Herausforderungen für die Demokratie im 21. Jahrhundert
Etablierte Demokratien sind gegenwärtig mit verschiedenen Entwicklungen konfrontiert, die sie langfristig verändern. Der nationale Forschungsschwerpunkt Demokratie untersucht zwei Herausforderungen, die an die Substanz der Demokratie gehen: Globalisierung und der wachsende Einfluss der Medien auf die Politik. Die Analyse wie Demokratie unter diesen Bedingungen funktioniert soll zeigen, welche Chancen und Risiken bestehen und wie die Demokratie weiterentwickelt werden könnte.
In den letzten Jahren ist zunehmend von einer Krise der Demokratie oder gar von einem Zustand der «Postdemokratie» die Rede. Unbestritten ist, dass die Demokratie gegenwärtig mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert ist: Demografischer Wandel, ökonomische Ungleichheit, ethnische Diversität und technologischer Fortschritt sind nur einige Entwicklungen, welche die Demokratie unter Druck setzen, weil sie das Potenzial haben, die Gesellschaft zu spalten.In der Überzeugung, dass die Demokratie sich seit dem Zusammenbruch des Kommunismus nachhaltig verändert, haben sich Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im nationalen Forschungsschwerpunkt Demokratie (NCCR Democracy, siehe Kasten 1
NCCR Democracy
Der NCCR Democracy ist ein nationaler Forschungsschwerpunkt des Schweizerischen Nationalfonds und der Universität Zürich. Er untersucht die Auswirkungen von Globalisierung und Mediatisierung auf die Demokratie. Um diese umfassend zu analysieren und neue Erklärungen und Lösungen zu finden, haben sich Politik- und Kommunikationswissenschaftler 2005 in diesem in Europa einmaligen Forschungsverbund zusammengeschlossen. Das Themenspektrum ist vielfältig: von der Demokratiequalität westlicher Länder über den Einfluss von elektronischen Wahlhilfen auf das Wahlverhalten bis hin zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen Demokratisierung von supranationalen Organisationen und von Regionen, die durch ethnische Konflikte geprägt sind. Untersucht werden diese Themen unter der Leitung von Prof. Hanspeter Kriesi in Zusammenarbeit mit Forschenden an zwölf Schweizer Hoch- und Fachhochschulen, einem niederländischen und drei deutschen Forschungsinstituten. Die Projekte der ersten Förderungsphase wurden 2009 abgeschlossen. Die Ergebnisse der 18 Projekte der 2. Phase werden 2013 vorliegen. Der NCCR Democracy engagiert sich auch in der Nachwuchsförderung und bildet Doktorierende in einem dreijährigen interdisziplinären Doktorandenprogramm aus. Um die Demokratieforschung dauerhaft in der Schweiz zu etablieren, initiierte der NCCR Democracy gemeinsam mit der Stadt Aarau, dem Kanton Aargau, der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Universität Zürich 2007 das Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA). Durch Grundlagenforschung, Weiterbildungsprojekte und Wissenstransfer leistet das Zentrum einen Beitrag zum politischen Diskurs über Demokratie.
) zusammengeschlossen, um den Ursachen hierfür genauer auf den Grund zu gehen. Sie haben dabei zwei Trends identifiziert, welche die Demokratie grundlegend herausfordern: Globalisierung und Mediatisierung. Globalisierung führt zur Denationalisierung – d.h. zum Bedeutungsverlust des Nationalstaats – und verlagert politische Entscheidungen auf nicht gewählte und somit nicht demokratisch legitimierte Institutionen. Mediatisierung als Folge der Kommerzialisierung der Nachrichtenmedien verändert die politische Kommunikation und damit auch die Spielregeln der Politik. Angesichts dieses Wandels der Rahmenbedingungen muss zunächst geklärt werden, wie Demokratie heutzutage funktioniert, um neue Herangehensweisen und Lösungen erarbeiten zu können.
