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Rohstoffpreise: Risiken und Absicherung

Die erhöhte Volatilität bei den Rohstoffpreisen in den vergangenen Jahren sowie die dadurch entstanden Kostensteigerungen und Planungsunsicherheiten haben dazu geführt, dass die Bedeutung einer aktiven Bewirtschaftung der Rohstoffrisiken im Rahmen der Unternehmenssteuerung stark zugenommen hat. Im folgenden Artikel werden diesbezüglich zentrale Fragestellungen diskutiert: Sind sämtliche relevanten Risiken und zentralen Risikoparameter identifiziert? Wie können die Risiken, d.h. die Auswirkungen von Preisschwankungen auf die Ertragslage, retro- und prospektiv quantifiziert werden? Stimmt die Risikostrategie und -steuerung mit dem Geschäftsmodell und den vom Unternehmen definierten Risikoprofil überein?

Volatile Märkte – keine Änderungen in Sicht


Im Krisenjahr 2008 stieg der Preis für ein Fass Rohöl der Sorte Brent auf fast 150 US-Dollar an und stürzte schon kurze Zeit darauf auf unter 40 US-Dollar ab. Anfang Mai dieses Jahres notierte der Preis wiederum bei rund 80 US-Dollar. Dies ist eine exemplarische Entwicklung, die stellvertretend für den gesamten Rohstoffmarkt steht. Die Kupferpreise schwankten in derselben Zeitperiode um mehr als 50%. Ähnlich dramatisch entwickelten sich die Preise für Aluminium, Blei, Nickel, Zink und Zinn sowie Agrargüter wie Baumwolle, Weizen und Soja.Die Rohstoffmärkte werden von den verschiedenen Akteuren auf den Finanzmärkten als sehr interessantes Betätigungsfeld erachtet. Dafür gibt es verschiedenste Gründe: − Rohstoffintensive Industrieunternehmen oder Logistik-/Mobilitätsdienstleister sichern sich bereits systematisch gegen Preisschwankungen im Rohstoffbereich ab.− Vermögensverwalter sehen hohe Renditeentwicklungen aufgrund immer knapper werdender Ressourcen.− Händler nutzen die teilweise enormen Volatilitäten, um entsprechende Gewinnchancen zu realisieren. Die rohstoffintensiven Infrastruktur- und Bauprojekte, welche durch milliardenschwere Konjunkturpakete von Industriestaaten und Schwellenländern – wie Indien und China – finanziert werden, haben die Nachfrage nach Rohstoffen wieder anziehen lassen. An den aktuellen Verhältnissen wird sich auch mittelfristig nichts ändern – ganz im Gegenteil. Durch zunehmende Verknappung sowie die Tatsache, dass zahlreiche Rohstoffe aus politisch instabilen Regionen importiert werden müssen, wird die Marktlage in Zukunft eher komplexer und schwieriger für alle Marktteilnehmer, vor allem aber für Preisnehmer.

Risikomanagement der Unternehmen


Die Finanzkontrolle innerhalb eines Unternehmens ist eine unübertragbare und unentziehbare Aufgabe des Verwaltungsrates. Seit 2008 müssen im Anhang zum Geschäftsbericht Angaben zur Risikobeurteilung aufgeführt werden. Das bedeutet, dass ein rohstoffsensibles Unternehmen in der einen oder anderen Form das eingegangene Rohstoffrisiko steuern muss. Dazu gehört im Vorfeld der Steuerung zunächst einmal die systematische Erfassung und Bewertung von Finanzrisiken. Zu den Finanzrisiken zählt – neben dem Kredit- und Liquiditätsrisiko – auch das Marktrisiko, unter welchem das Rohstoffrisiko subsummiert wird.

Kennen Unternehmen die Risiken?


