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Das Schweizer Konkursrecht aus ökonomischer Perspektive

Zu spät eingeleitete Konkursverfahren, fehlende Leistungsanreize im Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG) sowie ungenügender Handlungsspielraum und mangelnde Transparenz bei der Verwertung der Aktiven tragen dazu bei, dass in der Schweiz die Drittklass-Gläubiger in einem überwiegenden Teil der Konkursverfahren leer ausgehen. Gleichzeitig führt das heutige System dazu, dass es zu unnötigen Konkursfällen kommt oder aber mögliche Nachlassfälle verhindert werden. Zu diesen Schlüssen kommt eine Studie, die das Schweizer Konkursrecht aus einer ökonomischen Perspektive analysierte.

In der Schweiz liegt die Höhe der Konkurs- und Nachlassdividende im internationalen Vergleich relativ tief.
In Bezug auf die Höhe der Konkurs- und Nachlassdividende liegt die Schweiz gemäss einer Studie der Weltbank (Doing Business, 2009) mit einem Index von 46,8% im internationalen Vergleich weit hinter dem weltweiten Durchschnitt von rund 74%. Bei den Ergebnissen der Weltbank-Studie handelt es sich jedoch um Schätzwerte, die unter bestimmten Annahmen hergeleitet wurden und deshalb mit Unsicherheit behaftet sind. Die vorliegende Studie von Ernst & Young sollte auch dazu dienen, die Ergebnisse der Weltbank-Studie zu plausibilisieren. In einer ökonomischen Analyse des Konkursrechts, die Ernst & Young im ersten Halbjahr 2009 im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) durchführte, wurde das Zustandekommen der Konkurs- und Nachlassdividende näher beleuchtet. Ziel der Analyse war es, die Faktoren, welche die Höhe der Konkurs- und Nachlassdividende beeinflussen, zu ermitteln und zu gewichten sowie Empfehlungen zur Steigerung oder Optimierung der Konkurs- und Nachlassdividende herzuleiten.Dazu wurden in einem ersten Schritt 13 Konkurs- und Nachlassfälle der letzten Jahre in Form von Fallstudien untersucht – basierend auf Interviews mit den zuständigen Konkursverwaltern respektive Sachwaltern sowie auf zusätzlichen Datenrecherchen. Die Resultate der Fallstudien wurden im Rahmen von Interviews mit vier ausgewählten Experten validiert. Gestützt darauf wurden die verschiedenen Einflussfaktoren beurteilt und die entsprechenden Empfehlungen abgeleitet. Bei den Analyseergebnissen handelt es sich nicht um eine abschliessende Auflistung sämtlicher Einflussfaktoren, sondern um eine Auswahl von Faktoren, die sich in der Praxis als besonders relevant oder problematisch herausgestellt haben. Die ermittelten Einflussfaktoren werden im Folgenden entlang der zeitlichen Phasen des Konkurs- und Nachlassverfahrens beschrieben, die sich wie folgt gliedern lassen (siehe Grafik 1):– Phase 1: Die Vorphase umfasst die Entwicklungen bis hin zum Auftreten von Liquiditätsproblemen.– Phase 2: In der Verfahrens-Entscheid-Phase findet die Triage zwischen Nachlass- und Konkursverfahren statt. Bei einem Konkursverfahren wird zudem über die Verfahrensart entschieden.– Phase 3: Die Abwicklungsphase beinhaltet die gesamte Durchführung eines Verfahrens bis hin zur Auszahlung einer Konkurs- oder Nachlassdividende an die Gläubiger.

Vorphase des Verfahrens


Im Rahmen der Vorphase geht es um diejenigen Einflussfaktoren, welche bei der Auslösung des Konkurs-/Nachlassverfahrens bedeutsam sind. Bei den untersuchten Fällen lassen sich die Faktoren, die zu Liquiditätsengpässen führten, in drei Kategorien einteilen: – In der ersten Gruppe von Fällen waren die finanziellen Schwierigkeiten auf betriebliche Faktoren zurückzuführen (z.B. überalterte Betriebsstrukturen oder fehlendes betriebswirtschaftliches Know-how).– Bei der zweiten Gruppe waren konjunkturelle Faktoren ausschlaggebend (wie das massive Ansteigen der Rohstoffpreise). – Bei der dritten Gruppe traten die Engpässe aufgrund von personellen Faktoren auf (insbesondere Konflikte auf Geschäftsleitungsebene).

