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Exportpotenziale im Dienstleistungssektor

In einer Studie zuhanden des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) wurde untersucht, welche Dienstleistungsbranchen in der schweizerischen Wirtschaft über das grösste Exportpotenzial verfügen, inwiefern staatliche Regulierungen die Erschliessung dieses Potenzials behindern und welches zusätzliche Exportvolumen durch eine Marktöffnung realisiert werden könnte. Die Ergebnisse zeigen, dass die Lebensversicherungen, das konzerneigene Leasing-Geschäft und grenznahe Spitäler am meisten von einer Deregulierung profitieren würden.

Der Dienstleistungssektor hat in der Schweizer Wirtschaft eine dominierende Position erreicht. Rund drei Viertel der Unternehmensumsätze werden im tertiären Sektor erarbeitet. Dienstleistungsunternehmen sind jedoch nicht nur für die Schweiz, sondern in zunehmendem Masse auch für Kunden im Ausland tätig und tragen massgeblich zur Exportorientierung der schweizerischen Volkswirtschaft bei. Allerdings sind die Unterschiede der Exportanteile je nach Branche sehr gross (siehe Grafik 1). Woraus resultieren die unterschiedlichen Exportanteile der verschiedenen Dienstleistungsbranchen? Weisen die Branchen unterschiedliche Voraussetzungen für den Export auf? Oder sind es Exportbarrieren, welche die Internationalisierung gewisser Branchen behindern?

Unterscheidung der Dienstleistungen anhand der Gats-Modi


In einer Ex-ante-Analyse wurde das volkswirtschaftliche Potenzial einer Marktöffnung für grenzüberschreitende Dienstleistungserbringungen in ausgewählten Branchen untersucht. Insbesondere ging es darum aufzuzeigen, welche Dienstleistungsbranchen in der schweizerischen Wirtschaft über das grösste Exportpotenzial verfügen, inwiefern staatliche Regulierungen die Erschliessung dieses Potenzials behindern, und welche zusätzlichen Exportvolumina durch eine Marktöffnung realisiert werden könnten.Als Exporte wurden dabei alle Leistungen verstanden, die von in der Schweiz ansässigen Unternehmen für Kunden mit Sitz im Ausland erbracht werden. In Anlehnung an das Allgemeine Abkommen über den Dienstleistungshandel (Gats) lassen sich folgende Formen von Export unterscheiden: − Grenzüberschreitendes Angebot (Gats-Modus 1): Inländische Anbieter stellen grenzüberschreitende Leistungen bereit, ohne dass der Anbieter oder der Nachfrager das Land verlassen muss. Dazu zählen internationale Logistik- und Versicherungsleistungen. − Konsumentenmobilität (Gats-Modus 2): Ausländische Nachfrager kommen vorübergehend ins Inland, um Leistungen zu beziehen. Dazu gehören Tourismus und Gesundheitsleistungen an ausländische Kunden, welche in der Schweiz angeboten werden. − Leistungen über geschäftliche Niederlassungen im Ausland (Gats-Modus 3): Dienstleistungen werden durch eine Niederlassung im Ausland erbracht. Für das Exportland wertschöpfend sind jene Leistungen, welche die Niederlassung aus dem Mutterhaus bezieht. Beispiele dafür sind Forschungs- und Entwicklungsleistungen für Produktionsstandorte im Ausland. − Leistungen, die bei einem vorübergehenden Aufenthalt im Ausland erbracht werden (Gats-Modus 4): Dazu gehören Unternehmensberatungen, welche durch entsandte Mitarbeitende im Ausland geleistet werden.

Dienstleistungsbranchen mit grossem Exportpotenzial


Das Exportpotenzial ist definiert als die zusätzlich möglichen Exportumsätze einer Branche. Die Beurteilung dieses Potenzials basiert auf zwei Überlegungen: Unternehmungen müssen über bestimmte Voraussetzungen verfügen, um Leistungen exportieren zu können. Fehlen diese Voraussetzungen, besteht kein Exportpotenzial. Exportieren die Unternehmen aber bereits einen hohen Anteil ihrer Leistungen, ist ebenfalls kein Exportpotenzial vorhanden. Ein bedeutendes Exportpotenzial wird in jenen Branchen erwartet, in denen die Unternehmen über gute Voraussetzungen zum Export verfügen, die Exportanteile aber noch tief sind.Zur Beurteilung der Exportanteile der Dienstleistungsbranchen wurden die entsprechenden Quoten aus der Mehrwertsteuerstatistik übernommen (siehe Kasten 1

