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Die integrative Standortförderung als Antwort auf den hyperdynamischen Standortwettbewerb

Warum engagieren sich wirtschaftlich gut entwickelte, der Marktwirtschaft verpflichtete Nationalstaaten heute immer stärker in der Standortförderung, und wieso vernetzen sie dabei ihre verschiedenen Aktivitäten? Diese Entwicklung ist zunehmend international verbreitet. Auch die Schweiz plant, wie die aktuelle Botschaft über die Standortförderung 2012-2015 klar aufzeigt, auf der nationalen Ebene eine integrative Vernetzung der verschiedenen Instrumente der Standortförderung.



Seit einigen Jahren kann weltweit beobachtet werden, dass sich Nationalstaaten zunehmend in der Standortförderung engagieren. Dabei zeigt sich, dass die früheren Einzelaktivitäten – etwa bei der Tourismuspromotion oder der Exportförderung – immer mehr miteinander vernetzt und in ein Gesamtkonzept integriert werden. Singapur beispielsweise besitzt eine professionelle staatliche Tourismusförderung, das Singapore Tourism Board, welches sich als wirtschaftliche Entwicklungsagentur versteht und sich von der Angebotsentwicklung bis zur Markenprofilierung engagiert. Dies erfolgt in engster Abstimmung und Ausrichtung auf die Funktion von Singapur als Handelszentrum und Kongressstandort. Vergleichbare Aktivitäten gibt es auch in zahlreichen europäischen Ländern, wie beispielsweise Irland, Schweden oder Österreich, die ihre nationalen Einzelaktivitäten immer mehr zu einem Gesamtsystem «Standortförderung» vernetzen.

