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Wirtschaftliche Kriterien bei der Einleitung von Insolvenzverfahren

Der Konkurs ist die dramatischste, aber nicht die einzige Form des Scheiterns eines Unternehmens. Mit jedem Konkursfall sind Begleiterscheinungen verbunden: Zum einen werden finanzielle Verpflichtungen nicht eingehalten, was für Dritte einen Verlust zur Folge hat; zum anderen wird ein Knotenpunkt wirtschaftlicher Tätigkeit zerstört, was zahlreiche soziale und psychologische Konsequenzen hat. Jede Regelung in diesem Bereich strebt einen Ausgleich zwischen diesen verschiedenen Auswirkungen an, so auch das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG). In diesem Artikel wird versucht, die Effektivität der Kriterien für die Einleitung von Insolvenzverfahren zu beurteilen, welche im Rahmen der Gesetzesrevision vorgeschlagen werden. Dabei geht es um die Frage, ob mit Hilfe dieser Kriterien gefährdete Unternehmen zuverlässig und im Voraus zu erkennen sind.
Es handelt sich um eine Zusammenfassung einer der drei Studien, die von Ernst & Young und Eco’Diagnostic im Auftrag des Seco realisiert wurden: Trois études sur la révision du droit des faillites, Seco, Bern 2010, verfügbar im Internet: http://www.seco.admin.ch, Rubriken «Dokumentation», «Publikationen und Formulare», «Veröffentlichungsreihen», «Grundlagen der Wirtschaftspolitik».

Gemäss der letzten verfügbaren eidg. Betriebszählung (2008) gibt es in der Schweiz knapp 313 000 marktwirtschaftliche Unternehmen mit rund 3,5 Mio. Arbeitsplätzen. Hinter diesen aggregierten Zahlen verbergen sich sehr unterschiedliche Verhältnisse: Bei über vier von fünf Unternehmen (87%) handelt es sich um Mikrounternehmen (weniger als zehn Vollzeitäquivalente). Ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung beträgt ungefähr 25%; wahrscheinlich liegt auch ihr Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) etwa auf dem gleichen Niveau. Der Anteil der sogenannten Kleinunternehmen an der Gesamtzahl der Unternehmen beträgt 10,6%, wobei sie etwa gleich viele Arbeitsplätze bieten wie alle Mikrounternehmen. Knapp 20% der Gesamtbeschäftigung entfallen auf die gut 6000 mittleren Unternehmen (50 bis 249 Mitarbeitende). Die restlichen gut 30% der Arbeitsplätze stellen einige hundert grosse und sehr grosse Unternehmen.

