeteiligung der 15- bis 24- und der 55- bis 64-Jährigen liegt weit über dem OECD-Durchschnitt. Gründe für das unterschiedliche Erwerbsverhalten in den einzelnen Ländern gibt es viele. Das kulturelle, aber auch das politische, wirtschaftliche und institutionelle Umfeld spielen eine entscheidende Rolle. Ob eine Person erwerbstätig sein kann oder will, ist neben persönlichen Merkmalen wie vom realisierbaren Lohn, den Erwerbsanreizen der Steuer- und Transferssysteme, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, den Vorruhestandsregelungen und der allgemeinen Arbeitsmarktsituation abhängig.In der Schweiz konnte die Erwerbsquote während der langen Rezessionsphase der 1990er-Jahre auf hohem Niveau gehalten und im letzten Aufschwung nochmals gesteigert werden. Die zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen spielte dabei eine wichtige Rolle (siehe Tabelle 1). Obwohl die Frauen sich zunehmend am «bezahlten» Erwerbsleben beteiligen, liegt ihre Erwerbsquote immer noch deutlich unter derjenigen der Männer. Besonders stark weichen die Quoten in der Familiengründungsphase (30–45 Jahre) und in den Jahren vor dem ordentlichen Rentenalter (55–64 Jahre) voneinander ab. Die Erwerbsbeteiligung der Schweizer Frauen ist im internationalen Vergleich zwar hoch, viele Frauen sind aber mit kleinen Pensen teilzeiterwerbstätig. Mit Ausnahme der Niederlande sind in keiner Volkswirtschaft so viele Frauen teilzeiterwerbstätig wie in der Schweiz. Hinter dem hohen Teilzeitanteil können frei gefällte Entscheide der Frauen über den Umfang der Erwerbsarbeit stehen, den sie leisten möchten, aber es werden auch gesellschaftliche Traditionen vermutet, die sich zumindest kurzfristig kaum verändern lassen. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht interessiert vor allem, inwieweit die institutionellen Voraussetzungen zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit verbessert werden können.). Während in anderen Ländern die Erwerbsquote der über 55-jährigen Männer steigt, ist sie in unserem Land in den letzten 10 Jahren weiter gesunken. Das Niveau ist aber noch immer deutlich höher als im Ausland. Obwohl die Arbeitslosenquote der 55- bis 64-Jährigen unterdurchschnittlich ist, bekundet diese Altersgruppe besonders Mühe beim Wiedereinstieg und hat daher ein grösseres Risiko, langzeitarbeitslos zu werden. Die Personalvermittler in den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) arbeiten eng mit den Unternehmungen zusammen, um auch älteren Erwerbslosen den Wiedereinstieg zu ermöglichen. Im Rahmen der ALV gibt es zudem die Möglichkeit, mit Lohnzuschüssen den Einstieg für Personen zu erleichtern, die von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht sind. Wenn eine hohe Erwerbsquote der über 55-Jährigen beibehalten werden soll, müssen die Unternehmen auch älteren Erwerbslosen Chancen für einen Wiedereinstieg in die Erwerbswelt bietenBesondere Aufmerksamkeit verdient auch die tiefe Erwerbsquote einiger Ausländergruppen. Insbesondere Personen aus dem Westbalkan und der Türkei beteiligen sich unterdurchschnittlich am Arbeitsmarkt. In der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen ist die Erwerbsquote dieser Bevölkerungsgruppe um rund 20% tiefer als diejenige anderer Gruppen. Die Gründe für diese tiefen Werte müssen noch genauer untersucht werden.

