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Mehrwert durch elektronische Patientendossiers in der Schweiz

Das elektronische Patientendossier für die Bevölkerung ist ein zentraler Bestandteil und Pfeiler der «Strategie eHealth Schweiz»: Durch die Unterstützung der Behandlungsprozesse soll es zu einer verbesserten Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung beitragen. Kosten und Nutzen sowie mögliche Anreize und Risiken im Zusammenhang mit der Einführung wurden im Rahmen einer vertieften Regulierungsfolgenabschätzung untersucht. Dabei zeigt sich, dass die angestrebten Regelungen zum elektronischen Patientendossier zu einer beschleunigten Einführung und Verbreitung führen dürften. Für die Gesellschaft sowie für die einzelnen betroffenen Gruppen ergibt sich daraus längerfristig eine positive Bilanz. Kurz- und mittelfristig sind allerdings aufgrund der Investitionskosten zunächst negative Auswirkungen zu erwarten.

Internationale Erfahrungen, wissenschaftliche Ergebnisse und politische Stellungnahmen aus zahlreichen Ländern deuten darauf hin, dass der Einsatz von elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen erheblichen Nutzen bringen kann. Dazu gehört auch ein elektronisches Patientendossier (E-Patientendossier), das die Vernetzung von Behandelnden und Patienten fördert. Durch die vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) eingesetzte Expertengruppe eHealth werden eine bessere Qualität der Gesundheitsversorgung durch Unterstützung der Behandlungsprozesse und die verbesserte Wirtschaftlichkeit als Ziele definiert. Um diese Ziele zu erreichen, hat die Expertengruppe in einem 2010 für den Bundesrat erarbeiteten Bericht eine Reihe von Massnahmen zur Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz vorgeschlagen (siehe Kasten 1

Zusammenfassung der von der Expertengruppe vorgeschlagenen Massnahmen (a)


Kurzfristige Massnahmen

− Einführung verbindlicher technischer und organisatorischer Standards für die Führung eines gemeinschaftsübergreifenden E-Patientendossiers sowie der damit verbundene sichere Datenverkehr, auf der Grundlage bestehender rechtlicher Bestimmungen.− Aufbau eines Zertifizierungssystems zur Sicherstellung der Einhaltung der festgelegten Standards.

Mittelfristige Massnahmen

− Datensatz: Definition des Inhalts des E-Patientendossiers bzw. der semantischen Standards.− Datenschutz: Identifizierung, Authentifizierung und Zugriffsrechte für Behandelnde und Patienten.− Zugangsportal für Patienten.− Regelungen über die Archivierung und Löschung von Daten.− Befähigung von Behandelnden und Patienten zur Nutzung von E-Patientendossiers.

Langfristige Massnahmen

Im Kontext einer allfälligen umfassenden Revision der Bestimmungen der Bundesverfassung zum Gesundheitswesen (Gesundheitsverfassung) sollen Grundlagen für den Bereich E-Health auf Bundesebene geschaffen werden.

a Anhand von: Expertengruppe eHealth (2010), Umsetzung «Strategie eHealth Schweiz»: rechtlicher Regelungsbedarf. Bericht der «Expertengruppe eHealth» zuhanden des Eidg. Departements des Innern. Fassung für die Anhörung vom August 2010, Bern, 30. Juni 2010. Die definitive Fassung des Berichts der Expertengruppe wurde am 30. September 2010 unter folgendem Titel verabschiedet: Umsetzung «Strategie eHealth Schweiz»: Empfehlungen zur rechtlichen Regelung. Bericht der «Expertengruppe eHealth» zuhanden des Eidg. Departements des Innern. Bezüglich Ziele und Massnahmen der gesetzlichen Regelung stimmen die beiden Versionen miteinander überein.).Parallel zu den Arbeiten der Expertengruppe haben das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gemeinsam eine Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) in Auftrag geben. Die Untersuchung erfolgte durch die Firmen Empirica (Bonn) und Ecoplan (Bern) und beinhaltete eine erste qualitative und quantitative Analyse der Auswirkungen eines durch ein elektronisches Patientendossier besser vernetzten Gesundheitssystems in der Schweiz, wie es von den Experten skizziert wurde. Obwohl die konkrete Umsetzung erst noch ansteht, geben die ersten quantitativen Analysen eine nützliche Einsicht in die Auswirkungen auf die einzelnen Gruppen.