Förderung des volkswirtschaftlichen Wachstums als Ziel


Einer der Gründe hierfür ist die in den letzten Jahren festellbare deutliche Veränderung der politischen Zielsetzungen der (staatlichen) Standortförderung: Stand früher die Förderung der räumlichen Kohäsion im Fokus, ist es heute die Förderung des volkswirtschaftlichen Wachstums, mit dem die Standortförderung legitimiert wird. Vor diesem Hintergrund lässt sich die ökonomische Notwendigkeit, aber auch die inhaltlichen Anforderungen an die Standortförderung aus den besonderen Herausforderungen eines wissensbasierten, hyperdynamischen Standortwettbewerbes ableiten. Grundsätzlich gilt, dass Standorte in einer raumökonomischen Perspektive Funktionsräume darstellen, die mit ihrer jeweiligen spezifischen Funktion etwa als Verkehrsdrehscheibe, Handelsplatz oder Produktionsstandort in Konkurrenz zu anderen, gleichgearteten Funktionsräumen stehen. Die Standorte stehen damit in einem laufenden Wettbewerb untereinander, der sich im Laufe der Zeit aber gewandelt hat − von einem statischen, zu einem dynamischen bis hin zum heutigen hyperdynamischen Wettbewerb, wie ihn Richard A. D’Aveni bezeichnet hat.In einer statischen Wirtschaft ohne Innovation und Strukturwandel spielt sich der Standortwettbewerb alleine auf der Basis von Ressourcenausstattungen ab. Einmalige geographische Lagen schaffen Wettbewerbsvorteile für Handelsplätze oder für den Zugang zu Rohstoffen für Produktionsstandorte. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Positionierung in diesem Wettbewerb ist, wenn der Zugang zu Produktionsfaktoren durch eine gute verkehrliche Erreichbarkeit gegeben ist. Die Standortförderung einer statischen Wirtschaft hat sich deshalb lange Zeit hauptsächlich um Erreichbarkeit und Verkehrserschliessung von Standorten gekümmert.Eine dynamische Wirtschaft ist geprägt von Innovationen und damit der Inwertsetzung von Wissen. Bei Produktinnovationen spielen Zugang und Nähe zu Märkten sowie Wissen eine Rolle. Mit zunehmender Bedeutung technologiegetriebener Prozessinnovationen ist Nähe zu den Zulieferern und Partnern bedeutsam. Wirtschaftliche Netzwerke von untereinander durch Austauschbeziehungen in Form von Vorleistungen oder Personal und Kompetenzen verbundenen wirtschaftlichen Akteuren werden ebenfalls für (regionale) Standorte zu entscheidenden Erfolgsfaktoren. In einer dynamischen Wirtschaft kann Standortförderung mit Clusterförderung gleichgesetzt werden, wie sie weltweit in Folge des Diamantmodells von Michael E. Porter – mit mehr oder weniger grossem Erfolg – angewendet wird.Heute jedoch befinden sich Standorte in einem Wettbewerb, der als hyperdynamisch bezeichnet werden kann. Nicht nur werden Produkte und Produktionsprozesse laufend durch Innovationen verändert. Die Akteure − insbesondere die Unternehmen − konfigurieren sich dabei laufend neu und überprüfen ständig ihre Standorte, ob diese in der aktuellen Situation immer noch optimal sind. Ursächlich für diese Entwicklung sind vor allem der Abbau internationaler Handels- und Investitionsbarrieren, die massiv gesunkenen Raumüberwindungskosten, die aktuellen Informations- und Kommunikationstechnologien, die Entwicklung neuer Fertigungstechnologien und Organisationsformen und insbesondere die heute «sprunghaften» Produktinnovationen. Das führt dazu, dass Unternehmen in ihren Standortentscheidungen freier geworden sind und sie für ihre Leistungserstellung den Ort wählen können, der ihnen die besten Bedingungen bietet und wo ihnen die Produktionsfaktoren – Arbeitskräftepotenzial, Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Firmen, Infrastruktur, Steuern – am meisten zusagen. In der Folge dieser zunehmend freien Standortwahl werden auch die Funktionalitäten des Raumes und aller seiner Elemente laufend verändert. In einem solchen Wettbewerb sind soziale Netzwerke und soziale Milieus, die im Sinne der «kreativen Klasse» – wie sie Richard Florida bezeichnet – Wissen und Ideen austauschen, die entscheidenden Erfolgsfaktoren. In der hyperdynamischen Wirtschaft unterscheiden sich aber diese Netzwerke grundsätzlich von denjenigen, die beispielsweise im Rahmen der Clusterförderung betrachtet werden. Der zentrale Unterschied ist der Betrachtungsgegenstand, welcher von einer systemischen zu einer akteurszentrierten Betrachtungsweise wechselt: Nicht mehr das einzelne Unternehmen oder die einzelne Hochschule werden betrachtet, sondern die einzelnen Akteure, die innerhalb des Netzwerkes agieren und Träger von Wissen und Quelle der Kreativität sind.

Neue Herausforderungen für die Standortförderung


Für die Standortförderung in einer hyperdynamischen Wirtschaft ergeben sich insbesondere aus der Bedeutung dieser akteurzentrierten Netzwerke neue Herausforderungen. Diese gehen über die weiterhin notwendige Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für Unternehmen und über Innovations- und Wissensförderung hinaus. Der Fokus der Standortförderung liegt daher zukünftig auch auf folgenden Aspekten:− Optimierung der Struktur und der Funktionsfähigkeit der standortbezogenen Netzwerke von Akteuren. Wichtige Instrumente sind dabei weiche Massnahmen zur Schaffung von Austauschplattformen, wie etwa Messen, Börsen oder soziale Begegnungsräume. Harte Massnahmen sind die Ansiedlung oder der Aufbau von strategischen Netzwerkelementen, beispielsweise von Forschungsinstitutionen oder wichtige Verarbeitungs- oder Zulieferunternehmen.− Optimierung der Netzeffekte innerhalb dieser Netzwerke. Diese Netzeffekte haben den quasiöffentlichen Charakter eines Clubgutes, von dem alle Mitglieder eines Netzwerkes profitieren können. Beispiele dafür sind Wirkungen wie Markenbekanntheit, Wissensflüsse, Kunden-Lieferanten-Beziehungen oder der Zugang zu einem gemeinsamen qualifizierten Personalmarkt.− Bewerbung und Bekanntmachung dieser Netzwerke nach aussen, um neue Netzwerkelemente sowie Kundinnen und Kunden anzuziehen. Ein Beispiel dafür ist die Gestaltung von Promotion, die heute von der touristischen Marke bis zu integrierter Standortpromotion reicht. Letztere richtet sich an Touristen, Einwohner, Wirtschaftsaktivitäten, sogar an Studierende und Einkäufer (City Marketing), aber auch an Exportmärkte.

