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Bestraft der Arbeitsmarkt eine militärische Weiterausbildung?

Miliz heisst freiwilliges Engagement. Verschiedene Beobachtungen deuten darauf hin, dass dieses zunehmend unter Druck kommt. Erodiert die Freiwilligkeit, oder ist es der Arbeitsmarkt, der solche Engagements nicht mehr zulässt? Vergleicht man die Einkommensverläufe von jüngeren Milizkadern der Armee mit Nichtkadern, so zeigt sich, dass sich eine militärische Weiterausbildung auf das berufliche Einkommen der Kader nicht negativ auswirkt.

In der Schweizerischen Bundesverfassung ist festgeschrieben, dass die Schweizer Armee grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert ist. Ein elementares Wesensmerkmal des Milizsystems ist die Nebenberuflichkeit. Dadurch kann ein Wissenstransfer vom Beruf in die Milizfunktion oder umgekehrt ausgenützt werden. In der Armee leisten die Kommandanten von Einheiten und Truppenkörpern sowie die Angehörigen von Stäben ihre Dienste in der Regel freiwillig, wenn auch im Konflikt mit beruflichen und familiären Ansprüchen. Die Beweggründe, sich freiwillig und nebenberuflich für ein militärisches Zusatzengagement zu verpflichten, können intrinsisch oder extrinsisch sein. Intrinsisch Motivierte engagieren sich, weil sie aus der Aufgabe, wofür sie sich verpflichten, direkten Nutzen schöpfen. Extrinsisch Motivierte verpflichten sich, weil sie sich daraus spezifische Belohnungen versprechen. Sie betrachten die mit dem Engagement verbundene Weiterausbildung als Investition in ihr Human- und/oder Sozialkapital und erhoffen sich daraus bessere arbeitsmarktliche Chancen. Für intrinsisch Motivierte ist das Zusatzengagement selbst Lohn; für extrinsisch Motivierte ist eine militärische Weiterausbildung ein Mittel zum Zweck.
Vgl. Meier, Stutzer (2008).

Kadermangel – trotz Armeeverkleinerung


In den letzten Jahren zeigt sich, dass das Angebot für freiwillige nebenberufliche Zusatzengagements abnimmt. Bereits in den 1990er-Jahren – bzw. in der so genannten Armee 95 – zeigten sich in den Kaderlisten der Verbände erhebliche Lücken. Und trotz massiver Verkleinerung der Armee im Rahmen des Umbruchs zur Armee XXI, die zu einer entscheidenden Reduktion des Kaderbedarfs führte, mangelt es auch in der heutigen Armee bereits wieder an Kadern. Zur Erklärung lassen sich verschiedene Hypothesen anführen, die sich mit Nichtkönnen, Nichtdürfen, Nichtwollen und Nichthaben betiteln lassen. Nichtkönnen meint, dass mögliche Anwärter für eine militärische Zusatzaufgabe aus privat-beruflichen Gründen zunehmend nicht mehr in der Lage sind, solche Aufgaben zu übernehmen. Als Beispiel dafür werden angehende Einheitskommandanten angeführt, deren militärische Weiterausbildung zeitlich mit beruflichen Weiterbildungen und/oder Auslandaufenthalten und oft mit der Gründung von Familien zusammenfällt. Nichtdürfen bedeutet, dass die Arbeitgeber – aus welchen Gründen auch immer – einer Weiterausbildung im Wege stehen. Nichtwollen entspringt fehlender Motivation und allenfalls sogar Frustration, weil zum Beispiel mit der Auflösung von Verbänden im Übergang von der Armee 95 zur Armee XXI und im Rahmen des aktuellen Entwicklungsschrittes 08/11 für die Miliz bedeutsames Organisations- und Sozialkapital vernichtet worden ist. Und mit Nichthaben kann der Umstand bezeichnet werden, dass infolge der sprunghaften sicherheitspolitischen Diskussion der letzten Jahre und mit den damit verbundenen doktrinalen Unsicherheiten den angehenden Kadern klare Ziele und eindeutige Perspektiven fehlen, um die Vor- und Nachteile einer militärischen Weiterausbildung hinreichend abschätzen zu können.

