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Konkursstatistiken: Die Schweiz im europäischen Vergleich

Konkursstatistiken: Die Schweiz im europäischen Vergleich

Das Jahr 2009 stand ganz im Zeichen der grössten Wirtschaftskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Ausgelöst von Immobilienspekulationen und Bankenkrise bewegte sich die Weltwirtschaft zum Beginn des letzten Jahres nahe am Abgrund. In allen Industrieländern brach die Wirtschaftsleistung deutlich ein. Der rasante Konjunkturabsturz hat auch in der Schweiz Spuren hinterlassen. Im europäischen Vergleich steht die Schweizer Wirtschaft aber gut da.

Die Zahl der Konkurse liegt total mit 10 906 auf dem höchsten Stand, der je in der Schweiz erreicht wurde. Der bisherige Rekord mit 10 513 Konkursen datiert aus dem Jahr 1993. Im Vergleich zur aktuellen Situation zeigt sich allerdings ein deutlicher Unterschied: Der Anteil der im Handelsregister eingetragenen Firmen betrug 1993 «nur» 42%, 2009 lag er bei 48%.

Firmenkonkurse: Neuer Rekordwert nach Gesetzesänderung


Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der publizierten Firmenkonkurse auf 5215. Zum ersten Mal wurde damit die 5000er-Grenze übertroffen. Diese Zunahme von 23,5% gegenüber 2008 wirkt auf den ersten Blick dramatisch. Es wäre aber falsch, die Gründe allein in der Wirtschafts- und Finanzkrise zu suchen. Auch wenn im vergangenen Jahr das wirtschaftliche Umfeld schwierig war und das eine oder andere Unternehmen an direkten oder indirekten Folgen der Krise zugrunde gegangen ist, zeigt eine genauere Analyse der Zahlen: Viele Firmen sind nicht dem Pleitegeier, sondern dem revidierten Revisionsrecht zum Opfer gefallen.Seit dem 1. Januar 2008 regelt Art. 731b OR die Auflösung von Kapitalgesellschaften bei Mängeln in der Organisation neu. Der Richter kann eine Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs anordnen. Bisher wurden diese Firmen lediglich durch Liquidation aufgelöst und aus dem Handelsregister gelöscht. Grafik 1 zeigt die monatliche Entwicklung der Konkurspublikationen mit Blick auf die Gesetzesänderung. Im Jahr 2008 wurde gestützt auf den neuen Artikel über 329 Firmen der Konkurs eröffnet, 2009 waren es bereits 1148 Firmen. Bei der Umsetzung besteht ein gewisser Handlungsspielraum. Das zeigt auch ein Vergleich zwischen den einzelnen Kantonen. Der durchschnittliche Anteil der Firmenkonkurse liegt bei 0,5%. Die höchsten Werte werden in den Kantonen AR, GL und TI verzeichnet (>1%). In den Kantonen Appenzell Innerrhoden, Schaffhausen, Neuenburg und Obwalden wurden dagegen noch keine Konkursverfahren nach der neuen Regelung durchgeführt (vgl. Grafik 2). So nahm im vergangenen Jahr die Zahl der Konkurse infolge Überschuldung «nur» um 4,5% zu. Das dürfte auch erklären, weshalb die Wirtschaftskrise von vielen Menschen bislang nicht wirklich wahrgenommen wurde.

Privatkonkurse weiterhin rückläufig


Im Jahr 2009 wurden insgesamt 5691 Insolvenzen publiziert. Grafik 3 zeigt die Entwicklung der letzten zehn Jahre. Nach dem kontinuierlichen Anstieg der Privatpleiten bis 2007 konnte in den letzten beiden Jahren ein Abwärtstrend festgestellt werden. Sollte sich die Wirtschaft in den nächsten Monaten negativ entwickeln, ist wieder mit steigenden Zahlen bei den Privatpersonen zu rechnen.