Fehlende Kultur des Scheiterns


Mit Blick auf die Höhe der Konkurs- oder Nachlassdividende scheinen jedoch weniger die konkreten Auslöser relevant zu sein. Entscheidend ist vielmehr der Faktor Zeit, d.h. der Zeitpunkt, wann ein Unternehmen auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten reagiert. In diesem Zusammenhang spielen kulturelle Einflussfaktoren eine wichtige Rolle: Es zeigt sich, dass Unternehmer bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten tendenziell (zu) lange zuwarten, bis tief greifende Gegen- bzw. Sanierungsmassnahmen ergriffen werden. Dies ist insbesondere in Kulturen der Fall, in denen ein Konkurs als persönliches Scheitern angesehen wird. Ein (zu) langes Zuwarten kann dazu führen, dass bei einem schliesslich eintretenden Konkurs kaum mehr Aktiven vorhanden sind, um die Forderungen der Gläubiger zu befriedigen, oder dass ein Konkurs unausweichlich wird, obwohl bei rechtzeitigem Handeln eine Sanierung des Betriebes möglich gewesen wäre. Die kulturellen Aspekte lassen sich durch gesetzliche Normen kaum beeinflussen.

Qualität der Revision als Frühwarnsystem


In diesem Zusammenhang spielt die Qualität der Revision als Frühwarnsystem eine wichtige Rolle. Die Revisionsstellen sollten die Unternehmen im Rahmen ihrer Prüfungspflichten und -befugnisse rechtzeitig auf sich abzeichnende finanzielle Probleme aufmerksam machen. Im Zuge der Generalüberholung des schweizerischen Revisionsrechts per 1.1.2008 wurden insgesamt umfassendere und strengere Revisionsvorschriften als bis anhin eingeführt. Namentlich GmbH, die früher keine Revision durchführen lassen mussten, unterstehen neu grundsätzlich einer Revisionspflicht. Zudem wurden mit der Reform die Anforderungen an die Revisionsstellen erhöht. Es ist davon auszugehen, dass damit die Qualität der Revision – insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) – gesteigert und das Frühwarnsystem grundsätzlich gestärkt werden konnte. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, wie sich die Möglichkeit einer eingeschränkten Revision bei kleineren und mittleren Aktiengesellschaften, welche bisher unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung einer ordentlichen Prüfung unterworfen waren, auswirken wird. Ingesamt bleibt der Einfluss der kürzlich in Kraft getretenen Reform auf die Qualität des Frühwarnsystems abzuwarten.

Verfahrens-Entscheid-Phase


Bei dieser Phase werden diejenigen Faktoren beleuchtet, die dazu führen oder aber verhindern können, dass im konkreten Fall das geeignete Verfahren zum Zug kommt.

Suboptimale Triage zwischen Konkurs- und Nachlassverfahren


Es fällt auf, dass die Triage zwischen Konkurs- und Nachlassverfahren nicht optimal funktioniert. Dadurch kann es zu «unnötigen» Konkursfällen oder zur Verhinderung möglicher Nachlassfälle kommen. Grund dafür sind in erster Linie eine mangelnde Information der Unternehmer sowie ein ungenügender Handlungsspielraum des Konkursrichters. Dies wirkt sich zwar nicht negativ auf die Konkursdividende aus (im Gegenteil – in diesen Fällen liegt die Dividende relativ hoch), doch sind diese Fälle aus volkswirtschaftlicher Sicht ineffizient, weil es dadurch unnötig zu Betriebsschliessungen und Arbeitsplatzverlusten kommt. Daher ist zu prüfen, wie die Unternehmer – insbesondere bei KMU – in dieser Situation besser über die Möglichkeiten eines Nachlassverfahrens informiert und entsprechend unterstützt werden können. Gleichzeitig ist die Durchlässigkeit zwischen Konkurs- und Nachlassverfahren (wie in Art. 173a Abs. 2 SchKG vorgesehen) zu verbessern.

