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Too big to fail: Herausforderungen für die Schweiz

Für den Schweizer Finanzplatz spielen die beiden Grossbanken eine wichtige Rolle. Sie sind für die Finanzstabilität so bedeutend, dass der Staat sie im Krisenfall nicht fallen lassen kann. Die Banken geniessen somit eine implizite Staatsgarantie: Sie sind zu gross, um unterzugehen (Too big to fail, TBTF). Wie die jüngste Finanzkrise gezeigt hat, birgt diese Ausgangslage für den Steuerzahler erhebliche Risiken. Die Schweiz benötigt daher ein griffiges Massnahmenpaket, um die Risiken zu begrenzen. Dessen Umsetzung stellt eine erhebliche Herausforderung dar.

Herausragende Stellung der beiden Grossbanken


Die Grossbanken Credit Suisse und UBS sind wichtige Akteure des Schweizer Finanzplatzes und nehmen auch global eine bedeutende Stellung ein. Die beiden Banken vereinen rund ein Drittel des inländischen Kredit- und Einlagengeschäfts auf sich. Sie sind von zentraler Bedeutung für den inländischen Zahlungsverkehr sowie den Zahlungsverkehr mit dem Ausland. Auch im internationalen Vergleich sind beide Banken führend, so z.B. im Bereich der Vermögensverwaltung. Sie übernehmen damit auch in anderen Staaten wichtige Funktionen im Finanzsystem. Besonders ausgeprägt ist in der Schweiz das Gewicht der Grossbanken im Vergleich zur wirtschaftlichen Grösse ihres Sitzstaates. So übertrafen die Bilanzsummen beider Grossbanken vor der Finanzkrise das Schweizer Bruttoinlandprodukt insgesamt um rund das 4,5-fache. Die Einnahmen des Bundes übertrafen sie gar um das 40-fache. Bis Ende 2009 haben sich diese Relationen zwar auf 2,5 bzw. 21 reduziert.
Quelle: EFV, SNB und Seco. Dennoch zeigen sie weiterhin eindrücklich auf, wie gross diese Banken im Vergleich zur Schweizer Volkswirtschaft sind. Diese häufig aufgeführten Relationen sind beeindruckend, beschreiben aber das grundsätzliche TBTF-Problem unvollständig. Entscheidend ist die Frage, ob der Ausfall einer Bank die Stabilität des Finanzsystems – und dadurch auch der Realwirtschaft – gefährden würde. Die Grösse der Bank ist dabei ein Indiz für ihre systemische Bedeutung. Sofern jedoch die Folgen eines Ausfalls für das Finanzsystem durch eine geeignete Notfallplanung abgefangen werden können, ist Grösse nicht mit Risiko gleichzusetzen.

Wann ist eine Bank systemrelevant?


Die vom Bundesrat eingesetzte Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken
Vgl. Medienmitteilung des Bundesrats vom 4. November 2009. – im Folgenden Expertenkommission genannt – hat hierzu zwei Voraussetzungen definiert: Die von der Bank
Die Expertenkommission schränkt aufgrund ihrer Analyse die TBTF-Problematik in der Schweiz auf den Bankensektor ein. Wir verzichten daher auf eine Betrachtung anderer Bereiche des Finanzsektors oder der Realwirtschaft. erbrachten Leistungen sind erstens für die Volkswirtschaft unverzichtbar und zweitens nicht kurzfristig durch andere Marktteilnehmer zu ersetzen. Als für die Schweizer Volkswirtschaft unverzichtbar können u.a. Bankdienstleistungen im Bereich des inländischen Einlagen- und Kreditgeschäfts sowie des Zahlungsverkehrs angesehen werden. Diese Leistungen sind dann besonders schwer zu ersetzen, wenn die Bank einen bedeutenden Marktanteil aufweist oder stark mit anderen Marktteilnehmern vernetzt ist. Die Einstufung einer Bank als systemrelevant ist schwer trennscharf vornehmbar. Während die beiden Schweizer Grossbanken aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die Schweizer Volkswirtschaft klar systemrelevant sind, so erbringen andere Banken in der Schweiz ebenfalls systemrelevante Funktionen und haben – zumindest regional – bedeutende Marktanteile inne. Zudem ist die Systemrelevanz kontextabhängig. In einer Krisensituation, wenn zahlreiche Marktteilnehmer bereits verunsichert sind, können auch von kleineren Banken systemische Risiken ausgehen. Fällt eine solche Bank aus, kann dies am Markt Panik auslösen. Vor diesem Hintergrund ist die Frage der Systemrelevanz einer Bank laufend durch die Aufsicht zu prüfen. Eine systemrelevante Bank ist in der Theorie nicht zwingend TBTF – in der heutigen Realität hingegen schon. Erst wenn die Weiterführung ihrer systemrelevanten Funktionen im Krisenfall gewährleistet werden kann, wird der Staat von seinem faktischen Stützungszwang entbunden. Für die Schweizer Grossbanken – wie für die meisten ihrer internationalen Wettbewerber – ist diese Weiterführung gegenwärtig nicht gesichert. Diese Einschätzung gilt heute genauso wie zum Zeitpunkt der Stützung der UBS im Jahr 2008. Die Herausforderung für Gesetzgeber, Bund und Aufsichtsbehörden besteht daher darin, Massnahmen zu ergreifen, die den Staat vom Stützungszwang befreien. Dies geschieht auch im Interesse des Finanzmarkts, da somit der wettbewerbsverzerrende Effekt einer unentgeltlichen Staatsgarantie aufgehoben wird.