Methode


Methodisch basiert der quantitative Teil der Untersuchung auf einer Modellierung und groben Abschätzung der Auswirkungen der Einführung und Vernetzung klinischer Informationssysteme in der Schweiz, welche insgesamt rund 200 relevante Variablen berücksichtigte. Vom Ansatz her handelt es sich um eine Kosten-Nutzen-Analyse, die schon in ähnlicher Form in anderen Ländern zur Anwendung gekommen ist. Abgeschätzt wurden Kosten und Nutzen sowie mögliche Anreize und Risiken im Zusammenhang mit der Einführung, Verbreitung und Nutzung des E-Patientendossiers. Es wurden drei Szenarien betrachtet: das Referenzszenario ohne Regulierung, die Umsetzung der vorgeschlagenen Regulierungsmassnahmen gemäss Entwurf des Expertenberichts (vorgeschlagene Regulierung) und eine alternative Regulierung mit Anschubfinanzierung und Obligatorium.Die Analyse konzentrierte sich primär auf die Vernetzung von niedergelassenen Ärzten, Spitälern und Apotheken. Untersucht wurde ausschliesslich die Verwendung von Patientendaten im Zusammenhang mit den Diagnose- und Behandlungsprozessen (klinische Verwendung). Mögliche Sekundärverwendungen – wie z.B. für administrative oder Forschungszwecke – wurden nicht untersucht. Dadurch wird der Nutzen der Regulierung tendenziell unterschätzt.Der untersuchte kumulative sozio-ökonomische Nettonutzen für die Gesellschaft berücksichtigt finanzielle, personelle und andere materielle sowie immaterielle Auswirkungen. Er umfasst alle einbezogenen betroffenen Gruppen (Stakeholder) in einem Zeitraum von 2011 bis 2031. Alle in der Zukunft anfallenden Kosten und Nutzen wurden dabei jeweils mit einem Zinssatz von 3,5% auf ihren Gegenwartswert diskontiert. Dies trifft auch für alle im Folgenden genannten Zahlen zu zukünftigen Kosten und Nutzen zu. Als Sicherheitsmassnahme gegen eine Überschätzung des Nettonutzens wurden zudem bei den einzelnen Kostenkomponenten mittels so genannter Kontingenzfaktoren spezifische Sicherheitsmargen hinzugefügt, während bei den Nutzenkomponenten die entsprechenden Margen abgezogen wurden. Das Berechnungsmodell ist exemplarisch in Grafik 1 dargestellt.Als Datenquellen für die Untersuchung dienten der Berichtsentwurf der Expertengruppe, Statistiken (wie z.B. die vom Bundesamt für Statistik BFS veröffentlichten Zahlen zum Gesundheitswesen
Vgl. z.B. Bundesamt für Statistik (2009): Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens. Bern 2007.), Schätzwerte von Interviewpartnern und Stellungnahmen verschiedener Verbände sowie internationale Erfahrungswerte. Letztere basieren vor allem auf der für die Europäischen Kommission durchgeführten EHR-Impact-Studie
Vgl. Dobrev, A et al. (2010). Interoperable eHealth is Worth it – Securing Benefits from Electronic Health Records and ePrescribing. Bonn/Brussels, European Commission, February 2010, http://www.ehr-impact.eu. und weiteren Forschungsergebnissen im internationalen Umfeld.
Vgl. z.B. Financing eHealth Study (2008): Assessment of Financing Opportunities Available to Member States to Support and Boost Investment in eHealth, European Commission, http://www.financing-ehealth.euhttp://www.ehealth-impact.eu. Bedingt durch den Zeit- und Ressourcenrahmen waren detaillierte eigene Datenerhebungen nicht möglich.Die Kosten-Nutzen-Analyse folgt der Methodologie, die in der EHR-Impact-Studie für die Abschätzung der sozio-ökonomischen Auswirkungen von vernetzten elektronischen Patientenakten und elektronischen Rezepten entwickelt wurde. Diese Methodologie
Ausführlich dokumentiert in EHR Impact (2008): Methodology for Evaluating the Socio-Economic Impact of Interoperable EHR and ePrescribing Systems, empirica, Bonn, http://www.ehr-impact.eu. orientiert sich an entsprechenden Vorgehensweisen in Deutschland,
Vgl. Schulenburg MJ et al. (2007) Deutsche Empfehlungen zur gesundheitsökonomischen Evaluation – dritte und aktualisierte Fassung des Hannoveraner Konsens, Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2007; 12: 285–290, http://www.thieme.de/local_pdf/fz/ empfehlungen.pdf; WiBe-Team (2008): WiBe – Konzept zur Wirtschaftlichkeitsberechnung: Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und Kosten-Nutzen-Analysen von Projekten, Vorhaben und finanzwirksamen Massnahmen, http://www.wibe.de/konzept/konzept.html. Grossbritannien
Vgl. HM Treasury (2003): The Green Book: Appraisal and Evaluation in Central Government, http://www.hm-treasury.gov.uk/d/green_book_complete.pdf. und den USA.
The White House Office of Management and Budget (1992): Circular No. A-94 Revised: Guidelines and Discount Rates for Benefit-Cost Analysis of Federal Programs, http://www.whitehouse.gov/omb/circulars_a094.

