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Wasserknappheit und Wasserqualität: Eine globale Herausforderung

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Länder im Nahen und Mittleren Osten sowie im südlichen Afrika erhalten nur ungenügende Niederschlagsmengen und sind stark abhängig von Flusswasser. Sie stehen vor enormen quantitativen Wasserproblemen, die für uns Schweizer schwer vorstellbar sind. In vielen Regionen der Entwicklungs- und Schwellenländer sind die Wasserressourcen ausserdem durch Bergbau, intensive Landwirtschaft, geologische Prozesse oder die mikrobielle Belastung beschädigt. Die Schweiz kann zwar technisches und wissenschaftliches Know-how bereitstellen; gefragt ist jedoch eine Ausbildungsinitiative vor Ort.

Die Schweiz ist ein Wasser-Schlaraffenland. Wir haben unseren Reichtum an Regen diesen Frühling hautnah erlebt. Pro Person fallen jährlich fast 8000 Kubikmeter Wasser als Regen und Schnee. Das entspricht etwa drei gefüllten Olympiaschwimmbecken. Davon brauchen wir nur rund 2% für die Versorgung mit Trink- und Brauchwasser. Neben dem üppigen Wassernachschub verfügt die Schweiz mit ihren Seen, Gletschern und Grundwasservorkommen auch über luxuriöse Wasserreserven: Wir könnten damit während mehr als 200 Jahren unseren Bedarf an Trinkwasser decken.Von lokalen Engpässen in sehr trockenen Sommern abgesehen müssen wir also nicht befürchten, dass der Klimawandel oder die abschmelzenden Gletscher unsere Wasserversorgung in eine kritische Situation bringen wird. Wir sollten jedoch darauf hin arbeiten, die lokalen Trinkwassernetze besser zu vernetzen, sodass die Wassernachfrage überall mit natürlichen Wasserspeichern abgepuffert wird.

Wasserarmut in Ägypten


Viele Leute, die wieder mal ein paar sonnige Wochen erleben wollen, verreisen gerne nach Ägypten. Tatsächlich regnet es nur in Küstennähe; das Landesinnere ist sehr trocken. Anstatt mit etwa 1,5 Meter Niederschlag pro Jahr können die 80 Mio. Menschen in Ägypten nur mit einem Mittel von ca. 30 Millimetern rechnen. Weil die Verdunstung viel intensiver ist als in der Schweiz, bleibt die Bevölkerung vollständig abhängig vom Flusswasser des Nils. Dieser führt nördlich des Assuan-Stausees etwas mehr Wasser als der Rhein bei Basel. Würde das Nilwasser in Ägypten vollständig auf die Bevölkerung aufgeteilt, hätte jedermann weniger als 500 Kubikmeter Wasser pro Jahr zur Verfügung – also 20-mal weniger als in der Schweiz. Die UNO-Organisationen werten eine solche Situation als extreme Wasserknappheit. Zwar reicht die Wasserversorgung auch in Ägypten, um das Minimum von 20 Liter Trinkwasser pro Tag und Person für die Nahrungszubereitung und Hygiene zu sichern. Doch den grössten Wasserbedarf hat die Landwirtschaft. Um ein Kilogramm Getreide zu produzieren, werden etwa 1000 Liter Wasser benötigt. Deshalb begrenzt die Wasserknappheit ganz direkt die landwirtschaftliche Produktion. Im Gegensatz zur Schweiz fehlen auch die Wasserreserven; diese beschränken sich auf Grundwasservorkommen im Niltal. Die Bevölkerung in wasserarmen Ländern ist sehr verletzlich bezüglich Klimaschwankungen, Gewässerverschmutzung oder politische Konflikte.

Konfliktzonen


In einem Vertrag von 1959 haben Ägypten und Sudan die Wassermengen des Nils aufgeteilt. Ägypten beansprucht als regionale Macht den grössten Teil des Nilwassers. Länder im Oberstrom wie Uganda und Ruanda schlagen nun ein neues Abkommen vor, um selber eine grössere Wassermenge zur Bewässerung und Stromproduktion zu benutzen. Bisher wurden diese Vorschläge jedoch von Ägypten und Sudan abgelehnt. Ähnliche konfliktgeladene Beziehungen finden wir in verschiedenen trockenen Regionen: – Syrien und Irak befürchten einen verschärften Wassermangel im Euphrat und Tigris durch die türkischen Stauseen in Anatolien.– Die Quellströme des Aralsees in Zentralasien sind Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Bergstaaten Kirgisien, Turkmenistan und den trockenen Baumwollproduzenten Usbekistan und Kasachstan.– Im südlichen Afrika verhandeln Sambia, Simbabwe, Malawi und Mosambik um einen Wassernutzungsvertrag mit neuen Kraftwerksprojekten am Sambesi. Die Konkurrenz um Wasserressourcen hat verschiedene zwischenstaatliche Konflikte verschärft, auch wenn das Schlagwort vom «Krieg ums Wasser» zum Glück bisher keine reale Basis hat.