Ein komplexes Problem


Diese Disparitäten auf zwei Ebenen – Unternehmensgrösse und Anzahl Arbeitsplätze – machen es ungemein schwierig, ein durchschnittliches oder repräsentatives Schweizer Unternehmen zu definieren. Wenn noch die unterschiedlichen Rechtsformen berücksichtigt werden, erhöht sich diese Schwierigkeit zusätzlich. So waren im Jahr 2006 im Handelsregister 476 000 juristische Personen eingetragen, während 2005 im Rahmen der eidg. Betriebszählung nur 301 000 Unternehmen verzeichnet worden waren. 60% der Unternehmen waren Kapitalgesellschaften, während es sich bei den übrigen 40% um Personengesellschaften, Vereine oder Stiftungen handelte. In diesem Artikel wird nicht auf die Einzelheiten der verschiedenen Erhebungsinstrumente und auf deren eigene Logik eingegangen.
Vgl. dazu Dembinski Paul H., PME en Suisse: profils et défis, Georg Editeur, Genf, 2004; KMU in der Schweiz. Profile und Herausforderungen, Rüegger Verlag, Zürich, 2004. Jedenfalls lässt sich festhalten, dass grundsätzlich jede der hier beschriebenen Formen von wirtschaftlicher Tätigkeit eines Tages in Konkurs gehen kann, unabhängig davon, ob es sich um eine natürliche oder juristische Person handelt. Aus den verfügbaren Statistiken geht indes nicht hervor, ob ein Konkurs mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängt, oder ob es sich um einen Privatkonkurs handelt. Gemäss den Erhebungen von Creditreform zur Eröffnung der im «Schweizerischen Handelsamtsblatt» (SHAB) veröffentlichten Konkursverfahren werden in der Schweiz jährlich 4000 bis 5000 Konkurse von Unternehmen verzeichnet. Im Jahr 2009 wurde dieser Wert mit 5215 Fällen erstmals übertroffen. Im Vergleich mit 2008 entsprach dies einem Anstieg um 23,5%.
Siehe dazu den Artikel von Claude Federer auf S. 24 ff. in dieser Ausgabe. Ein Fünftel dieser Zunahme ist hingegen auf Überschuldung zurückzuführen, und der grösste Teil hängt mit der Anwendung des neuen Artikels 731b des Obligationenrechts zusammen, der die Auflösung von Kapitalgesellschaften verlangt, wenn Mängel in der Organisation der Gesellschaft vorliegen. Zum Vergleich sei darauf hingewiesen, dass im Jahr 2003 (letztes verfügbares Jahr) nur 232 gerichtliche Nachlassverträge zustande kamen. Dabei ist der Umstand zu berücksichtigen, dass jedes Jahr ungefähr 20 000 Unternehmen ihre wirtschaftliche Tätigkeit einstellen und damit in den nachfolgenden Betriebszählungen nicht mehr erfasst werden. Mit anderen Worten: Ein Konkurs ist nur in verhältnismässig wenigen Fällen der Grund für die Auflösung von Unternehmen. Im Rahmen der Studie musste diesem Datenproblem Rechnung getragen werden (siehe Kasten 1

Wirtschaftliche Studien zum Phänomen des Konkurses werden durch ein Datenproblem erschwert, das in diesem Fall durch die Kombination der folgenden drei Quellen zu einem gewissen Teil überwunden wurde:– 400 Konkursfälle, die von Eco’Diagnostic/Observa (von 1996 bis 2003) zusammengestellt wurden und qualitative Informationen zum Geschäftsgang der Unternehmen in den letzten drei bis vier Jahren vor dem Konkurs enthalten.– Buchhalterische Kennzahlen über mehrere Jahre von rund 40 Unternehmen, die zwischen 1996 und 2005 in Konkurs gegangen sind. Die Daten wurden von der Crédit Suisse in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt.– Anonymisierte buchhalterische Daten über mehrere Jahre von über 100 gesunden Unternehmen. Sie wurden vom Bundesamt für Statistik (BFS) zur Verfügung gestellt und beziehen sich auf die Produktion und die Wertschöpfung.

).

