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Das Potenzial von E-Zoll in der Schweiz aus der Sicht der Wirtschaft

Die starke Aussenhandelsverflechtung der Schweiz bedingt, dass Unternehmen beim grenzüberschreitenden Handel Zollregulierungen und -formalitäten unterworfen sind. Diese können administrative Zusatzbelastungen, logistischen Mehraufwand und Konformitätskosten verursachen. Die Firmenumfrage fokussiert auf die Kosten der heutigen Zollveranlagungsverfahren. Ziel ist es, jene Bereiche zu identifizieren, in denen Potenzial für Kostenreduktionen und Effizienzsteigerungen besteht. Die Reichweite und Prioritäten für E-Zoll-Dienste werden dabei thematisiert.

Im Rahmen der Abklärungen der interdepartementalen Expertengruppe zur Frage einer möglichen Teilnahme der Schweiz am E-Zoll-Projekt der EU wurde im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) eine externe Studie durch die Cross-border Research Association (CBRA), Lausanne, verfasst. Die Umfrage bei Firmen, die im grenzüberschreitenden Handel tätig sind, wurde im Mai 2010 begonnen. Der Schlussbericht mit den Gesamtresultaten wurde im Dezember 2010 vorgelegt.

Vorgehen und Zielgruppe


Hauptinstrument zur Datenerhebung war ein 15-seitiger Fragenkatalog mit rund 30 Fragen. Der getestete Fragebogen wurde an mehr als 1000 Unternehmen über verschiedene Kanäle verschickt − unter anderem über Economiesuisse, das Swiss Shippers Council und den Schweizerischen Gewerbeverband. Hauptzielgruppe waren Gewerbebetriebe sowie Einzel-/Grosshandelsunternehmen, die Importe, Exporte und/oder Transitgeschäfte tätigen. Es konnten Daten von 70 Unternehmen erhoben werden. Über 80% der antwortenden Unternehmen hatten mit Import- und oder Exportverfahren zu tun und knapp 20% mit Transitverfahren. Die Umfrageteilnehmer können als aktive Player im internationalen Handel bezeichnet werden: Über 60% des Anschaffungswerts wurde in die Schweiz importiert, und über 75% des Verkaufswerts wurde exportiert. Rund 75% der teilnehmenden Betriebe waren kleine und mittlere Unternehmen (KMU).Die Studie hatte, was die Anzahl Zolldeklarationen betrifft, eine grosse Reichweite: Die minimale Anzahl Importdeklarationen, die ein Unternehmen pro Jahr tätigte, belief sich auf 11, die maximale Anzahl auf rund 100 000. Die EU war der mit Abstand bedeutendste Handelspartner. Als Zollregion wurde am meisten Schaffhausen benutzt, gefolgt von Basel, Genf und Lugano. Die Strasse war der am häufigsten gewählte Transportweg, gefolgt von Luftweg, Bahn und Binnenschifffahrt.