Wasser als Qualitätsprodukt


Dass man Hahnenwasser bedenkenlos trinken kann, ist ein Qualitätsmerkmal, auf das wir in der Schweiz zu Recht stolz sind. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten eine aufwändige Infrastruktur aufgebaut, um die Wasserversorgung zu sichern und das Abwasser zu behandeln. Allein die Wiederbeschaffungskosten für die Abwasserreinigung machen in der Schweiz etwa 100 Mrd. Franken aus und verursachen Betriebskosten von 1,7 Mrd. Franken pro Jahr. Damit verfolgen wir das wichtige und ehrgeizige Ziel, alle unsere Flüsse, Seen und Grundwasserleiter als potenzielle Trinkwasserquellen für uns und unsere Nachbarn zu erhalten.

Gewässerverschmutzung in Entwicklungs- und Schwellenländern


Länder mit weniger üppigen Wasserressourcen stehen jedoch vor ungleich grösseren Herausforderungen: Die Abwässer werden viel weniger verdünnt als in gemässigten Breiten, und die Wiederverwendung von Brauchwasser ist dringend notwendig. Wegen zunehmender Gewässerbelastung sind deshalb in vielen Ländern die ohnehin knappen Wasservorkommen für die Nutzung nicht mehr geeignet. Die vielfältigen Aspekte der Gewässerverschmutzung lassen sich anhand einiger konkreter Beispiele illustrieren, die vor allem für Entwicklungs- und Schwellenländer relevant sind. Landwirtschaftliche Produktion und industrielle Aktivitäten wie der Bergbau führen häufig zu grossflächiger Gewässerverschmutzung. Bemühungen zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung haben an verschiedenen Orten in Südostasien zu einer breiten toxischen Belastung mit Arsen aus dem geologischen Untergrund geführt. Die unkritische Förderung des Brunnenbaus hat der ernüchternden Einsicht Platz gemacht, dass der Bau von Latrinen noch wichtiger für die Gesundheitsprävention ist.

Dünger und Pestizide am falschen Ort


Weltweit haben wir es in den letzten 60 Jahren geschafft, eine doppelt so grosse Weltbevölkerung mit konstanter Agrarfläche zu ernähren. Die mittleren Erträge pro Fläche konnten dank Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln mehr als verdoppelt werden. Allerdings hat die Zivilisation damit intensiv in die Stoffkreisläufe der wichtigsten Dünger eingegriffen. Mit der chemischen Produktion von Stickstoffdünger versorgen wir die Landoberfläche heute mit doppelt so viel Stickstoff wie vor 1950. Leider wird ein guter Teil der Düngerfracht über Regen, Grundwasser und Flüsse in die Feuchtgebiete, Seen und an die Meeresküsten gespült. Dadurch treten dort häufig Algenblüten auf, welche sensible Laichgründe von Fischen gefährden. Der weltweite Einsatz von 3–7 Mio. Tonnen Pflanzenschutzmitteln wird in den Industrieländern vor allem wegen mögliche ökotoxikologischer Effekte für Wassertiere diskutiert. In Entwicklungsländern ist der Umgang mit Pestiziden oft zu wenig sorgfältig; es wird weltweit mit gegen 3 Mio. Vergiftungsfällen von Landarbeitern gerechnet. Es wird intensiv an gezielter wirkenden Pestiziden gearbeitet; daneben braucht es jedoch eine stärkere Verantwortung der Produzenten für die Ausbildung der Anwender.

Goldrausch


Der Bergbau schichtet weltweit jedes Jahr etwa 50 Mrd. Tonnen Gestein um; dies entspricht ungefähr der Erosionskraft aller Flüsse der Welt. Der Mensch ist damit selber zu einem geologischen Faktor geworden und setzt auch gewaltige Mengen Schadstoffe frei. Die Goldförderung ist ein extremes Beispiel, weil das heute geförderte Erz typischerweise nur wenige Gramm Gold pro Tonne Material enthält. Dieses muss mit chemischen Methoden extrahiert werden. In vielen Entwicklungsländern wird Gold mit Quecksilber extrahiert. Allein in Brasilien gelangen dadurch jährlich mehr als 100 Tonnen giftiges Quecksilber in die Umwelt. Im Wasser kann sich das Metall in der Nahrungskette anreichern, sodass Fische stromabwärts von den Schürfgebieten kritische Quecksilberkonzentrationen aufweisen. Industriell wird Gold heute vor allem mit Zyanid gewonnen. Um ein Kilogramm Gold zu extrahieren, braucht es etwa 700 Kubikmeter Wasser und 140 Kilogramm hochgiftiges Zyanid. Dieses sollte eigentlich nur in geschlossenen Kreisläufen eingesetzt werden; allerdings lässt sich das Risiko von Unfällen nie ganz vermeiden. Inzwischen wird intensiv nach weniger giftigen Ersatzstoffen für die Goldextraktion geforscht. Gleichzeitig sollten wir uns bewusst werden, dass der Bergbau gerade bei den edelsten Metallen ziemlich unedle chemische Verfahren einsetzen muss, die mit beträchtlichen Risiken für die Wasserressourcen verbunden sind. Das Geschäft mit den Edelmetallen deckt nicht alle ökologischen Folgekosten.