Schwierige Messung der Dienstleistungsexporte


Dienstleistungsexporte sind in zwei verschiedenen Statistiken erfasst. Zum einen werden Exportumsätze in der Mehrwertsteuerstatistik der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) gemessen. Basierend auf den Steuerdeklarationen weist diese Statistik die Umsätze aller mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmungen und deren Exporte aus. Eine alternative Datenquelle bildet die Zahlungsbilanzstatistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB). In der Summe weichen die Daten erheblich voneinander ab, was an den unterschiedlichen Erhebungsmethoden liegt. Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf die Mehrwertsteuerstatistik, welche im Unterschied zur Zahlungsbilanzstatistik die Dienstleistungsexporte gemäss der Noga-Klassifikation detailliert erfasst, was für eine Branchenanalyse unerlässlich ist. Folgende Aspekte beschränken jedoch die Aussagekraft der Daten:− Von der Mehrwertsteuerpflicht befreite Unternehmen sind in der Mehrwertsteuerstatistik nicht enthalten. Dazu zählen wichtige Dienstleistungsbereiche, so unter anderem das Gesundheitswesen, das Unterrichtswesen, Kultur und Sport, die Vermietung von Wohnungen und Häusern sowie Forschung und Entwicklung. Sofern solche Dienstleistungen jedoch von Unternehmen erbracht werden, die wegen der gleichzeitigen Erzielung von steuerbaren Umsätzen steuerpflichtig sind, fliessen auch die Umsätze der von der Steuer ausgenommenen Dienstleistungen in die Mehrwertsteuerstatistik. Dazu gehören der Geld- und Kapitalverkehr und die Versicherungen. − Die Definition des Exports gemäss Mehrwertsteuerstatistik erfasst nicht nur Waren und Dienstleistungen, die von der Schweiz ins Ausland geliefert werden, sondern auch die Ausland-Ausland-Umsätze der steuerpflichtigen Unternehmen. Dazu zählt der Grosshandel, welcher ausschliesslich im Ausland stattfindet. Die absoluten Exportzahlen überzeichnen deshalb das Ausmass des Exports aus der Schweiz; die relativen Zahlen dürften dadurch aber wenig verfälscht werden. − Das Mehrwertsteuerrecht weicht in wichtigen Fällen vom Grundsatz ab, nach welchem Dienstleistungsexporte alle von Gebietsansässigen an Gebietsfremde erbrachten Dienstleistungen sind. So werden etwa medizinische und gastgewerbliche Leistungen sowie Dienstleistungen auf den Gebieten Kultur, Künste, Sport, Wissenschaft, Unterricht und Unterhaltung als steuerbare Inlandumsätze und nicht als Exporte erfasst, auch wenn diese Leistungen von ausländischen Kunden beansprucht werden. Die Daten der Mehrwertsteuerstatistik sind deshalb als Indikator der Exportanteile zu interpretieren und nicht als ein präzises Mass.

). Die Beurteilung der Exportvoraussetzungen basierte auf drei, aus empirischen Studien abgeleiteten Faktoren: Competitiveness, Capabilities und Commitment. Diese Faktoren sind wiederum von Kriterien wie dem Differenzierungs- und Reifegrad der Produkte, der Qualität des Produktionsstandortes und der internationalen Ausrichtung der Geschäftsleitung abhängig.Die Analyse des Exportpotenzials wurde für ausgewählte Dienstleistungsbranchen vorgenommen. Branchen, welche bereits einen hohen Exportanteil aufweisen (z.B. Rückversicherungen, Grosshandel) oder über offensichtlich schlechte Exportvoraussetzungen verfügen (Detailhandel, viele persönliche Dienstleistungen) wurden nicht in die Untersuchung einbezogen. Die Bank- und die Tourismusbranche wurden nicht berücksichtigt, weil sie anderweitig bereits untersucht worden sind. Die Exportvoraussetzungen der in der Stichprobe verbliebenen Dienstleistungsbranchen wurden durch Experten evaluiert, die aufgrund ihrer Tätigkeit für Verbände, für die Wirtschaftsförderung oder in der Forschung über fundierte Kenntnisse der betroffenen Bereiche verfügen. Als Ergebnis resultierte eine Matrix, welche die untersuchten Branchen bezüglich ihrer Exportvoraussetzungen und Exportanteile positioniert (siehe Grafik 2). Die Kreise stellen die einzelnen Branchen dar. Die Grösse der Kreise widerspiegelt deren wirtschaftliche Bedeutung gemessen an der Bruttowertschöpfung. Im Quadranten unten rechts befinden sich die Branchen mit dem grössten Exportpotenzial. Es sind dies die Architektur- und Ingenieurbüros, Grafik und Design, Kunst und Unterhaltung, Messen- und Kongressveranstalter, die Unternehmensberatung, das Unterrichtswesen, die Vermietung beweglicher Sachen (Leasing) und die Versicherungen. Ein relativ grosses Exportpotenzial wurde zusätzlich den privaten Spitälern zugemessen, da sie (im Gegensatz zu den öffentlichen Kliniken) über gute Exportvoraussetzungen verfügen. Wenig Exportpotenzial wurde trotz der vorteilhaften Positionierung in der Matrix in den Bereichen Kunst und Unterhaltung, Grafik und Design sowie Messen- und Kongressveranstalter erwartet, da ihre wirtschaftliche Bedeutung gering ist.

