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Nutzen unterschiedlicher Arten von bilateralen Abkommen

In diesem Beitrag berichten wir über die Resultate einer Studie, welche die Effekte von ökonomischen Integrationsabkommen auf Aussenhandelsströme und Direktinvestitionen untersucht. Dabei werden auch die Faktoren berücksichtigt, die einen Einfluss darauf haben, wer mit wem welche Art Abkommen schliesst. Angaben zum Zeitpunkt des Abschlusses der genannten Abkommenstypen über nahezu zwei Jahrzehnte erlauben die Identifikation typischer sequentieller Muster der ökonomischen Integration. Des Weiteren ermöglichen die Daten Aussagen zum Punkt, ob wirtschaftliche Aktivität überhaupt zustande kommt (der so genannte Effekt am extensiven Rand) als auch in welchem Ausmass eine bestehende Aktivität durch ein Abkommen prozentual ausgeweitet wird (der so genannte Effekt am intensiven Rand).



Für die Schweiz als kleine offene Volkswirtschaft im Herzen Westeuropas erscheint die Frage nach der Entwicklung optimaler Integrationsstrategien über die Zeit hinweg als besonders wichtig. Das Land zeichnet sich u.a. durch eine starke Exportposition im verarbeitenden Gewerbe, wissensintensive handelbare Dienstleistungen, aber auch durch eine beachtliche Präsenz an multinationalen Unternehmen aus. Welche Abkommen sind nötig, um diese Stärken zu sichern bzw. noch auszubauen? Was können wir für die Schweiz aus typischen ökonomischen Integrationspfaden, die andere Länder in Form von Abkommen beschritten haben, lernen? Welche Auswirkungen auf aussenwirtschaftliche Transaktionen dürfen wir daraus erwarten? Ziel dieses Artikels und insbesondere der zugrunde liegenden Studie ist es, einige Antworten auf diese Fragen zu geben. Wir wollen im Folgenden typische Muster im Abschluss von ökonomischen Abkommen beschreiben, die Determinanten bei der Wahl der Abschlusspartner und der Abkommensart bestimmen und Auswirkungen auf Handels- sowie Direktinvestitionsvolumina abschätzen. Am Ende des Artikels sollen Folgerungen für die Schweiz aufgezeigt werden.

Häufigkeit und Abschlussmuster von Mitgliedschaften in ökonomischen Integrationsabkommen


