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Auswirkungen der Globalisierung auf den Schweizer Arbeitsmarkt

Gemäss den jüngsten, Ende April publizierten Erhebungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) erholt sich der Schweizer Arbeitsmarkt trotz eines wirtschaftlichen Wiederaufschwungs, der immer noch von Unsicherheiten geprägt ist. Im internationalen Vergleich weist unser Land die niedrigste Arbeitslosenquote auf, profitiert von der Autonomie bei der Lohngestaltung, kennt kaum Streiks und erfreut sich eines flexiblen Arbeitsmarktes. Mit anderen Worten: Der Schweizer Arbeitsmarkt befindet sich in einer beneidenswerten Situation. Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), die Dachorganisation der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Schweiz, setzt sich für die Aufrechterhaltung eines flexiblen Arbeitsmarktes ein, der zur Zufriedenheit der Arbeitnehmenden und der Arbeitgebenden funktioniert.

Am 1. Juni 2002 trat das Abkommen über die Personenfreizügigkeit in Kraft. Seither – und insbesondere in den letzten zwei Jahren – hat jedoch die konjunkturelle Entwicklung den helvetischen Arbeitsmarkt stärker beeinflusst als das Abkommen selbst. Der jüngste Observatoriumsbericht über die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit präzisiert, dass das Arbeitskräfteangebot aufgrund von Immigration – aus dem europäischen Raum fühlen sich vor allem Deutsche und Portugiesen von unserem Land angezogen – den Arbeitsmarkt nur wenig belastete. Im Gegenzug gelang es der von der Krise kaum tangierten Baubranche das Gleichgewicht wiederherzustellen. Zudem ist das durchschnittliche Qualifikationsniveau der aus dem EU-Raum stammenden Arbeitskräfte sehr hoch geblieben, wie der 6. Observatoriumsbericht bestätigt. Die Personenfreizügigkeit hat die Einwanderung von besonders benötigten Arbeitskräften gefördert, indem sie den Unternehmen ermöglicht, den chronischen Mangel an qualifizierten Mitarbeitenden in Zeiten der Hochkonjunktur auszugleichen.

Keine Minimallöhne


Um dem durch die Einführung des freien Personenverkehrs entstandenen Risiko des Lohndumpings entgegenzutreten, hat der Gesetzgeber flankierende Massnahmen vorgesehen, die auf den 1. Juni 2004 in Kraft getreten sind. Eine davon ist in Art. 360a OR zu finden, um das aktuellste Beispiel zu nennen, das kürzlich für die Arbeitnehmenden der heimischen Wirtschaft in die Anhörung geschickt worden ist: «Werden Löhne … in missbräuchlicher Weise unterboten und liegt kein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vor …, kann die zuständige Behörde … auf Antrag der tripartiten Kommission … einen befristeten Normalarbeitsvertrag (NAV) erlassen, der … Mindestlöhne vorsieht.» Der SGV lehnt die Einführung eines derartigen NAV kategorisch ab, denn die vorgeschlagene Reglementierung verletzt die legitimen Interessen der verschiedenen Branchen und generiert Mindestlöhne, die deutlich höher sind als diejenigen der kantonalen NAV oder der NAV in etlichen Gewerbesektoren.Die Verstärkung der flankierenden Massnahmen im Rahmen der Revision der Verordnung über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmer (EntsV) findet seitens des SGV ebenfalls keine Zustimmung. Wir erachten den heutigen Zustand als befriedigend; im Sinne einer kategorischen Absage an jegliche administrative Zusatzbelastung lehnen wir deshalb die vorgeschlagene Erhöhung der Anzahl jährlicher Kontrollen ab. Die für vermehrte Kontrollen eingesetzten Mittel wären für Präventions- statt Repressionsmassnahmen sinnvoller verwendet.

Unbewiesene Vermutungen möglicher Verstösse


Was schliesslich die Tragweite der möglichen Verstösse anbelangt, kann der SGV die Meinung des Observatoriumsberichts nicht teilen, der nur vermutete Fälle erwähnt, ohne sie zu beweisen. Hier muss also das Prinzip «Im Zweifel für den Angeklagten» angewendet werden, wovon im vorliegenden Bericht leider keine Rede ist. Der Bericht beschwört eine neue Zunahme der Selbstständigerwerbenden, die der Meldepflicht unterstehen. Man geht von zahlreichen Scheinselbstständigen aus, womit das Risiko bestehe, dass obligatorische Minimalstandards in Sachen Lohn und Arbeitsbedingungen von diesen umgangen würden. Auch hier sind die Fälle nicht konkret belegt und können deshalb nicht als Vorwand für neue Massnahmen benutzt werden.Abschliessend muss festgehalten werden, dass die grosse Mehrheit der Arbeitgebenden den Vorschriften in den Bereichen Löhne und Arbeitsbedingungen nachlebt. Das ist leicht nachvollziehbar: Einerseits stellen die flankierenden Massnahmen einen wirkungsvollen Schutz gegen Lohndumping dar; andererseits haben die Arbeitgebenden von der Personenfreizügkigkeit vor allem profitiert, um hoch qualifizierte Mitarbeitende zu rekrutieren, die sie in der Schweiz sonst nur schwer oder gar nicht hätten finden können.

Zitiervorschlag: Hans-Ulrich Bigler (2010). Auswirkungen der Globalisierung auf den Schweizer Arbeitsmarkt. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.