Internationale Literatur


Humankapitaltheoretisch kann die Attraktivität eines militärischen Zusatzengagements durch dessen Effekt auf den Lohn gemessen werden. Dazu muss ein positiv signifikanter Effekt des militärischen Zusatzengagements auf den Lohn vorhanden sein. So hat Angrist (1990) in seinem Aufsatz für weisse Vietnam-Veteranen 10 Jahre nach dem Krieg einen – statistisch allerdings nicht signifikanten – Lohnnachteil von 15% im Vergleich mit weissen Nicht-Veteranen festgestellt. Angrist und Krueger (1994) untersuchten die Lohnentwicklung von Veteranen des Zweiten Weltkrieges und konnten keine Lohnunterschiede erkennen. Für die Niederlande haben Imbens und van der Klaauw (1995) 10 Jahre nach dem Militärdienst einen Lohnnachteil von 5% festgestellt. Für die Bundesrepublik Deutschland konnten Bauer et al. (2009) für ehemalige Angehörige der Bundeswehr ein um 17% tieferes Lebenseinkommen feststellen, welches sich jedoch nicht durch den Militärdienst selber erklären liess, sondern durch die Kriterien, nach denen die Bundeswehrangehörigen ausgewählt wurden.

Methode und Vorgehen


In der vorliegenden Untersuchung werden im Vergleich zur internationalen Literatur nicht Effekte eines Militärdienstes per se untersucht, sondern die spezifische Wirkung einer Kaderausbildung. Es werden also nicht Militärangehörige mit Nicht-Militärangehörigen verglichen, sondern Militärangehörige, die sich für eine militärische Kaderausbildung verpflichteten, mit solchen ohne militärische Weiterausbildung. Die Kernfrage lautet dabei: Haben Personen mit einer militärischen Weiterausbildung beruflich einen Vorteil oder einen Nachteil? Dazu vergleichen wir die Einkommensklassen von Armeeangehörigen mit und ohne militärische Weiterausbildung. Hat eine Person mit einer militärischen Weiterausbildung ein geringeres Einkommen im Vergleich zu einer Person ohne militärische Weiterausbildung, dann bedeutet dies, dass der Arbeitsmarkt eine militärische Weiterausbildung gemessen am Einkommen bestraft. Grundlage bildet eine im Jahr 2008 durchgeführte Befragung bei einem Infanteriebataillon der Schweizer Armee. Die Daten wurden im Rahmen eines Wiederholungskurses erhoben und anschliessend elektronisch erfasst. Für die Auswertung standen die Antworten von 380 Bataillonsangehörigen (Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere) zur Verfügung. Es werden zwei Populationen unterschieden: einerseits Soldaten und andererseits militärische Kader (Offiziere und Unteroffiziere). Kader unterscheiden sich von den Soldaten dadurch, dass sie zusätzlich zur Grundausbildung eine militärische Weiterausbildung absolviert haben. Die Kernfrage wird quantitativ beantwortet. Es wird eine Regressionsanalyse auf Basis der soziodemografischen und berufsspezifischen Informationen durchgeführt. Das verwendete Regressionsmodell basiert auf einer Mincer-Lohngleichung,
Vgl. Mincer (1974). welche mit Variabeln zu Kaderposition, Branche, Unternehmensgrösse, Berufserfahrung, Angaben zur zivilen Weiterbildung sowie soziodemografischen Merkmalen der Personen ergänzt wurde. Da die Lohninformation nur in Lohngruppen zur Verfügung stand, wird in der Analyse ein standardgeordnetes Probit-Modell verwendet.
Vgl. Greene (1997).

