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Demokratie und Regierungsfähigkeit in globalisierten Metropolitanräumen

Demokratie und Regierungsfähigkeit in globalisierten Metropolitanräumen

Die Bedeutung der Metropolitanräume nimmt weltweit zu. Das städtische Siedlungsgebiet erstreckt sich oftmals über eine Vielzahl von lokalen Gebietskörperschaften. Da sich dadurch der Koordinationsaufwand für staatliches Handeln erhöht, wurden in einigen europäischen Metroplitanräumen neue Regierungsebenen geschaffen. Anhand der Beispiele von Lyon, Stuttgart und London zeigt dieser Artikel auf, wie demokratische Institutionen und Prozesse zur Handlungsfähigkeit der neuen Metropolitanregierungen beigetragen haben. Zudem ist eine Transformation der Muster politischer Entscheidungsfindung zu beobachten, weg von konfrontativen und hin zu konsensuellen Praktiken.
Der Artikel basiert auf dem Forschungsprojekt Cleavages, Governance and the Media in European Metropolitan Areas im Rahmen des NCCR Democracy.



Seit jeher stehen Städte im Zentrum des kulturellen, technologischen und politischen Fortschritts. Städte spielten eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Demokratie als politische Herrschaftsform. In der Polis des antiken Athen wurde die Demokratie erfunden.
Vgl. Held (2006). Die europäischen Städte des Mittelalters waren die Motoren der wirtschaftlichen und politischen Modernisierung des Okzidents.
Vgl. Weber (1972). In den italienischen Stadtrepubliken der Rennaissance entstanden zivilgesellschaftliche und staatsbürgerliche Tugenden, die heute noch für das Funktionieren der demokratischen Institutionen wichtig sind.
Vgl. Putnam (1993) Das Jahr 2008 ist diesbezüglich eine wichtige Wegmarke: Zum ersten Mal in der Geschichte des Planeten leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land.
Vgl. United Nations (2009). Im 21. Jahrhundert ist die Menschheit zu einer städtischen Spezies geworden.Das Erscheinungsbild des Städtischen hat sich im Laufe der Zeit verändert. Städte sind schon lange keine kompakten Einheiten von Mauern, Markt und Münster mehr. Das zeitgenössische Gesicht des Städtischen ist ein mehr oder weniger dicht besiedeltes Gebiet, das sich über eine enorme Fläche erstreckt. Es ist organisiert als Spaces of Flows
Vgl. Castells (2000). und wird zusammengehalten von technischen Infrastrukturen, welche die räumliche Mobilität von Personen, Gütern, Dienstleistungen und Informationen und damit den wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Austausch ermöglichen. Die Stadtregion oder – wie die Geografen sagen – der Metropolitanraum ist die Stadt des 21. Jahrhunderts.

Politische Organisation von Metropolitanräumen


Welche politischen Institutionen brauchen Metropolitanräume? Die Frage stellt sich vor allem deshalb, weil sich das Siedlungsgebiet ungeachtet von politisch-administrativen Grenzen ausgedehnt hat. Metropolitanräume erstrecken sich meistens über eine Vielzahl von kommunalen, regionalen und manchmal sogar nationalen Grenzen. Obwohl in einigen Ländern im Laufe des 20. Jahrhunderts Gebietsreformen (z.B. Eingemeindungen) durchgeführt wurden, ist die geopolitische Fragmentierung von Metropolitanräumen oft sehr hoch (siehe Tabelle 1). Dadurch wird staatliches Handeln erschwert, denn der Koordinationsaufwand ist beträchtlich.In Westeuropa haben sich unterschiedliche Modelle herausgebildet, um mit der geopolitischen Fragmentierung von Metropolitanräumen umzugehen.
Vgl. Heinelt und Kübler (2005). Im vorliegenden Artikel steht die Schaffung von neuen staatlichen Institutionen im Vordergrund, die das Siedlungsgebiet eines Metropolitanraums abdecken. Die Gemeinden bestehen zwar weiterhin, müssen aber Kompetenzen in gewissen Politikbereichen an die neue Metropolitanraum-Regierung (Metropolitan Government) abtreten. Typischerweise sind dies Bereiche von überkommunaler Bedeutung, wie z.B. Raum- und Siedlungsentwicklung, Umweltschutz, Verkehr oder Wirtschafsförderung. Die Durchsetzungsfähigkeit dieser Institutionen beruht nicht nur auf Kompetenzen und Ressourcen, sondern auch auf ihrem politischen Gewicht, das sie gegenüber den Gemeinden entfalten können. Ihre Erfolgsaussichten stehen und fallen mit ihrer Akzeptanz und Legitimität. Wie wir im Folgenden sehen werden, spielen demokratische Verfahren dabei eine zentrale Rolle.