Vergleich mit Westeuropa


Der rasante Konjunkturabsturz hat deutliche Spuren in den Umsatz- und Ertragszahlen der europäischen Unternehmen hinterlassen. Forderungsausfälle und Konkurszahlen schnellten in die Höhe. Insbesondere die exportorientierten Wirtschaftszweige der Industrie – allen voran der Maschinenbau – mussten mit zweistelligen Auftragsrückgängen kämpfen. In den meisten Staaten Europas war allein die Binnennachfrage eine stützende Säule für die Konjunktur. Auch halfen die milliardenschweren Konjunkturpakete einigen Branchen wie der Automobilindustrie («Abwrackprämie») kurzfristig auf die Beine. Finanzsektor und Bauwirtschaft litten hingegen unter dem auf Pump finanzierten Boom der vergangenen Jahre.

Firmenkonkurse nehmen 2009 deutlich zu


Mit dem Überschwappen der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft vor rund einem Jahr und den Verschärfungen in den Finanzierungsbedingungen für die Unternehmen stiegen in den meisten europäischen Ländern die Firmenkonkurse deutlich an. Allein in Westeuropa (EU-15 plus Schweiz und Norwegen) wurden 2009 gut 185 100 Pleiten registriert. Das entspricht einer Zunahme von 22%. Gegenüber dem Tiefststand aus dem Jahr 2007 mit europaweit 134 260 Firmenkonkursen hat sich die Zahl um deutliche 38% erhöht. Wie beschrieben, ist die starke Zunahme der Firmenkonkurse in der Schweiz hauptsächlich durch die Gesetzesänderung bedingt. Nimmt man nur die Konkurse durch Insolvenz mit einem Plus von lediglich +4,5%, würde die Schweiz – sieht man von Griechenland ab, dessen Zahlen nicht wirklich vergleichbar sind – den Spitzenplatz einnehmen.

Spanien, Irland und Dänemark im Sog der Krise


Die Mehrzahl der westeuropäischen Staaten wurde 2009 von einer regelrechten Pleitewelle erfasst. Massiv betroffen waren Spanien (4900 Firmenkonkurse; +93,8%), Irland (1400; +81,1%), die Niederlande (10 500; +53,4%) und Dänemark (5600; +51,0%). In Dänemark war die Zahl der Firmenkonkurse 2008 um 54,5% gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Damit sind in dem nordeuropäischen Staat 2009 fast dreimal so viele Unternehmen in Konkurs gegangen wie 2006 (1987 Fälle). Einen noch stärkeren Anstieg innerhalb dieses Zeitraums verzeichnen nur noch die von der Wirtschafts- und Finanzkrise massiv betroffenen Länder Spanien (Steigerung um den Faktor 5,7) und Irland (Steigerung um den Faktor 4,6).

Frankreich und Grossbritannien mit Minusrekorden


Die absolut höchste Zahl an Firmenpleiten in einem einzelnen Land gab es 2009 in Frankreich. Mit 55 800 Fällen wurde jedoch ein vergleichsweise moderater Anstieg (+12,2%) gegenüber dem Vorjahr verzeichnet. Dasselbe gilt für Österreich (+8,5%), Belgien (+11,3%), Deutschland (+16,0%) und Luxemburg (+18,3%). Von den drei grössten europäischen Volkswirtschaften schneidet Grossbritannien am schlechtesten ab. Innerhalb eines Jahres erhöhte sich die Zahl der Firmenkonkurse um 24,8% auf 20 300 Fälle (2008 16 268 Fälle). Dabei wies Grossbritannien bereits 2008 einen hohen zweistelligen Zuwachs (+26,2%) auf, während das Plus in Deutschland damals mit nur 1,5% vergleichsweise milde ausfiel und es in Frankreich einen Anstieg um 16,9% gab.

Skandinavien und Südeuropa


Innerhalb der skandinavischen Länder nahm die Zahl der Firmenpleiten in Norwegen überdurchschnittlich stark zu (+40,2%). In Finnland (+26,7%) und Schweden (+20,7%) fiel der Anstieg nur etwa halb so hoch aus. In Südeuropa – Spanien, Portugal, Italien und Griechenland – verlief die Insolvenzentwicklung 2009 zwar in die gleiche Richtung (in allen Ländern gab es einen Anstieg); allerdings sticht Spanien mit einer Beinahe-Verdopplung heraus. Griechenland dürfte 2009 eine Stagnation bei den Firmenkonkursen erlebt haben. In Italien haben die Pleiten dagegen um 40,0% zugenommen. In Portugal fiel das Plus mit 36,2% ebenfalls deutlich aus.