Kostenvorschusspflicht und Honorierung von Hilfspersonen als Hindernisse


Ausserdem besteht die Gefahr, dass Verfahren durch die bestehende Kostenvorschusspflicht der Gläubiger zu lange hinausgezögert werden: Gemäss Art. 169 SchKG haftet der Gläubiger, der das Konkursbegehren stellt, für die Kosten bis und mit der Einstellung des Konkurses mangels Aktiven oder bis zum Schuldenruf und hat einen entsprechenden Kostenvorschuss zu leisten. Nur wenige Gläubiger sind jedoch bereit, dieses Risiko auf sich zu nehmen und einen entsprechenden Kostenvorschuss aufzubringen. Zudem findet kaum eine Koordination und damit Interessenbündelung unter den Gläubigern statt. Um diesem Problem entgegenzuwirken, ist zu prüfen, ob und allenfalls in welcher Form der Kostenvorschuss aus der Konkursmasse finanziert werden könnte. Als weitere Schwierigkeit hat sich in dieser Phase der Beizug von Hilfspersonen erwiesen: Im summarischen Verfahren kann die amtliche Konkursverwaltung externe Hilfspersonen (Experten) beiziehen. Die heutige Regelung bezüglich Honorierung erschwert aber den Beizug von Hilfspersonen, der je nach Ausgangslage hilfreich sein könnte. Deshalb ist zu prüfen, wie die Konkursverwaltungen in diesem Bereich mehr Handlungsspielraum bekommen könnten.

Abwicklungsphase des Verfahrens


Bei der Abwicklungsphase geht es schliesslich um diejenigen Faktoren, welche die Durchführung eines Konkurs-/Nachlassverfahrens sowie die Auszahlung einer Konkurs-/Nachlassdividende beeinflussen.

Frage der Qualifikation der Sachwalter


Beim Nachlassverfahren ist auf die Qualifikation des Sachwalters hinzuweisen, der für das Gelingen eines Nachlassverfahrens eine zentrale Rolle spielt: Der Sachwalter sollte den Schuldner während der Phase der Nachlassstundung intensiv und konsequent begleiten, da dieser mit der Situation oftmals überfordert ist. Damit kommen dem Sachwalter, dessen Profil heute stark juristisch ausgerichtet ist, auch wichtige unternehmerische Aufgaben zu. Es ist zu prüfen, ob die heutigen Anforderungen an die Sachwalter der interdisziplinären Rolle, die diese wahrnehmen sollten, gerecht werden.

Fehlende Leistungsanreize im SchKG


Auch beim Konkursverfahren hat sich gezeigt, dass die Person des Konkursverwalters – d.h. dessen Erfahrung, Eigeninitiative und Risikobereitschaft – das Ergebnis wesentlich beeinflussen können. Anreize für die Konkursbeamten, das wirtschaftliche Optimum aus einem Konkurs- oder Nachlassverfahren herauszuholen, finden sich im SchKG jedoch keine. Durch das heutige SchKG wird tendenziell ein risikoaverses, «schematisches» Verhalten der Konkursbeamten gefördert. Angesichts der hohen wirtschaftlichen Bedeutung des Konkurswesens sollte es auch Aufgabe des Konkursbeamten sein, auf ein ökonomisch optimales Ergebnis hinzuwirken. Daher sollten im SchKG entsprechende Anreizstrukturen verankert werden.

Geografische Ausrichtung erschwert Aufbau von Branchenwissen


Mit Blick auf die Organisation des Konkurswesens fällt auf, dass die geografische Ausrichtung der Konkursämter dem zunehmend geforderten Branchenwissen nicht mehr gerecht wird. Da die meisten Konkursämter für sämtliche Fälle innerhalb eines bestimmten geografischen Gebietes (Kreis) zuständig sind, sehen sie sich mit Fällen aus zahlreichen unterschiedlichen Branchen konfrontiert. Der Aufbau von spezifischem Branchenwissen oder von Kontakten in den einzelnen Branchen ist bei dieser Organisationsform kaum möglich. Es ist daher zu prüfen, wie innerhalb der Konkursämter mehr branchenspezifisches Know-how aufgebaut und verfügbar gemacht werden könnte. Denkbar ist, die heutige geografisch orientierte Organisation durch eine Organisation zu ersetzen, bei der sich die einzelnen Konkursämter auf gewisse Branchen spezialisieren (Kompetenzzentren). Eine andere Variante könnte darin bestehen, pro Kanton einen Spezialisten-Pool mit mobilen Branchenteams zu bilden, die von den einzelnen Konkursämtern bei Bedarf in Anspruch genommen werden könnten.