Metropolitanregierungen und ihre demokratischen Prozesse


Lyon, Stuttgart und London sind drei Beispiele von europäischen Metropolitanräumen, in denen neue Regierungsebenen geschaffen wurden; wir nennen sie in der Folge Metropolitanregierungen (siehe Kasten 1

Die Metropolitanregierungen von Lyon, Stuttgart und London


Grand Lyon wurde 1966 per Dekret der französischen Zentralregierung gegründet. Ihr Gebiet umfasst 57 Gemeinden, in denen insgesamt 1,3 Mio. Einwohner leben. Auf strategischer Ebene ist Grand Lyon zuständig für Raumplanung, Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung. Zudem ist es operativ verantwortlich für eine Reihe von Dienstleistungen, die es direkt betreibt (Strassenunterhalt, Abwasser, Abfallverwertung, Schlachthof, Friedhöfe, Engros-Markt) oder an unabhängige Unternehmen delegiert (öffentlicher Verkehr, Sozialwohnungen, Wasserversorgung, Parkplätze und Messen). Das jährliche Budget von Grand Lyon beträgt rund 1,6 Mrd. Euro (im Jahr 2009). Die Einnahmen stammen aus direkt erhobenen Unternehmenssteuern (32% der Einnahmen), Transferzahlungen der französischen Zentralregierung (25%), Gebühren (20%) sowie Krediten und Subventionen (24%). Grand Lyon hat rund 4000 Angestellte. Der Verband Region Stuttgart wurde 1994 ins Leben gerufen, gestützt auf ein entsprechendes Gesetz des Bundeslandes Baden-Württemberg. Er erstreckt sich über 179 Gemeinden und rund 2,8 Mio. Einwohner. Von Gesetzes wegen hat der Verband Region Stuttgart in erster Linie strategische Kompetenzen. Er ist zuständig für die Bereiche Regionalentwicklung, Landschaften, Verkehr und Wirtschaftsförderung. Ausserdem trägt er die operative Verantwortung für den öffentlichen Personennahverkehr und die Abfallentsorgung im Metropolitanraum Stuttgart. In den letzten Jahren wurden ihm ausserdem Aufgaben im Bereich Tourismusförderung, Sport und Kultur übertragen. Das jährliche Budget beträgt 278 Mio. Euro (im Jahre 2009) und ist somit – aufgrund der begrenzten operativen Zuständigkeiten – relativ bescheiden. Die Einnahmen stammen aus Dienstleistungsgebühren (32%), Umlagen von Gemeinden und Landkreisen (28%), zweckgebundenen Finanzmitteln der Bundesregierung (12%) sowie Transferzahlungen durch das Bundesland (11%). Der Verband Region Stuttgart hat lediglich etwa 50 eigene Angestellte (ohne die Angestellten der operativ tätigen Unternehmen, die rechtlich vom Verband unabhängig sind). Die Greater London Authority wurde 1999 durch die Zentralregierung per Gesetz errichtet, 13 Jahre nachdem eine vorher bestehende ähnliche Institution abgeschafft worden war. Die Greater London Authority erstreckt sich über 32 Gemeinden (die sogenannten London Boroughs), mit einer Bevölkerung von insgesamt 7,6 Mio. Einwohnern. Sie ist zuständig für die Entwicklung von Handlungsprogrammen in den Bereichen öffentlicher Verkehr, Raumentwicklung, Kultur und Umweltschutz. Ausserdem überwacht die Greater London Authority die Tätigkeit von Behörden und Unternehmen in den Bereichen Polizei und Sicherheit (Metropolitan Police Authority), Schutz und Rettung (London Fire and Emergency Planning Authority), öffentlicher Verkehr (Transport for London), Wirtschaftsförderung (London Development Agency) und Gesundheit (National Health Service). Das jährliche Budget der Greater London Authority beläuft sich auf 12,2 Mrd. Pfund Sterling (2009/10). Die Einnahmequellen sind Beiträge der Zentralregierung (52%), Gebühren (34%) sowie Umlagen der Gemeinden (7%). Die Greater London Authority zählt etwa 600 Angestellte (ohne das Personal der unabhängigen Behörden und Unternehmen).