Aktive Wirtschaftsförderung als beziehungsorientiertes Standortmanagement


Diese Netzeffekte haben wie bereits erwähnt den Charakter öffentlicher Güter und werden in einer fragmentierten Wirtschaftsstruktur nicht in ausreichendem Masse bereitgestellt. So wird für eine Stadt als Einkaufsort mit vorwiegend mittelständischen Detailhandelsunternehmen tendenziell weniger Marketing betrieben als für ein zentral geführtes Shopping Zentrum. Ein in einzelne Unternehmen gegliedertes Cluster der Exportindustrie wird weniger in die Marktabklärung, den Aufbau von Absatzbeziehungen oder die Abfederung der Risiken ferner Märkte investieren. Zukunftsorientierte Standortförderung muss sich genau um das Management dieser neuen Netzwerke kümmern. Die Fokussierung ändert in einem gewissen Masse auch die bislang eher systemisch ausgerichtete Wahrnehmung der Standortförderung, bei welcher primär Institutionen und Organisationen als Ganzes betrachtet wurden und nicht Akteure, die als einzelne Personen nach individuellen Gesichtspunkten agieren. Eine ähnliche Veränderung des Betrachtungswinkel zeigt die Forschung über das Standortwahlverhalten von Unternehmen: Es ist nicht das Unternehmen als Ganzes, welches einen Standortentscheid nach rationalen Kriterien fällt, sondern einzelne Individuen, die diesen Entscheid auch mit ihren persönlichen Präferenzen und Vorlieben entscheidend beeinflussen. Selbst bei millionenschweren Investitionsvorhaben von Unternehmen verliert das Primat von rationalen Entscheidungsfaktoren seine Gültigkeit. Vielmehr scheinen rationale und emotionale Faktoren in den Köpfen der Entscheider zu verschmelzen und insgesamt einen Standort als vorteilhaft oder weniger vorteilhaft wirken zu lassen. Ein vergleichbares Entscheidungsverhalten lässt sich sowohl im Tourismus, bei der Wohnortsuche als auch bei der Suche nach einem Arbeitsplatz feststellen. Auch hier sind schliesslich nicht immer nur rationale Faktoren – wie etwa Immobilien- oder Hotelpreise – entscheidend, sondern erneut das gesamte «Bild eines Standorts».An diesen Beispielen von Standortentscheiden lässt sich aufzeigen, dass es heute nicht mehr ausreicht, nur mit optimalen Standortfaktoren zu glänzen oder sich mit aufwendigen Marketingkampagnen zu präsentieren. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass in einem hyperdynamischen Standortwettbewerb zukünftig nur noch diejenigen gewinnen können, denen es gelingt, die Entscheidungsträger nicht nur im Kopf zu überzeugen, sondern auch deren «Bauchgefühl» zu beachten. Dabei muss aber angemerkt werden, dass rein emotionale Entscheide nicht zielführend sind, wenn die rationalen Standortfaktoren nicht stimmen. Welche konkreten Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Betrachtungen des hyperdynamischen Wettbewerbs für eine zukunftsgerichtete Standortförderung ableiten? Zuerst einmal bedeutet es, dass der perfekte Standort in der heutigen Wirtschaftswelt nicht mehr existiert. Es gibt immer nur den Standort, der für ein spezifisches Unternehmen zu einem spezifischen Zeitpunkt der richtige ist. Die Standortförderung muss deshalb ihre Zielgruppen sehr gut definiert haben, deren Bedürfnisse sehr genau kennen und ihnen dann die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Gleichzeitig müssen bei der Standortförderung die einzelnen Menschen zunehmend im Mittelpunkt der Bemühungen stehen, da sie die eigentlichen Träger des Wissens sind, die konkreten Unternehmer, die hochqualifizierten Arbeitskräfte – die alle individuell entscheiden. Standorte, die im heutigen globalen Wettbewerb erfolgreich sein wollen, müssen deshalb umdenken. Dies gilt insbesondere auch für die Politik: Denn nur mit der Ausweisung von Gewerbegebieten und niedrigen Steuersätzen allein ist es heute nicht getan. Standortförderung kann zukünftig nur dann erfolgreich sein, wenn sie stärker als in der Vergangenheit ihre Kunden und deren konkrete Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellt. Aktive Wirtschaftsförderung verpflichtet heutzutage zu einem beziehungsorientierten Standortmanagement. Im Zentrum steht die Beziehung zum Kunden, egal ob es sich dabei um einen potenziellen Investor, eine gesuchte Arbeitskraft oder um einen Wissenschaftler für eine Forschungseinrichtung handelt.