Umsatzentwicklung und Fristen für das Erkennen des Konkursrisikos


Ein Umsatzrückgang könnte intuitiv ein erstes Anzeichen für eine Verschlechterung des Geschäftsgangs sein. Die Grafik 1 zeigt in aggregierter Form (alle Unternehmensalter und -grössen) die Entwicklung des Umsatzes vor dem Konkurs in knapp 400 Fällen. Während in ihrem letzten Geschäftsjahr knapp 40% der Unternehmen einen deutlichen Rückgang des Umsatzes (–10% oder stärkere Abnahme) hinnehmen mussten, waren es im Jahr t-2 nur 22% und im Jahr t-5 sogar nur 13%. Am anderen Ende der Skala verzeichneten ungefähr 25% der Unternehmen im letzten Jahr vor ihrem Konkurs eine deutliche Umsatzzunahme. Dieser Anteil blieb in den Jahren t-3 bis t-1 praktisch unverändert. In den Jahren t-4 und t-5 lag der Anteil der Unternehmen, die einen starken Umsatzanstieg aufwiesen, deutlich höher (45% im Jahr t-5). Allerdings bestanden nur 60% der Unternehmen, für welche Daten zur Umsatzentwicklung vorlagen, seit mehr als fünf Jahren. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Umsatzentwicklung allein kein zuverlässiger Indikator für künftige Probleme ist.Auf der Basis einer eingehenden Analyse der Umsatzentwicklung anhand dieser allgemeinen Zahlen lassen sich Unternehmen in drei Gruppen mit je unterschiedlichen Ausgangslagen einteilen:– Sehr junge Unternehmen, die mit ihrem Geschäftsgang das Aufbrauchen ihrer Reserven, das rascher als geplant verläuft, nicht kompensieren können. In jenen Fällen, in denen der Umsatz steigt, erfolgt die Umsatzzunahme zu wenig rasch.– Angeschlagene Unternehmen aller Alters- und Grössenklassen, deren Geschäfte mehr schlecht als recht laufen und die einen Schock (unvorhergesehenes Ereignis) erleiden, von dem sie sich nicht mehr erholen. Dieser Schock ist im Jahresabschluss kaum zu erkennen.– Ältere Unternehmen mit einem sukzessiven Umsatzrückgang, der ihre in der Vergangenheit geschaffene wirtschaftliche Substanz nach und nach aufzehrt.Der geringe Vorhersagewert der Umsatzentwicklung weist auf eine weitere Besonderheit des Konkurses hin: Er tritt im Allgemeinen unvermittelt auf. Je jünger ein Unternehmen ist, desto kürzer ist die durchschnittliche Frist für das Erkennen des Konkursrisikos durch die Verantwortlichen. Bei Unternehmen, deren Gründung weniger als drei Jahre zurückliegt, beträgt sie durchschnittlich acht Monate, bei über 20-jährigen Unternehmen 17 Monate. Die Frist korreliert mit der Unternehmensgrösse; sie beträgt zwölf Monate bei Mikrounternehmen und 27 Monate bei Unternehmen, die einmal über 50 Mitarbeitende beschäftigten. Falls also in der Schweiz Verfahren für die Erhaltung der wirtschaftlichen Substanz von Unternehmen eingeführt werden sollen, müssen sie so ausgestaltet werden, dass sie rasch umgesetzt werden können. Zwischen dem Zeitpunkt, in dem die Unternehmensleitung das Konkursrisiko erkennt, und dem Zeitpunkt, in dem Lieferanten und Kunden Schwierigkeiten bemerken, liegen einige Monate, höchstens ein halbes Jahr. Deshalb ist es umso wichtiger, dass schnell gehandelt wird, weil einige Unternehmen im Anschluss an einen erlittenen Schock oder an ein unvorhergesehenes Ereignis zusammenbrechen. Nur bei den bezüglich Unternehmensalter und -grösse etablierten Unternehmen ist die Frist für das Erkennen eines Konkursrisikos ausreichend lang, um den gegenwärtigen – langwierigen und schwerfälligen – Sanierungsverfahren eine Erfolgschance einräumen zu können. Sieht man von den Jungunternehmen ohne Wachstum ab, sind die sich aus der Buchführung ergebenden Alarmsignale nur bei 25% der Fälle von Nutzen – insbesondere bei Unternehmen, deren Gründung mehr als drei Jahre zurückliegt und die sich in einem zunehmenden Abwärtstrend befinden.