). Alle sind in ihrem jeweiligen nationalen Kontext bedeutende und stark beachtete institutionelle Innovationen. Dennoch handelt es sich um eher schwache Institutionen.
Vgl. Lefèvre (2009: 46) Davon zeugt etwa die geringe Anzahl eigener Angestellter – vor allem im Verband Region Stuttgart und in der Greater London Authority – die auf eine nur begrenzte Verwaltungskapazität schliessen lässt, sowie ihre Abhängigkeit von Transferzahlungen. Nur bei Grand Lyon stammt ein bedeutender Teil der Einkünfte aus direkt erhobenen Steuern. Sie alle befinden sich somit im Sandwich zwischen höheren und tieferen Staatsebenen. Ihr Beitrag zur Gestaltung des Metropolitanraums liegt vor allem in der Erarbeitung von Strategien und nicht bei deren Umsetzung. Um eine bekannte Metapher aufzugreifen: Sie dürfen nur steuern, aber nicht rudern.
Vgl. Osborne & Gaebler (1993). Damit ihnen das gelingt, müssen sie einen Takt vorgeben, dem ihre Rudermannschaft – sprich: die anderen Behörden und Gebietskörperschaften – zu folgen bereit ist. Dabei helfen ihnen politische Verfahren, die nach demokratischen Regeln ablaufen und somit die notwendige Legitimität und Akzeptanz für die getroffenen Entscheidungen sicherstellen.

Grand Lyon


Der Entscheidungsprozess in Grand Lyon folgt im Wesentlichen den Regeln des Parlamentarismus, wie er sich in Frankreich auch auf anderen Staatsebenen wieder findet. Die Entscheidungshoheit liegt beim Conseil de communauté, einem Gemeinschaftsrat bestehend aus 155 von den Gemeinden ernannten Abgeordneten, die mit einfacher Mehrheit entscheiden. Die Exekutive besteht aus einem Kabinett mit einem Präsidenten und 40 Vize-Präsidenten mit jeweiligen Portfolios. Dieses Kabinett wird vom Gemeinschaftsrat gewählt, auf der Basis einer Koalitionsvereinbarung (Plan de mandat) zwischen den im Rat vertretenen Abgeordneten. Interessant daran ist nun, dass nicht nur die Interessen ihrer Ursprungsgemeinde (die Wählerbasis der Abgeordneten), sondern vor allem die Parteiprogramme die Basis bilden für diese Koalitionsverhandlungen. Als Folge der starken parteipolitischen Prägung der Lokalpolitik in Frankreich sind die Abgeordneten nicht nur Entsandte ihrer Gemeinde, sondern auch Mitglieder einer politischen Partei und dieser programmatisch verpflichtet. Diese doppelte Loyalität der Abgeordneten – zu ihrer Gemeinde und deren Interessen sowie zu ihrer Partei und deren Programm – bildet die beiden Eckpunkte der Koalitionsverhandlungen und somit der Entscheidungsfindung im Grand Lyon. Das konkrete Ergebnis sind breit abgestützte Legislaturprogramme, die nicht der Logik einer Minimum Winning Coalition folgen, sondern über Parteigrenzen hinweg ausgearbeitet worden sind.