Verwertung der Aktiven: Mangel an Handlungsspielraum und Transparenz


Handlungsbedarf wird ebenfalls bei der Verwertung der Aktiven geortet. Zum einen werden heute optimale Ergebnisse teilweise verunmöglicht, da zu wenig zügig vorgegangen werden kann. Um einen Verkauf des Unternehmens inklusive Aktiven und dadurch die Fortführung des Betriebes in einer sogenannten Auffanggesellschaft zu ermöglichen, kann es unter Umständen entscheidend sein, dass der Konkursverwalter in der Startphase sehr zügig vorgehen kann. Das heutige Gesetz trägt diesem Umstand zu wenig Rechnung, indem es dem Konkursverwalter in der entscheidenden Startphase zu wenig Handlungsspielraum lässt. In Anlehnung an die Bestimmungen zum Notverkauf ist zu prüfen, wie dem Konkursverwalter mehr Spielraum eingeräumt werden kann, wenn eine zügige Verwertung der Aktiven zwecks Unternehmensverkauf erforderlich ist. Gleichzeitig wurde bei der Verwertung der Aktiven eine mangelnde Transparenz und Information über Angebot und Nachfrage festgestellt. Der Hauptgrund liegt darin, dass mit den bestehenden Instrumenten und Verfahren nur ein beschränkter Kreis von Interessenten erreicht wird. Dies fällt insbesondere bei grösseren Aktiven ins Gewicht und verringert den Erlös beziehungsweise die Konkursdividende entsprechend. Zudem sind für den Verkauf von Aktiven andere Kompetenzen gefordert als für die Durchführung des Konkursverfahrens im Allgemeinen. Es ist zu prüfen, ob und in welcher Form elektronische Kanäle sowohl für die Verwertung der Aktiven als auch für Unternehmensverkäufe genutzt werden könnten (insbesondere Versteigerungen über Internetplattformen). Damit liesse sich ein bedeutend grösserer Kreis von Interessenten erreichen, was den Wettbewerb wesentlich verstärken würde. Dabei muss jedoch dem hoheitlichen Charakter des Verkaufs und den rechtlichen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, Rechnung getragen werden. Auch stellt sich die Frage, ob für die optimale Verwertung der Aktiven vermehrt Personen zum Einsatz kommen könnten, die über die entsprechenden Kenntnisse und die Neigung bezüglich Vermarktung und Verkauf verfügen.

Schwierigkeiten bei der Geltendmachung von Verantwortlichkeits- und Anfechtungsansprüchen


Im Rahmen der Abwicklungsphase ist auch das Instrument der Verantwortlichkeits- oder Anfechtungsklagen (paulianische Ansprüche) zu erwähnen, die sich bei erfolgreicher Geltendmachung positiv auf die Höhe der Konkursdividende auswirken können. Von diesen Rechtsmitteln wird allerdings aus verschiedenen Gründen nur selten Gebrauch gemacht: Selten ist ein Gläubiger bereit, das damit verbundene Risiko auf sich zu nehmen und einen entsprechenden Kostenvorschuss zu leisten. Dies hängt damit zusammen, dass unter den Gläubigern kaum eine Koordination stattfindet und so die Interessen an einer entsprechenden Klage nicht gebündelt werden können. Zudem fehlt es der Konkursverwaltung oftmals am notwendigen Know-how, um entsprechende Ansprüche zu prüfen.Mit Blick auf die Kostenproblematik ist auf das Instrument der Prozessfinanzierung hinzuweisen, das seit kurzem auch auf dem schweizerischen Versicherungsmarkt angeboten wird. Es stellt sich die Frage, ob die öffentliche Hand ein analoges Instrument anbieten sollte, um die Rechtsdurchsetzung zu fördern. Zudem ist zu prüfen, in welcher Form die Koordination unter den Gläubigern verbessert werden könnte. Schliesslich sollten die Konkursämter vermehrt Dritte beauftragen (können), allfällige Verantwortlichkeits- und Anfechtungsansprüche prüfen zu lassen.

Fazit


Ein Blick auf die Untersuchungsergebnisse zeigt, dass sehr unterschiedliche Faktoren in den verschiedenen Phasen des Verfahrens für die Höhe der Konkurs- oder Nachlassdividende von Belang sind. Handlungsbedarf besteht einerseits auf gesetzgeberischer Ebene, wobei gewisse der angesprochenen Probleme bereits im Laufe der geplanten SchKG-Revision angegangen werden. Anderseits könnten jedoch auch mit Massnahmen auf organisatorischer Ebene wesentliche Optimierungen herbeigeführt werden.Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass die statistischen Grundlagen im Bereich des Konkurs- und Nachlasswesens verbesserungsbedürftig sind. Umfassendere und detailliertere statistische Grundlagen wären auch deshalb notwendig, um die Leistungen der einzelnen Konkursämter sowie der Kantone miteinander vergleichen zu können.

Grafik 1: «Phasen des Konkurs- bzw. Nachlassverfahrens»

Zitiervorschlag: Christian Sauter, Petra Beck, (2010). Das Schweizer Konkursrecht aus ökonomischer Perspektive. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.