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Revision des Konkursrechts als integraler Bestandteil der Wachstumspolitik des Bundesrats

Revision des Konkursrechts als integraler Bestandteil der Wachstumspolitik des Bundesrats

Es ist seit Langem bekannt, dass die industrielle Erneuerung zu einem dynamischen Wirtschaftswachstum beiträgt. Dieser Artikel zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Wachstumspolitik und effizientem Konkursrecht enger ist als gemeinhin angenommen. So hatte die OECD der Schweiz im Jahr 2006 empfohlen, ihr Konkursrecht zu revidieren. Zwei Jahre später nahm der Bundesrat diesen Vorschlag in seinem Bericht «Wachstumspolitik 2008–2011: Massnahmen zur weiteren Stärkung des Schweizer Wirtschaftswachstums» auf. Für die Schweiz besteht vor allem in zwei Bereichen Handlungsbedarf: Erstens muss sie das Konkursverfahren beschleunigen und zweitens die Verfahrenskosten senken.

Am 2. April 2008 formulierte der Bundesrat seine Wachstumspolitik für die Legislaturperiode 2008–2011.
Siehe Seco (2008). Diese besteht aus 20 Massnahmen, wobei die Revision des Konkursrechts an zehnter Stelle steht. Im Bericht werden die wirtschaftlichen Auswirkungen als bedeutend und kurzfristig realisierbar bezeichnet. Durch die jüngste Wirtschaftskrise ist diese Reform noch relevanter und dringlicher geworden. Verschiedene Gründe sprechen dafür, dass eine Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts in der Schweiz das strukturelle Wachstum positiv beeinflussen wird.Zuerst besteht bei den Konkursen ein Aufwärtstrend: 2008 kam es trotz hervorragender Konjunkturlage zu 10 592 Konkurseröffnungen, womit beinahe der Rekordwert von 10 715 aus dem Jahr 2006 erreicht wurde (siehe Grafik 1). Die direkten Kosten solcher Verfahren sind in der Schweiz keineswegs vernachlässigbar: Zwischen 1988 und 2008 beliefen sie sich auf rund 0,77% des BIP, 1997 nach der wirtschaftlichen Durststrecke in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre sogar auf 1,1% des BIP. Dabei sind diese offiziell ausgewiesenen Verluste als Mindestwert zu betrachten. Die Gesamtkosten für die Wirtschaft sind wesentlich höher, da nicht erfasste Anpassungskosten von Mitarbeitenden, Lieferanten und Kunden hinzukommen. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass in einer entwickelten Volkswirtschaft der Anteil der immateriellen, auf dem Markt nicht handelbaren Vermögenswerte (Wahlfreiheit der Konsumenten, Netzwerk- und Markeneffekte, firmenspezifisches Know-how usw.) zunimmt, vor allem in innovativen Unternehmen. Wenn hingegen die Produktionsfaktoren eines Unternehmens, das mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpft, an ein anderes übergehen, wirkt sich dies positiv auf das Wirtschaftswachstum aus. Es kann sogar Ausdruck einer gewissen Dynamik sein, wenn die am wenigsten produktiven Unternehmen von ihren Konkurrenten verdrängt werden und verschwinden. Das ist häufig der Fall. Es hat sich gezeigt, dass der aussagekräftigste Indikator für die Konkurswahrscheinlichkeit eines Unternehmens die Distanz zur Effizienzgrenze ist, die dem Durchschnitt aller Unternehmen entspricht.
Beispielsweise: Becchetti und Sierra (2003).Bartelsmann, Haltiwanger und Scarpetta (2004) kommen – ebenso wie vergleichbare Studien – zum Schluss, dass der Prozess der Gründung und Schliessung ein wichtiges Element für das Produktivitätswachstum darstellt. Umgekehrt sind gemäss Studien alle staatlichen Strategien, die den Prozess der industriellen Erneuerung bremsen (Hürden für Unternehmensgründungen, Arbeitsplatzsicherung usw.), für das Wachstum in entwickelten Ländern fatal.
In Schwellenländern, die noch weit weg von der globalen Technologiegrenze sind, ist dies hingegen nicht immer der Fall. Besonders lehrreich war dabei die Erfahrung Japans mit den «Zombie Firms» in den 1990er-Jahren. Das Ziel einer Konkursgesetzgebung darf deshalb auf keinen Fall darin bestehen, die Zahl der Konkurse zu verringern. Vielmehr geht es darum, die frei werdenden wirtschaftlichen Ressourcen möglichst schnell und effizient neu zu verteilen.In der Schweiz spielen die Prozesse der industriellen Erneuerung und der Unternehmensschliessungen eine wichtige Rolle: Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) existiert die Hälfte aller Unternehmen fünf Jahre nach der Gründung nicht mehr (siehe Grafik 2).