Haupterkenntnisse der Studie


Die antwortenden Unternehmen praktizieren verschiedene Arten der Vorbereitung, Eingabe und Ablage ihrer Zolldeklarationen. Gegen ein Drittel der Unternehmen benutzen eigene IT- oder Warenbewirtschaftungs-Systeme mit automatisierten Abläufen für Aufgaben im Zusammenhang mit Zollveranlagungen im Export. Gemietete oder geleaste Systeme finden in ca. 15% der Unternehmen – speziell im Transit- oder Export – Anwendung. Mehr als zwei Drittel aller Unternehmen verwenden für Exportzollanmeldungen die Plattform e-dec. Rund ein Viertel der Unternehmen reichen nach wie vor Deklarationen in Papierform ein; 6% wählen andere Kommunikationsformen wie Fax, Telefon oder mündliche Mitteilung. Die Aufbewahrung der Dossiers erfolgt zum grössten Teil in Papierform; insbesondere für Importe legen nahezu alle Unternehmen ihre Archive in dieser Form an. Bei Exporten ist die elektronische Ablage viel weiter verbreitet. Rund die Hälfte der Unternehmen nehmen für die Vorbereitung und Einreichung der Deklarationsdaten – v.a. für den Import – die Dienste von Drittanbietern (z.B. Spediteuren oder Zolldienstleister) in Anspruch.Etwa die Hälfte der Unternehmen haben keine Kenntnisse der gesamten Konformitätskosten im Zollbereich. Die restlichen Unternehmen geben entweder an, eine «fundierte Schätzung» machen zu können, oder sie verfügen über die tatsächlichen Zahlen zu den Kosten pro Jahr oder Deklaration. Die durchschnittlichen Kosten pro Deklaration betragen 56 Franken; die Zahlen schwanken von 3 bis 186 Franken. Von den vier typischen Komponenten der Konformitätskosten sind die internen Humanressourcen die wichtigsten, gefolgt von Kosten für externe IT-Systeme. In den Budgets 2010/11 erscheinen die internen IT-Systeme als wichtigster Investitionsbereich; neuen Investitionen in externe Zollkonformitätsdienste wird demgegenüber eine sehr kleine Priorität eingeräumt. Ein weiterer Aspekt der Konformitätskosten: Bei Nutzung von Drittanbietern zeigt sich, dass bei Exporten die Kosten pro Deklaration für Unternehmen, welche externe Dienste in Anspruch nehmen, rund 30% höher liegen als jene der anderen Unternehmen. Bei Importen ist keine solche Differenz feststellbar. Die Gründe für diese Kostendifferenz sind vielfältig: Nebst hohen Drittleistungsprämien könnten sie auch darin begründet sein, dass Unternehmen, die keine Drittleistungen beanspruchen, nicht alle internen Kosten berücksichtigen, die bei der Sicherstellung der Konformität beim Export anfallen. Dieser Umstand müsste allerdings noch weiter untersucht werden.Angesichts des potenziellen Nutzens ist eine Verbesserung der Interaktion von Handel und Zoll sowie ein Ausbau von E-Zoll- und E-Government-Diensten in der Schweiz angezeigt. Folgende sechs Aspekte sind besonders erfolgversprechend: − Erleichterung der Exportabfertigung;− höhere Flexibilität bei der Zusammenarbeit mit dem Zoll;− Vermeidung von mehrfachen Dateneingaben im Verlauf der Deklarationsprozesse;− Ermöglichung eines medienbruchfreien Datenflusses zwischen den beteiligten Stellen sowie der Wiederverwendung von Daten;− bessere Vorhersehbarkeit der Zollabfertigung und des Güterumschlags;− Reduktion weiterer administrativer Kosten.Am anderen Ende der Prioritätenskala befinden sich die Erleichterungen der Transitabläufe, die Koordination des Ansatzes zur Güterkontrolle und Rechtsanwendung sowie der Schutz sensitiver Handelsdaten.

Spezifische Ergebnisse für KMU


KMU, die drei Viertel der untersuchten Firmen ausmachten, benützen zur Vorbereitung und Eingabe von Zolldeklarationen weniger oft Informationssysteme (eigene IT- oder Warenbewirtschaftungs-Systeme) als grössere Unternehmen. Je nach Informationssystem und Zollveranlagungsverfahren verwenden 0%–18% der KMU die Daten oder Funktionalitäten dieser Systeme; die restlichen müssen sich auf weniger automatisierte Systeme verlassen. Andere Arten der Automatisierung – wie e-dec oder das New Computerized Transit System (NCTS) – sind ebenfalls seltener als bei grösseren Unternehmen. Demgegenüber sind (digitale) Speichermedien der alten Deklarationen und der Einbezug von Drittanbietern (v.a. Zolldienstleister und gemietete Software) auf einem ähnlichen Niveau. KMU sind sich den Kosten der Zollkonformität – pro Jahr oder Deklaration – weniger bewusst als die grösseren Unternehmen. Die Differenz ist am höchsten beim Import: Mehr als die Hälfte aller KMU kennen die Kosten nicht; bei grösseren Unternehmen ist es rund ein Drittel.Mit durchschnittlich 62 Franken pro Deklaration weisen KMU weit höhere Kosten aus als die grösseren Unternehmen, die dafür 37 Franken aufwenden. Damit bestätigen sich die typischen Skalenerträge im Bereich der Zollkonformität. Betrachtet man die Entwicklungsbudgets für Zollkonformität, planen KMU in erster Linie Investitionen in interne IT-Systeme, während grössere Firmen hauptsächlich in externe IT-Lösungen oder -Dienste investieren.

