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Trinkwasserversorgung braucht den sozialen Kontext

Der Gedanke, effiziente Konsortien aus dem Norden für die Lösung der Trinkwasserprobleme des Südens heranzuziehen, ist verlockend. Doch das Konzept der Public-Private Partnership krankt daran, dass der öffentliche Sektor zu schwach ist, um seine Bedürfnisse durchzusetzen. Ausgehend von den Erfahrungen in der Schweizer Wasserversorgung geht Helvetas bei ihren Projekten von einem Multi-Stakeholder-Approach aus. Bis 2013 – so das Ziel der aktuellen Kampagne – sollen 1 Mio. Menschen neu Zugang zu Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung erhalten.

Der Suchauftrag «Trinkwasser, verseucht, fäkal» bei Google ergibt für die Schweiz exakt zwei Fälle von Trinkwasserverschmutzung. In der Zürcher Gemeinde S. gelangten im Jahr 2001 – vermutlich aus einem Jauchekasten – Fäkalbakterien ins Trinkwasser. Fünf Jahre später stellte der basellandschaftliche Kantonschemiker im Trinkwasser der Gemeinde L. eine bakterielle Verschmutzung fest. In beiden Fällen wurde die Bevölkerung rechtzeitig gewarnt. Der Rektor des Gymnasiums L. ordnete für die Kantine Spezialmassnahmen an, «weil das natürlich eine Katastrophe wäre, wenn auch nur das Geringste passieren würde.» Erkrankungen wurden keine gemeldet.Dass dem so ist, hängt nicht nur mit den reichlichen Niederschlägen zusammen, sondern vor allem mit dem System der Schweizer Wasserversorgung und der Klärung der Abwässer. Die Arbeitsteilung in diesem System ist klar: Die allermeisten Quellen und Grundwasservorkommen sind im Besitz von kommunalen und genossenschaftlichen Instanzen. Ein starker, funktionierender Staat investiert viel Geld in die Trinkwasserversorgung und erlässt Vorschriften, die er auch durchsetzt. In ländlichen Gegenden stützt er sich dabei auf eine Zivilgesellschaft mit einer oft langen Tradition. Tausende von Gemeindeangestellten und noch mehr freiwillige Mandatsträger von Genossenschaften und -korporationen halten ihre Wasserversorgungen in Stand, und es ist für sie Ehrensache, dass ihr Wasser sauber ist. Auf der andern Seite haben wir in der Schweiz einen zuverlässigen und innovativen Privatsektor, der im Auftrag der öffentlichen Hand die Wasserinstallationen baut und unterhält.Auf der südlichen Halbkugel der Erde sieht die Wasserwelt anders aus. 900 Mio. Menschen
Zahlen aus: GLAAS 2010. UN-Water Global Annual Assessment of Sanitation and Drinking Water, WHO (2010). leben ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser; 2,6 Mrd. Menschen müssen ohne Toiletten und ohne Abwassersysteme auskommen. Beides hat verheerende Folgen: Jeden Tag sterben 4000 Kinder an Folgekrankheiten von verseuchtem Trinkwasser. Auch in Entwicklungsländern bestimmen klimatische und institutionelle Gegebenheiten den Umgang mit der Schlüsselressource Wasser. Da ist zum einen die Wasserknappheit in weiten Teilen der Welt, die sich mit der Klimaerwärmung noch verschärfen wird. Es fehlt aber auch an Institutionen, die den Aufbau von Wasserversorgungen vorantreiben und ihren Unterhalt sicherstellen könnten. Der Staat ist oft schwach, und zivilgesellschaftliche Strukturen fehlen oder sind nur in Ansätzen vorhanden.

Public-Private Partnership in der Stadt?


PPP-Trinkwasser-Projekte sind auf die Städte beschränkt, wo weltweit laut WHO immerhin 96% aller Menschen Zugang zu Trinkwasser haben. Die Vorstellung, dass Internationale Player wie Suez Lyonnaise des Eaux oder Thames Water auch in Entwicklungsländern staatliche Aufgaben übernehmen – Effizienz aus dem Norden zur Lösung eines vitalen Problems im Süden – ist nur auf den ersten Blick attraktiv. Nach einer ersten Privatisierungseuphorie in den 1990er- und 2000er-Jahren ist Ernüchterung eingekehrt. In Tansania kündigte die Regierung im Jahr 2005 einen Vertrag, den sie mit einem privaten Wasserkonsortium für die Hauptstadt Dar es Salaam abgeschlossen hatte. Auch die britische Thames Water scheiterte an der Wasserversorgung der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Und im bolivianischen Cochabamba hat die indigene Bevölkerung in einer spektakulären Protest- und Streikaktion die Privatisierung des Wassers verhindert. Der deutsche Wasser-Journalist Frank Kürschner-Pelkmann schreibt denn auch: «Der Traum vom schnellen Geld mit dem blauen Gold ist ausgeträumt.»Auch das Konzept der Public-Private Partnership (PPP), wie es u.a. vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) propagiert wird, lässt noch Raum für die Träume vom schnellen Geld. Oft müssen die Privatunternehmen dafür nicht einmal Investitionsgelder in die Hand nehmen. Das übernimmt die öffentliche Hand, von der regionalen Behörde bis hin zu grossen multilateralen Gebern wie der Weltbank. Diese Geldgeber sind daran interessiert, dass die Privatunternehmen nicht nur in den Stadtteilen der kaufkräftigen Oberschicht Wasserversorgungen aufbauen, sondern auch in armen Quartieren und an der Peripherie. Um das durchzusetzen, braucht es starke, demokratisch legitimierte Behörden und/oder eine starke Zivilgesellschaft – also genau das, was in vielen Entwicklungsländern fehlt.