Rentabilität und Eigenkapital


Die Crédit Suisse (CS) hat den Autoren sehr detaillierte Kennzahlen (über 100 Positionen pro Jahr) zur Buchführung von 39 anonymisierten Unternehmen zur Verfügung gestellt, die im Zeitraum 2000 bis 2007 in Konkurs gegangen sind. Im Gegensatz zur Datenbank von Eco’Diagnostic handelt es sich dabei hauptsächlich um mittlere und grosse Unternehmen. Diese waren von der Bank zu einem bestimmten Zeitpunkt der Inkassoabteilung zugewiesen worden, weil sie entsprechend dem bankinternen Rating eine besorgniserregende Risikostufe erreicht hatten. Die Zuweisung zur Inkassoabteilung ist Ausdruck einer geänderten Haltung der Bank, die nun die Situation ihres Schuldners antizipiert, indem sie ihn entweder unterstützt oder den Prozess für das Eintreiben ihrer eigenen Forderungen beschleunigt.Die Äusserungen der Verantwortlichen der Inkassoabteilung zeigen deutlich, wie wichtig die Buchführungsdaten in heiklen Situationen eines Unternehmens sind. Gemäss ihrer Erfahrung geraten Unternehmen einer gewissen Grösse allmählich in Schwierigkeiten. Am Anfang steht eine Krise oder ein Strategiefehler, die drei bis fünf Jahre vor dem Konkurs nur für Insider des Unternehmens ersichtlich sind. Anschliessend folgt ein Rückgang des Umsatzes (oder genauer der Einnahmen), der sich in der Buchführung ein bis drei Jahre vor dem endgültigen Aus bemerkbar macht. Als Letztes kommt es in vielen Fällen weniger als ein Jahr vor dem Konkurs zu einer Liquiditätskrise. Bei diesen Unternehmen ist die Situation somit in erster Linie an der Entwicklung des Tagesgeschäfts ersichtlich; die Entwicklung der Bilanz ist lediglich das Resultat des negativen operativen Verlaufs. Wenn die Krise akut wird, stellen die Unternehmen die Produktion und Weitergabe von Buchführungsdaten ein, die in der Folge bedeutungslos werden. Die Erhaltung der wirtschaftlichen Substanz – oder der Forderungen – hängt nicht von Extrapolationen der Vergangenheit, sondern von energischen Entscheiden ab. Dieser Moment, in dem sich die Perspektive umkehrt, ist von grosser Bedeutung: Bis dahin kann die Lage des Unternehmens mit Hilfe der Buchführung objektiv nachvollzogen werden; darüber hinaus ist sie nur den Akteuren bekannt und hängt in vielen Fällen von Gefühl und Intuition ab.

Ebitda und Eigenkapitalanteil: Konkursindikatoren?


Grafik 2 zeigt die Höhe von zwei bedeutenden Kennzahlen, der Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation (Ebitda) und des Eigenkapitalanteils, im letzten Geschäftsjahr vor dem Konkurs. Wie der Begriff zum Ausdruck bringt, ist das Ebitda ein Indikator, mit dem der eigentliche Geschäftsgang eines Unternehmens vor dem Finanzaufwand, den Steuern und den Abschreibungen beurteilt werden kann. Der Eigenkapitalanteil zeigt dagegen die Verschuldung eines Unternehmens an und ist damit ein Gradmesser für dessen finanzielle Selbstständigkeit.Um die Lesbarkeit der Grafik zu gewährleisten, wurden die Achsen auf 70% begrenzt, womit drei Unternehmen nicht berücksichtigt werden konnten: ein Unternehmen, bei dem die beiden Kennzahlen sehr negativ waren, eines, bei dem die beiden Indikatoren sehr positiv waren, und eines, bei dem lediglich die Rentabilität sehr negativ ausgefallen war. Die Unternehmen wurden entsprechend ihrer Bilanzsumme (über bzw. unter 2 Mio. Franken) in zwei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe umfasste 17 und die zweite Gruppe 19 Unternehmen.Entgegen den Erwartungen ist zu erkennen, dass 20 von 39 Unternehmen im oberen rechten Bereich der Grafik positioniert sind. Kurze Zeit vor ihrem Konkurs wiesen sie sowohl eine minimale Rentabilität als auch noch ein gewisses Eigenkapital auf. Bei einigen Unternehmen lagen die beiden Indikatoren sogar noch recht hoch. Die Mehrheit der grossen Unternehmen (11 von 18) befand sich in diesem Quadranten. Berücksichtigt man ausserdem die Entwicklung der beiden Finanzindikatoren, stellt man fest, dass sich die Bilanzstruktur bei zwölf Unternehmen verbessert hat. In einigen Fällen trat während der letzten Jahre vor dem Konkurs sogar eine signifikante Verbesserung ein. Die Bilanz ging dabei zwar von einem recht tiefen Niveau aus, zeigte jedoch eine positive Entwicklung. Was die Rentabilität anbelangt, stieg das Ebitda in neun Fällen an, teilweise sogar in beträchtlichem Ausmass.Um eine klare Übersicht zu gewinnen und die Gründe für den Konkurs genau zu verstehen, wurden die 39 Unternehmen entsprechend dem Auftreten der drei klassischen Anzeichen für das Bestehen eines Konkursrisikos eingeteilt: kein Eigenkapital am Ende des Betrachtungszeitraums, sehr starker Umsatzrückgang während dieses Zeitraums und negative Rentabilität am Ende dieser Phase. Nur in einem von 39 Fällen waren alle drei Anzeichen vorhanden. In zehn Fällen wurden zwei Anzeichen und in 13 Fällen nur ein Anzeichen festgestellt. In den verbleibenden 15 (!) Fällen ging das Unternehmen in Konkurs, ohne dass auch nur eines der drei Anzeichen konstatiert worden war.