Wichtigste Probleme der Interaktion von Handel und Zoll


Befragt man den privaten Sektor − in welchem Land auch immer − zu den wichtigsten Problemen im Bereich der Zolladministration, fehlt es in der Regel nicht an Kritik. Dieser Umstand hängt eng mit der schwierigen Doppelrolle des Zolls als Kontrollinstanz, die gleichzeitig den Handel erleichtern sollte, zusammen, was sie anfällig für Beschwerden macht.Im Folgenden werden die Schlüsselthemen für die befragten Unternehmen zusammengefasst, im Bestreben, die geäusserte Kritik so klar wie möglich wiederzugeben:− An erster Stelle stehen lange Transit-Durchlaufzeiten, die von mindestens 15 Unternehmen beanstandet werden. Die Kommentare reichen von generellen Aussagen wie: «Die Durchlaufzeiten müssen reduziert werden» bis zu spezifischen Bedenken wie etwa Einbussen bei der Wettbewerbsfähigkeit – speziell im Vergleich zu EU-Konkurrenten, aber auch, was den Kundenservice betrifft. Ein Unternehmen bemerkt dazu: «Der Transport von der Schweiz nach Stuttgart benötigt drei Tage, davon einen Tag für den Zoll. Der Transport nach Asien benötigt vier Tage».− Zweitens führen mehrere Unternehmen Bedenken bezüglich den Gesamtkosten der Zollkonformität an. Mindestens 12 Unternehmen heben die Bedeutung der Kostenreduktion bei jedweder Art des Ausbaus von E-Zoll hervor.− Drittens äussern einige Unternehmen Kritik an der e-dec-Lösung. Sie beklagen sich über mangelnde Flexibilität, hohe Fehlerquoten und Update-Kosten. Ein Unternehmen erklärt: «Wir haben grosse Probleme in der Kommunikation mit den Systemen … e-dec hat Daten, welche der Zoll nicht einsehen kann». Ein anderes Unternehmen: «Bisher ist uns kein Nutzen (durch e-dec) bekannt. Im Gegenteil: Wir finden e-dec kompliziert und anfällig für Informatikfehler …».− Last but not least profitierten 60% der antwortenden Unternehmen von der Vereinfachten Ausfuhrregelung (VAR), die am 31.3.2010 abgeschafft worden ist. Etwa 70% dieser früheren VAR-Begünstigten stellen seither eine Erhöhung ihrer Konformitätskosten fest, hauptsächlich bedingt durch Investitionen in neue Soft- oder Hardware. Sechs Unternehmen weisen detaillierte Zahlen aus. Sie reichen von 3400 Franken (KMU) bis zu 128 000 Franken (Grossunternehmen).

Empfehlungen der Privatwirtschaft


In der EU ansässige Wettbewerber haben einen Wettbewerbsvorteil beim Handel innerhalb der EU. Aus der Perspektive der Privatwirtschaft können gut ausgestaltete und implementierte E-Zoll-Dienste dazu beitragen, die Zollkonformitätskosten zu verringern, sowie die grenzüberschreitenden Operationen effizienter und reibungsloser zu gestalten. Allerdings sind bei der Ausgestaltung und Implementierung solcher Dienste viele Details zu beachten; eine Patentlösung gibt es dafür nicht.

Reichweite und Prioritäten für E-Zoll-Dienste


Eine E-Zoll-Plattform kann aus vielen verschiedenen Diensten bezüglich Inhalt und Funktionalitäten bestehen, die sich alle dem Ziel unterordnen, das grenzüberschreitende Konformitätsmanagement für den Privatsektor schneller und billiger zu gestalten. Folgende Elemente von E-Zoll wurden von den Teilnehmenden identifiziert:− Vorbereitung der Deklarationen;− Eingabe der Deklarationen;− Anzeige des Status von eingegebenen Deklarationen;− Speicherung der Deklarationen;− Eingabe und Speicherung aller anderen Dokumente des Privatsektors für den Zoll, inkl. Monatsberichte mit spezifischen Tarifposten;− Zugriff auf alle Formulare betreffend grenzüberschreitenden Handel und Logistik, auch ausserhalb des Zolls.Als weitere mögliche Komponenten einer zukünftigen E-Zoll-Lösung in der Schweiz wurden das Ausdrucken von Import-, Export- und Transitdokumenten (bei Bedarf in Papierform) oder -statistiken sowie ein Backup für die Deklarationsdaten erwähnt. Beim Vergleich mit anderen E-Zoll-Lösungen im Ausland sollten auch Elemente wie interaktive Tarifklassifikationssysteme, offizielle Wechselkurse und bindende Weisungen in Betracht gezogen werden.

