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Warum eine Deutsche Rohstoffagentur?

Die zunehmende Bedeutung von Fragen der Rohstoffsicherung erfordert eine zentrale Schnitt- und Informationsstelle, die das Themenfeld umfassend vertritt und vernetzt. Davon profitiert nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern letztlich die Gesellschaft als Ganzes. Auch die Politik profitiert von einer Rohstoffagentur: Aufbauend auf den Informationen, die sie zur Verfügung stellt, können politische Entscheidungen zur Rohstoffsicherung unterstützt und fachlich flankiert werden.

Aktuelle Situation auf den Rohstoffmärkten


Die weltweite Rohstoffsituation hat sich in den vergangenen fünf Jahren grundsätzlich geändert. Infolge des rasanten Wirtschaftswachstums der Schwellenländer – allen voran Chinas – ist der Rohstoffbedarf in diesen Ländern deutlich gestiegen. Während beispielsweise China in den 1980er- und 1990er-Jahren ein grosser Rohstoffexporteur war, ist das Land heute bei vielen Rohstoffen der grösste Verbraucher und importiert Rohstoffe in grossem Massstab. Wichtige rohstoffverbrauchende Schwellenländer haben mittlerweile ihre Rohstoffpolitik strategisch ausgerichtet und entsprechende rohstoffwirtschaftliche Massnahmen ergriffen. Auch Wettbewerbsverzerrungen – wie z. B. chinesische Exportzölle und -quoten auf Seltene Erden – behindern den freien Zugang zu Rohstoffen. Zudem sind im globalen Massstab einige wichtige Rohstoffe auf wenige Firmen und Länder konzentriert. Darüber hinaus gefährdet die politische Instabilität einiger dieser Länder die kontinuierliche Rohstoffversorgung.Bezogen auf Baurohstoffe, Industrieminerale, Stein- und Kalisalz sowie Braunkohle ist Deutschland ein rohstoffreiches Land. Deutschland ist jedoch bei Energierohstoffen zu einem sehr hohen Anteil und bei Metallrohstoffen zu 100% von Importen abhängig. Die Rohstoffversorgung ist sozusagen die Achillesferse für die deutsche Wirtschaft, insbesondere für Schlüsseltechnologien und Hightech. Auch in Hinblick auf neue Technologieentwicklungen, vor allem beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität, ist in den nächsten Jahren mit einem steigenden Bedarf an Metallrohstoffen – speziell an sogenannten Hightechrohstoffen wie Seltenen Erden, Lithium, Tantal, Indium, Germanium etc. – zu rechnen. Diese Gesamtsituation kann mittelfristig Auswirkungen für deutsche und europäische Unternehmen beim Zugang zu Rohstoffen haben. Geschlossene Stoffkreisläufe, bei denen die Nachfrage vollständig aus Recyclingmaterial gedeckt wird, sind nach überwiegender Expertenmeinung in absehbarer Zukunft nicht erreichbar. In der rohstoffverarbeitenden Industrie setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Verknappungen an den Rohstoffmärkten zu Produktionseinschränkungen führen und Innovationen behindern können. Steigende Rohstoffpreise und Probleme bei der Verfügbarkeit erfordern daher auch ein verstärktes politisches Handeln.

Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene


Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung Deutschland unter Federführung des Wirtschaftsministeriums im Jahr 2007 auf der Grundlage eines intensiven Dialoges zwischen Wirtschaft und Politik die Elemente einer Rohstoffstrategie der Bundesregierung Deutschland entwickelt und auf dem 2. BDI-Rohstoffgipfel im Jahre 2007 vorgestellt. Ein Ergebnis dieses Gipfels war die Einrichtung des interministeriellen Ausschusses Rohstoffe. Diese strategischen Ansätze sind auch massgeblich in die rohstoffpolitische Diskussion der EU eingeflossen, mit dem Ergebnis, dass die EU 2008 die EU Raw Materials Initiative veröffentlicht hat (KOM 2008 699). Ende 2010 beabsichtigt die EU, Schlussfolgerungen und Empfehlungen in einer weiteren Mitteilung vorzulegen. Ziele sind der diskriminierungsfreie Zugang zu Rohstoffen auf dem Weltmarkt – insbesondere durch Massnahmen der Handels- und Wettbewerbspolitik – und die stärkere Versorgung mit Rohstoffen aus europäischen Quellen. Die Senkung des Primärrohstoffverbrauchs soll durch Recycling sowie Forschung und Entwicklung in den Bereichen Rohstoffsubstitution bzw. -effizienz erreicht werden. Im Frühjahr 2010 hat der Bundeswirtschaftsminister auf nationaler Ebene den Rohstoffdialog zwischen Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft initiiert. In diesen Dialog sind auf Regierungsebene insbesondere das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingebunden. Die Ergebnisse dieses Dialoges werden in einer Rohstoffstrategie der Bundesregierung münden. Als eine strukturelle Massnahme im Rahmen der Rohstoffstrategie hat Bundeswirtschaftsminister Brüderle am 4. Oktober 2010 die Deutsche Rohstoffagentur in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) gegründet. Die Rohstoffagentur dient als Schnittstelle und fungiert für Wirtschaft und Politik als zentrale Informations- und Beratungsplattform. Ordnungspolitisch gilt in Deutschland, dass es grundsätzlich Aufgabe der Wirtschaft ist, ihre Rohstoffversorgung sicherzustellen. Die staatlichen Aktivitäten konzentrieren sich darauf, die politischen, rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für eine international wettbewerbsfähige Rohstoffversorgung zu setzen. Die flankierenden Massnahmen betreffen vor allem die Unterstützung der Wirtschaft durch rohstoffpolitische Förderinstrumente, Forschungsförderung sowie die aussen- und entwicklungspolitische Begleitung von Rohstoffinteressen im Ausland.

Aufgaben und Ziele der Deutschen Rohstoffagentur


Bereits seit ihrer Gründung unterstützt die BGR die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft in rohstoffwirtschaftlichen und geowissenschaftlichen Fragen. Im Rohstoffsektor hat die BGR langjährige Erfahrungen in der Lagerstätten- und Rohstoffforschung sowie in der Rohstoff- und Bergwirtschaft. Darüber hinaus ist sie durch ihre Arbeiten in der Entwicklungszusammenarbeit weltweit im Geo- und Rohstoffsektor vernetzt. Die politische Entscheidung, die neugegründete Deutsche Rohstoffagentur in die BGR zu integrieren, war der folgerichtige Schritt. Das vorhandene Know-how und die bestehende Infrastruktur ist eine ideale Ausgangsbasis für die Einrichtung der Agentur.In der derzeitigen Aufbauphase sowie im laufenden Betrieb wird die deutsche Wirtschaft eng in den Entwurf und die Weiterentwicklung des Agenturkonzeptes eingebunden. Die zukünftigen Produkte und Dienstleistungen der Agentur orientieren sich am Bedarf der Wirtschaft, der über die beteiligten Wirtschaftsverbände – vor allem den BDI als Dachverband der Industrie – mittels Umfragen, Konferenzen und Netzwerke ermittelt wird. Als Dienstleister der rohstoffexplorierenden, -gewinnenden und -verarbeitenden Wirtschaft sowie der Bergbautechnik-Industrie stellt die Agentur eine rohstoffwirtschaftliche Wissensbasis zur Verfügung, die in Deutschland einmalig ist. Die Rohstoffagentur kooperiert auch mit rohstoffreichen Drittländern – vor allem mit Entwicklungsländern – bei der nachhaltigen Nutzung ihrer Rohstoffpotenziale und der Integration in die internationale Rohstoffwirtschaft. Ziel ist eine zum gegenseitigen Nutzen geschlossene Partnerschaft mit Deutschland.Die Rohstoffagentur berät die deutsche Wirtschaft in fachlichen Fragen zu allen Aspekten der Metalle, Industrieminerale, Steine und Erden sowie Energierohstoffe. Die vollständige Betrachtung aller Rohstoffgruppen erlaubt die flexible und vorausschauende Reaktion auf den Bedarf in einem sich kontinuierlich wandelnden Markt. Inhaltlich konzentriert sich die Agentur auf die Bewertung der globalen Verfügbarkeit von Rohstoffen und die Versorgungssicherheit Deutschlands. Weitere Themen sind neue Rohstoffpotenziale, die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen und Rohstoffeffizienz.