Fünf typische Ausgangslagen


In einer zweiten Phase wurden die Buchführungsdaten analysiert, um für jeden einzelnen Fall eine oder mehrere plausible Erklärungen für den Konkurs zu finden. Die anschliessenden Diagnosen wurden in fünf Erklärungskategorien gruppiert, die im Kasten 2

– A (Aktionäre): Situationen, in denen der Konkurs mit dem Verhalten des Aktionärs des Unternehmens zusammenzuhängen scheint. Diesbezüglich sind zwei Extremfälle denkbar: Der Aktionär begleicht seine Schulden (seine Rechnungen) nicht und treibt so das Unternehmen – d.h. die Tochtergesellschaft, wenn es sich um ein Unternehmen im Eigentum der Muttergesellschaft handelt – in den Konkurs; oder der Aktionär zieht liquide Mittel aus der Tochtergesellschaft ab und baut damit ihr Eigenkapital ab. Dieses Vorgehen scheint in 9 von 39 Fällen der Auslöser des Konkurses gewesen zu sein.– D (Dominoeffekt): Situationen, in denen das Unternehmen Verluste erzielte, weil seine Kunden ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen waren. Die Stichprobe umfasst 4 Fälle dieser Art.– E (exploitation, Betrieb): Klassische Situationen, die «naturgemäss» zum Konkurs führen. In diesen Fällen weisen die verfügbaren Informationen auf einen Umsatzeinbruch oder einen starken Rückgang der Rentabilität hin, was mit den üblichen Konsequenzen solcher Entwicklungen für die Bilanzstruktur verbunden war. Bei 11 der 39 untersuchten Fälle ging es anscheinend um betriebliche Probleme.– HE (hors exploitation, ausserbetrieblich): Situationen, in denen die Bilanz verdächtige Finanzbewegungen enthält, die auf ausserbetriebliche Aktivitäten oder Ereignisse hinweisen. Was die Stichprobe anbelangt, sind zwei Arten entsprechender Finanzbewegungen erkennbar: Wertverluste auf Immobilien, die vom Unternehmen nicht betrieblich genutzt wurden, und Verluste auf Finanzinvestitionen. Diese Art von Situation wurde in zehn Fällen verzeichnet.– I (inexplicable, unerklärliche Vorgänge): Wie der Begriff andeutet, handelt es sich um Fälle von Unternehmen, bei denen die Experten im Rahmen der Prüfung der entsprechenden buchhalterischen Kennzahlen keine plausible Erklärung für den Konkurs fanden. Diese Situation wurde in 8 Fällen festgestellt.