Massnahmenpaket für die Schweiz


Zwei grundlegende Ansätze versprechen eine signifikante Begrenzung der von systemrelevanten Banken ausgehenden Risiken: − Erstens sind Massnahmen vorzubereiten, die – sollte es zu einem Ausfall kommen – eine Weiterführung der systemrelevanten Funktionen der Bank ohne staatliche Stützung gewährleisten. Grundsätzlich wäre damit das TBTF-Problem gelöst, da der Staat aus seiner ungewollten Haftung befreit wäre.− Der Verlauf der nächsten Krise ist jedoch ungewiss. Entsprechend können wir nie sicher sein, ob diese Massnahmen im Ernstfall vollumfänglich greifen. Daher sind zweitens Massnahmen zu ergreifen, welche bereits die Ausfallwahrscheinlichkeit einer systemrelevanten Bank reduzieren. Vom Gesetzgeber ist festzulegen und von der Aufsicht allenfalls zu präzisieren, welches Ausfallrisiko als hinnehmbar empfunden wird. Die Einschätzung dieses Risikos ist indes mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Historische Erfahrungswerte und modellbasierte Simulationen können bei der Erfassung der Risiken helfen; sie werden die Entwicklung der nächsten Krise jedoch nicht vorhersagen können. Mit der Kombination beider Ansätze zu einem abgestimmten Massnahmenpaket ergänzen sich die einzelnen Massnahmen zu einem griffigen Regulierungsrahmen. Die Expertenkommission hat am 30. September 2010 mit ihrem Schlussbericht eine umfassende Grundlage für ein solches Massnahmenpaket vorgelegt. Der Bundesrat hat nach einer ersten zustimmenden Evaluation der Vorschläge am 13. Oktober 2010 das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) mit der Ausarbeitung einer Vernehmlassungsvorlage bis Anfang 2011 beauftragt.
Vgl. Medienmitteilung des Bundesrats vom 13. Oktober 2010.Diese Vorlage wird sich auf die Vorschläge der Expertenkommission abstützen. Diese sehen zusätzliche Anforderungen an systemrelevante Banken in den Bereichen Organisation, Eigenmittel, Liquidität und Risikoverteilung vor. Neue internationale Regulierungsvorschläge sollen jedoch mitberücksichtigt werden. Im Folgenden werden die organisatorischen Massnahmen und das Eigenmittelkonzept des Massnahmenpakets kurz skizziert. Diese zwei Elemente stellen die konzeptionell interessantesten Innovationen dar.

Organisatorische Massnahmen – Notfallpläne


Den Kern der organisatorischen Massnahmen bilden die vorzubereitenden Notfallpläne systemrelevanter Banken. Mit diesen weisen Banken nach, wie die Weiterführung systemrelevanter Funktionen im Krisenfall ohne staatliche Stützung gewährleistet werden kann. Hierzu muss sichergestellt sein, dass diese Funktionen aus der Bank herausgelöst werden können und auf eine Trägergesellschaft übertragbar sind. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Bank im Regelfall ihre bestehende Organisation anpassen. Es ist ökonomisch effizient, die Ausarbeitung des Notfallplans der Bank zu überlassen. Dadurch kann die Bank eine auf ihre spezifischen Anforderungen zugeschnittene Lösung entwickeln. Zudem stellen Eingriffe in die Organisationsstruktur eine erhebliche Beschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit dar und sollten daher auf das notwendige Minimum begrenzt bleiben. Die Regulierungsvorgaben sollten dennoch klare Anforderungen an die Notfallpläne fixieren und stets unter dem Gesamtaspekt der Umsetzbarkeit im Krisenfall bewertet werden. Insbesondere müssen die Organisationsstrukturen der Bank so weit entflochten werden, dass ein Herauslösen systemrelevanter Funktionen operativ umsetzbar ist. Dies setzt auch eine gewisse Standardisierung der Geschäftsvorgänge sowie eine vollständige Erfassung der Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber allen Gegenparteien voraus. Der Notfallplan muss konkursfest sein, in dem er die Gleichbehandlung von Gläubigern der Bank und jenen der mit den systemrelevanten Funktionen betrauten Trägergesellschaft sicherstellt. Der Zeitpunkt und die erforderliche Zeit zur Umsetzung der Notfallmassnahmen müssen zudem klar dargelegt werden. Schliesslich muss der Notfallplan sicherstellen, dass zum Zeitpunkt seiner Umsetzung das notwendige Kapital verfügbar ist, um die Trägergesellschaft zu kapitalisieren, anfallende Verluste während der Umsetzungsphase zu absorbieren und eine geordnete Abwicklung der Bank sicherzustellen.