Verband Region Stuttgart


Auch im Verband Region Stuttgart liegt die Entscheidungshoheit bei einer Regionalversammlung, bestehend aus 93 Abgeordneten. Diese werden von der Bevölkerung im Proporzverfahren direkt gewählt. Die Regionalversammlung wiederum wählt die Exekutive, die gebildet wird aus dem Verbandsvorsitzenden, seinen beiden Stellvertretern und dem Regionaldirektor, der als Verwaltungsbeamter der Geschäftsstelle des Verbands vorsteht. Dieses System hat – wie beabsichtigt – zu einer Politisierung von Themen geführt, die den ganzen Metropolitanraum betreffen, zumal die Parteien diese öffentlich bewirtschaften müssen, um in den Regionalwahlen Stimmen zu gewinnen. Dennoch folgt die politische Dynamik innerhalb der Regionalversammlung nicht den üblichen konfrontativem Muster, die sich in Deutschland auf anderen Staatsebenen wiederfinden. Vielmehr werden die Entscheidungen des Verbands – und dies seit seiner Gründung – von einer grossen Koalition zwischen den beiden grössten Parteien SPD und CDU getragen. Die beiden Grossparteien sehen sich zu einer solchen grossen Koalition gezwungen, um die gegenüber dem Regionalverband grundsätzlich skeptisch eingestellten Freien Wähler von der Macht fernzuhalten, die seit der Gründung des Verbands Region Stuttgart jeweils mit einem Sitzanteil von 10% bis 20% in der Regionalversammlung vertreten sind.

Greater London Authority


Die Entscheidungsstrukturen in der Greater London Authority (GLA) ähneln hingegen einem Präsidialsystem. Die Exekutive wird geleitet vom Mayor of London, dem Bürgermeister, der von allen Bürgern im Einzugsgebiet im Majorzverfahren direkt gewählt wird. Der Bürgermeister ist verantwortlich für die Entwicklung der Strategien im Zuständigkeitsbereich der GLA und definiert deren Budget sowie dasjenige der vier beaufsichtigten Behörden und Unternehmen. Die London Assembly – sozusagen das Parlament – besteht aus 25 Abgeordneten, die ebenfalls direkt gewählt werden; 14 von ihnen nach dem Majorzverfahren in Einerwahlkreisen, elf von ihnen nach dem Proporzverfahren im ganzen Einzugsgebiet der GLA. Dieses gemischte Wahlverfahren führt zu einer im britischen Kontext ungewöhnlichen Vielfalt der in der Assembly vertretenen Parteien. Neben den Konservativen und der Labour-Partei finden sich auch Vertreter der Liberaldemokraten, der Grünen und sogar der British National Party in der Assembly. Klare Mehrheiten gibt es somit keine; die Assembly funktionierte bisher aufgrund von wechselnden Koalitionen. Die Entscheidungsbefugnisse der Assembly sind allerdings begrenzt. Ihre Rolle ist, den Bürgermeister zu überwachen und seine Entscheidungen zu kommentieren. Der Bürgermeister steht im institutionellen Gefüge der GLA klar im Vordergrund. Allerdings muss der Bürgermeister das Budget der Assembly vorlegen und ist somit darauf angewiesen, dass seine Anträge in der Assembly eine Mehrheit finden. Der Entscheidungsprozess der GLA ist demnach geprägt durch Checks and Balances zwischen Mayor und Assembly.