Exportwachstum durch Abbau von Regulierungen


Für die Dienstleistungsbranchen mit dem grössten Exportpotenzial wurde weiter untersucht, inwieweit staatliche Regulierungen die Erschliessung des vorhandenen Exportpotenzials behindern und welches zusätzliche Exportvolumen bei einem Wegfall dieser Regulierungen möglich wäre. Diese Einschätzungen basieren auf Interviews mit ausgewählten Unternehmen aus den entsprechenden Branchen. Dabei wurde nach drei Typen von staatlichen Regulierungen unterschieden: Erschwernis der Zulassung auf ausländischen Märkten, Beeinträchtigung der Mobilität von Kunden und Mitarbeitenden und Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Leistungen im Vergleich zu lokalen Anbietern.Die Rückmeldungen der befragten Unternehmen zeigen, dass das durch Deregulierung erschliessbare Exportvolumen insgesamt relativ klein ist (vgl. Tabelle 1). Schweizerische und ausländische Regulierungen behindern die grenzüberschreitenden Dienstleistungsangebote der Unternehmen nur wenig. Anderweitige Exportbarrieren stellen wesentlich bedeutendere Hürden zur Erschliessung von Auslandmärkten dar. In zahlreichen Branchen ist eine lokale Marktpräsenz zur Erbringungen der Dienstleistungen notwendig. Die Unternehmen können ihre Leistungen deshalb nicht exportieren, sondern müssen Niederlassungen in den ausländischen Märkten aufbauen. Das hohe Lohnniveau in der Schweiz bewirkt zudem, dass vor allem relativ undifferenzierte Dienstleistungen im Ausland nicht konkurrenzfähig angeboten werden können.Von einem Abbau grenzüberschreitender Marktzutrittsbarrieren würden die Lebensversicherungen, das konzerneigene Leasinggeschäft und die grenznahen Kliniken im Gesundheitswesen am meisten profitieren. Die Lebensversicherungen erwarten bei einer uneingeschränkten Teilnahme am Pensions-Hub der Europäischen Union (EU) eine bedeutende Steigerung der Exporte. Im Leasing-Geschäft besteht bei konzerneigenen Leasingdienstleistern von exportorientierten Grossunternehmen in den Bereichen Maschinen und Industrieanlagen ein grosses Exportpotenzial. Um dieses auszunutzen, sind Doppelbesteuerungsabkommen, eine weitergehende Vereinfachung im Steuerbereich und eine Verbesserung der Durchsetzung von Eigentumsrechten notwendig. Im Gesundheitswesen könnten grenznahe Privatkliniken von einer Öffnung der nationalen Grundversicherungen profitieren, während international tätige Spitzenkliniken durch bestehende Regulierungen kaum behindert werden. Eine Besonderheit ist das Hochschulwesen, in welchem nicht kostendeckende Studiengebühren den Zustrom ausländischer Studierenden fördern. Aufgrund der dadurch entstehenden Finanzierungs- und Kapazitätsprobleme werden Zulassungsbeschränkungen diskutiert, welche den Export von Bildungsleistungen bremsen würden. Bei einem Übergang zu kostendeckenden Studiengebühren ist allenfalls mit einem Rückgang der Exporte zu rechnen, ausser bei den international sehr profilierten Hochschulinstitutionen.

