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Eine Rohstoffstrategie für den Werkplatz Schweiz

Die Sicherstellung der Rohstoffversorgung ist für den Industriestandort von existenzieller Bedeutung. Es geht hauptsächlich um die sogenannten «Gewürzmetalle». Diese werden zwar nur in geringen Mengen eingesetzt, sind aber kurz- und mittelfristig kaum substituierbar, so dass deren Verfügbarkeit für die Industrie von zentraler technologischer Bedeutung ist. Da die heutigen Abbaugebiete dieser Rohstoffe auf wenige, oftmals politisch instabile Länder konzentriert sind, befürchten wir, dass der offene und diskriminierungsfreie Marktzugang zu diesen Rohstoffen zunehmend beeinträchtigt werden könnte. Für Swissmem ist sowohl die Industrie als auch der Bund gefordert, mit entsprechenden Massnahmen diesem Gefährdungspotenzial entgegenzuwirken.

Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM), welche mit rund 330 000 Mitarbeitenden knapp 10% des Bruttoinlandprodukts beisteuert und rund 80% ihrer Produktion exportiert, ist auf eine sichere Rohstoffversorgung angewiesen. Für den hiesigen Werkplatz ist dies eine besondere Herausforderung, da die Schweiz kaum über eigene natürliche Rohstoffvorkommen verfügt.Verschiedene Untersuchungen (u.a. Deutsche Wirtschaft, Europäische Kommission) kommen zum Schluss, dass in Zukunft die Rohstoffversorgung weniger bei den klassischen Industriemetallen – wie Eisen/Stahl oder Aluminium – gefährdet sei. Im Vordergrund stehen vielmehr Rohstoffe wie zum Beispiel Niob, Palladium, Wolfram oder die Gruppe der Seltenen Erden. Solche technisch essenziellen Metalle werden gemeinhin als «Gewürzmetalle» bezeichnet.

Sichere Rohstoffbeschaffung bei funktionierenden Rohstoffmärkten


Der Mengen- und Kostenanteil dieser Rohstoffe am Endprodukt ist zwar meist sehr gering. So beträgt beispielsweise der durchschnittliche Gewichtsanteil an Palladium in einem Mobiltelefon gerade einmal 0,015% (d.h. 15 Milligramm pro 100 Gramm). Aufgrund der ausserordentlichen Funktionalität dieser Rohstoffe ist deren Verwendung aus heutiger Sicht aber unverzichtbar. Daher ergibt sich – zumindest kurz- und mittelfristig – für die gesamte industrielle Wertschöpfungskette eine hohe technische Abhängigkeit von diesen Rohstoffen.Diese technische Abhängigkeit von einem Rohstoff ist wirtschaftspolitisch kein ausserordentliches Problem, sofern funktionierende (d.h. wettbewerblich organisierte) Rohstoffmärkte vorliegen und die Preisbildung für Rohstoffe nicht durch Oligopole verzerrt wird. In einem solchen Umfeld ist ein starker Anstieg des Weltmarktpreises die Folge einer tatsächlichen oder erwarteten Verknappung dieses Rohstoffs. Dies kann für die Industrie zwar äusserst unangenehme Anpassungsfolgen haben, insbesondere dann, wenn der Preisanstieg in sehr kurzer Zeit erfolgt. Da aber ein ansteigender Weltmarktpreis alle industriellen Nachfrager gleichermassen trifft, beeinträchtigt dies die internationale Wettbewerbsfähigkeit des einzelnen Unternehmens nicht. In einem solchen Umfeld nimmt der Preis seine zentrale Funktion als «Knappheitsindikator» wahr. Die Rohstoffbeschaffung ist sichergestellt, weil die Industrie die gewünschte Menge an Rohstoffen zum Wettbewerbspreis beschaffen kann.

Verzerrungen des Marktmechanismus


Für den hiesigen Industriestandort problematisch wird es jedoch, wenn die Preisbildung auf den Rohstoffmärkten nicht in wettbewerblicher Weise erfolgt. Beispielsweise können Rohstoff-Oligopole die Preise künstlich in die Höhe treiben. Industrieunternehmen müssen in diesem Fall höhere Rohstoffbeschaffungskosten veranschlagen, als sie unter Wettbewerbsbedingungen zu bezahlen hätten. Allenfalls sind die Beschaffungskosten so hoch, dass eine rentable Produktion verunmöglicht wird. Volkswirtschaftlich kommt es zu einer Verzerrung in der Ressourcenallokation. Im Extremfall wird der Marktmechanismus sogar gänzlich ausser Kraft gesetzt, so dass die physische Beschaffung dieser Rohstoffe nicht mehr möglich ist. Ökonomisch ausgedrückt bedeutet dies, dass unabhängig von der Zahlungsbereitschaft des Industrieunternehmens auf dem Markt die benötigten Rohstoffe in der gewünschten Menge nicht mehr erhältlich sind.