Ausblick


In der Schweiz ist die Arbeitslosigkeit dank einer stabilen Entwicklung der Inlandnachfrage relativ wenig angestiegen. Entscheidend für die Arbeitsmarktentwicklung der nächsten Jahre wird sein, ob sich die Konjunkturerholung fortsetzt und die Arbeitslosigkeit rasch abgebaut werden kann. Ein erneuter konjunktureller Rückschlag kann heute nicht ausgeschlossen werden und hätte einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge.Die Personenfreizügigkeit hat das Potenzial für das Wirtschaftswachstum in der Schweiz deutlich erhöht. Ob die Personenfreizügigkeit längerfristig einen Einfluss auf die Arbeitslosigkeit haben wird, hängt in erster Linie davon ab, ob die neu eingewanderten die inländischen Erwerbspersonen ergänzen oder direkt konkurrenzieren. In Rezessionszeiten nimmt der Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt erfahrungsgemäss zu. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den RAV und den Unternehmungen sollte dazu beitragen, dass die Arbeitgeber erwerbslose Personen aus der Schweiz einstellen, bevor sie neue Mitarbeitende im Ausland rekrutieren. Mit den flankierenden Massnahmen und den von den Sozialpartnern ausgehandelten Gesamtarbeitsverträgen kann verhindert werden, dass sich infolge der Öffnung des Arbeitsmarktes in gefährdeten Branchen sehr tiefe Löhne verbreiten. Dank der engen Zusammenarbeit zwischen Sozialpartnern und Behörden sollte es auch in Zukunft möglich sein, Probleme auf dem Arbeitsmarkt rasch zu erkennen und zu lösen.

Grafik 1: «Entwicklung der saisonbereinigten Erwerbslosenquoten gemäss internationaler Definition, 2000–2009»

Grafik 2: «Erwerbsquote nach Altersgruppe im internationalen Vergleich, 2008»

Grafik 3: «Entwicklung der Einkommensverteilung: Bruttoeinkommen 1. und 9. Dezil, 1997 und 2007»

Tabelle 1: «Erwerbsquoten nach Geschlecht und Nationalitätsgruppen ( jeweils 2. Quartal)»

Kasten 1: Hohe Arbeitsmarktbeteiligung der Schweizer BevölkerungDie Erwerbsbeteiligung ist ein guter Indikator für die Aufnahmefähigkeit eines Arbeitsmarktes und das Erwerbsverhalten einer Bevölkerung. Eine hohe Arbeitsmarktpartizipation ist für die Wirtschaftsleistung eines Landes entscheidend. Nicht nur der hohe Lebensstandard der Erwerbshaushalte, sondern auch die Finanzierung öffentlicher Leistungen und der sozialen Sicherungssysteme baut auf der hohen Erwerbsbeteiligung unserer Bevölkerung auf. Mit einer Erwerbsquote der 15- bis 64-jährigen Bevölkerung von 82,3% (2008) nimmt die Schweiz im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein (siehe Grafik 2). Auch die Erwerbsbeteiligung der 15- bis 24- und der 55- bis 64-Jährigen liegt weit über dem OECD-Durchschnitt. Gründe für das unterschiedliche Erwerbsverhalten in den einzelnen Ländern gibt es viele. Das kulturelle, aber auch das politische, wirtschaftliche und institutionelle Umfeld spielen eine entscheidende Rolle. Ob eine Person erwerbstätig sein kann oder will, ist neben persönlichen Merkmalen wie vom realisierbaren Lohn, den Erwerbsanreizen der Steuer- und Transferssysteme, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, den Vorruhestandsregelungen und der allgemeinen Arbeitsmarktsituation abhängig.In der Schweiz konnte die Erwerbsquote während der langen Rezessionsphase der 1990er-Jahre auf hohem Niveau gehalten und im letzten Aufschwung nochmals gesteigert werden. Die zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen spielte dabei eine wichtige Rolle (siehe Tabelle 1). Obwohl die Frauen sich zunehmend am «bezahlten» Erwerbsleben beteiligen, liegt ihre Erwerbsquote immer noch deutlich unter derjenigen der Männer. Besonders stark weichen die Quoten in der Familiengründungsphase (30–45 Jahre) und in den Jahren vor dem ordentlichen Rentenalter (55–64 Jahre) voneinander ab. Die Erwerbsbeteiligung der Schweizer Frauen ist im internationalen Vergleich zwar hoch, viele Frauen sind aber mit kleinen Pensen teilzeiterwerbstätig. Mit Ausnahme der Niederlande sind in keiner Volkswirtschaft so viele Frauen teilzeiterwerbstätig wie in der Schweiz. Hinter dem hohen Teilzeitanteil können frei gefällte Entscheide der Frauen über den Umfang der Erwerbsarbeit stehen, den sie leisten möchten, aber es werden auch gesellschaftliche Traditionen vermutet, die sich zumindest kurzfristig kaum verändern lassen. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht interessiert vor allem, inwieweit die institutionellen Voraussetzungen zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit verbessert werden können.