Kosten- und Nutzenkomponenten


Die Kosten wurden separat für jede Stakeholdergruppe abgeschätzt und betreffen primär die IT-Infrastruktur, wie z.B. die Lizenzkosten für Informationssysteme in Arztpraxen und die internen und externen Betriebs- und Wartungskosten für Hardware und Software in Spitälern. Für die Bevölkerung fallen ebenfalls Kosten an, wie z.B. der Zeitaufwand für den Zugang zum E-Patientendossier über das Zugriffsportal.Bei der Interpretation der Kosten ist zu beachten, dass die Nutzung des E-Patientendossiers sowohl für Behandelnde wie auch für Patienten grundsätzlich freiwillig sein soll (Prinzip der doppelten Freiwilligkeit). Somit werden den betroffenen Akteuren durch die Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz keine Kosten aufgezwungen.Genau wie die Kosten wurden auch die Nutzenfaktoren für alle Stakeholder untersucht. Der Nutzen beruht auf der unmittelbaren Verfügbarkeit grundlegender Daten und besteht insbesondere in einfacheren sowie besser abgestimmten Behandlungsabläufen und der Vermeidung von doppelten Untersuchungen. Einfachere und schnellere Abläufe innerhalb der Arztpraxen und Spitäler sind ein direkter Nebeneffekt der Digitalisierung des Behandlungsalltags, die eine Voraussetzung für die flächendeckende Einführung eines nationalen E-Patientendossiers ist. Einsparungen durch vermiedene Aktivitäten seitens der Behandelnden, wie beispielsweise doppelte Untersuchungen, sind ein gesellschaftlicher Nutzen und werden auf 13,3 Mio. Franken für das Jahr 2020 geschätzt. Der jährliche Betrag steigt auf über 40 Mio. Franken nach 2029.
Alle Werte in diesem Artikel sind auf 2011 Franken diskontiert. Vor allem chronisch kranke Personen dürften durch das E-Patientendossier von einer besseren Kooperation der verschiedenen Behandelnden profitieren.