Gefährdung der Rohstoffbeschaffung bei hoher Angebotskonzentration


Worin besteht nun die Gefährdung der Rohstoffversorgung für den Werkplatz Schweiz? Die natürlichen Vorkommen sowie der gegenwärtige Abbau dieser Rohstoffe sind oftmals regional sehr stark konzentriert. So stammt Niob heute zu über 90% aus Brasilien; Palladium kommt zu 80% aus Russland und Südafrika; Wolfram stammt zu 75% aus China. Viele dieser Länder oder Regionen gelten politisch als beschränkt stabil oder richten ihre Wirtschaftspolitik nicht grundsätzlich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien aus.Auf der Rohstoff-Angebotsseite liegt somit eine ausserordentlich hohe Konzentration vor. Wir befürchten eine Gefährdung der Rohstoffversorgung, wenn solche Staaten Massnahmen ergreifen, um ihre Rohstoffexporte – aus welchen Gründen auch immer – zu beschränken. Als Beispiel dient die jüngste Konfrontation zwischen China und Japan. China hat den Export von Seltenen Erden, die zu 95% aus China stammen, nach Japan vorübergehend gänzlich gestoppt. In einem solchen geopolitisch unsicheren Umfeld ist der Werkplatz Schweiz besonders verwundbar, da eine marktmässige Beschaffung dieser zentralen Rohstoffe nicht als grundsätzlich gewährleistet betrachtet werden kann. Es besteht die Gefahr, dass rohstoffbesitzende Staaten mit einem Exportembargo den Marktmechanismus vollständig ausser Kraft setzen. Industrielle Nachfrager, die ausserhalb des rohstoffabbauenden Landes liegen, werden vom Rohstofferwerb ausgeschlossen und könnten im schlimmsten Fall ihre Produkte nicht mehr herstellen, zumal für viele dieser Rohstoffe (noch) kein relevanter Recyclingkreislauf besteht. Die hiesige industrielle Wertschöpfung würde damit grundsätzlich in Frage gestellt.

Betroffenheit der Schweizer MEM-Industrie


Swissmem, der Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, umfasst rund 1000 Unternehmen. In einer Umfrage unter seinen Mitgliedern hat Swissmem ermittelt, inwiefern die Schweizer Industrie solche kritischen Rohstoffe einsetzt. Als kritische Rohstoffe wurden folgende Elemente vorgegeben: Antimon, Beryllium, Chrom, Fluorit, Gallium, Germanium, Graphit, Indium, Kobalt, Lithium, Magnesium, Molybdän, Niob, Platingruppe, Seltene Erden, Tantal und Wolfram. Die Verwendung eines Rohstoffs in der Herstellung der jeweiligen Produkte erfolgt dabei entweder direkt oder indirekt, d.h. in Form zugekaufter Vorprodukte, welche diese Rohstoffe enthalten. Nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse dieser Umfrage. − Rund 75% der MEM-Unternehmen setzen mindestens einen der oben genannten kritischen Rohstoffe direkt oder indirekt in der Herstellung von Produkten ein. Aus Sicht der Schweizer MEM-Industrie liegt somit eine hohe Betroffenheit vor, was die Verwendung kritischer Rohstoffe anbelangt.− Von den betroffenen Unternehmen sind folgende Rohstoffe am häufigsten genannt worden (vgl. Grafik 1): Chrom (74%), Molybdän (69%), Magnesium (60%), Wolfram (57%), Graphit (53%), Kobalt (48%).− Am wenigsten eingesetzt werden Germanium, Gallium, Fluorit, Indium und Antimon. Lediglich 12% oder weniger der antwortenden Unternehmen verwenden diese Elemente. Bei diesen Rohstoffen ist aber auch der Unbekanntheitsfaktor mit mehr als einem Drittel der Antworten sehr ausgeprägt.