Verbesserung der Service-Qualität


Verschiedene Antwortende würden eine möglichst frühzeitige Information über kommende Anpassungen und Updates – sei es in Zusammenhang mit Prozeduren, Datenanforderungen oder anderen regulatorischen Dingen – begrüssen. Damit könnten Unternehmen den Zeitdruck mindern, so etwa beim Update ihrer eigenen Prozesse oder Systeme sowie der Schulung ihrer Mitarbeitenden. Eine E-Zoll-Plattform kann auch als proaktiver Informationskanal bei der Befriedigung dieses Bedürfnisses dienen. Die Möglichkeit der kontinuierlichen Abwicklung von Zollangelegenheiten – z.B. unabhängig von Bürozeiten – wurde von mehreren Antwortenden als wichtiges Ziel erwähnt. Angesichts der Tatsache, dass viele Aspekte die Mitwirkung von Beamten im Dienst benötigen, könnte eine E-Zoll-Plattform eine Art virtueller 24/7-Kundendienst für Unternehmen sein, der während der Nachtstunden und/oder an Wochenenden aktiv ist. Mindestens ein Teilnehmer hat den Wunsch geäussert, direkt mit Key Account Managern oder Mitarbeitenden mit detailliertem oder spezifischem Fachwissen zu bestimmten Tarifposten/Versorgungsketten in Kontakt treten zu können. Auf diese Weise könnten Unternehmen es vermeiden, den Zoll bezüglich ihrer Spezialgebiete immer wieder neu «belehren» zu müssen. Eine E-Zoll-Plattform könnte diesen Prozess mit der Bereitstellung einer effizienten Interaktion zwischen spezifischen Kunden und geeignetem Personal vereinfachen, und zwar landesweit. Und viertens – mit den vorangegangenen Punkten zusammenhängend – würde ein teilnehmendes Unternehmen es schätzen, wenn der Zoll mehr Schulung zum aktuellen und zukünftigen Konformitäts-Management anbieten würde. Eine solche Schulung könnte durch eine E-Zoll-Plattform vereinfacht werden, sofern die nötigen Ressourcen dafür bereitgestellt würden. Die insgesamt neun Punkte umfassende «Wunschliste» der Privatwirtschaft zur Verbesserung der Interaktion mit dem Zoll ist in Grafik 1 dargestellt.

Fazit


Gut ausgestaltete und implementierte E-Zoll-Dienste können Wegbereiter für ein 100% elektronisches Management aller zollspezifischen Daten sein. Das oberste Ziel ist der automatische Austausch sowohl von Export- wie auch von Import- und – wo möglich – Transit-Deklarationsdaten zwischen zwei oder mehreren Ländern. Dazu sind aber verschiedene politikbezogene, legislative, operationelle und technische Herausforderungen zu überwinden; E-Zoll-Dienste können selbst keinen solchen Paradigmawandel einleiten. Bei Entscheiden bezüglich der nächsten Generation von E-Zoll-Diensten in der Schweiz sollten die geeigneten finanziellen und personellen Ressourcen dafür bereitgestellt werden, ohne dass dies auf Kosten der aktuellen Entwicklungen geht. Das Resultat sollte allen in der Schweiz ansässigen Benutzern frei zugänglich und mit keinem Nutzungszwang verbunden sein. Der Entwicklungsprozess sollte sehr partizipativ und transparent und unter Einbezug aller involvierten staatlichen und privaten Akteure vor sich gehen. Und schliesslich sollten alle Möglichkeiten für eine weitere Harmonisierung, Integration und Automatisierung von grenzüberschreitendem Handel und Logistik zwischen der Schweiz und der EU ernsthaft geprüft werden.

Grafik 1: «Wunschliste der Privatwirtschaft zur Verbesserung der Handel-Zoll-Interaktion»

Zitiervorschlag: Mikael Granqvist, Juha Hintsa, (2011). Das Potenzial von E-Zoll in der Schweiz aus der Sicht der Wirtschaft. Die Volkswirtschaft, 01. März.