Generell positive Auswirkungen der vorgeschlagenen Massnahmen


Die Auswirkungen auf einzelne Stakeholder werden langfristig als positiv eingeschätzt. Demnach übersteigt bei Ärzten und Spitälern der jährliche Gesamtnutzen 3 bis 4 Jahre nach Beginn der notwendigen Investitionen (getätigt ab ca. 2016) aufgrund der oben genannten Nutzenfaktoren erstmals die jährlichen Gesamtkosten. Bei den Apotheken dauert dies hingegen 8 bis 9 Jahre, da aufgrund der schon jetzt getätigten Investitionen der Zusatznutzen gering ausfällt. Bei Ärzten und Spitälern dauert es noch etwa ein zusätzliches Jahr, bis auch der kumulative Nettonutzen aller vorhergehenden Jahre positiv wird, bei den Apotheken etwa 7 Jahre.Für die Bevölkerung wird innerhalb der Modellrechnungen bis zum Ende der untersuchten Periode noch (knapp) kein positiver kumulativer Nettonutzen erreicht. Primär ist dies auf den Zeitaufwand für die Bevölkerung zurückzuführen (Einführung der elektronischen Identität, Verwaltung der Zugriffsrechte). Für die Gruppe der chronisch Kranken, zu der in der Schweiz ca. 1,7 Mio. Menschen gezählt werden, ergibt sich schon ab 2016 ein deutlich positiver Nettonutzen. Voraussichtlich in 8 bis 10 Jahren, wenn die Informationen durch das E-Patientendossier und damit auch die Behandelnden entlang der Behandlungskette vernetzt sind, kann die Gruppe der chronisch Kranken mit einem Nettonutzen im Wert von ca. 40 Mio. Franken im Jahr rechnen. Durch benutzerfreundliche, patientenorientierte Lösungen – vor allem bezüglich des Zugriffportals – und mit geeigneten Aufklärungs- und Informationsmassnahmen könnte jedoch das Kosten-Nutzen-Verhältnis für die ganze Bevölkerung verbessert werden.Aus Sicht der öffentlichen Hand führt die durch die vorgeschlagene Regulierung unterstützte Einführung eines schweizweiten Systems der E-Patientendossiers zu einem kumulativen Nettonutzen bis 2031 von ca. 114 Mio. Franken. Die Option einer alternativen Regulierung würde erwartungsgemäss zu erhöhten Investitionskosten, aber langfristig auch zu deutlich (bis zu dreifach) höherem Nettonutzen führen. Durch die Anschubfinanzierung erreichen die jährlichen Kosten für Bund und Kantone im Jahr 2018 einen Maximalwert von ca. 56 Mio. Franken, verglichen mit ca. 20 Mio. Franken im Szenario der vorgeschlagenen Regulierung. Die geringsten finanziellen Kosten für Bund und Kantone verursacht der Referenzfall ohne Regulierung, was aber auch mit entsprechend geringem Nutzen verbunden ist.Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die geschätzte Höhe der diskontierten Kosten und Nutzen für die verschiedenen Gruppen nach Kategorie der Auswirkung. Zu beachten ist, dass bei den Auswirkungen jeweils zwischen den einzelnen Organisationen (z.B. Spitäler) und dem dazugehörigen Personal (z.B. Spitalpersonal) unterschieden wird.Insgesamt ist mit der Einführung von E-Patientendossiers langfristig von einer positiven sozio-ökonomischen Bilanz für die Gesamtgesellschaft auszugehen, allerdings bei einem gewissen permanenten finanziellen Zuschussbedarf. Der kumulative sozio-ökonomische Nettonutzen wird nach 12 Jahren positiv. Gemäss den erfolgten Abschätzungen im Rahmen der Modellrechnungen ist für den untersuchten Zeitraum von 2011 bis 2031 mit kumulierten direkten finanziellen Nettokosten von 1,5 Mrd. Franken zu rechnen. Diesen stehen über 1,7 Mrd. Franken an materiellen Nettoeinsparungen gegenüber (z.B. bei personellen Ressourcen), die für andere Aufgaben eingesetzt werden können. Dazu kommt ein geschätzter immaterieller Nettonutzen von 1,4 Mrd. Franken, etwa aufgrund einer besseren medizinischen Versorgung chronisch kranker Patienten und aufgrund positiver Effekte auf die Arbeitsbedingungen der einzelnen Behandelnden. Damit wird der kumulative sozio-ökonomische Nettonutzen über den gesamten Betrachtungszeitraum bis 2031 auf insgesamt über 1,6 Mrd. Franken geschätzt.Nachdem die wesentlichen Kosten und Nutzen im Jahr 2016 einzusetzen beginnen, erreicht der sozio-ökonomische Nettonutzen rund 10 Jahre später ein stabiles Niveau von jährlich rund 200 Mio. Franken. Dieser Nettonutzen ergibt sich aus der Differenz zwischen Nutzen in der Höhe von ca. 550 Mio. Franken und Kosten in der Höhe von ca. 350 Mio. Franken.