zusammengefasst sind.Falls die von der CS zur Verfügung gestellten Fälle repräsentativ wären für Kapitalgesellschaften, die in der Schweiz in Konkurs gehen, würden sich die Ursachen des Scheiterns wie folgt verteilen: In 27% der Fälle wäre der Konkurs die direkte Folge eines betrieblichen Problems.In 18% der Fälle wäre der Konkurs darauf zurückzuführen, dass das Unternehmen vom Aktionär bzw. den Aktionären ausgeplündert wurde.In 10% der Fälle wäre der Konkurs die Folge eines Dominoeffekts.In 25% der Fälle wäre der Konkurs auf ausserbetriebliche Ursachen zurückzuführen.In 20% der Fälle hätte der Konkurs nicht erfassbare buchhalterische Ursachen, würde mit Vorgängen zusammenhängen, die so rasch ablaufen, dass sie in der Buchführung nicht zum Ausdruck kommen, oder wäre mit einer Auseinandersetzung mit bestimmten Gläubigern verbunden.Bei den 16 grossen Unternehmen (mit einer Bilanzsumme von über 2 Mio. Franken) wurde die betriebliche Ursache (E) nur in drei Fällen verzeichnet. Somit würden die Ursachen des Konkurses von «grossen» Unternehmen mehr im ausserbetrieblichen Bereich liegen oder sogar mit dem Verhalten der Aktionäre oder Muttergesellschaften zusammenhängen. Bei den kleineren Unternehmen wären betriebliche Probleme die häufigste und «unerklärliche Vorgänge auf der Ebene der Buchführung» die zweithäufigste Ursache. Der letztere Fall könnte teilweise mit den Ursachen erklärt werden, die im Rahmen der Analyse der qualitativen Daten von Eco’Diagnostic festgestellt wurden. So könnte es sich etwa um Streitigkeiten innerhalb der Unternehmensleitung, gescheiterte Partnerschaften sowie qualitative und technische Probleme handeln.

Fazit


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass über die Hälfte der Konkurse von Kapitalgesellschaften mit Unternehmen zusammenhängen, die über eine mehr oder weniger gesunde wirtschaftliche Substanz verfügen. Der Konkurs ist in 53% der Fälle auf externe Faktoren zurückzuführen (Aktionäre, ausserbetrieblicher Bereich oder Dominoeffekt). Demzufolge sind die klassischen Alarmkriterien in Bezug auf Liquidität und Rentabilität nur von begrenztem Nutzen, um Massnahmen zur Beschleunigung des Konkurses oder zur Erhaltung der wirtschaftlichen Substanz einzuleiten.Sofern der Gesetzgeber die Erhaltung der wirtschaftlichen Substanz und einen allfälligen Neustart von Unternehmen fördern will, muss er Massnahmen vorsehen, die auf das Alter und die Grösse des jeweiligen Unternehmens abgestimmt werden können. Die Massnahmen müssen rasch umsetzbar und auf die schwächsten Komponenten des Wirtschaftsgefüges abgestimmt sein. Für grössere Unternehmen braucht es striktere, langwierigere und kostspieligere Massnahmen.Die Tatsache, dass viele Konkurse nicht direkt durch die eigentliche wirtschaftliche Tätigkeit (den Betrieb) des Unternehmens verursacht werden, ist zum einen ein Hinweis darauf, dass die Erhaltung der Substanz eine interessante Option sein kann. Sie spricht zum anderen dafür, die Unternehmensstatuten in Bezug auf die Ziele und den zulässigen Gesellschaftszweck restriktiver auszugestalten. Auf diese Weise könnten die Risiken im Zusammenhang mit ausserbetrieblichen Vorfällen, durch die der Fortbestand des Unternehmens möglicherweise gefährdet wird, vermindert werden.

Grafik 1: «Umsatzentwicklung in den letzten fünf Jahren vor dem Konkurs»

Grafik 2: «Betriebsergebnis (Ebitda) und Eigenkapitalanteil im letzten Geschäftsjahr»

Kasten 1: Bewältigung des Datenproblems

Wirtschaftliche Studien zum Phänomen des Konkurses werden durch ein Datenproblem erschwert, das in diesem Fall durch die Kombination der folgenden drei Quellen zu einem gewissen Teil überwunden wurde:– 400 Konkursfälle, die von Eco’Diagnostic/Observa (von 1996 bis 2003) zusammengestellt wurden und qualitative Informationen zum Geschäftsgang der Unternehmen in den letzten drei bis vier Jahren vor dem Konkurs enthalten.– Buchhalterische Kennzahlen über mehrere Jahre von rund 40 Unternehmen, die zwischen 1996 und 2005 in Konkurs gegangen sind. Die Daten wurden von der Crédit Suisse in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt.– Anonymisierte buchhalterische Daten über mehrere Jahre von über 100 gesunden Unternehmen. Sie wurden vom Bundesamt für Statistik (BFS) zur Verfügung gestellt und beziehen sich auf die Produktion und die Wertschöpfung.