Population


Das Durchschnittsalter der 380 Angehörigen des Bataillons beträgt 27 Jahre, wobei ein signifikanter Unterschied zwischen Soldaten und Angehörigen des Kaders besteht. Kader sind im Schnitt 29-jährig, Mannschaftsangehörige 26-jährig. Die Differenz ist eine natürliche Folge der Organisation der militärischen Weiterausbildung. Zukünftige Angehörige des Kaders leisten zuerst ihre Weiterausbildung. Die dafür erforderliche Zeit verteilen sie parallel zu ihren beruflichen Verpflichtungen über mehrere Jahre; dann übernehmen sie in ihrem Stammverband eine Führungsposition. 70% der Stichprobe gehören den Mannschaftsgraden an und 17% den Unteroffiziersgraden; 13% haben eine Offiziersausbildung absolviert. Gesamthaft bekleiden 54% der Stichprobe auch im Zivilen eine Führungsfunktion – bei den Kadern 60% und bei den Mannschaftsgraden 52%. Diese Differenz ist statistisch nicht signifikant. Unterscheidet man bei den Kadern zwischen Unteroffizieren und Offizieren, so zeigt sich aber eine Korrelation zwischen Offiziersausbildung und ziviler Führungsfunktion. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass die Offiziere im Durchschnitt älter sind und somit über eine längere Berufserfahrung verfügen. Kontrolliert man deshalb statistisch Alter und Berufserfahrung, ist die Korrelation nicht mehr signifikant. Eine militärische Kaderposition führt also nicht zwingend zu einer zivilen Führungsfunktion und umgekehrt.Personen mit einer militärischen Kaderausbildung haben im Durchschnitt 8 Jahre Berufserfahrung und sind seit 3 Jahren im gleichen Unternehmen tätig. Personen in Mannschaftsgraden verfügen im Durchschnitt über ein Jahr weniger Berufserfahrung und sind ebenso seit 3 Jahren im gleichen Unternehmen beschäftigt. 30% der militärischen Kader haben einen Fachhochschul- oder einen Universitätsabschluss, 28% verfügen über eine Matura bzw. über einen höheren Berufsschulabschluss und 42% haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Bei den Mannschaftsgraden haben 19% einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss, 24% eine Matura oder einen höheren Berufsschulabschluss und 57% verfügen über eine Berufsausbildung. Bezüglich beruflichem Weiterbildungsverhalten (Anzahl Tage, Kurse, Nachdiplomstudien) unterscheiden sich die Populationen Kader und Mannschaft nicht. Tabelle 1 zeigt die Beobachtungen hinsichtlich Lohnhöhe und Kaderzugehörigkeit. Dabei fällt auf, dass in der höchsten Lohngruppe am meisten und in der tiefsten Lohngruppe am wenigsten Offiziere vertreten sind. Für die Mannschaftsgrade ergibt sich gerade das umgekehrte Bild: Die Unterschiede sind statistisch signifikant. Eine militärische Weiterausbildung wirkt sich also nicht negativ auf den beruflichen Erfolg aus, wenn man den beruflichen Erfolg mit der Lohnhöhe misst.

Resultate der Regressionsanalyse


Die Resultate der Regressionsanalyse sind in Tabelle 2 dargestellt. Dabei wurden zwei Auswertungen durchgeführt. In der ersten Auswertung (Modell 1) wird nicht zwischen den verschiedenen Kaderausbildungen (Offiziersausbildung, Unteroffiziersausbildung) unterschieden. Hier zeigt sich kein Einfluss von der Kaderausbildung auf die Lohnklasse. In der zweiten Berechnung (Modell 2) wird zwischen der Offiziers- und der Unteroffiziersausbildung unterschieden. Hier zeigt sich eine positive Korrelation zwischen Lohnklasse und militärischer Kaderposition. Im Fall der Offiziersausbildung ist diese statistisch signifikant, während im Fall der Unteroffiziersausbildung die Weiterausbildung keinen signifikanten Einfluss hat auf die Wahrscheinlichkeit, in eine höhere Lohnklasse zu kommen – auch wenn man die Korrelationen mit verschiedenen Kontrollvariablen bereinigt. Bezüglich der Kontrollvariabeln zeigt sich das zu erwartende Bild: Personen mit einer Fachhochschul- oder Universitätsausbildung haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, in der höchsten Lohngruppe zu sein, als Personen ohne solche Ausbildung. Zivil besuchte Kurse oder ein Nachdiplomstudium erhöhen ebenso die Wahrscheinlichkeit für eine höhere Lohngruppe wie eine zivile Beförderung in den letzten zwölf Monaten. Personen in kleineren Unternehmen oder Teilzeitbeschäftigte haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, in die oberste Lohngruppe zu kommen, als Vollzeitbeschäftigte und Beschäftigte in einem Grossunternehmen.