Im Ausland ist es einfacher, ein Unternehmen zu schliessen


Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz nicht zu den Musterschülern: Sie liegt in der Rangliste der Datenbank DoingBusiness der Weltbank bei den Unternehmensschliessungen lediglich auf dem 38. Rang. Ungenügend ist dabei insbesondere der Anteil der sichergestellten Ansprüche (Recovery Rate) mit lediglich 46,8%.
Berechnung für ein fiktives, aber international vergleichbares Hotel. Von den Industrieländern schneiden nur noch Frankreich und Luxemburg schlechter ab, während die Quoten der Besten bei 90% liegen. Noch bedenklicher ist der 84. und von den entwickelten Ländern letzte Rang der Schweiz bei der Dauer der Konkursverfahren. Die vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und vom Bundesamt für Justiz (BJ) bei Ernst&Young (2010) in Auftrag gegebene Studie konnte keine höheren durchschnittlichen Entschädigungsquoten für die Drittklassgläubiger nachweisen, was die Zahlen der Weltbank indirekt bestätigt.Dies wirft ernsthafte Fragen zur Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz auf. Denn verschiedene europäische Länder haben umfangreiche Strukturreformen ihres Konkursrechts in Angriff genommen, häufig auf Empfehlung der Europäischen Kommission. Besonders beispielhaft ist der Fall Dänemark: Mit einer Reform gelang es dem Land gemäss Angaben der Datenbank DoingBusiness, den Anteil der sichergestellten Ansprüche von 63,1% im Jahr 2005 auf 87% im Jahr 2008 zu steigern. Gleichzeitig wurde die durchschnittliche Verfahrensdauer mit einem Rückgang von 3,3 auf 1,1 Jahre auf ein Drittel reduziert. Es erstaunt deshalb nicht, dass die OECD (2006) im Rahmen einer Analyse zur Innovationspolitik der Schweiz empfahl, das Konkursrecht zu revidieren. Sie bestätigte damit auch dessen Bedeutung für die industrielle Erneuerung und die Wachstumspolitik.

Verschiedene Faktoren erklären hohe Recovery Rates


Eine Analyse aller Indikatoren der Datenbank DoingBusiness liefert Anhaltspunkte dazu, unter welchen Voraussetzungen der Anteil an sichergestellten Ansprüchen hoch ist. Wichtigster Erklärungsfaktor ist dabei – unabhängig von der gewählten Berechnungsmethode – ganz klar die Dauer des Konkursverfahrens (siehe Grafik 3). Mit einer durchschnittlichen Verkürzung des Verfahrens um ein Jahr liesse sich der Anteil der sichergestellten Ansprüche um fast 8% steigern. Alles spricht dafür, dass dieser Effekt auch in der Schweiz in einer ähnlichen Grössenordnung auftreten würde. Zweitwichtigste Variable für eine niedrige Recovery Rate ist aus empirischer Sicht der Anteil der Vermögenswerte, den das Konkursverfahren in Anspruch nimmt. Bei der Reform ist daher der Effizienz des Konkursverfahrens grosses Gewicht beizumessen. Die beiden wichtigsten Variablen erklären allein rund zwei Drittel der Unterschiede beim Anteil der sichergestellten Ansprüche.Die Recovery Rate steigt, wenn Informationsstellen die Schuldnerqualität genauer erfassen; wenn hohe Entlassungskosten pro Mitarbeiter anfallen, sinkt sie (siehe Tabelle 1). Diese empirischen Beobachtungen decken sich mit unseren Vermutungen. Überraschender ist die Erkenntnis, dass gemäss ökonometrischen Schätzungen sowohl die Zahl der Verfahren zum Erhalt einer Baubewilligung als auch die Zahl der Dokumente, die für den Import eines Produkts erforderlich sind, die Recovery Rate stärker negativ beeinflussen als viele andere Faktoren. Zwar leuchtet es ein, dass in einem Land mit hoher administrativer Belastung in der Regel auch das Konkursverfahren nicht effizient abläuft. Das ist eine mögliche Interpretation, gegen diese Annahme spricht allerdings, dass die Datenbank DoingBusiness zahlreiche andere Indikatoren zu administrativen Hürden enthält, die nicht signifikant sind. Deshalb ist auch eine andere Interpretation denkbar: Diese beiden Variablen könnten am repräsentativsten für die Kosten sein, die mit dem Eintritt in einen kompetitiven Markt entstehen. Diese Annahme stützt die in der Fachliteratur verbreitete These, wonach höhere Markteintrittskosten mit höheren kalkulatorischen Konkurskosten korrelieren – zusätzlich zu ihrer direkten negativen Wirkung auf das Wachstum und die Produktivität. Im Falle eines einfachen Markteintritts behalten nämlich konkursite Unternehmen einen Optionswert für ein allfälliges Konkurrenzunternehmen, was deren Restwert erhöht. Diese Beobachtung bestätigt ebenfalls, dass die Revision des Konkursrechtes eine grössere Wirkung erzielen wird, wenn sie mit Reformen zur Senkung der Markteintrittskosten einhergeht. Ein effizientes Konkursrecht ist somit nicht nur der Wachstumspolitik zuträglich, sondern das Umgekehrte gilt ebenfalls.Auf nationaler Ebene ist es ebenfalls möglich, den Anteil der sichergestellten Ansprüche je nach Konkursverfahren ökonometrisch zu vergleichen. Dabei zeigt sich, das in entwickelten Ländern die Gläubiger bei Sanierungsverfahren besser fahren als bei Konkursen. In die gleiche Richtung geht die Folgerung von Thornburn (2000), wonach Versteigerungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Schwierigkeiten interessanter sind als herkömmliche Verfahren.