Eigenmittel


Damit dieses Kapital in der Krise verfügbar ist, sind entsprechende Eigenmittelanforderungen festzulegen. Gegenwärtig sind drei Komponenten vorgesehen (siehe Grafik 1). Die erste Komponente (Basis) entspricht dem internationalen regulatorischen Minimum und ist mit Common Equity, d.h. Eigenkapital der höchsten Güte, zu erfüllen. Ein Puffer dient – als zweite Komponente – der zusätzlichen Verlustabsorption. Für die Schweizer Grossbanken soll dieser deutlich höher ausfallen, als der internationale Standard vorgibt. Dies trägt zur besonderen Stabilität des Schweizer Finanzplatzes bei. Um mögliche Wettbewerbsnachteile abzufedern, können die Grossbanken einen Teil des Puffers in bedingten Pflichtwandelanleihen, sog. Contingent Convertible Bonds (CoCos), bereithalten. Diese Anleihen sehen die Wandlung von Fremd- in Eigenkapital vor, wenn die Bank grosse Teile ihres Puffers aufgebraucht hat und sie somit eine kritische Common-Equity-Quote unterschreitet. Mit dem neuen Kapitalinstrument beteiligen sich die Anleihengläubiger automatisch an der Stabilisierung der Bank. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass diese Instrumente für die Bank kostengünstiger sein werden als der Aufbau von Common Equity, da z.B. eine steuermindernde Anrechnung des Zinsaufwands möglich ist. Ein Systemrelevanzzuschlag rundet das Eigenmittelkonzept ab. Die Eigenmittelanforderungen dieser dritten Komponente steigen progressiv an, wenn die Systemrelevanz der Bank – gemessen an ihrer Bilanzsumme und ihrem Marktanteil in systemrelevanten Märkten – zunimmt.
Die Grafik 1 zeigt den Systemrelevanzzuschlag, wie er im Vorschlag der Expertenkommission gemäss heutiger Systemrelevanz der beiden Grossbanken berechnet wurde. Die Banken werden dadurch zu einer Begrenzung ihrer Risiken veranlasst, ohne dass fixe Grössenvorgaben erforderlich werden. Mit diesem Zuschlag werden die erforderliche Mittel bereitgehalten, die im Krisenfall beim Auslösen der Notfallplanung benötigt werden. Auch hier ist der Einsatz von CoCos geplant: Befindet sich die Common-Equity-Quote der Bank nur noch knapp über dem erforderlichen Minimum, wird automatisch zusätzliches Eigenkapital für die Umsetzung der Notfallplanung eingeschossen.
Die Höhe der Common-Equity-Quote, bei der eine Wandlung ausgelöst wird, unterscheidet sich somit für CoCos des Puffers und des Systemrelevanzzuschlags.