Konzeption mit fünf Modulen


Das Konzept der Deutschen Rohstoffagentur sieht fünf Module vor, die im Folgenden kurz vorgestellt werden. Bereits seit Mai 2010 steht ein Kontaktbüro für Anfragen zur Verfügung. Ein stufenweiser Aufbau der Agentur in der BGR ist bis Ende 2013 bzw. Anfang 2014 vorgesehen.

Rohstoffinformationssystem


Kernstück der Deutschen Rohstoffagentur ist das Rohstoffinformationssystem. Im internationalen Wettbewerb auf den Rohstoffmärkten ist Information ein wertvolles Gut, das die Transparenz von Märkten erhöht und im Rahmen der Rohstoffsicherung sachlich fundierte Entscheidungen unterstützt.Im Portfolio des Rohstoffinformationssystems sollen vielfältige Informationen aktuell wissenschaftsbasiert zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehören Bewertungen zur aktuellen und zukünftigen Marktsituation von Rohstoffen und Rohstoffgruppen sowie der gesamten Marktentwicklung anhand von Frühindikatoren. Weiterhin sind rohstoffbezogene Länderinformationen vorgesehen. Auch der BGR-Preisindex zur Darstellung der Preisentwicklung und -volatilität soll weiterentwickelt werden. Die Einrichtung einer Rohstoff-Kontaktplattform steht noch am Anfang, ebenso wie die Etablierung von jährlichen Rohstofftagungen. Es ist vorgesehen, die inhaltliche Grundausstattung des Informationssystems in Hinblick auf den externen Bedarf kontinuierlich anzupassen. Für die digital vorgehaltenen Produkte ist ein Internetportal in Planung, das den hürdenfreien Zugang zu allen aktuellen Informationsangeboten der Deutschen Rohstoffagentur gewährleisten wird.

Service für die deutsche Wirtschaft


Das Engagement deutscher Unternehmen im Rohstoffbereich nimmt aufgrund der aktuellen Entwicklungen in diesem Sektor wieder kontinuierlich zu. Die Deutsche Rohstoffagentur ist in der günstigen Situation, das in der BGR vorhandene Know-how und die Ländererfahrung für die direkte Beratung von Unternehmen einsetzen zu können. Kundenspezifische Bewertungen zur Marktsituation von Rohstoffen, die Analyse von produktspezifischen Beschaffungsrisiken und die Flankierung von Massnahmen zur Rohstoffsicherung und -diversifizierung eröffnen Unternehmen die Chance, sich individuell auf die Marktsituation einzustellen und/oder sich gezielt in Rohstoffprojekten zu engagieren. Ziel ist es, insbesondere die klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) zu unterstützen.

Fachliche Unterstützung von Rohstoffförderprogrammen der Bundesregierung


Rohstoffförderprogramme sind kein neues Instrument der Politik. Bis in die 1980er-Jahre gab es das sogenannte Explorationsförderprogramm, das zwar sehr erfolgreich war, aber aufgrund der entspannten Rohstoffmärkte und des teilweisen Überangebotes von Rohstoffen in den 1990er-Jahren an Nachfrage verlor. Gegenwärtig unterstützt die Bundesregierung förderungswürdige Rohstoffvorhaben im Ausland mit Investitionsgarantien, insbesondere die Garantien für ungebundene Finanzkredite. Die Deutsche Rohstoffagentur wird die heutigen und zukünftigen Förderinstrumentarien der Bundesregierung auf den Gebieten der Rohstofferkundung, Rohstoffgewinnung, der Rohstoff- und Materialeffizienz etc. fachlich flankieren.