Die adäquate Quantifizierung dieser Risiken ist ein integraler Bestandteil einer erfolgreichen Absicherungsstrategie. Idealerweise erfolgt dies in einem in Geldeinheiten ausgedrückten Risikomass, mit dem das eingegangene Risiko und der erwartete Ertrag in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden können. Dabei sind auch die Kredit- und Zahlungsrisiken mit einzubeziehen. Die Quantifizierung dient als Grundlage für spätere Sicherungsentscheidungen. Immer wieder ist zu sehen, dass Unternehmen trotz übereinstimmender Rohstoffversorgungsbedürfnisse unterschiedlich mit den stark schwankenden Preisen zurechtkommen. Neben einer erfolgreichen Strategie ist ein effizientes Risikocontrolling ein wesentliches Element dieses Erfolges. Primär gilt es zu wissen, in welchen Bereichen des Unternehmens diese Risiken entstehen und in welchem Umfang Abhängigkeiten zu unterschiedlichsten Rohstoffen bestehen. Mittels entsprechender Kosten- und Korrelationsanalysen sowie aufbauender Szenarien/Stresstests sind anschliessend die Mengen, der Zeitpunkt und die finanziellen Auswirkungen auf die Ergebnissituation zu eruieren und zu simulieren. Im nächsten Schritt ist der Entstehungszeitpunkt der Risikoexposures zu definieren, um den eigentlichen Risikohorizont
Dabei sollte stets die Unterscheidung zwischen dem buchhalterischen Risikohorizont (ab Rechnungsstellung bis Bezahlung) und dem ökonomischen Risikohorizont (z.B. ab Preiskalkulation bis Bezahlung) beachtet werden. zu ermitteln. Ein einfaches Beispiel zeigt, welche Auswirkungen nur ein einzelner rohstoffgetriebener Kostenblock haben kann. Beträgt der Anteil des Nickels beim Einkaufsvolumen 20% und erhöht sich dessen Preis um 30% (Preisanstieg 2010), so steigt das gesamte Einkaufsvolumen um 6%. Die jüngste Wirtschaftkrise hat auch das Kontrahentenausfallrisiko stärker in den Fokus gerückt. Es beschreibt den Fall, dass ein Kontrahent während der Laufzeit eines Vertrages ab dem Abschlusszeitpunkt seinen Liefer-, Abnahme- bzw. künftigen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Denn beim Ausfall eines Lieferanten müssen Unternehmen häufig die Rohstoffe teuer am Markt einkaufen. Die Risiken des Rohstoffeinkaufs werden zusätzlich dadurch erhöht, dass der Kauf und die Absicherung von Rohstoffen meist in einer ausländischen Währung erfolgen. Das hat zur Folge, dass allenfalls auch das Wechselkursrisiko abgesichert werden muss.

Strategische Managementüberlegungen


Da weiterhin mit extremen Preisschwankungen zu rechnen ist, sollten rohstoffsensible und -intensive Unternehmen sicherstellen, dass sie basierend auf einer klar definierten Absicherungsstrategie systematische Absicherungsmassnahmen entwickeln, um sowohl die eigene Überlebens- und Wettbewerbsfähigkeit als auch die Planungssicherheit zu gewährleisten. Entscheidend für die zu wählende Risikomanagementstrategie und die daraus abzuleitenden Massnahmen zur Reduktion von Rohstoffrisiken ist die Risikoaffinität des Unternehmens. Bei Industrieunternehmen entscheiden somit das individuelle Geschäftsmodell sowie die Haltung des Verwaltungsrates und der Unternehmensführung über die Risikoeinstellung. Ein entscheidender Faktor ist die Risikotragfähigkeit, gemessen an der Möglichkeit, volatile Ergebnisse verkraften zu können. Hierbei ist der mögliche Cashflow-Effekt zwingend einzubeziehen. Bezüglich der Risikoneigung wird grundsätzlich zwischen Risikoneutralität, Risikoaversion und Risikofreude unterschieden: − Von Risikoneutralität wird gesprochen, wenn ein Unternehmen der möglichen Abweichung vom durchschnittlichen Erwartungswert künftiger Ergebnisse wenig Bedeutung beimisst.− Bei Risikoaversion betreibt das Unternehmen ein proaktives Risikomanagement, um erkannte Risiken möglichst frühzeitig und vollständig abzusichern. Es verzichtet dabei auf mögliche Chancen zur Ergebnisverbesserung. − Risikofreudigere Unternehmen sind dagegen bereit, das Risikoprofil zu erhöhen, wenn das Management die Chance eines zusätzlichen Profits aus Risikopositionen sieht. Die Rohstoffabsicherungsstrategie sollte somit immer im Gesamtkontext des unternehmensspezifischen Risikomanagements (Enterprise Risk Management) betrachtet werden. Zentral scheint auch, dass Auswirkungen von Veränderungen im Rohstoffmarkt systematisch weiterverfolgt werden (Risikocontrolling), um Anpassungen von preistreibenden Parametern über entsprechende Frühwarnsysteme im Voraus zu erkennen und daraus die nötigen strategischen Massnahmen abzuleiten. Als preistreibende Parameter gelten vor allem wirtschaftliche Zyklen, politische Veränderungen in Regionen des Rohstoffvorkommens und in der Förderpolitik sowie das Ansteigen von Lagerbeständen. Generell beobachten wir, dass die Managementinstrumentarien bei vielen Unternehmen diesem Anspruch noch nicht genügen, um eine effektive, systematische und proaktive Steuerung der Rohstoffrisiken – auch im Sinne der Share-/Stakeholder – zu gewährleisten.

