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E-Health ist mehr Kultur als Technik

E-Health ist mehr Kultur als Technik

Drei Jahre nach ihrer Verabschiedung durch den Bundesrat ist die Umsetzung der «Strategie eHealth Schweiz» in vollem Gang. Ziel ist es, dass die Menschen in der Schweiz ihren Behandelnden über ein elektronisches Patientendossier Zugriff auf behandlungsrelevante Informationen geben können. Dabei zeigt sich deutlich, dass die Förderung der elektronischen Kommunikation kein Problem der Technik ist. Die Strategie setzt – im Sinne eines Bottom-up-Ansatzes – auf strategiekonforme kantonale Modellversuche, welche schrittweise zu einer schweizweiten Lösung verknüpft werden. Im Rahmen solcher Projekte können Erkenntnisse gewonnen werden, die dazu beitragen, die nationale Strategie in eine nutzbringende Richtung weiterzuentwickeln.

Ein Teil der IT-Branche rieb sich die Hände, als der Bundesrat im Juni 2007 die Strategie eHealth Schweiz verabschiedete: Endlich geht es los – so das Motto! Nun gibt es eine saubere Planung, genügend Geld, und die Sache kann schnell umgesetzt werden, dachten ein paar Anbieter. Doch so einfach ist die Sache nicht. Die Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie ist ein Multiprojektmanagement, das evolutionär angegangen werden muss. Schritt für Schritt also – und das mit guten Gründen:− E-Health kann nicht «von der Stange» gekauft werden: Es gibt kein im Markt erhältliches Produkt, das den Datenaustausch zwischen den heutigen Systemen sicherstellt.− Für E-Health gibt es keine fertige Lösung im Ausland: Es gibt kein ausländisches Modell, das sich eins zu eins auf die Schweizer Verhältnisse übertragen lässt.− Bei E-Health fehlen praktische Erfahrungen: Viele Fragen können nicht am Schreibtisch beantwortet werden. Die Lösung ergibt sich aus der praktischen Erfahrung.− Es gibt für E-Health keine umfassenden Standards: Die vorhandenen Standards betreffen nur Teilaspekte und keine Standards, die den Datenaustausch umfassend regeln.Das Hauptziel der Strategie eHealth Schweiz ist es, bis Ende 2015 alle Menschen in der Schweiz unabhängig von Ort und Zeit den Leistungserbringern ihrer Wahl den elektronischen Zugriff auf behandlungsrelevante Informationen zu ermöglichen («Elektronische Patientendossiers»).

Weltweit vergleichbare Hürden


Weitere Faktoren sprechen für ein schrittweises und gut begleitetes Vorgehen: Eine Analyse der Erfahrungen mit nationalen E-Health-Projekten in Deutschland, England, Dänemark, Kanada und Australien zeigt eine Vielzahl ähnlicher Detailprobleme. Die grösste Herausforderung weltweit ist die Akzeptanz von E-Health bei Medizinern. Ohne praktischen Beweis zweifeln viele am persönlichen Mehrwert. Dies macht es schwierig, sich auf neue gemeinsame Abläufe zu einigen und E-Health-Projekte zu starten. Vorwärts kommen jene Länder, die sich offensiv um eine Kommunikation des Nutzens und des Fortschritts bemühen. Hilfreich sind auch Plattformen der Zusammenarbeit, Teamarbeit sowie konkrete Anreize zur Umstellung. In der Vergleichsanalyse der fünf Länder zeigte sich zudem, dass sich die Bereiche «Technische Lösung» und «Standards» nur in jeweils zwei Ländern als problematisch erweisen.In der Schweiz ist seit der Verabschiedung der Strategie eHealth Schweiz im Jahr 2007 viel in Bewegung gekommen. Das gemeinsame Koordinationsorgan eHealth Suisse von Bund und Kantonen erarbeitet in enger Zusammenarbeit mit allen Akteuren Empfehlungen zur Einführung von E-Health. Diese Koordinationsaufgabe ist inzwischen unbestritten. Zwar setzt sich der Computer im Gesundheitswesens auch ohne E-Health-Strategie durch. Bei der zunehmenden Digitalisierung muss jedoch sichergestellt werden, dass keine kostspieligen Insellösungen realisiert werden. Ein koordiniertes Vorgehen stellt sicher, Fehlinvestitionen zu verhindern. Auch die Anbieter von technischen Lösungen sind auf ein Umfeld angewiesen, das Investitionssicherheit bietet. Die Anwendungen sollen sich in einer Umgebung bewegen, welche die Interoperabilität sicherstellt.Den Kantonen kommt aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung eine zentrale Rolle zu. Als Initianten und Träger von Modellversuchen leisten sie einen massgeblichen Beitrag zur Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz. Grössere Projektaktivitäten sind zurzeit in den Kantonen Basel-Stadt, Genf, Luzern, St. Gallen, Tessin, Waadt und Wallis zu verzeichnen.

