Suche

Abo

Produktivität als entscheidender Faktor für Ernährungssicherheit

Die gezielte Umsetzung von Forschungsergebnissen im Bereich der Pflanzenwissenschaften und der Agronomie haben bereits in der Vergangenheit für die Nahrungsmittelsicherheit wesentliche Produktivitätsfortschritte ermöglicht. Das prognostizierte Bevölkerungswachstum, verbunden mit den akzentuierten Herausforderungen im Bereich der natürlichen Ressourcen, bedingen, dass die neuen Entwicklungen nicht nur das Ertragsvolumen, sondern verstärkt die Ressourceneffizienz ins Zentrum stellen.

Kann das globale Landwirtschafts- und Ernährungssystem die über 9 Mrd. Menschen ernähren, welche voraussichtlich im Jahr 2050 auf dieser Welt leben werden? Die aktuellsten Erhebungen über die Zahl der unter Hunger leidenden Menschen auf der Welt lassen aufhorchen: Waren es in den Jahren 1995–1997 noch 825 Mio. weltweit, so sind es heute bereits über 1 Mrd. Erwachsene und Kinder. Gemäss den Berechnungen der FAO müssen jährlich 73 Mio. Menschen aus dieser Situation geführt werden, soll das erste Millenniumsentwicklungsziel zur Verminderung von extremer Armut und Hunger bis 2015 erreicht werden. Die Tatsache, dass heute über 1 Mrd. Menschen unter Hunger leiden, ist inakzeptabel. Aber daraus zu schliessen, dass das globale Landwirtschaftssystem in den vergangenen Jahren auf allen Ebenen versagt habe und nicht in der Lage sei, die enormen Herausforderungen, die vor uns liegen, bewältigen zu können, ist ebenso haltlos.

Produktivitätszuwachs muss mit Bevölkerungswachstum Schritt halten


Dass angesichts dieser alarmierenden Entwicklung zunehmend pessimistische Stimmen zu vernehmen sind, ist nicht erstaunlich. Argumente, die stark an Thomas R. Malthus erinnern, werden in den aktuellen Debatten zur Nahrungsmittelsicherheit wiederbelebt. Bereits 1798 hat dieser in seinem Aufsatz «The Principle of Population»
Vgl. http://www.esp.org/books/malthus/population/ malthus.pdf. («Das Bevölkerungsgesetz») davor gewarnt, dass die Bio-Kapazität der Erde nicht ausreichen werde, um das Nahrungsmittelangebot für eine exponentiell wachsende Bevölkerung bereitzustellen.Wenn wir auf die Entwicklungen der letzten 50 Jahre zurückblicken, dann lässt sich erkennen, dass der Landwirtschaft eine Erfolgsgeschichte zugrunde liegt. Während im Jahr 1960 erst rund 3 Mrd. Menschen auf der Erde lebten, hat sich diese Zahl bis heute mehr als verdoppelt. Dass die landwirtschaftliche Produktion mit diesem ausserordentlichen Anstieg des Nahrungsmittelbedarfs Schritt halten konnte, ist weitestgehend auf die unter dem Begriff «grüne Revolution» bekannten Produktivitätsfortschritte zurückzuführen. Der Ressourcenspielraum – der gemäss der These von Malthus beschränkt sei – wurde durch die Einführung moderner Landwirtschaftsmethoden und den gezielten Einsatz von Dünger enorm ausgeweitet, was zu einer Erhöhung der landwirtschaftlichen Erträge führte, von der Landwirte und Konsumenten weltweit profitierten. Ohne die erzielten Produktivitätsfortschritte würden gemäss Studien gerade in Entwicklungsländern die Erträge um rund 22% niedriger ausfallen. Dies würde zu einer Reduktion der Kalorienverfügbarkeit pro Kopf um 14% und einem Anstieg des Bedarfs an Nahrungsmittelimporten von 29% führen.
Vgl. Evenson, R., & Gollin, D. (2003): Assessing the Impact of the Green Revolution, 1960 to 2000. Science, Vol. 300, Mai 2003, pp. 758–762.