Umsetzung einer optimalen Hedging-Strategie


Es kann vorkommen, dass für die abzusichernde Rohstoffqualität an einer Rohstoffbörse kein Standardkontrakt vorhanden ist oder der Kontrakt nur über eine geringe Liquidität verfügt. Ist dies der Fall, muss ein anderes Absicherungsprodukt als Substitut gefunden werden. Eine Sicherungsbeziehung ist allerdings nur buchhalterisch wie auch risikomässig effektiv, wenn die Preisentwicklungen des Grundgeschäfts und des Absicherungsprodukts nahezu identisch sind. Dies kann mittels einer Korrelationsanalyse ermittelt und nachgewiesen werden. Beinhalten die Grundgeschäfte jedoch einen Grundrohstoff in unterschiedlicher Güte/Qualität, so werden alternativ auch sog. Produktkörbe zusammengestellt, um eine möglichst hohe Korrelation zwischen Grund- und Sicherungsgeschäft herzustellen.Ein Beispiel aus der chemischen Industrie soll das Prinzip verdeutlichen. Die Produkte der chemischen Industrie, wie zum Beispiel Ethylen, basieren grösstenteils auf Öl. Will man sich gegen das Preisänderungsrisiko bei Ethylen absichern, obwohl keine liquiden Sicherungsprodukte für Ethylen verfügbar sind, so kann dies über einen entsprechenden Ölsicherungskontrakt erfolgen, sofern eine positive Korrelation zwischen Ethylen und Öl (Preisentwicklung ist nahezu identisch) mit der Korrellationsanalyse nachgewiesen wird. Dabei besteht jedoch die Gefahr einer unterschiedlichen Marktwertveränderung der Rohstoffgrundposition und des Absicherungsprodukts. Einerseits kann ein wenig liquider Rohstoff durch eine zeitweise Verknappung des Marktes einen unerwarteten Preisschub erfahren; andererseits kann im Extremfall eine der beiden Positionen plötzlich gar nicht mehr verfügbar sein. Dies kann beispielsweise bei der Absicherung von raffinierten Ölprodukten über Öl-Sicherungskontrakte auftreten, wenn eine üblicherweise vorhandene Raffineriekapazität − z.B. durch Brand oder aus anderen Gründen − für einen längeren Zeitraum ausfällt. Die hohe Korrelation zwischen den beiden Positionen kann dadurch zeitweise signifikant verändert werden. Dieses Risiko nennt man ein Basisrisiko.

Auch einfache Instrumente können erfolgreich sein


Eine hohe Sicherungseffizienz lässt sich – neben vielen komplexen Produkten – auch durch einfache Produkte erreichen. Die einfachste Variante ist ein Warentermingeschäft: Für eine Lieferung zu einem definierten Zeitpunkt wird ein fester Preis vereinbart. Bei diesem Geschäft findet eine physische Lieferung des Rohstoffs statt. Diese Geschäftsart ist besonders geeignet, wenn der Rohstoff direkt verarbeitet wird.Ist eine physische Lieferung nicht möglich oder sinnvoll, kann ein derivatives Termingeschäft mit Cash Settlement eingesetzt werden. Dieses Hedging-Instrument schützt – wie das Warentermingeschäft – ebenfalls gegen Preisrisiken. Bei Fälligkeit erfolgt jedoch keine physische Lieferung, sondern ein Zahlungsausgleich aus der Preisdifferenz zwischen Sicherungspreis und dem aktuellen Marktpreis. Je nachdem, ob der Marktpreis höher oder niedriger als der vereinbarte Festpreis ist, bekommt oder zahlt das Unternehmen die Differenz (Cash Settlement) an den Kontrahenten. In Kombination mit einem Rohstoffkauf oder -verkauf zu Marktpreisen ergibt sich somit ein Fixpreis für ein Unternehmen, da die Preisentwicklungen von Sicherung und Grundgeschäft gegenläufig sind.Als weitere Möglichkeit der Preissicherungen bieten sich Optionen an. Bei den vorher beschriebenen Absicherungsmethoden wird der Preis unweigerlich fixiert. Damit erzielt man vollständige Planungssicherheit, verzichtet jedoch auf mögliche zusätzliche Gewinne durch Partizipation an positiven Preisentwicklungen. Mit Optionen wird ebenfalls ein maximal zu zahlender Preis festgelegt; das Unternehmen kann aber von fallenden Preisen profitieren. Da die Option im Falle sinkender Preise nicht ausgeführt wird, kann man billiger im Markt kaufen. Ein Nachteil der Rohstoffoption ist die hohe Prämie, welche beim Abschluss zu bezahlen ist. Rohstoffe haben in der Vergangenheit eine deutlich höhere Volatilität gezeigt als Währungen. Aus diesem Grund sind Optionsprämien zur Absicherung von Rohstoffrisiken verhältnismässig teuer.Eine andere Lösung zur Reduktion von Rohstoffrisiken ist das Weiterreichen an Lieferanten oder an Kunden durch sog. Adjustment Factors. Voraussetzung dafür ist, dass sich diese Vorgehensweise als «Standard» in einem Markt etabliert hat. Kritisch bei dieser Art der Risikosteuerung ist die Durchsetzbarkeit. Diese Strategie gelingt nur, wenn der Wettbewerb durch eine ähnliche Vorgehensweise der Konkurrenten sie zulässt, sie von den Käufern akzeptiert wird oder der Verkäufer/Käufer genügend Marktmacht besitzt.