Massnahmen zur Sicherung der Rohstoffversorgung


Primär sind die betroffenen Unternehmen gefordert, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Vorkehrungen zu treffen, um dem Risiko allfälliger Versorgungsschwierigkeiten mit kritischen Rohstoffen vorzubeugen. In der Umfrage gaben 65% der betroffenen Unternehmen an, dass sie entweder Massnahmen bereits ergriffen haben oder solche zumindest geplant sind (vgl. Grafik 2). Am häufigsten genannt wurden folgende vorbeugende Massnahmen: langfristige Lieferverträge, Suche nach Ersatz- bzw. Sekundärrohstoffen, gemeinsame Beschaffungsstrategie mit Lieferanten von Vorprodukten, die kritische Rohstoffe enthalten, sowie Optimierung des Einsatzes kritischer Rohstoffe (im Sinne von Ressourceneffizienz). Wir stellen fest, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt in vielen, wenn auch bei weitem noch nicht in den meisten Unternehmen der Schweizer MEM-Industrie entsprechende vorbeugende Massnahmen ergriffen worden sind. Mittel- bis langfristig leisten auch folgende unternehmerische sowie staatliche Massnahmen einen Beitrag zur Verminderung des Versorgungsrisikos mit kritischen Rohstoffen:− Förderung der Forschung: Enger Kontakt zwischen Industrie und Forschungsinstitutionen mit dem Ziel der Substituierung kritischer Hightech-Rohstoffe durch weniger kritische.− Stärkung des Eco-Designs: Verbesserung des einzelnen Produkts durch eine gesteigerte Ressourceneffizienz und die Betrachtung des ganzen Produktlebenszyklus, insbesondere aus Optik der Wiederverwertung der eingesetzten Rohstoffe.− Stärkung der Recycling-Wirtschaft: In Entstehung sind neue Recycling-Technologien wie z.B. vollautomatisierte Sortier- und Trenntechniken oder die Rückgewinnung von Metallen aus KVA-Schlacke. Hierbei geht es darum, administrative, politische oder marktliche Hürden bei der Erprobung und Einführung neuer Recycling-Technologien abzubauen.

Einsatz für offene und diskriminierungsfreie Rohstoffmärkte


Es liegt in der Natur der Sache, dass die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen nicht von den Unternehmen selbst gestaltet werden. Die Sicherstellung eines offenen und diskriminierungsfreien Zugangs zu den Rohstoffmärkten ist und bleibt deshalb eine Aufgabe des Bundes. Ob die Bekämpfung von Handels- und Wettbewerbsverzerrungen auf den Rohstoffmärkten im Rahmen der WTO, im Rahmen bilateraler Freihandelsabkommen oder im Schlepptau der Anstrengungen der EU, welche in dieser Frage gleichgerichtete Interessen verfolgt wie die Schweiz, geschehen soll, wird fallweise zu entscheiden sein. Es ist ein zentrales Anliegen der Schweizer MEM-Industrie, dass der Bund für diese industriespezifischen Interessen, welche für den Werkplatz Schweiz von existenzieller Bedeutung sein können, sensibilisiert ist. Wir erwarten vom Bund, dass er sich im Rahmen seiner aussenwirtschaftspolitischen Möglichkeiten für marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen auf den internationalen Märkten einsetzt.Bei der Verfolgung dieser Interessen wird der Bund in verhandlungstechnischer Hinsicht nicht darum herumkommen, Konzessionen in jenen Gebieten zu machen, in welchen die Schweiz selbst ihre Märkte noch massiv abschottet.

Fazit


Die Schweiz braucht eine Rohstoffstrategie, welche in die Aussenwirtschaftspolitik des Bundes eingebettet ist. Offene und diskriminierungsfreie Märkte – sowohl auf der Absatz- wie auch auf der Beschaffungsseite – stellen für die Schweizer MEM-Industrie einen zentralen Standortfaktor dar, den es zu bewahren und zu verbessern gilt.

Grafik 1: «Eingesetzte kritische Rohstoffe in der Schweizer MEM-Industrie»

Grafik 2: «Bereits getroffene oder geplante Massnahmen zur Sicherstellung der Rohstoffbeschaffung»

Zitiervorschlag: Jean-Philippe Kohl (2010). Eine Rohstoffstrategie für den Werkplatz Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. November.