Revision des Konkursrechts mit Wachstumspolitik kombinieren


Zusammenfassend gilt somit, dass ein wachstumsstimulierendes Konkursrecht zwei Realitäten berücksichtigt:– Zur Wahrung der Gläubigerrechte ist ein hoher Anteil an sichergestellten Ansprüchen anzustreben. Dies erfordert kurze, effiziente Verfahren, die von kompetenten und motivierten Akteuren vollzogen werden und eine Restrukturierung der konkursiten Unternehmen fördern, weil es für den Staat von Vorteil ist, wenn er die Entscheidungen der Gläubiger rasch koordiniert. Dieses Ziel kann der Bund allein nicht erreichen, sondern die Kantone spielen dabei eine zentrale Rolle. Dieser Ansatz hängt im Übrigen nicht vom Umfang und der Komplexität der Konkurse ab, da neu auftretende Unternehmen häufig klein, produktiv und riskant sind, austretende Unternehmen hingegen häufiger alt und gross.– Ein revidiertes Konkursrechts zeigt mehr Wirkung, wenn es Teil eines umfassenden Programms ist, das Unternehmensgründungen fördert und die Markteintrittskosten senkt. Das Wachstumsprogramm des Bundesrates für die Schweiz geht in diese Richtung. Allerdings ist anzumerken, dass mit der laufenden Reform nicht alle vorgesehenen Ziele erreicht werden. Zum Beispiel ist bisher nicht vorgesehen, dass Jungunternehmer, die ohne eigenes Verschulden Konkurs gehen, eine zweite Chance erhalten. Auch gewisse Bestandteile des Gesellschaftsrechts müssen noch überprüft werden. Wie der Bundesrat an seiner Sitzung vom 17. Februar 2010 bestätigt hat, ist deshalb eine zweite Reform unumgänglich, wenn das Ziel eines wachstumsfördernden Konkursrechts erreicht werden soll.

Grafik 1: «Anzahl Konkurseröffnungen in der Schweiz, 1998–2008»

Grafik 2: «Überlebensrate neu gegründeter Unternehmen nach Sektor für einzelne Wirtschaftszweige, 2008»

Grafik 3: «Sichergestellte Ansprüche und Dauer des Konkursverfahrens, 2010»

Tabelle 1: «Erklärende Faktoren zum Anteil der sichergestellten Ansprüche»

Kasten 1: Literatur

– Bartelsman E., Haltiwanger J. und Scarpetta S., Microeconomic Evidence of Creative Destruction in Industrial and Developing Countries, Iza Discussion Paper Series Nr. 1374, Bonn, Oktober 2004. – Becchetti L. und Sierra J., Bankruptcy Risk and Productive Efficiency in Manufacturing Firms, Journal of Banking and Finance, Band 27, Nr. 11, S. 2209–2120, November 2003. – Ernst&Young, Eco’Diagnostic, Trois études sur la révision du droit des faillites, Grundlagen der Wirtschaftspolitik, Nr. 19, Seco, Bern, 2010. – OECD, Economic Survey of Switzerland, Band 2006/1, Paris, Januar 2006.– Seco, Wachstumspolitik 2008–2011: Massnahmen zur weiteren Stärkung des Schweizer Wirtschaftswachstums, Bericht des Bundesrates vom 2. April 2008, Grundlagen der Wirtschaftspolitik, Nr. 15F, Bern, 2008.– Thorburn K., Bankruptcy Auctions: Costs, Debt Recovery and Firm Survival, Journal of Financial Economics, Band 58, Nr. 3, S. 337–368, Dezember 2000.

Zitiervorschlag: Marc Surchat (2010). Revision des Konkursrechts als integraler Bestandteil der Wachstumspolitik des Bundesrats. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.