Wissen und neue Technologien als Schlüssel


Diese Produktivitätsfortschritte wurden insbesondere durch den gezielten Einsatz von vorhandenem und neu generiertem Wissen im Bereich der Pflanzenwissenschaften und der Agronomie ermöglicht. So führte zum Beispiel die Entwicklung und Einführung hybrider Reissorten in China im Jahr 1977 zu Ertragssteigerungen, die zusätzliche 60 Mio. Menschen pro Jahr ernähren können. Die Erträge dieser Reissorten übersteigen diejenigen herkömmlicher Sorten um 15%–31%.
Vgl. IFPRI , Millions Fed. Aber auch bei anderen für die Nahrungsmittelsicherheit wichtigen Kulturen wie Maniok konnten mit gezielten Strategien zur Kontrolle von Schädlingen die Ernteverluste von 2,5 Tonnen pro Hektare reduziert werden. Durch die Einführung von schädlingsresistenten Pflanzen konnten zusätzliche 1,4 Mio. Tonnen Maniokmehl pro Jahr produziert werden, was dem Nahrungsbedarf von 29 Mio. Menschen entspricht.
Vgl. IFPRI , Millions Fed.Diese ermutigenden Erfolge in den 1970er- und 1980er-Jahren verbunden mit den sinkenden Nahrungsmittelpreisen haben aber im Gegenzug dazu geführt, dass das Thema Ernährung und Landwirtschaft in der Prioritätenordnung der internationalen Gebergemeinschaft an Bedeutung eingebüsst hat. Die Investitionen in die Landwirtschaft sind in den letzten 20 Jahren merklich zurückgegangen. Der Anteil der auf Landwirtschaft entfallenden Beiträge in den Budgets für Entwicklungszusammenarbeit ist zwischen 1986 und 2006 von 17% auf 3% gesunken. Der direkte Zusammenhang zwischen Investitionen in die Landwirtschaft und Produktivitätsfortschritt ist dabei evident: Im gleichen Zeitraum ist der zusätzliche jährliche Produktivitätszuwachs von durchschnittlich 3%–6% auf 1%–2% zurückgegangen.
CGIAR: http://www.fao.org/tc/tci/ whyinvestinagricultureandru/en.Auch wenn neues Wissen und Technologien Produktivitätsfortschritte überhaupt erst ermöglichen, so bedarf es auch geeigneter Massnahmen, um dieses Wissen und die Technologien denjenigen Landwirten zugänglich zu machen, die sie am dringendsten benötigen. Die so genannte Ertragslücke (Yield Gap) – gemeint ist damit die Differenz zwischen dem hypothetisch erreichbaren und dem tatsächlich erreichten Ertrag – ist weiterhin beachtlich (vgl. Grafik 1). Während beispielsweise die durchschnittlichen Weizenerträge in Westeuropa bei gut 7 Tonnen pro Hektare liegen, werden in China nur knapp 4 Tonnen pro Hektare und in Russland im Durchschnitt noch weniger erreicht.

Produktivität neu definiert: Instrumente für eine ressourceneffiziente Landwirtschaft