Diskussion der Ergebnisse


Die Kernfrage, ob Personen mit einer militärischen Weiterausbildung beruflich einen Vor- oder einen Nachteil haben, können wir wie folgt beantworten: Gemessen an der Einkommensklasse bestraft der Arbeitsmarkt eine militärische Weiterausbildung nicht. Für eine Offiziersausbildung gilt sogar das Gegenteil: Personen mit einer Offiziersausbildung haben eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, in eine höhere Lohnklasse zu kommen, als Personen ohne diese Ausbildung. Für die vorliegende Untersuchung gelten allerdings drei Einschränkungen: Erstens entspringen die Daten und Auswertungen dem Kontext, welcher der Befragung zugrunde lag (ein Bataillon des Heeres der Schweizerischen Milizarmee im Schweizer Arbeitsmarkt 2008). Die mit der militärischen Ausbildung zusammenhängenden Einkommen und die erfahrenen Vor- und Nachteile einer militärischen Weiterausbildung können demnach nicht einfach auf die Wehrsysteme anderer Länder oder auf andere Teilstreitkräfte der Schweizer Armee transferiert oder in die Zukunft projiziert werden. Aus der Analyse geht hervor, dass der Arbeitsmarkt eine militärische Weiterausbildung – gemessen an der Einkommensklasse – nicht bestraft. Mit der militärischen Weiterausbildung müssen also Produktivitätsgewinne verbunden sein. Warum dies so ist, kann mit der vorliegenden Untersuchung nicht beantwortet werden. Dazu sind zwei Hypothesen möglich: eine Qualifizierungs- und eine Selektionshypothese. Die Qualifizierungshypothese besagt, dass der Produktivitätsgewinn durch die Ausbildung – ökonomisch gesprochen durch die Akkumulierung von Humankapital – zustande gekommen ist. Dafür spricht, dass die Offiziersausbildung, die länger dauert als die Ausbildung zum Unteroffizier, einen stärkeren Einfluss auf das Einkommen hat. Die Selektionshypothese sieht demgegenüber den Produktivitätsgewinn nicht in der Ausbildung, sondern in der Auswahl zu dieser Ausbildung. Angehörige des Kaders sind demnach produktiver, weil sie das Ergebnis einer (Kader-)Auswahl sind, welche a priori die Produktiveren selektiert. Dafür sprechen die Beurteilungs-, Prüf- und Selektionssysteme bei der Kaderauswahl.

Die Armee im Wettbewerb um Kader


Letztlich basiert jede Karriere auf den gleichen Grundvoraussetzungen: integrer Charakter, physische und psychische Robustheit, Leistungsbereitschaft und Begeisterungsvermögen. In dieser Hinsicht gibt es keine Unterschiede zwischen der Armee und anderen Organisationen. Die Beziehung zwischen ziviler und militärischer Laufbahn darf auch nicht auf ein «entweder/oder» reduziert werden. Erstens resultieren positive Wirkungen auf den Berufserfolg in Wirtschaft und Verwaltung nicht nur aus einer militärischen Karriere. Nutzenwirkungen können sich auch durch Zusatzengagements in Politik, Sport, Kultur und/oder in der Führung von Vereinen ergeben. Zweitens stehen «Karrierekandidaten» oft nicht vor der Entscheidung ziviles und/oder militärisches Engagement. Es gibt noch weitere Optionen, die sie in ihrer Planung zu berücksichtigen haben, wie z.B. zusätzliche Studien, Weiterbildungen, Auslandaufenthalte, Partnerbindungen oder Familiengründungen. Und drittens sind Wirtschafts- und Verwaltungsunternehmen sowie die Armee nicht die einzigen Nachfrager nach Kadern. Auch die Politik (Gemeinde, Kantone, Parteien), Interessenverbände, Universitäten, karitative Organisationen usw. brauchen und wollen die besten Kandidatinnen und Kandidaten. Die Konsequenz ist, dass sich die Armee in einem Wettbewerb um Kader befindet. Das fordert heraus und zwingt, über tatsächliche Leistung und über Qualität an die guten Leute heranzukommen – bei der Armee im Speziellen, bei Organisationen, die vom Milizprinzip leben, im Allgemeinen, aber auch in Unternehmen und in der Verwaltung.

Tabelle 1: «Kreuztabelle Lohngruppe/Kaderzugehörigkeit»

Tabelle 2: «RegressionsresultateGeordnetes Probit-Modell, Lohn (3 Gruppen) als abhängige Variable»

Kasten 1: Literatur

– Angrist, J. D. (1990): Lifetime Earnings and the Vietnam Era Draft Lottery: Evidence from Social Security Administrative Records, American Economic Review 80(3), S. 313–336.– Angrist J.D. und Krueger A. B. (1994): Why Do World War II Veterans Earn More than Nonveterans?, Journal of Labor Economics 12(1), S. 74–97.– Bauer, T. K., Bender S., Paloyo A. R. und Schmidt C. M. (2009): Evaluating the Labor-Market Effects of Compulsory Military Service, IZA Discussion Paper Nr. 4535.– Greene, W. H. (1997): Econometrics Analysis, Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall, Inc.– Imbens, G. W. und van der Klaauw W. (1995): Evaluating the Cost of Conscription in the Netherlands, Journal of Business & Economic Statistics, 13(2), S. 207–215.– Meier, St. und Stutzer A. (2008): Is Volunteering Rewarding in Itself?, Economica 75(297), S. 39–59.– Mincer, J. A. (1974): Schooling, Experience and Earnings, NBER, Columbia University Press.

Zitiervorschlag: Philippe Mahler, Bruno Staffelbach, (2010). Bestraft der Arbeitsmarkt eine militärische Weiterausbildung. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.