Durch Machtteilung zur Regierungsfähigkeit


Das Spiel nach den demokratischen Regeln der politischen Repräsentation leisten in allen drei untersuchten Fällen einen wichtigen Beitrag zur Handlungsfähigkeit der Metropolitanregierungen. Regierungsprogramme und Strategien werden auf der Ebene der Metropolitanregierung definiert und sind somit Gegenstand von Parteienwettbewerb im Kontext von demokratischen Wahlen. Dieser Wettbewerb und die öffentliche Auseinandersetzung verleiht den Themen politisches Gewicht und trägt somit zur Stärkung der überlokalen Ebene bei. Am klarsten zeigt sich das in Stuttgart, wo die direkte Wahl der Regionalversammlung die Parteien dazu zwingt, Metropolitanraumrelevante Themen aufzugreifen und zu debattieren. Auch in London haben sich die Parteien anlässlich der Bürgermeisterwahlen auf Themen und Fragen eingelassen, die den gesamten Metropolitanraum betreffen. Am interessantesten ist der Fall von Lyon, wo trotz der lokalen Verankerung der Abgeordneten in den Gemeinden eine stark parteipolitisch gefärbte Auseinandersetzung mit überlokalen Themen zu beobachten ist, die dann auch bei der Verhandlung über Koalitionsvereinbarungen zum Tragen kommt. Umgekehrt sind Metropolitanregierungen offenbar aber auch eine Arena, die Machtteilungsstrategien begünstigen. In allen drei untersuchten Fällen sind die Entscheidungsprozesse viel weniger von der Suche nach Minimal Winning Coalitions geprägt, als das der jeweilige nationale Kontext erwarten liesse.
Vgl. Lijphart (1999). In allen drei untersuchten Metropolitanregierungen wird Machtteilung zwischen den wichtigsten politischen Kräften dauerhaft praktiziert. Der Grund dafür scheint in der räumlichen Prägung der politischen Gegensätze zu liegen, wie sie sich in den meisten Metropolitanräumen findet.
Vgl. Hoffmann-Martinot, Sellers (2005). Einzelne Gemeinden oder Teilgebiete eines Metroplitanraums sind oft Hochburgen gewisser Parteien, und diese können ihre territoriale Basis nicht gänzlich ignorieren, wenn sie Entscheidungen auf überlokaler Ebene treffen. Machtteilung auf der Ebene der Metropolitanregierung erscheint somit als Instrument, sich die Gefolgschaft dieser von einzelnen Parteien kontrollierten Gemeinden und Teilgebiete zu sichern. Machtteilungsstrategien leisten somit ebenfalls einen Beitrag zur Handlungsfähigkeit von Metropolitanregierungen. Politik in Metropolitanräumen zeigt eindeutig eine Tendenz zu konsensuellen – als Gegensatz der konkurrenziellen – Entscheidungsfindung auf. Diese Tendenz scheint unabhängig vom nationalen Kontext, aber auch von der konkreten institutionellen Ausgestaltung der Metropolitanregierungen zu sein. Diese würden majoritäre Logiken der Entscheidungsfindung durchaus zulassen. Somit werden sich aufgrund der zunehmenden Relevanz von Metropolitanräumen und der Notwendigkeit ihrer politischen Steuerung auch unsere Demokratien verändern: hin zu «sanfteren und netteren», weniger konfrontativen Formen der politischen Auseinandersetzung.

Tabelle 1: «Institutionelle Fragmentierung von Metroplitanräumen über 200 000 Einwohnern nach Ländern, 2000»