Dass auch in den nächsten Jahren erhebliche Anstrengungen gemacht werden müssen, um weitere Produktivitätsfortschritte zu erzielen, steht spätestens seit dem Höhenflug der Nahrungsmittelpreise im Jahr 2007 ausser Frage. Gemäss den Prognosen
Vgl. http://esa.un.org/unpd/wpp2008/ peps_documents.htm. des UN Population Office wird die Weltbevölkerung im Jahr 2050 die 9-Mrd.-Marke überschreiten. Mit dieser weiteren Bevölkerungszunahme und der sozioökonomischen Entwicklung hin zu höherwertiger Nahrung erhöht sich jedoch nicht nur der Bedarf an landwirtschaftlichen Erzeugnissen um ungefähr 70%,
Vgl. OECD/FAO Agricultural Outlook. sondern auch die Nachfrage nach den für eine erfolgreiche Landwirtschaft wesentlichen landwirtschaftlichen Produktionsmitteln wie Boden und Wasser. Der Konkurrenzkampf verschiedener Interessen um die natürlichen Ressourcen wird sich zunehmend verschärfen, und die Gesellschaft steht sowohl auf lokaler wie auch auf globaler Ebene vor schwierigen Dilemmas. Soll ein Stück Land genutzt werden, um Wohnraum für 37 Familien zu schaffen oder um Nahrungsmittel für 7000 Menschen anzubauen? Müssen die Wasserbezugsrechte der Landwirte im Einzugsgebiet eines Flusses limitiert werden, damit genügend Wasser zum Betreiben der sanitären Einrichtungen der Anrainer in den Städten zur Verfügung steht? Die akzentuierten Herausforderungen im Bereich der natürlichen Ressourcen bedingen eine Erweiterung der Definition des Wortes Produktivitätsfortschritt. Der Produktivitätsfortschritt, den wir in den nächsten Jahren benötigen, um die Nahrungsmittelversorgung langfristig zu sichern, kann sich nicht mehr alleine auf die Dimension des Ertragsvolumens beschränken, sondern muss gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag zur Entschärfung des Drucks auf die natürlichen Ressourcen leisten. Der Produktivitätsfortschritt 2.0 muss somit Lösungen bereitstellen, mit denen die vorstehend dargestellten multidimensionalen Herausforderungen adressiert werden können.

Handlungsbedarf erkannt


Die ermutigende Nachricht ist, dass diese Erkenntnis bereits Eingang in die Forschungs- und Entwicklungspläne der entsprechenden Abteilungen der öffentlichen wie auch der privaten Institutionen gefunden hat. Beispielsweise entwickeln Unternehmen dürretolerante Pflanzensorten, welche die Landwirte dabei unterstützen, auch unter trockeneren Bedingungen genügend Nahrungsmittel zu produzieren. Eines der prägnantesten Beispiele ist der Reis, welcher für über 3 Mrd. Menschen die Ernährungsgrundlage bildet und traditionell auf gefluteten Feldern angebaut wird. Diese extrem wasserintensive Methode verbraucht etwa 40% des insgesamt weltweit für die Bewässerung eingesetzten Wassers. Im Hinblick auf die Verbesserung der Wassereffizienz der landwirtschaftlichen Produktion hat beispielsweise Syngenta vor einigen Jahren entschieden, in die Entwicklung hybrider Reissorten mit höheren Erträgen und reduziertem Wasserverbrauch zu investieren. Aber auch neuartige Pflanzenschutzprodukte auf chemischer Basis erhöhen die Widerstandskraft der Pflanzen gegenüber klimatischen Stressfaktoren (siehe Kasten 1

Das neue Pflanzenschutzprodukt Invinsa™ von Syngenta wird speziell für den Schutz von Pflanzen vor moderater Dürre und anderen Stressfaktoren entwickelt. Werden Pflanzen Belastungen wie Trockenheit ausgesetzt, produzieren sie die natürliche Chemikalie Ethylen, die den Verwelkungsprozess auslöst und letztendlich zum Tod der Pflanze führt. Invinsa™ blockiert die Ethylenproduktion der Pflanzen während moderater Dürreperioden. Dies verbessert die langfristige Gesundheit der Pflanzen und steigert die landwirtschaftlichen Erträge. Das Produkt ist sicher in der Anwendung und verfügt über ein gutes Umweltprofil: Der Wirkstoff 1-Methylcyclopropen (1-MCP) spaltet sich in Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff auf und hinterlässt keine Rückstände. Landwirte können mit dieser Technologie ihre Produktivität steigern und sind besser auf die infolge des Klimawandels immer häufiger und länger auftretenden Dürreperioden vorbereitet.