Tabelle 1 enthält für die 129 wichtigsten Volkswirtschaften Informationen über die Häufigkeit des Auftretens von bestimmten bilateralen Abkommen über den gesamten Zeitraum 1990–2005. Zudem gibt die Tabelle Auskunft, wie sich das Abkommensnetzwerk im betrachteten Zeitraum verändert hat. Die Studie fasst ökonomische Integrationsabkommen sehr weit. Es werden Güterhandelsabkommen (GA), Dienstleistungshandelsabkommen (DA), bilaterale Investitionsschutzabkommen (IA), bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen (SA) und Währungsabkommen (Währungsunionen bzw. Währungen mit Kursbindung, WA) betrachtet. Alle eindeutigen bilateralen Aussenwirtschaftsbeziehungen, welche diese Länder bilden – d.h., 129*128/ = 8256 Länderpaare – und alle 16 Jahre zwischen 1990 und 2005 gehen in die Analyse ein. Da wir 5 Typen von Abkommen betrachten, denen Länder alternativ oder überlappend beitreten können, ergeben sich 25 = 32 Möglichkeiten ökonomischer Integration. In Tabelle 1 sind diese Kombinationen nach ihrer Häufigkeit in den Daten aufgelistet. Da der Datensatz in grosser Zahl Schwellen- und Entwicklungsländer umfasst, ist es nicht überraschend, dass die meisten Länderpaar-Jahr Kombinationen durch ein Fehlen jeglicher Mitgliedschaften (als 00000 indiziert) gekennzeichnet sind, da viele solcher Länder noch wenig in die Weltwirtschaft eingebunden sind. Dass sich für viele dieser bilateralen Beziehungen das Aushandeln bilateraler Abkommen nicht lohnt, zeigt, wie wichtig und nützlich es ist, in Form der WTO-Bestimmungen für diese bilateralen Wirtschaftsbeziehungen relevante Handelsregeln zu haben. Es zeigt sich allerdings auch, dass relativ viele Länderpaare diesen abkommenslosen Zustand im Vergleichszeitraum verlassen. Für nahezu 10% der Beobachtungen besteht ein SA ohne jegliche andere Mitgliedschaft. Dieser Zustand wird häufiger aufgesucht als verlassen. Als nächst häufige Zustände folgen DAs. Während in 7093 Länderpaar-Jahren lediglich ein DA abgeschlossen wurde und daneben kein weiteres Abkommen bestand, können in 4356 Länderpaar-Jahren noch ein oder mehrere weitere Abkommen neben einem DA beobachtet werden. Ein GA ohne weiteres Abkommen bestand unter den 129 Ländern in 4345 Länderpaar-Jahren. In 5325 Fällen existierte neben einem GA noch ein oder mehrere weitere Abkommen. Nur 8 der 32 Kombinationsmöglichkeiten kommen in den Daten gar nicht vor.Fragt man nach typischen Integrationspfaden, zeigt sich, dass viele Länder ohne ökonomische Integrationsabkommen einen ersten Integrationsschritt in Form von SAs, gefolgt von WAs und DAs,
Dienstleistungsabkommen sind in dieser Untersuchung so zahlreich, da auch einfache Handelsabkommen berücksichtigt wurden. unternehmen. Immerhin wird in 79 Fällen als erster Integrationsschritt ein GA abgeschlossen. WAs sind insgesamt als Abkommen besonderer Art anzusehen. Selbst zwischen Ländern (etwa in Westeuropa oder Nordamerika), welche der Idee eines optimalen Währungsraumes noch am nächsten kommen, wird diese Integrationsform nicht wahrgenommen. Zudem ergeben sich eine Vielzahl von Währungsunionen oder Kursbindungen aus einer Krise heraus und sind nicht notwendigerweise auf eine langfristige Bindung angelegt. Dies zeigt sich unter anderem in dem Umstand, dass relativ häufig (immerhin in 27 Fällen) von einem Status mit GA und WA in einen solchen nur mit GA gewechselt wird. Tabelle 2 fokussiert auf Integrationspfade mit mindestens zwei sequentiellen Integrationsschritten bei Fehlen jeglicher Abkommen oder bei Bestehen eines SA im Ausgangszustand. Aus der Tabelle kann man sehen, dass 59 Länderpaare ohne Abkommen zunächst ein SA abschlossen und dieses dann um ein IA ergänzten. Von 49 Länderpaaren wurde der umgekehrte Weg beschritten, d.h. zuerst ein IA und dann ein SA. Weitere 49 Länderpaare ohne Abkommen schlossen ein GA ab, um dieses dann um ein SA zu ergänzen. 28 Länderpaare ohne Abkommen schlossen ein SA ab und traten dann zusätzlich sowohl einem GA als auch einem DA bei. Insgesamt kann beobachtet werden, dass häufig die Integration zwischen zwei Ländern mit einem SA oder IA beginnt und dann um ein IA bzw. SA ergänzt wird, bevor ein GA und oder ein DA abgeschlossen werden.

Determinanten von Mitgliedschaften in ökonomischen Integrationsabkommen


Ein wichtiges Ziel der Studie war es, nach Bestandsaufnahme ökonomischer Integrationsschritte die Systematik hinter diesen Schritten zu erklären. Dies erfolgte mit Hilfe statischer und dynamischer multivariater Entscheidungsmodelle. Insbesondere wurden ökonomische Erklärungsfaktoren herangezogen, welche aus der Literatur als Triebkräfte bzw. Hemmnisse des Handels mit Gütern und Dienstleistungen bzw. der Direktinvestitionstätigkeit bekannt sind. Wir wissen aus früheren Forschungsarbeiten, dass Länder mit hohem natürlichen – also höher als durch ökonomische Faktoren erklärbarem – Handels- und Direktinvestitionsvolumen grosses Interesse am Abbau bzw. an der Beseitigung von politischen Barrieren für diese Aktivitäten haben sollten. Darüber hinaus wurden noch politische Erklärungsfaktoren (Stabilität des politischen Regimes, Häufigkeit und Länge politischer Konflikte, etc.) berücksichtigt. Die Berücksichtigung der erwähnten Einflussvariablen führte zu empirischen Modellen mit hohem Erklärungsgehalt für die Selektion von Integrationsstrategien. Die gleichzeitige Betrachtung von 5 unterschiedlichen Abkommen eröffnet interessante Vergleichsmöglichkeiten. So zeigt sich beispielsweise, dass geographische Faktoren, wie z.B. die Entfernung zwischen Länderpaaren, die Wahrscheinlichkeit ein Abkommen abzuschliessen unterschiedlich beeinflusst, je nachdem um welche spezifische Abkommensart es sich handelt. Insgesamt üben verschiedene natürliche, ökonomische und politische Bestimmungsfaktoren signifikante Einflüsse auf den Abschluss eines Abkommens aus.