Massenvergiftung in guter Absicht


Bis in die 1970er-Jahren starben in Bangladesch gegen 250 000 Kinder an Durchfallerkrankung verursacht durch Trinkwasser aus Flüssen und Teichen. In der Folge wurden mit massiver internationaler Hilfe durch die Weltbank und das UNO-Kinderhilfswerk etwa 10 Mio. Grundwasserbrunnen erstellt, sodass 97% der ländlichen Bevölkerung sicheres Trinkwasser aus Tiefen von 15–30 Metern bezieht. Als Folge davon hat die Kindersterblichkeit um über 50% abgenommen. Leider ist Bangladesch ein Beispiel für das Phänomen, dass sich die Lösungen von gestern in die Probleme von heute verwandeln: Bereits 1993 wurden erste Anzeichen einer chronischen Arsenvergiftung im Ganges-Delta erkannt. Das Ausmass der Grundwasserkontamination wurde jedoch erst im Jahr 2000 offiziell wahrgenommen. Inzwischen geht man davon aus, dass 35–75 Mio. Menschen in Bangladesch aus den neuen Brunnen Wasser beziehen, das mit kritischen Mengen von Arsen kontaminiert ist. Was war geschehen? Bangladesch wird während der Monsunzeit oft grossflächig überflutet. In den flachen Grundwasserleitern verschwindet durch den Eintrag von organischem Material der Sauerstoff, und unter diesen Bedingungen kann Arsen aus den Mineralpartikeln herausgelöst werden. Damit kann es sich im Grundwasser anreichern, während die Oberflächengewässer kaum vergiftet sind. Chronische Arsenvergiftung führt zu Hauterkrankungen durch starke Pigmentierung vor allem an Händen und Füssen, Hautkrebs sowie Tumorerkrankungen an Leber, Nieren und Harnwegen. Es sind nun internationale Bemühungen im Gang, um das Arsen aus dem Trinkwasser zu entfernen und – wo dies möglich ist – die Brunnen tiefer zu legen sowie die Risiken für solch weiträumige «geologische Brunnenvergiftung» besser abzuschätzen. In verschiedenen Gebieten Südostasiens, aber auch in der ungarischrumänischen Tiefebene sind inzwischen Arsenprobleme identifiziert und Gegenmassnahmen ergriffen worden.

Latrinen sind noch wichtiger als Brunnen


Gemäss den WHO-Statistiken sind die häufigsten schweren Ausbrüche von Infektionskrankheiten auf den Übertragungsweg via Trinkwasser zurückzuführen. Mittlerweile ist die Cholera in Afrika wieder auf dem Vormarsch. Der Hauptgrund liegt darin, dass 2,4 Mrd. Menschen ohne Abwasser- und Fäkalentsorgung leben und 1,1 Mrd. Menschen keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser haben. Diese inakzeptablen Verhältnisse führen jedes Jahr zu 1,6 Mio. vermeidbaren Todesfällen, vor allem bei Kleinkindern. Eines der Millenium-Entwicklungsziele postuliert deshalb, dass die Bevölkerung ohne Trinkwasserversorgung und sanitäre Einrichtungen bis 2015 zu halbieren sei.Eine sichere Fäkalentsorgung sollte oberste Priorität haben, weil es darum geht, in den wachsenden Megastädten der Entwicklungsländer die kostbare Trinkwasserversorgung zu schützen. Allzu oft wurden jedoch in der Vergangenheit mit Hilfsprojekten die emotional positiv besetzten Trinkwasserbrunnen eingerichtet, ohne an das etwas unappetitliche Geschäft mit der Abwasser- und Fäkalentsorgung zu denken. An der Trinkwasserfront war deshalb der Fortschritt schneller. Mit dem Slogan «Hurry up in the toilet, 2,4 billion people are waiting» möchten die Entwicklungsexperten dem weltweiten Latrinenbau neuen Schwung verleihen.

Wasserexpertinnen und -experten sind gesucht


Die Schweiz hat eine sehr gut ausgebaute Wasserinfrastruktur und verfügt über qualifizierte Expertinnen und Experten in Gewässerschutz und Wassertechnologie. Mit unserer privilegierten Lage im Wasserschloss Europas haben wir das Know-how und die Verantwortung, zur Lösung der dringenden regionalen Wasserfragen in anderen Teilen der Welt beizutragen. Längerfristig sollte die Ausbildung von Fachleuten vor Ort eines der wichtigsten Ziele der Entwicklungszusammenarbeit sein.

Kasten 1: Literatur

Schwarzenbach, R. P., Egli T., Hofstetter T.B., von Guten U., Wehrli B. 2010. Global Water Pollution and Human Health. In: Annual Review of Environment and Resources (im Druck).

Zitiervorschlag: Wehrli, Bernhard (2010). Wasserknappheit und Wasserqualität: Eine globale Herausforderung. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.