Globalisierung: Entscheidungsfindung ohne demokratische Kontrolle
In einer globalisierten, interdependenten Welt werden politisch relevante und verbindliche Entscheidungen zunehmend in supranationalen Institutionen – wie der WTO, dem IMF oder der EU – getroffen. Diese sind jedoch demokratisch kaum legitimiert, da ihre Entscheidungsträger nicht direkt gewählt oder indirekt von den gewählten nationalen Repräsentanten abhängig sind. Somit ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen von Demokratie nicht mehr gegeben: die Legitimation der Entscheidungsträger durch die von der Entscheidung Betroffenen. Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung. Traditionell werden die gewählten Repräsentanten durch die nationalen Parlamente und die Wähler kontrolliert und für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen. Unter dem Einfluss der Globalisierung sind die wirklichen Urheber von Entscheidungen jedoch nur noch schwer zu identifizieren und zu kontrollieren. Entscheidungskompetenz wurde in den letzten zwei Jahrzehnten auch immer mehr an unabhängige Regulierungsinstanzen delegiert, die auf transnationaler oder nationaler Ebene agieren, wie zum Beispiel die Finanzmarktaufsicht (Finma). Die Regulierung von Märkten ist aufgrund von Liberalisierung, Privatisierung und der damit verbundenen zunehmenden Komplexität der Sachfragen immer wichtiger geworden. Unabhängigen Regulierungsbehörden wurden zwar weitreichende Befugnisse und Kompetenzen übertragen. Sie entziehen sich aber der politischen Kontrolle durch den Stimmbürger, da ihre Verantwortlichen nicht direkt gewählt, sondern von den gewählten nationalen Entscheidungsträgern ernannt werden. Es müssen Wege gefunden werden, wie die Tätigkeit von Regulierungsinstanzen dennoch kontrolliert werden kann.Aber auch innerhalb der Nationalstaaten gibt es Demokratiedefizite. Auf regionaler und lokaler Ebene werden Entscheidungen zunehmend in komplexen Netzwerken getroffen und implementiert, in denen es an Transparenz mangelt. Diese neuen regionalen Formen der politischen Steuerung wurden geschaffen, weil die Globalisierung und der damit verbundene wachsende internationale Wettbewerb zwischen Grossstädten in den vergangenen Jahrzehnten das Entstehen von Agglomerationen gefördert haben. Funktionale Notwendigkeiten und ökonomische Interdependenz alleine reichen als Grundlage der Zusammenarbeit jedoch nicht aus. Um ihre komplexen Probleme lösen zu können, müssen Agglomerationen als demokratischer politischer Raum gestaltet werden.Die Verlagerung der Entscheidungsgewalt vom Nationalstaat auf andere Ebenen bringt noch weitere Probleme mit sich. So wird auch das Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und Legislative gestört. Es wird angenommen, dass Regierungen, die auf supranationaler Ebene eine zentrale Rolle spielen, durch die Globalisierung auf Kosten der Parlamente gestärkt werden. Ergebnisse des NCCR Democracy zeigen jedoch, dass der Einfluss je nach Politikbereich und Land unterschiedlich ist. Durch die bilateralen Verträge mit der EU wurde in der Schweiz zum Beispiel nicht nur die Exekutive gestärkt, sondern auch die Gewerkschaften, die in der Lage waren, kompensatorische Massnahmen in der Arbeitsmarktpolitik auszuhandeln. Ein überraschendes Ergebnis, da Internationalisierung wirtschaftliche Liberalisierung fördert und linke Parteien und Gewerkschaften deshalb eher geschwächt werden. Das Beispiel zeigt aber, dass Parlamente und Interessengruppen gut beraten sind, die Auswirkungen der Globalisierung auf ihr jeweiliges Land gut zu beobachten und die Professionalisierung und Spezialisierung ihrer Mitglieder zu fördern.