Effekte von Mitgliedschaften in ökonomischen Integrationsabkommen


Die Schätzung der oben genannten multivariaten Entscheidungsmodelle erlaubte es, Länderpaare zu bestimmen, die mit der gleichen Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Abkommenskombination aufweisen, sich in Wirklichkeit aber durch das Bestehen respektive Fehlen eines bilateralen Abkommens unterscheiden. Gestützt auf diese Paarbildung kann der durchschnittliche Effekt der verschiedenen Abkommensarten auf den Güterhandel (GH), den Dienstleistungshandel (DH) und die Direktinvestitionen (DI) abgeschätzt werden. Es wurden sowohl die langfristigen Auswirkungen der Abkommen als auch die kurzfristigen Effekte für das durchschnittliche Länderpaar geschätzt. Die Schätzergebnisse ergaben, dass im Durchschnitt jegliche Form von Integrationsabkommen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass zwischen Länderpaaren mit Gütern gehandelt wird. Im Mittel findet sich ein Effekt von ca. 10 Prozentpunkten. Das bedeutet: Im Vergleich mit der Situation ohne jegliche Integration erhöht ein Abkommen die Wahrscheinlichkeit, dass Länderpaare überhaupt miteinander handeln, um 10 Prozentpunkte. Auch am intensiven Rand, d.h. auf das Ausmass des Güterhandels, kann ein positiver Zusammenhang bestätigt werden. Vergleicht man wiederum den Zustand ohne jegliche Integration mit Zuständen, in denen ein oder mehrere Abkommen abgeschlossen wurden, erhöht das den (logarithmierten) Wert der Güterexporte um durchschnittlich ca. 2,7.Untersucht man die Auswirkungen auf den Dienstleistungshandel sowohl auf den intensiven als auch auf den extensiven Rand zeigen sich ähnliche Effekte. Das ökonomische Ausmass am extensiven Rand fällt sogar noch grösser aus und entspricht im Mittel ca. 18 Prozentpunkten. Das heisst: Im Vergleich mit der Situation ohne jegliche Integration erhöht ein Abkommen die Wahrscheinlichkeit, dass Länderpaare überhaupt miteinander handeln, um 18 Prozentpunkte. Am intensiven Rand steigt der (logarithmierte) Wert der Serviceexporte um ca. 1,56.Schaut man sich schliesslich die Direktinvestitionen am extensiven und intensiven Rand an, fällt auf, dass in diesem Fall vor allem von SAs und IAs positive Effekte ausgehen. Wohingegen scheint sowohl bei den Güter- als auch bei den Serviceexporten die spezifische Form der Integration keine so grosse Rolle zu spielen: Hier scheint jede Form von Abkommen zu mehr Exporten am extensiven und intensiven Rand zu führen.