Sicherstellung einer effizienten Steuerung und Überwachung


Alle Hedge-Transaktionen sowie das zugrunde liegende Geschäft sind unverzüglich nach Abschluss in ein adäquates IT-System aufzunehmen und zu bewerten. Die Berichterstattung über die Entwicklung der Rohstoffpositionen sollten nach dem Umfang des Risikos und der Bedeutung für die Unternehmung idealerweise monatlich, zumindest aber quartalsweise an die Geschäftsleitung erfolgen. Entscheidet sich ein Unternehmen dafür, Handelspostionen einzugehen, sollte eine tägliche Bewertung der Position vom Controlling vorgenommen werden. Die Besonderheiten des Rohstoffhandels und deren Absicherung führen dazu, dass nicht alle IT-Systeme die Rohstoffgeschäfte vollständig und korrekt abbilden können. Deshalb ist es wichtig, diesen Aspekt frühzeitig in die Überlegungen mit einzubeziehen. Dies ist besonders wichtig zur adäquaten Abbildung der eingesetzten Sicherungsinstrumente im Einklang mit internationalen Rechnungslegungsstandards (z.B. IAS 39/IFRS 7) sowie zur Identifikation und Verarbeitung von Marktdaten zur Bewertung derivativer Rohstoffprodukte bzw. derer Grundgeschäfte.Um Friktionen und einen kontraproduktiven Umgang mit Rohstoffrisiken zu vermeiden, ist die Verantwortung für Risiken an einer Stelle im Unternehmen zu konzentrieren. In der Praxis wird diese Verantwortung meistens in enger Abstimmung mit Einkauf und Vertrieb dem Treasury Management übertragen. Mit diesem Vorgehen können in einem zentralen Portfoliomanagement die Bezugs- und Absatzverträge bezüglich eines Rohstoffes in einem Portfolio bewirtschaftet werden. Mit dieser Aufgabenverteilung können sich Vertriebs- und Produktionsbereiche auf die Sicherung einer angemessenen Marge und tiefer Produktionskosten konzentrieren, während Preisrisiken bei der zentralen Stelle gesteuert werden.

Fazit


Die obigen Ausführungen zeigen die hohe Komplexität in der Handhabung der Rohstoffrisiken, denen rohstoffsensible Unternehmen ausgesetzt sind. Hierbei geht es nicht primär darum, die ideale/beste Absicherungsstrategie zu entwickeln, sondern eine dem eigenen Risikoprofil entsprechende und mit allen betroffenen Unternehmensbereichen abgestimmte Strategie zu verfolgen. Die Auswirkungen der daraus resultierenden Massnahmen auf das Gesamtrisiko und die Ertragslage der Unternehmung sind systematisch zu quantifizieren, um stets aussagefähig gegenüber allen relevanten Stake- und Shareholdern zu sein. In der Praxis hat sich gezeigt, dass Unternehmen vorhandene Rohstoffrisiken und den Einfluss auf die Profitabilität immer noch unterschätzen, da sie oftmals nicht über ausreichende Erfahrung im Umgang mit solch komplexen Themen verfügen.

Grafik 1: «Regelkreis des Rohstoffrisikomanagements»

Grafik 2: «Rohstoffeinkauf – Terminkauf und Long Put»

Zitiervorschlag: Marc D. Grueter, Marcus Hofstaetter, Thomas Kueng, (2010). Rohstoffpreise: Risiken und Absicherung. Die Volkswirtschaft, 01. November.