Mediatisierung: Politik unter dem Einfluss kommerzialisierter Medien
Demokratien sind heutzutage auch mit immer mächtiger werdenden Medien konfrontiert, die einen zunehmenden Einfluss auf die Politik haben. Die Medien haben sich im Laufe der Zeit immer mehr kommerzialisiert und von ihren traditionellen Parteibindungen gelöst. Die Folge ist, dass die Medien heutzutage weniger ideologisch geprägt sind und sich stärker an der Nachfrage orientieren. Angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung ist nicht mehr klar, ob die Medien die Bürgerinnen und Bürger noch mit den notwendigen Informationen für die politische Meinungsbildung versorgen. Die Medien verfolgen bei der Auswahl, Darstellung und Interpretation von politischen Nachrichten eine eigene Logik und werden damit selbst zum politischen Akteur: Sie setzen die politische Agenda, lancieren Themen und suggerieren gleichzeitig eine Lösung. Die Politiker müssen sich dieser Logik anpassen, um Publizität, Unterstützung durch die Öffentlichkeit und Legitimität zu erreichen, zumal politische Kommunikation essenziell auf Medien basiert und von diesen abhängig ist. Dieser Trend zur Mediatisierung könnte problematisch sein, da Medien den politischen Entscheidungsprozess stark beeinflussen können, gesellschaftlichen Problemen jedoch gemäss ihrer eigenen Logik Relevanz zuordnen.Im Fall der Schweiz zeigen erste Ergebnisse des NCCR Democracy, dass die Wirkung der Medien auf die Meinungsbildung begrenzt ist und in der Regel die politische Neigung des Stimmbürgers nur bestärkt. Sowohl in der Schweiz als auch in anderen Demokratien ist ein Trend zur Kommerzialisierung durchaus auszumachen, jedoch auch zu mehr Vielfalt und zu einer stärkeren Konzentration auf Dialog. Generell sind die Bürger heutzutage besser informiert. Die neuen Technologien ermöglichen mehr Information und bieten neue Möglichkeiten der aktiven Teilnahme an politischen Diskussionen und Prozessen. Medien sollten jedoch nicht völlig den Marktkräften überlassen werden. Medienpolitik muss sicherstellen, dass die Medien ihren Informationsauftrag erfüllen und den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht werden. Die Medienorganisationen sind hier gefordert, sich selbst gewisse Standards und Kodizes hinsichtlich ihrer Politikberichterstattung aufzuerlegen. Generell ist der Einfluss von Globalisierung und Mediatisierung auf die Demokratie ambivalent: Sie können eine Bedrohung für die Demokratie darstellen, schaffen aber auch neue Chancen und Möglichkeiten. Ob die neuen Herausforderungen die Demokratie in eine Krise stürzen oder diese stärken, hängt davon ob, wie gut demokratische Institutionen und Verfahren mit den veränderten Rahmenbedingungen Schritt halten und sich an diese anpassen können. Eine Weiterentwicklung der Demokratie ist angesichts der aktuellen Herausforderungen in jedem Fall notwendig.
Kasten 1: NCCR Democracy
NCCR Democracy
Der NCCR Democracy ist ein nationaler Forschungsschwerpunkt des Schweizerischen Nationalfonds und der Universität Zürich. Er untersucht die Auswirkungen von Globalisierung und Mediatisierung auf die Demokratie. Um diese umfassend zu analysieren und neue Erklärungen und Lösungen zu finden, haben sich Politik- und Kommunikationswissenschaftler 2005 in diesem in Europa einmaligen Forschungsverbund zusammengeschlossen. Das Themenspektrum ist vielfältig: von der Demokratiequalität westlicher Länder über den Einfluss von elektronischen Wahlhilfen auf das Wahlverhalten bis hin zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen Demokratisierung von supranationalen Organisationen und von Regionen, die durch ethnische Konflikte geprägt sind. Untersucht werden diese Themen unter der Leitung von Prof. Hanspeter Kriesi in Zusammenarbeit mit Forschenden an zwölf Schweizer Hoch- und Fachhochschulen, einem niederländischen und drei deutschen Forschungsinstituten. Die Projekte der ersten Förderungsphase wurden 2009 abgeschlossen. Die Ergebnisse der 18 Projekte der 2. Phase werden 2013 vorliegen. Der NCCR Democracy engagiert sich auch in der Nachwuchsförderung und bildet Doktorierende in einem dreijährigen interdisziplinären Doktorandenprogramm aus. Um die Demokratieforschung dauerhaft in der Schweiz zu etablieren, initiierte der NCCR Democracy gemeinsam mit der Stadt Aarau, dem Kanton Aargau, der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Universität Zürich 2007 das Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA). Durch Grundlagenforschung, Weiterbildungsprojekte und Wissenstransfer leistet das Zentrum einen Beitrag zum politischen Diskurs über Demokratie.
Kasten 2: Literatur
Literatur
− Afonso Alexandre, Fontana Marie-Christine, Papadopoulos Yannis: Does Europeanisation Weaken the Left? Changing Coalitions and Veto Power in Swiss Decision-Making Processes. Policy & Politics 38(4), Oktober 2010, S. 565-582.− NCCR Democracy: Challenges to Democracy in the 21st Century: Synthesis of Research Results. NCCR Democracy Working Paper Nr. 23, Juni 2008, www.nccr-http://democracy.uzh.ch/publications/workingpaper/synthesis.
Zitiervorschlag: Kriesi, Hanspeter; Rosteck, Yvonne (2011). Herausforderungen für die Demokratie im 21. Jahrhundert. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.