Kasten 1: Die Metropolitanregierungen von Lyon, Stuttgart und London

Die Metropolitanregierungen von Lyon, Stuttgart und London


Grand Lyon wurde 1966 per Dekret der französischen Zentralregierung gegründet. Ihr Gebiet umfasst 57 Gemeinden, in denen insgesamt 1,3 Mio. Einwohner leben. Auf strategischer Ebene ist Grand Lyon zuständig für Raumplanung, Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung. Zudem ist es operativ verantwortlich für eine Reihe von Dienstleistungen, die es direkt betreibt (Strassenunterhalt, Abwasser, Abfallverwertung, Schlachthof, Friedhöfe, Engros-Markt) oder an unabhängige Unternehmen delegiert (öffentlicher Verkehr, Sozialwohnungen, Wasserversorgung, Parkplätze und Messen). Das jährliche Budget von Grand Lyon beträgt rund 1,6 Mrd. Euro (im Jahr 2009). Die Einnahmen stammen aus direkt erhobenen Unternehmenssteuern (32% der Einnahmen), Transferzahlungen der französischen Zentralregierung (25%), Gebühren (20%) sowie Krediten und Subventionen (24%). Grand Lyon hat rund 4000 Angestellte. Der Verband Region Stuttgart wurde 1994 ins Leben gerufen, gestützt auf ein entsprechendes Gesetz des Bundeslandes Baden-Württemberg. Er erstreckt sich über 179 Gemeinden und rund 2,8 Mio. Einwohner. Von Gesetzes wegen hat der Verband Region Stuttgart in erster Linie strategische Kompetenzen. Er ist zuständig für die Bereiche Regionalentwicklung, Landschaften, Verkehr und Wirtschaftsförderung. Ausserdem trägt er die operative Verantwortung für den öffentlichen Personennahverkehr und die Abfallentsorgung im Metropolitanraum Stuttgart. In den letzten Jahren wurden ihm ausserdem Aufgaben im Bereich Tourismusförderung, Sport und Kultur übertragen. Das jährliche Budget beträgt 278 Mio. Euro (im Jahre 2009) und ist somit – aufgrund der begrenzten operativen Zuständigkeiten – relativ bescheiden. Die Einnahmen stammen aus Dienstleistungsgebühren (32%), Umlagen von Gemeinden und Landkreisen (28%), zweckgebundenen Finanzmitteln der Bundesregierung (12%) sowie Transferzahlungen durch das Bundesland (11%). Der Verband Region Stuttgart hat lediglich etwa 50 eigene Angestellte (ohne die Angestellten der operativ tätigen Unternehmen, die rechtlich vom Verband unabhängig sind). Die GreaterLondon Authority wurde 1999 durch die Zentralregierung per Gesetz errichtet, 13 Jahre nachdem eine vorher bestehende ähnliche Institution abgeschafft worden war. Die Greater London Authority erstreckt sich über 32 Gemeinden (die sogenannten London Boroughs), mit einer Bevölkerung von insgesamt 7,6 Mio. Einwohnern. Sie ist zuständig für die Entwicklung von Handlungsprogrammen in den Bereichen öffentlicher Verkehr, Raumentwicklung, Kultur und Umweltschutz. Ausserdem überwacht die Greater London Authority die Tätigkeit von Behörden und Unternehmen in den Bereichen Polizei und Sicherheit (Metropolitan Police Authority), Schutz und Rettung (London Fire and Emergency Planning Authority), öffentlicher Verkehr (Transport for London), Wirtschaftsförderung (London Development Agency) und Gesundheit (National Health Service). Das jährliche Budget der Greater London Authority beläuft sich auf 12,2 Mrd. Pfund Sterling (2009/10). Die Einnahmequellen sind Beiträge der Zentralregierung (52%), Gebühren (34%) sowie Umlagen der Gemeinden (7%). Die Greater London Authority zählt etwa 600 Angestellte (ohne das Personal der unabhängigen Behörden und Unternehmen).

Kasten 2: Literatur

Literatur


− Castells, Manuel E. (2000). The Rise of the Network Society. Oxford: Blackwell Publishers− Heinelt, Hubert und Daniel Kübler (Eds.) (2005). Metropolitan Governance: Capacity, Democracy and the Dynamics of Place. London: Routledge.− Held, David (2006). Models of Democracy. Cambridge: Polity Press.− Hoffmann-Martinot, Vincent und Jeffrey Sellers (2005). Conclusion: The Metropolitanization of Politics, in: Vincent Hoffmann-Martinot und Jeffrey Sellers (Eds.) Metropolitanization and Political Change. Opladen: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 425–443.− Lefèvre, Christian (2009). Gouverner les métropoles. Paris: LGDJ – lextenso éditions.− Lijphart, Arend (1999). Patterns of Democracy. New Haven: Yale University Press.− Osborne, David und Ted Gaebler (1993). Reinventing Government. How the Entrepreneurial Spirit is Transforming the Public Sector. New York: Plume.− Putnam, Robert D. (1993). Making Democracy Work. Princeton (NJ): Princeton University Press.− United Nations (2009). World Urbanization Prospects. The 2009 Revision: United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division.− Weber, Max (1972). Die Nichtlegitime Herrschaft (Typologie der Städte), in: Max Weber (Ed.) Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr, S. 727-815.− Zeigler, Don J. und Stanley D. Brunn (1980). Geopolitical Fragmentation and the Pattern of Growth and Need, in: S.D. Brunn und J.O. Wheeler (Eds.) The American Metropolitan System: Present and Future. New York: John Wiley, S. 77–92.

Zitiervorschlag: Daniel Kuebler (2011). Demokratie und Regierungsfähigkeit in globalisierten Metropolitanräumen. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.