Umsetzung des Massnahmenpakets


Auf den ersten Blick erscheint die Umsetzung des Massnahmenpakets einfach. Mit dem Vorschlag der Expertenkommission wurde eine inhaltliche Grundlage erarbeitet, die einvernehmlich – d.h. mit Zustimmung der Grossbanken – verabschiedet werden konnte. Ein zweiter Blick verrät jedoch, dass eine Vielzahl von Schnittstellen eine intensive Abstimmung der Massnahmen erforderlich macht. Die Zielvorgabe, bis Anfang 2011 eine Vernehmlassungsvorlage zu erarbeiten, bringt somit zahlreiche Herausforderungen mit sich.Eine wesentliche Herausforderung ist der Aufbau des Markts für CoCos, die ein Kernelement des Massnahmenpakets bilden. Die Schweiz betritt mit diesen Anleihen Neuland. Dies ist Chance und Risiko zugleich. Einerseits können die Schweizer Grossbanken davon profitieren, zu den ersten Emittenten solcher Instrumente zu gehören. Sie besetzen damit möglicherweise eine neue Marktnische und treffen auf eine rege Nachfrage. Zudem sammeln sie noch vor der internationalen Konkurrenz wichtige Erfahrungen bei der Platzierung. Andererseits könnte sich herausstellen, dass eine Platzierung aufgrund mangelnder Nachfrage nur durch hohe Renditeaufschläge möglich wird und sich CoCos international nicht als Standard durchsetzen lassen. Die Umsetzung des Massnahmenpakets hat beide Szenarien zu berücksichtigen. Aus regulatorischer Sicht sollten die Anleihen optimalerweise in der Schweiz emittiert werden, damit sie Schweizer Recht unterstehen. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass eine von der Aufsichtsbehörde angeordnete Wandlung nicht durch Anfechtungsklagen ausserhalb der Schweiz blockiert werden kann. Dementsprechend ist der Abbau bestehender steuerlicher Hemmnisse – wie die Schweizer Emissionsabgabe und Verrechnungssteuer – zu prüfen. Darüber hinaus muss durch hinreichende Übergangsfristen ein geordneter Aufbau von CoCos-Beständen ermöglicht werden. Sollten sich trotz dieser Anstrengungen CoCos nicht etablieren lassen, muss die Regulierung dennoch eine Begrenzung der systemischen Risiken durchsetzen können. In diesem Fall wäre eine Aufstockung der Eigenmittel durch hartes Eigenkapital und strengere Anforderungen an die Notfallpläne vorzusehen. Auf internationaler Ebene sind insbesondere die Arbeiten des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS) und des Financial Stability Boards (FSB) für die Regulierung systemrelevanter Banken massgeblich. Mit der im BCBS laufenden Revision der internationalen Eigenmittelanforderungen (Basel III) wird die zukünftige Berechnung der risikogewichteten Aktiven festgelegt. Die von den Banken geforderten Eigenmittelquoten berechnen sich als Quotient von Eigenmitteln zu diesen Aktiven. Aufgrund der zu erwartenden umfangreichen Anpassungen dieser Berechnungsgrundlage müssen die Schweizer Eigenmittelanforderungen so flexibel ausgestaltet sein, dass auch auf unerwartete Verhandlungsergebnisse im BCBS reagiert werden kann.Parallel hierzu hat das FSB Empfehlungen ausgearbeitet, wie die Regulierung von systemrelevanten Banken in nationaler wie auch in internationaler Hinsicht ausgestaltet werden könnte. Das geplante Schweizer Massnahmenpaket entspricht diesen Empfehlungen und ist im internationalen Vergleich bereits weit ausgearbeitet. Das FSB empfiehlt ferner, die länderübergreifende Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden zu intensivieren. Die Zielvorgabe lautet, international abgestimmte Notfallpläne zur Stabilisierung bzw. Abwicklung von global agierenden, systemrelevanten Banken zu entwickeln. Diese internationale Dimension widerspiegelt die globale Aktivität der Schweizer Grossbanken. Sie erhöht jedoch auch die Komplexität der auszuarbeitenden Notfallpläne erheblich. Zudem erfordert sie eine regelmässige Überprüfung des Schweizer Konkursrechts, um eine reibungsfreie Abstimmung mit dem Ausland zu ermöglichen. Wird durch die internationale Abstimmung die Sanier- bzw. Abwicklungsfähigkeit der Schweizer Grossbanken erleichtert, so wäre dies durch entsprechende Rabatte auf die Eigenmittelanforderungen zu honorieren. Auch diese Aspekte müssen in die neue Regulierung einfliessen.

Fazit


Die Schweiz nimmt mit ihrem geplanten Massnahmenpaket international eine Vorreiterrolle ein. Ihr rasches Voranschreiten widerspiegelt die ausgeprägte TBTF-Risikolage in ihrem Bankensektor. Aber auch materiell sieht das Paket griffige Massnahmen vor, die voraussichtlich jene der meisten Länder übertreffen werden. Dieser auf eine besondere Stabilität ausgerichtete Regulierungsrahmen trägt der Bedeutung und Prägung des Schweizer Finanzplatzes Rechnung.

Grafik 1: «Eigenmittelanforderungen in Prozent der risikogewichteten Aktiven»

Zitiervorschlag: Michael Ambuehl, Ulf Lewrick, (2010). Too big to fail: Herausforderungen für die Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.