Vorfeldarbeiten und Projekte mit der Industrie


Forschungs- und Entwicklungsarbeiten (F&E) in der Lagerstätten- und Meeresforschung sowie in der Rohstoff- und Bergwirtschaft haben an der BGR eine lange Tradition. Noch intensiver als in der Vergangenheit soll im Rahmen der Deutschen Rohstoffagentur daran gearbeitet werden. Mögliche Themenschwerpunkte sind marine Rohstoffpotenziale, innovative Lagerstättenkonzepte und nichtkonventionelle Energierohstoffe. Aktuell werden z. B. marine Manganknollen untersucht – mit Blick auf einen möglichen Meeres- und Tiefseebergbau der Zukunft. Die Ergebnisse aus derartigen Vorfeldarbeiten sollen in industrielle Aktivitäten münden. Gemeinsam mit der Wirtschaft werden darüber hinaus neue Ansätze und/oder Projekte mit Pilot- und F&E-Charakter bearbeitet. Ein Beispiel ist das zurzeit laufende Pilotprojekt zum Aufbau von zertifizierten Rohstoffhandelsketten für Coltan, Zinn und Wolfram zwischen ruandischen Produzenten und europäischen Abnehmern. Weitere Themenschwerpunkte sind Rohstoffeffizienz – z. B. Effizienzpotenziale bei der Primärgewinnung und Rohstoffpotenziale in Bergbaureststoffen – und die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen.

Kooperationen mit Rohstoffländern


Die Kooperation mit rohstoffreichen Ländern – hauptsächlich mit Entwicklungs- und Schwellenländern – basiert auf den langjährigen Erfahrungen der BGR in der technischen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern. Hierbei sollen schwerpunktmässig rohstoffwirtschaftliche Partnerschaften mit ausgewählten Ländern aufgebaut werden. Die gemeinsame Durchführung von Leuchtturmprojekten in enger Abstimmung mit der Entwicklungszusammenarbeit wird für die Integration der Länder in die internationale Rohstoffwirtschaft und die Nachhaltigkeit des Bergbaus wegweisend sein. Die Erarbeitung von Investorenhandbüchern und die Bewertung von neuen bzw. alternativen Rohstoffpotenzialen werden mögliche Investitionsentscheidungen deutscher Unternehmen in den Ländern unterstützen. Durch diese intensiven und langfristigen Kooperationen wird auch der Zugang der deutschen Wirtschaft zu Rohstoffen in rohstoffreichen Ländern unterstützt. Ziel ist eine Win-win-Situation. Leitmotiv der gemeinsamen Projekte, an denen auch die Wirtschaft beteiligt werden soll, ist die nachhaltige Entwicklung.

Fazit


Deutschland braucht eine Rohstoffagentur, da sich aktuell die weltweite Rohstoffsituation deutlich geändert hat und die deutsche Rohstoffwirtschaft vor neuen Herausforderungen steht. Eine in Eigenregie betriebene, umfassende Information über die aktuellen Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten sowie mögliche Investitionsbewertungen im Rohstoffsektor überfordert viele KMU. Die individuellen rohstoffbezogenen Probleme bei Produktionsfragen und/oder Investitionsentscheidungen der Unternehmen sind sehr ähnlich. Eine Bündelung der flankierenden Aktivitäten in Form einer Rohstoffagentur ist daher sinnvoll und schafft auf effiziente Art einen Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft.

Grafik 1: «Selbstversorgungsgrad Deutschlands, Datenbasis 2008»

Grafik 2: «Rohstoffimporte Deutschlands, 2009»

Kasten 1: Mineralische Rohstoffe und ihre Verfügbarkeit

Mineralische Rohstoffe und ihre Verfügbarkeit


Mineralische Rohstoffe sind Bodenschätze aus natürlichen Lagerstätten, die durch Bergbau gewonnen werden. Lagerstätten sind durch geologische Prozesse als Anreicherungen von bestimmten Stoffen entstanden. Sie sind damit ortsgebunden, räumlich begrenzt und in menschlichen Zeiträumen nicht erneuerbar. In absehbarer Zeit sind bei Rohstoffen weltweit keine physischen Verknappungen zu erwarten; einzige Ausnahme dürfte Erdöl sein. Alle anderen Rohstoffe sind weltweit auch langfristig in ausreichendem Masse geologisch verfügbar. Verknappungen können aber vorübergehend entstehen, wenn zu wenig exploriert wird oder Engpässe bei den Gewinnungs-, Transport- oder Verarbeitungskapazitäten auftreten. Dies führt vorübergehend zu Ungleichgewichten von Angebot und Nachfrage mit den damit verbundenen Preissignalen.

Zitiervorschlag: Sven Altfelder, Volker Steinbach, Hildegard Wilken, (2010). Warum eine Deutsche Rohstoffagentur. Die Volkswirtschaft, 01. November.