Empfehlung zur Deregulierung von Versicherung und Leasing


Die Ergebnisse der vorliegenden Studie führen zur Empfehlung, eine Marktöffnung in der Versicherungs- und Leasingbranche in erster Priorität abzuklären. Im Versicherungsbereich ist es vordringlich, die Regulierung und das Steuersystem im schweizerischen Versicherungswesen gegenüber dem Ausland (insbesondere gegenüber der EU) anzugleichen, damit die schweizerische Assekuranz gleich lange Spiesse wie ihre ausländischen Konkurrenten erhält. In zweiter Linie ist die Ausweitung des Versicherungsabkommens in Richtung eines allgemeinen Abkommens über die Dienstleistungsfreiheit mit der EU zu prüfen, welches schweizerischen Versicherungsunternehmen erlauben würde, Leistungen aus der Schweiz anzubieten, ohne Niederlassungen im Ausland errichten zu müssen. Das grösste Exportpotenzial wird von einer gleichberechtigten Teilnahme schweizerischer Lebensversicherungen am EU-Pensions-Hub erwartet.Im Leasing ist zu prüfen, inwieweit die Kosten aus Auflagen im Bereich des Risikomanagements und der Kreditfähigkeitsprüfung reduziert werden können. Zudem entsteht aufgrund der zivilrechtlichen Regelung des Leasings Rechtsunsicherheit im internationalen Verkehr. Ausserdem wäre es zweckmässig, den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen mit wichtigen Zielmärkten voranzutreiben und die bestehenden Prozesse der Mehrwertsteuerrückerstattung zu beschleunigen und zu vereinfachen.

Grafik 1: «Exportanteil am Umsatz nach Branchen»

Grafik 2: «Exportpotenziale schweizerischer Dienstleistungsbranchen»

Tabelle 1: «Zusammenfassung der Resultate»

Kasten 1: Schwierige Messung der Dienstleistungsexporte

Schwierige Messung der Dienstleistungsexporte


Dienstleistungsexporte sind in zwei verschiedenen Statistiken erfasst. Zum einen werden Exportumsätze in der Mehrwertsteuerstatistik der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) gemessen. Basierend auf den Steuerdeklarationen weist diese Statistik die Umsätze aller mehrwertsteuerpflichtigen Unternehmungen und deren Exporte aus. Eine alternative Datenquelle bildet die Zahlungsbilanzstatistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB). In der Summe weichen die Daten erheblich voneinander ab, was an den unterschiedlichen Erhebungsmethoden liegt. Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf die Mehrwertsteuerstatistik, welche im Unterschied zur Zahlungsbilanzstatistik die Dienstleistungsexporte gemäss der Noga-Klassifikation detailliert erfasst, was für eine Branchenanalyse unerlässlich ist. Folgende Aspekte beschränken jedoch die Aussagekraft der Daten:− Von der Mehrwertsteuerpflicht befreite Unternehmen sind in der Mehrwertsteuerstatistik nicht enthalten. Dazu zählen wichtige Dienstleistungsbereiche, so unter anderem das Gesundheitswesen, das Unterrichtswesen, Kultur und Sport, die Vermietung von Wohnungen und Häusern sowie Forschung und Entwicklung. Sofern solche Dienstleistungen jedoch von Unternehmen erbracht werden, die wegen der gleichzeitigen Erzielung von steuerbaren Umsätzen steuerpflichtig sind, fliessen auch die Umsätze der von der Steuer ausgenommenen Dienstleistungen in die Mehrwertsteuerstatistik. Dazu gehören der Geld- und Kapitalverkehr und die Versicherungen. − Die Definition des Exports gemäss Mehrwertsteuerstatistik erfasst nicht nur Waren und Dienstleistungen, die von der Schweiz ins Ausland geliefert werden, sondern auch die Ausland-Ausland-Umsätze der steuerpflichtigen Unternehmen. Dazu zählt der Grosshandel, welcher ausschliesslich im Ausland stattfindet. Die absoluten Exportzahlen überzeichnen deshalb das Ausmass des Exports aus der Schweiz; die relativen Zahlen dürften dadurch aber wenig verfälscht werden. − Das Mehrwertsteuerrecht weicht in wichtigen Fällen vom Grundsatz ab, nach welchem Dienstleistungsexporte alle von Gebietsansässigen an Gebietsfremde erbrachten Dienstleistungen sind. So werden etwa medizinische und gastgewerbliche Leistungen sowie Dienstleistungen auf den Gebieten Kultur, Künste, Sport, Wissenschaft, Unterricht und Unterhaltung als steuerbare Inlandumsätze und nicht als Exporte erfasst, auch wenn diese Leistungen von ausländischen Kunden beansprucht werden. Die Daten der Mehrwertsteuerstatistik sind deshalb als Indikator der Exportanteile zu interpretieren und nicht als ein präzises Mass.

Zitiervorschlag: Ralph Lehmann, Michael Forster, Martin Werner, Peter Moser, (2011). Exportpotenziale im Dienstleistungssektor. Die Volkswirtschaft, 01. April.