Kasten 2: Gute Arbeitsbedingungen und stabile LohnstrukturWie steht es mit den Arbeitsbedingungen in der Schweiz? Gemäss der europäischen Erhebung über Arbeitsbedingungen, die von der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen seit 1990 alle fünf Jahre durchgeführt wird, sind 91% der Schweizer Erwerbstätigen mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden oder sehr zufrieden. Nur Dänemark, Norwegen und Grossbritannien erreichen höhere Zufriedenheitswerte. Die Arbeitsbedingungen in der Schweiz sind somit im europäischen Vergleich gut.
European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (2007). Fourth European Working Conditions Survey. Luxembourg. Auch das im internationalen Vergleich hohe durchschnittliche Lohnniveau in der Schweiz zeugt vom Wohlstand und Leistungsniveau unserer Volkswirtschaft.In gesellschaftspolitischer Hinsicht interessiert aber nicht nur die Lohnhöhe, sondern auch deren Verteilung. Im internationalen Vergleich der OECD fällt der Unterschied der höchsten und tiefsten Löhne – gemessen am Verhältnis des 9. zum 1. Dezil der Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit – in der Schweiz moderat aus. Einzig in Finnland, Schweden, Norwegen und Belgien war die Lohnungleichheit im OECD-Vergleich weniger ausgeprägt.
Das 9. Dezil lag 2007 2,65-mal über dem 1. Dezil. 1997 lag dieser Wert noch bei 2,41. Bedeutung des 1. Dezil: 10% der Erwerbstätigen verdienen weniger als diesen Wert. Bedeutung des 9. Dezil: 10% der Erwerbstätigen verdienen mehr als diesen Wert. Über einen Zeitraum von 10 Jahren (1997–2007) resultierte in der Schweiz zudem ein eher bescheidenes Wachstum der Ungleichheit. Im unteren Bereich der Lohnstruktur hat sie sogar abgenommen, was auch auf die Erhöhung der Mindestlöhne in vielen Gesamtarbeitsverträgen (GAV) in den letzten 10 Jahren zurückzuführen sein dürfte. Im oberen Bereich der Lohnstruktur hat die Ungleichheit wie in den meisten OECD-Staaten zugenommen.
OECD Employment Outlook 2009: Tackling the Jobs Crisis, Statistical Annex, S. 303.Bedeutsam für die Stabilität der Lohnstruktur sind wie erwähnt die GAV. Diese enthalten in gewerblichen Branchen meistens auch Mindestlöhne und dürften massgeblich zur Stabilität der Lohnstruktur in der unteren Hälfte der Lohnpyramide gesorgt haben. Mit der Einführung der Personenfreizügigkeit haben die GAV an Bedeutung gewonnen, weil nicht mehr wie früher die Ausländerbehörden prüfen, ob bei Neueinstellungen von Personen aus den EU-Ländern die in der Schweiz geltenden orts- und branchenüblichen Löhne eingehalten werden. Auch müssen gemäss Entsendegesetz ausländische Firmen ortsübliche Löhne bezahlen, wenn sie in der Schweiz ihre Dienstleistungen erbringen. Wo GAV allgemeinverbindlich erklärt sind, müssen sie diese Mindestlöhne einhalten. Bei Anstellungen aus sogenannten Drittstaaten prüfen die Ausländerbehörden, ob die orts- und branchenüblichen Löhne eingehalten werden. Die relative Stabilität der Lohnstruktur ist auch ein Hinweis darauf, dass das Bildungswesen mit der technologischen Entwicklung Schritt halten konnte. Die starke Verbreitung des beruflichen Wissens, die wir in der Schweiz dank des dualen Berufsbildungssystems haben, dürfte hierbei eine Rolle gespielt haben. Investitionen in Ausbildung und Humankapital verringern die Gefahr für jeden Einzelnen, im Verlauf seiner Erwerbsbiografie einen Lohn zu erwirtschaften, mit welchem sich der Lebensunterhalt nicht bestreiten lässt.

Zitiervorschlag: Daniel Baumberger, Serge Gaillard, (2010). Der Schweizer Arbeitsmarkt – eine Lagebeurteilung. Die Volkswirtschaft, 01. April.