). Dass solche Entwicklungen gerade für die Länder des Südens entscheidend sind, in denen die landwirtschaftliche Produktivität aufgrund der klimatischen Veränderungen um bis zu 21% abnehmen könnte,
Vgl. FAO, Climate change and bioenergy challenges for food an agriculture, http://www.fao.org/wsfs/forum2050/ wsfs-background-documents/hlef-issues-briefs/en. ist offensichtlich.

Europa steht in der Pflicht


Während sich vor allem die Regierungen in Asien und Afrika, wo der Hauptanteil des künftigen Bevölkerungswachstums stattfinden wird, für Produktivitätsfortschritte und die damit verbundenen Technologien interessieren, zeigt Europa nicht nur Desinteresse, sondern eine grosse Skepsis gegenüber zukunftsweisenden Ansätzen einer leistungsfähigen Landwirtschaft. Dabei ist es für uns Westeuropäer, die in einem Umfeld leben, das von Überfluss und starker Kaufkraft geprägt ist, sehr einfach, der Vorstellung einer möglichst traditionellen, technologiefreien Landwirtschaft nachzuleben. Zahlreiche Nahrungs- und Futtermittel werden ohnehin bereits importiert und unsere Kaufkraft wirkt als Rückversicherung: Fällt die Ernte zu niedrig aus, können wir ohne weiteres auf den internationalen Märkten unseren Bedarf decken. Auch wenn diese Haltung an und für sich bereits ethisch bedenklich ist, so liegt die wahre Problematik jedoch darin, dass unsere romantisch und ideologisch geprägte Vorstellung der Landwirtschaft über aussenwirtschaftlich relevante Instrumente – z.B. Entwicklungszusammenarbeit – in diejenigen Länder exportiert wird, die unter dem Gesichtspunkt der lokalen Nahrungsmittelsicherheit auf Produktivitätsfortschritte dringend angewiesen wären. Seit 1950 hat sich die Bevölkerung verdoppelt und der Druck auf die natürlichen Ressourcen massiv erhöht. Wir können heutige und zukünftige Zielkonflikte nur dann lösen, wenn wir uns von ideologischen Kämpfen verabschieden, neuen Technologien zum Durchbruch verhelfen, die mit weniger Ressourcen mehr Erträge erzielen, und auch ressourcenarme Kleinbauern mit einfachen Mitteln unterstützen, damit sie auf ihrem Land die bestmöglichen Erträge erwirtschaften können.

Grafik 1: «Produktivität: Langfristiges Potenzial in Schwellenländern»

Kasten 1: Invinsa schützt Pflanzen vor Dürre

Das neue Pflanzenschutzprodukt Invinsa™ von Syngenta wird speziell für den Schutz von Pflanzen vor moderater Dürre und anderen Stressfaktoren entwickelt. Werden Pflanzen Belastungen wie Trockenheit ausgesetzt, produzieren sie die natürliche Chemikalie Ethylen, die den Verwelkungsprozess auslöst und letztendlich zum Tod der Pflanze führt. Invinsa™ blockiert die Ethylenproduktion der Pflanzen während moderater Dürreperioden. Dies verbessert die langfristige Gesundheit der Pflanzen und steigert die landwirtschaftlichen Erträge. Das Produkt ist sicher in der Anwendung und verfügt über ein gutes Umweltprofil: Der Wirkstoff 1-Methylcyclopropen (1-MCP) spaltet sich in Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff auf und hinterlässt keine Rückstände. Landwirte können mit dieser Technologie ihre Produktivität steigern und sind besser auf die infolge des Klimawandels immer häufiger und länger auftretenden Dürreperioden vorbereitet.

Zitiervorschlag: Franziska Zimmermann (2010). Produktivität als entscheidender Faktor für Ernährungssicherheit. Die Volkswirtschaft, 01. September.