Das Terrain muss vorbereitet sein


Bevor ein E-Health-Projekt technisch umgesetzt werden kann, sind Vorarbeiten notwendig. Dies kommt auch im Konzept zur Evaluation von Modellversuchen zum Ausdruck, welches eHealth Suisse erarbeitet hat. Gemäss dem Konzept werden Modellversuche zwar als Gesamtpaket evaluiert; es werden aber in zwei Bereichen unterschiedliche Kriterien angewendet:− Bereitschaft: Es braucht eine politische, rechtliche und organisatorische Vorbereitung. Im Vordergrund stehen die Themenfelder Aufklärung/Information/Bildung, Recht/Politik und Organisation/Zusammenarbeit/Konzepte. Die Evaluation dient in diesem Teil vor allem als Beitrag zur Förderung und Unterstützung;− Umsetzung: Der zweite Teil der Evaluation fokussiert auf die technische und inhaltliche Umsetzung.Mit der Evaluation wird einerseits beurteilt, ob und wie die Empfehlungen von eHealth Suisse in Modellversuchen umgesetzt werden. Dies ist wichtig für die Transparenz, den Informationsaustausch und die Lernschlaufen im Hinblick auf ein schweizweit einheitliches System. Strategiekonforme Projekte sollen in Zukunft ein Label Lokal, Regional oder National erhalten.

Versichertenkarte als erster Schritt


Auf Bundesebene hat der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) beauftragt, bis im September 2011 die gesetzlichen Grundlagen zur Einführung eines elektronischen Patientendossiers auszuarbeiten. Bereits etabliert ist eine nationale Versichertenkarte. Auf der Basis einer rechtlichen Grundlage im Krankenversicherungsgesetz (KVG) haben die meisten Krankenversicherten im Jahr 2010 eine neue Chipkarte erhalten. Sie ist auf nationaler Ebene der erste Meilenstein in der Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz.Die Versichertenkarte verbessert die Datenqualität im administrativen Bereich, indem die neue AHV-Nummer als Identifikator für Abrechnungen im KVG-Umfeld etabliert wird. Auf der Karte können aber auch wichtige medizinische Daten gespeichert werden. Die Versichertenkarte ist technisch so vorbereitet, dass sie in Modellversuchen für erweiterte Anwendungen eingesetzt werden kann (z. B. Serverspeicherung der Medizinaldaten). Diese erweiterte Anwendung in Modellversuchen benötigt jedoch eine kantonale Rechtsgrundlage.

Weg von der technischen Insel


Ein weiteres wichtiges Element zur Unterstützung der Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz war die Gründung des Vereins IHE Suisse im März 2010. Die IHE (Integrating the Healthcare Enterprise) ist eine internationale Initiative zur Verbesserung des elektronischen Datenaustausches zwischen IT-Systemen im Gesundheitswesen. Sie treibt die einheitliche Verwendung etablierter Standards über sogenannte Integrationsprofile voran. Mit dem Aufbau einer nationalen IHE-Länderorganisation wurden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um an den internationalen Bestrebungen teilzunehmen und bei Bedarf schweizerische Besonderheiten über IHE-Profile abdecken zu können. IHE kann in heute bestehende Praxis- oder Klinik-Informationssysteme integriert werden und löst sich somit von den Grenzen bestimmter Produkte. Aus heutiger Sicht wird sich der IHE-Ansatz in den nächsten Jahren in vielen Ländern und im innereuropäischen Datenaustausch durchsetzen.Der Weg über kantonale Modellversuche mit Lernschlaufen ist einerseits Resultat der föderalen Strukturen, andererseits aber auch eine Erkenntnis aus internationalen Erfahrungen. Denn erfolgreich waren bisher nicht nationale Top-Down-Projekte, sondern realistische Vorhaben, welche die regionalen Bedürfnisse der Patienten und der Behandelnden abdecken und einen klaren Nutzen versprechen. An diesem Grundsatz orientiert sich auch eHealth Suisse. In einer seiner Leitlinien heisst es: «Die Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz orientiert sich am nachweisbaren Nutzen und nimmt Rücksicht auf die politischen, kulturellen und organisatorischen Besonderheiten der Gesundheitsversorgung. Vor diesem Hintergrund erfolgt die Einführung schrittweise sowie in unterschiedlichen regionalen oder kantonalen Geschwindigkeiten.»

Zitiervorschlag: Adrian Schmid (2011). E-Health ist mehr Kultur als Technik. Die Volkswirtschaft, 01. März.