Kasten 2: Fünf plausible Erklärungen für den Konkurs

A (Aktionäre): Situationen, in denen der Konkurs mit dem Verhalten des Aktionärs des Unternehmens zusammenzuhängen scheint. Diesbezüglich sind zwei Extremfälle denkbar: Der Aktionär begleicht seine Schulden (seine Rechnungen) nicht und treibt so das Unternehmen – d.h. die Tochtergesellschaft, wenn es sich um ein Unternehmen im Eigentum der Muttergesellschaft handelt – in den Konkurs; oder der Aktionär zieht liquide Mittel aus der Tochtergesellschaft ab und baut damit ihr Eigenkapital ab. Dieses Vorgehen scheint in 9 von 39 Fällen der Auslöser des Konkurses gewesen zu sein.– D (Dominoeffekt): Situationen, in denen das Unternehmen Verluste erzielte, weil seine Kunden ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen waren. Die Stichprobe umfasst 4 Fälle dieser Art.– E (exploitation, Betrieb): Klassische Situationen, die «naturgemäss» zum Konkurs führen. In diesen Fällen weisen die verfügbaren Informationen auf einen Umsatzeinbruch oder einen starken Rückgang der Rentabilität hin, was mit den üblichen Konsequenzen solcher Entwicklungen für die Bilanzstruktur verbunden war. Bei 11 der 39 untersuchten Fälle ging es anscheinend um betriebliche Probleme.– HE (hors exploitation, ausserbetrieblich): Situationen, in denen die Bilanz verdächtige Finanzbewegungen enthält, die auf ausserbetriebliche Aktivitäten oder Ereignisse hinweisen. Was die Stichprobe anbelangt, sind zwei Arten entsprechender Finanzbewegungen erkennbar: Wertverluste auf Immobilien, die vom Unternehmen nicht betrieblich genutzt wurden, und Verluste auf Finanzinvestitionen. Diese Art von Situation wurde in zehn Fällen verzeichnet.– I (inexplicable, unerklärliche Vorgänge): Wie der Begriff andeutet, handelt es sich um Fälle von Unternehmen, bei denen die Experten im Rahmen der Prüfung der entsprechenden buchhalterischen Kennzahlen keine plausible Erklärung für den Konkurs fanden. Diese Situation wurde in 8 Fällen festgestellt.

Kasten 3: Vergleichende Analyse zwischen gesunden und konkursiten Unternehmen

Aus der Analyse der 110 gesunden Unternehmen, deren Daten vom BFS zur Verfügung gestellt worden waren, und ihrem Vergleich mit den 39 von der CS vorgelegten Fällen resultierten zwei zusätzliche Erkenntnisse: Zum einen sind bei den sogenannt gesunden Unternehmen häufig buchhalterische Anzeichen für eine Gefährdung des betreffenden Unternehmens zu verzeichnen. Zum anderen ist die Auslegung dieser Kriterien mit Problemen verbunden. Ihre Bedeutung scheint von der Grösse des Unternehmens abzuhängen: Bei den grossen Unternehmen deuten diese Anzeichen auf ein grosses Wachstumspotenzial hin, während sie bei den kleinsten Unternehmen die weniger leistungsfähigen Unternehmen kennzeichnen.

Zitiervorschlag: Paul H. Dembinski, Claudio Bologna, (2010). Wirtschaftliche Kriterien bei der Einleitung von Insolvenzverfahren. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.