Die Rolle des Staates bei der Realisierung des Potenzials


Unter den in der Schweiz gegebenen Rahmenbedingungen dürfte eine flächendeckende Einführung und Vernetzung von klinischen Informationssystemen ohne staatliche Intervention nur sehr verzögert eintreten. Einheitliche Standards für den Austausch und die Verknüpfung von Patientendaten bringen gegenüber unkoordinierten Standards beträchtliche positive Netzwerkeffekte mit sich: Der Nutzen eines einzelnen E-Patientendossiers steigt mit dem Grad der Vernetzung der einzelnen Behandelnden.Staatliches Handeln im Sinne einer Regulierung zur Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz würde eine schnellere Diffusion und damit das Erreichen einer kritischen Masse von Teilnehmern sowie Patientendaten und anderen Informationen im System begünstigen. Erst mit Erreichen dieser kritischen Masse sind hinreichende Netzwerkeffekte zu erwarten, die es für die meisten Akteure im Gesundheitssystem interessant machen, sich aktiv am Aufbau von Datenaustauschsystemen zu beteiligen und die erwünschten reibungslosen Übergänge entlang der Behandlungskette zu unterstützen.Die Durchsetzung des Datenschutzes schliesslich stellt ein legitimes öffentliches Interesse dar. Ohne Durchsetzung des Datenschutzes könnte zudem aufgrund des mangelnden Vertrauens der möglichen Nutzer die Verbreitung von E-Patientendossiers und damit auch die Realisierung des entsprechenden volkswirtschaftlichen Potenzials grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Alternative Regulierungen


Es sind eine Vielzahl an alternativen bzw. ergänzenden Regelungen denkbar, deren Untersuchung im Rahmen der hier dargestellten Untersuchung nicht möglich war. Neben der vorgeschlagenen Regulierung und dem Referenzfall (keine Regulierung) wurde – wie oben erwähnt – eine Alternative mit Anschubfinanzierung und einem Obligatorium zur Verwendung von E-Patientendossiers abgeschätzt.Diese alternative Regulierung würde im Vergleich zur vorgeschlagenen Regulierung zu einer beschleunigten Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz und aus sozio-ökonomischer Sicht zu einem um zwei Jahre früheren Break-Even-Punkt führen. Sie wäre jedoch mit höheren Investitionskosten seitens des Staates verbunden. Der kumulierte sozioökonomische Nettonutzen für den untersuchten Zeitraum zwischen 2011 und 2031 im Szenario der alternativen Regulierung liegt bei geschätzten 2 Mrd. Franken im Vergleich zu den 1,6 Mrd. Franken des Szenarios der vorgeschlagenen Regulierung.