Knapp ein Fünftel entfällt auf Deutschland


Hinter Frankreich, das für fast jede dritte Firmenpleite in Europa steht (30,1%), weist Deutschland den zweithöchsten Anteil am europäischen Insolvenzgeschehen auf. Knapp ein Fünftel (18,5%) aller Unternehmenszusammenbrüche in Westeuropa im Jahr 2009 betrafen eine Firma aus Deutschland. Der Anteil der skandinavischen Staaten (Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden) beträgt knapp ein Achtel (11,7%). Die Beneluxstaaten (11,1%) sowie Grossbritannien (11,0%) kommen auf jeweils ein Neuntel.

1,7 Millionen Jobs in Gefahr


Die schnellen und umfassenden Reaktionen der europäischen Regierungen konnten die Schärfe des wirtschaftlichen Einbruchs zumindest abmildern. Gleichwohl ging das weltweite Handelsvolumen stark zurück; die durch den abrupten Produktionsrückgang entstandenen Überkapazitäten führten europaweit zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit, der sich 2010 fortsetzen dürfte. Die in vielen Ländern Europas stark gestiegene Zahl an Firmenpleiten hat sowohl die Schäden für Gläubiger als auch die insolvenzbedingten Arbeitsplatzverluste massiv erhöht. Die hohe Zahl an Grosspleiten mit mehreren Tausend betroffenen Arbeitnehmern – allein in Deutschland sind mehr als 500 000 Jobs weggefallen oder gefährdet – führten dazu, dass der bisherige Rekordwert aus dem Jahr 2003 wieder erreicht wurde. 2009 dürften rund 1,7 Mio. Arbeitnehmende von der Pleite ihres Arbeitgebers betroffen gewesen sein. Damit mussten etwa eine halbe Mio. Beschäftigte mehr als im Jahr zuvor um ihren Job fürchten. In weiten Teilen Europas belasten insolvenzbedingte Stellenverluste die bereits angespannten Arbeitsmärkte. Auch in der Schweiz hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Doch ist der Beschäftigungsrückgang gemessen am Konjunkturabschwung bislang relativ gering.

Privatkonkurse: Kräftiger Zuwachs in Frankreich und Grossbritannien …


Anders als in der Schweiz ist in Europa auch die Zahl der Privatpleiten im Vergleich zum Jahr 2008 deutlich gestiegen. Mit insgesamt fast 361 000 zahlungsunfähigen Privatpersonen in den europäischen Ländern, die über eine entsprechende Datenerhebung verfügen, wurden 2009 12,4% mehr Fälle gezählt als 2008 (321 000). Der kräftige Zuwachs um knapp 40 000 Fälle geht zu grossen Teilen auf das Konto Frankreichs (42 650; +27,8%) und Grossbritanniens (156 850; +23,3%). In beiden Volkswirtschaften nahm die Zahl der zahlungsunfähigen Personen im zweistelligen Prozentbereich zu. Die hohe Zahl im Vereinigten Königreich ist alarmierend und Ausdruck der rapide verschlechterten Wirtschaftslage. 2009 mussten 3 von 100 erwachsenen Briten Insolvenz anmelden. Seit 2005 hat sich die Zahl der betroffenen Privatpersonen damit fast verdoppelt. Frankreich verzeichnet seit Einführung des Schuldenbereinigungsplans («Procédure de rétablissement personnel, PRP») im Jahr 2003 einen steilen Anstieg in der Nutzung des Instruments zur persönlichen Entschuldung. Nach rund 16 400 Verfahren im Jahr 2004 waren es 2009 gut zweieinhalbmal so viele – insgesamt 42 650 Verfahren.