Private Hilfswerke auf dem Land


Die grösste Wassernot herrscht in ländlichen Gebieten. Hier haben nur gerade 78% – in Afrika südlich der Sahara gar nur 47% – Zugang zu Trinkwasser. Frauen gehen oft viele Kilometer bis zur nächsten Wasserstelle. Die Chancen, dass staatliche Stellen etwas gegen ihre Wassernot unternehmen, sind klein. Und private Unternehmen werden sich hüten, dafür auch nur einen Franken in die Hand zu nehmen. So sind es fast ausschliesslich private Hilfswerke und staatliche Entwicklungsorganisationen aus den entwickelten Ländern, die sich der ländlichen Wasserversorgung annehmen. Helvetas hat das Wasserproblem explizit ins Zentrum ihrer Arbeit und ihrer Öffentlichkeitskampagne gestellt. Bis 2013 – so das Ziel der aktuellen Kampagne – sollen 1 Mio. Menschen neu Zugang zu Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung erhalten. Helvetas stützt sich bei ihrer Arbeit auf Erfahrungen, die in der Schweiz und in vielen andern Gesellschaften der Welt gemacht wurden: Trinkwasserversorgung ist nicht nur ein technisches, sondern in wesentlichen Elementen ein soziales Projekt, an dem Menschen des Versorgungsgebietes mitarbeiten müssen. In einem Multi-Stakeholder-Approach arbeitet Helvetas mit Einzelpersonen, lokalen Behörden und Teilen der Zivilgesellschaft zusammen. Selbstverständlich werden in die Projekte auch lokale und regionale KMU mit einbezogen: Maurer, die Wasserfassungen und Toilettenhäuschen bauen, Transportunternehmer oder Lieferanten von Sanitärmaterial. Letztes Jahr haben dank Helvetas mehr als 200 000 Menschen neu Zugang zu Trinkwasser und/oder sanitären Einrichtungen erhalten. Eine Zahl, auf die Helvetas stolz ist. Jedes Dorf, jede Gemeinde, die neu über eine funktionierende Trinkwasserversorgung, über Körperschaften zu deren Verwaltung und über Handwerker zu ihrem Unterhalt verfügt, ist ein Erfolg.Auch wenn es darum geht, integrierte Nutzungspläne für die knappe Ressource Wasser auszuarbeiten, stützt sich Helvetas auf die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Vertreterinnen und Vertreter von Behörden und Zivilgesellschaft sowie Nutzerinnen und Nutzer einer Region setzen sich miteinander an einen Tisch, um ihre oft unterschiedlichen Ansprüche anzumelden und gemeinsam Prioritäten für die Umsetzung festzulegen. Regionale Nutzungspläne tragen dazu bei, Nutzungskonflikte zu minimieren, und liefern eine wichtige Basis für die Planung neuer Wasserprojekte.

Vom Dorfbrunnen zu den Milleniumszielen


Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass wesentliche Fortschritte möglich sind, wenn wir unsere Energien international bündeln: In den letzten 17 Jahren haben 1,3 Mrd. Menschen neu Zugang zu einer sicheren Trinkwasserversorgung erhalten; bis zum Jahr 2015 dürfte sich der Anteil der Menschen ohne gesicherten Zugang zu Wasser halbiert haben, wie es das siebte Milleniumsziel fordert. Es ist vor allem der Ausbau in den Städten, der zu diesem Resultat beigetragen hat. Für zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner ländlicher Regionen ist jedoch noch kein Wandel in Sicht. Damit auch ihre Stimmen zu den politischen Entscheidungsträgern durchdringen, setzt sich Helvetas dafür ein, dass das Menschenrecht auf Wasser verbindlich festgeschrieben wird. Mit einem einklagbaren Recht auf Wasser lässt sich Druck aufbauen, damit in Zukunft wieder vermehrt in Wasserversorgungen investiert wird.Der Trend geht jedoch in eine andere Richtung. Der Anteil der Entwicklungsgelder für Wasserprojekte ist in den letzten zehn Jahren von 8% auf 5% zurückgegangen. Helvetas fordert die beiden Schweizer Entwicklungsagenturen Deza und Seco auf, ihre Investitionen in den Wasserbereich zu erhöhen. Denn laut Berechnung der WHO ist Geld für Trinkwasser und sanitäre Grundversorgung gut investiertes Geld. Eine Investition von 1 US-Dollar bringt hier einen Ertrag von 8 US-Dollar: eingesparte Krankheitskosten, weniger Absenztage in Arbeit und Schulen, mehr Zeit für produktive Tätigkeiten, weil das Wasser nicht mehr von weit her geholt werden muss. Wer in den Wassersektor investiert, schafft damit Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung.

Zitiervorschlag: Melchior Lengsfeld (2010). Trinkwasserversorgung braucht den sozialen Kontext. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.