Ausblick auf die weitere Umsetzung der Strategie


Die Ergebnisse der Untersuchung von Anreizen und Risiken können helfen, die weitere Konkretisierung von Massnahmen und Vollzug zu optimieren. Zu den Anreizen zählen vor allem der zu erwartende Nutzen für einzelne Gruppen und Einzelpersonen, die gesundheitspolitische Signalwirkung und die grössere Investitionssicherheit. Risiken, die bei der weiteren Konkretisierung von Massnahmen und Vollzug beachtet werden sollten, konnten insbesondere im Zusammenhang mit folgenden Themen identifiziert werden:− Grad des Einbezugs von Bürgerinnen und Bürgern;− Fokus der Regulierungsüberlegungen auf die Technologie und weniger auf die Neugestaltung klinischer und administrativer Prozesse;− Prinzip der doppelten Freiwilligkeit;− dezentrale Infrastruktur für die Identifizierung von Patienten;− derzeit sehr offene und unpräzise Definition der vorgeschlagenen Massnahmen;− Zeitpunkt, in dem der Nutzen realisiert werden kann;− finanzielle Belastungen vor allem für Arztpraxen und Spitäler;− Austragung von nicht direkt mit eHealth in Verbindung stehenden Konflikten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz.

Fazit


Zum gegenwärtigen Zeitpunkt und bei gegebenem Informationsstand ist die vorgeschlagene Regulierung zur Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz grundsätzlich sinnvoll. Die durch die Einführung des E-Patientendossiers geförderte technologische sowie organisatorische Vernetzung entlang der Behandlungskette wird auch in der Schweiz zu einem Mehrwert im Sinne eines sozio-ökonomischen Nettonutzens führen. Allerdings bietet die Untersuchung nur eine erste, grobe Abschätzung und lässt einige zentrale Fragen offen. Nach einer politisch unumgänglichen Konkretisierung gesundheitspolitischer Ziele und Inhalte betreffend E-Health könnte eine weitere Vertiefung der Regulierungsfolgenabschätzung helfen, das Potenzial von E-Patientendossiers in der Schweiz bestmöglich auszuschöpfen.

Grafik 1: «Wirkungsmodell für die Kosten-Nutzen-Analyse»

Tabelle 1: «Geschätzte kumulative Kosten und geschätzter kumulativer Nutzen für einzelne gesellschaftliche Gruppen, 2011–2031»

Kasten 1: Zusammenfassung der von der Expertengruppe vorgeschlagenen Massnahmen (a)

Zusammenfassung der von der Expertengruppe vorgeschlagenen Massnahmen (a)


Kurzfristige Massnahmen

− Einführung verbindlicher technischer und organisatorischer Standards für die Führung eines gemeinschaftsübergreifenden E-Patientendossiers sowie der damit verbundene sichere Datenverkehr, auf der Grundlage bestehender rechtlicher Bestimmungen.− Aufbau eines Zertifizierungssystems zur Sicherstellung der Einhaltung der festgelegten Standards.

Mittelfristige Massnahmen

− Datensatz: Definition des Inhalts des E-Patientendossiers bzw. der semantischen Standards.− Datenschutz: Identifizierung, Authentifizierung und Zugriffsrechte für Behandelnde und Patienten.− Zugangsportal für Patienten.− Regelungen über die Archivierung und Löschung von Daten.− Befähigung von Behandelnden und Patienten zur Nutzung von E-Patientendossiers.

Langfristige Massnahmen

Im Kontext einer allfälligen umfassenden Revision der Bestimmungen der Bundesverfassung zum Gesundheitswesen (Gesundheitsverfassung) sollen Grundlagen für den Bereich E-Health auf Bundesebene geschaffen werden.

a Anhand von: Expertengruppe eHealth (2010), Umsetzung «Strategie eHealth Schweiz»: rechtlicher Regelungsbedarf. Bericht der «Expertengruppe eHealth» zuhanden des Eidg. Departements des Innern. Fassung für die Anhörung vom August 2010, Bern, 30. Juni 2010. Die definitive Fassung des Berichts der Expertengruppe wurde am 30. September 2010 unter folgendem Titel verabschiedet: Umsetzung «Strategie eHealth Schweiz»: Empfehlungen zur rechtlichen Regelung. Bericht der «Expertengruppe eHealth» zuhanden des Eidg. Departements des Innern. Bezüglich Ziele und Massnahmen der gesetzlichen Regelung stimmen die beiden Versionen miteinander überein.

Zitiervorschlag: Alexander Dobrev, Christof Rissi, Karl A. Stroetmann, (2011). Mehrwert durch elektronische Patientendossiers in der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. März.