… Deutschland mit Stagnation


Die Zahl der Privatpleiten stieg in Deutschland (+0,9%) und Finnland (+0,3%) gegenüber 2008 nur marginal an. Mit 127 500 Fällen weist Deutschland aber in absoluten Zahlen nach Grossbritannien den zweithöchsten Wert in Westeuropa auf. Bis 2007 lag die Bundesrepublik in dieser unrühmlichen Statistik gar noch an der Spitze. Allerdings dürfte die Zahl der zahlungsunfähigen Privatpersonen 2010 in Deutschland auch aufgrund der Verschlechterungen am Arbeitsmarkt wieder zunehmen.

Fazit


Bei allen negativen Folgen hat eine Rezession in der Regel auch positive Effekte: Unternehmen, die aufgeben müssen, setzen Marktanteile für besser geführte Wettbewerber frei. Arbeitskräfte, die in den wegfallenden Sektoren beschäftigt waren, können dorthin gehen, wo sie gebraucht werden. Die aktuelle Wirtschaftskrise gehorcht aber nicht dieser «perfekten» ökonomischen Welt. Der gesamtwirtschaftliche Schaden ist zu gross. Die Erholung dürfte langsamer vonstatten gehen als zu Beginn der letzten Dekade und auch langsamer als während des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 1990er-Jahren. Im europäischen Vergleich macht die Schweizer Wirtschaft zwar eine relativ gute Figur. Doch werden erst die kommenden Monate zeigen, wie sich der grösste Wirtschaftseinbruch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hierzulande auswirken wird. Erschwerend kommt hinzu, dass angeschlagene Unternehmen in der Schweiz gegenüber ihren europäischen Konkurrenten benachteiligt sind. Grund dafür sind die für Gläubiger schwierigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die erfolgreiche Sanierungen immer wieder verhindern. Das aber führt zu mehr Konkursen und damit zur Vernichtung von wertvollem Kapital.

Grafik 1: «Konkurspublikationen nach OR731b, 2008/09»

Grafik 2: «Publizierte Firmenkonkurse, 2000–2009»

Grafik 3: «Entwicklung der Privatkonkurse in der Schweiz, 2000–2009»

Grafik 4: «Verteilung der Firmenkonkurse in Westeuropa, 2009»

Tabelle 1: «Konkurse in der Schweiz, 2008/09»

Tabelle 2: «Entwicklung der Firmenkonkurse in Westeuropa, 2005–2009»

Tabelle 3: «Insolvenzbedingte Arbeitslosigkeit in Europa, 1999–2009»

Kasten 1: Konkursstatistiken

Konkursstatistiken haben sich zu einem wichtigen Instrument entwickelt, um konjunkturelle Schwankungen zu beobachten. Vergleiche von Firmen- und Privatkonkursen zwischen den verschiedenen Ländern geben – zusammen mit weiteren Indikatoren – Aufschluss über den Zustand einer Volkswirtschaft. Die Analyse insolventer Firmen bietet wertvolle Hinweise für die Prävention im Kredit- und Debitorenmanagement. So können mit Hilfe spezifischer Merkmale die Ausfallwahrscheinlichkeit bestimmt und aussagekräftige Prognosen erstellt werden.

Kasten 2: Creditreform

Der Schweizerische Gläubigerverband (http://www.creditreform.ch) präsentiert sich heute als ein modernes, genossenschaftlich strukturiertes Unternehmen. Über 12 000 Mitglieder und Kunden profitieren von weltweiten Bonitäts- und Wirtschaftsauskünften sowie Inkassodienstleistungen aus einer Hand. Damit leistet der Verband einen wichtigen Beitrag, um die Zahlungsfähigkeit von Firmen, Selbständigerwerbenden und Privatpersonen zu erhalten. Creditreform verfügt heute über sieben selbständige Kreisbüros in der Schweiz und ein Netz von 180 Geschäftsstellen in Europa. Die Statistiken zu den Konkurseröffnungen in der Schweiz werden seit 1974 geführt und seit 1993 regelmässig publiziert. Damit betreibt der im Jahre 1888 gegründete, grösste Gläubigerverband der Schweiz Aufklärungsarbeit im Interesse der Wirtschaft.

Zitiervorschlag: Claude Federer (2010). Konkursstatistiken: Die Schweiz im europäischen Vergleich. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.