Folgerungen für die Schweiz


Für die Schweiz ergeben sich verschiedene Folgerungen aus der durchgeführten Studie. Zunächst lohnt sich ein genauerer Blick auf die Situation des Landes. Gemäss der verfügbaren Daten für das Jahr 2005 hatte die Schweiz mit ca. 30 der potentiellen Partnerländer ein GA abgeschlossen, mit 3 ein DA, mit 58 ein SA, mit 23 ein IA und ein WA.
Das Fürstentum Liechtenstein ist nicht als solches unter den 129 Ländern aufgeführt. Wenn man sich die wichtigsten Integrationskombinationen ansieht, stellt man fest, dass mit 40% der potentiellen Partnerländer gar kein Abkommen abgeschlossen wurde, mit ca. 19% der Länder lediglich ein SA, mit ca. 18% ein GA und ein SA und mit ca. 10% ein SA und gleichzeitig ein IA.
EU-weite Abkommen werden zwischen Länderpaaren bilateral berücksichtigt.Hinsichtlich der ökonomischen Aktivität am intensiven Rand zeigt ein deskriptiver Vergleich, dass sich das in der empirischen Untersuchung aller Länder gefundene Muster auch in den Daten der Schweiz widerspiegelt. Mit den Ländern, mit denen die Schweiz keinerlei Abkommen abgeschlossen hat, beläuft sich der durchschnittliche (logarithmierter) Wert des bilateralen Güterhandels auf 2,29. Dies entspricht einem Wert von annähernd 10 Mio. US $. Ist mit einem Land ein SA sowie ein IA abgeschlossen worden (aber kein GA, DA oder WA; eine Kombination, die im Falle der Schweiz häufiger vorkommt, beispielsweise mit China, Indien und Thailand), dann steigt dieser Wert im Durchschnitt auf 6,31 an. Dies entspricht etwa einem bilateralen Handelswert von 550 Mio. US $. Ein einfacher Vergleich der beiden Durchschnittswerte (10 vs. 550 Mio. US $) zeigt, dass im Falle einer bilateralen Integration das durchschnittliche Handelsvolumen deutlich höher liegt; dieser einfache Mittelwertvergleich sollte allerdings nicht kausal interpretiert werden. Bei den Direktinvestitionen zeigt sich ein ähnliches Bild. Während ohne ein Abkommen sich der Wert der Direktinvestitionen auf 3,41 (ca. 30 Mio. US $) beläuft, liegt der Mittelwert gegenüber Ländern mit SA und IA mit 6,41 (ca. 608 Mio. US $) deutlich höher.Aus diesen Resultaten können Erkenntnisse darüber gewonnen werden, inwiefern sich – ausgehend von der aktuellen Situation – eine weitere Integration für die Schweiz auszahlen würde. Würde die Schweiz mit all jenen Ländern, mit denen sie gar kein Abkommen hat (wie das bei 40% der potentiellen Partnerländer der Schweiz zu beobachten ist) ein erstes solches Abkommen abschliessen, ergäben sich unabhängig von der Art dieses Abkommen positive Effekte auf die Güterexporte, die Dienstleistungsexporte sowie die Direktinvestitionen. Um genau zu sein würde ein GA als erster Integrationsschritt zu einem (logarithmierten) Langfrist-Effekt von 2,32 bei den bilateralen Güterexporten gegenüber dem neuen Partnerland führen. Würde anstatt eines GA zuerst ein SA abgeschlossen, könnte man einen (logarithmierten) Langfrist-Effekt von 2,7 auf die Güterexporte erwarten. Bei den Direktinvestitionen wäre ein (logarithmierter) Langfrist-Effekt von 2,33 zu erwarten, während bei den Dienstleistungsexporten noch mit einem (logarithmierten) Langfrist-Effekt von 1,58 zu rechnen wäre. Weitere Integrationsschritte wären dann, bestehende Investitionsschutz und/oder Steuerabkommen durch Abkommen des Güter- und Dienstleistungshandels zu ergänzen, oder Abkommen des Güter- und Dienstleistungsverkehrs um solche des Investitionsschutzes oder der Doppelbesteuerungsvermeidung anzureichern. Im ersten Fall wäre mit einem Ansteigen des bilateralen Güterhandels um (log) 0,68 bzw. (log) 0,78 zu rechnen. Werden bei bestehenden DAs und GAs diese um ein SA ergänzt, dann erhöht sich der Wert des bilateralen Güterhandels um (log) 2,98. Falls gleichzeitig neben dem SA auch noch ein IA abgeschlossen wird, sogar um (log) 3,4.

Resümee


Der Beitrag untersuchte die Auswirkungen von 5 verschiedenen ökonomischen Integrationsabkommen. In einem ersten Schritt wurden hierfür die Determinanten für den Abschluss bilateraler Abkommen über einen Zeitraum von 16 Jahren ermittelt. Anschliessend wurden basierend auf diesen Ergebnissen ähnliche Länderpaare mit und ohne Integrationsabkommen miteinander verglichen und so die ökonomischen Effekte der Integration via eines Abkommensabschlusses bestimmt. Insgesamt zeigt die Untersuchung deutlich, dass mehr vertragliche Integration zu mehr ökonomischer Aktivität führt, wobei die berechneten Langfrist-Effekte im Bereich einer Verdoppelung der Handels- und Investitionsströme liegt. Eine wesentliche Implikation der Ergebnisse ist, dass Länder nicht so sehr darüber nachdenken sollten, welches Abkommen sie zuerst abschliessen – da ein GA oder SA den Handel mit Gütern und Dienstleistungen sowie Direktinvestitionen auf ähnliche Weise stimuliert. Vielmehr sollten sie einen ersten Schritt tun, gleich welcher Art, denn vom Abschluss eines spezifischen Abkommens gehen langfristig signifikante Effekte auf weite Bereiche der Ökonomie aus. Schliesslich zeigte ein Blick auf die Schweiz, dass sich eine weitere Öffnung des Landes im Sinne einer weiteren Integration gewinnbringend auswirken würde. Potenzial für so einen Weg – im Sinne von nicht abgeschlossenen Integrationsabkommen – ist ausreichend gegeben. Die in der Studie produzierten Schätzungen der ökonomischen Effekte von einzelnen Integrationsabkommen und ihrer kombinierten Wirkung können in der Verfeinerung der zukünftigen Ausrichtung der aussenwirtschaftlichen Strategie der Schweiz wichtige Anhaltspunkte liefern.

Tabelle 1: «Möglichkeiten ökonomischer Integration»

Tabelle 2: «Integrationsverläufe – Häufigste Fälle»

Zitiervorschlag: Peter H. Egger, Georg Wamser, (2011). Nutzen unterschiedlicher Arten von bilateralen Abkommen. Die Volkswirtschaft, 01. April.