Anforderungen an eine zukunftsorientierte Standortförderung


Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Standortförderung in Zukunft klar das einzelne Unternehmen mit den dort handelnden Akteuren in den Vordergrund stellen und seine Aktivitäten konsequent an den Bedürfnissen dieser «Kunden» ausrichten sollte. Dabei ist deren Einbindung in funktionierende Netzwerke inklusive des emotionalen Kontextes wichtig. Ähnlich wie bei der Unternehmensentwicklung spielt die «Embeddeness» (Einbettung) auch für die Standortförderung eine wichtige Rolle. Unabhängig von dieser Fokussierung muss eine zukunftsorientierte Standortförderung eine Reihe von grundsätzlichen Anforderungen erfüllen:− Subsidiaritätsprinzip: Es muss sichergestellt sein, dass nicht durch unternehmerische, marktwirtschaftliche Kräfte und Initiativen die Leistungen, die für einen Standort von zentraler Bedeutung sind, bereitgestellt werden können. Nur in diesem Fall besteht ein staatlicher Handlungsbedarf und die öffentliche Hand muss aktiv werden. − Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen: Jede Standortförderung beeinflusst räumliche oder sektorale Strukturen, indem sie beispielsweise bestimmte Unternehmenstypen bevorzugt. Dies gilt jedoch für jede wirtschaftspolitische Massnahme, seien es fiskalische oder infrastrukturelle. Wichtig ist die Öffnung des Instrumentes in dem Sinne, dass es eine überbetriebliche Wirkung auf ganze Netzwerke gibt, und dass es grundsätzlich allen Akteuren eines bestimmten Typs offensteht.− Integration der verschiedenen Instrumente: Standortförderung muss in zunehmendem Masse die verschiedenen Instrumente seiner Förderung eng aufeinander abstimmen und diese in ein strategisches Gesamtkonzept integrieren. Nur so kann es gelingen, eine zielgerichtete Standortförderung umzusetzen und konkrete übergeordnete strategische Ziele für einen konkreten Standort erfolgreich zu verwirklichen.− Wirksamkeit: Die Massnahmen müssen nachgewiesenermassen die angestrebten Effekte, beispielsweise die erhöhte Exporttätigkeit eines Unternehmensclusters, die grössere Innovationstätigkeit eines Sektors oder effizienteres Marketing und damit die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes, erzeugen.Für die Standortförderung in einer hyperdynamischen Wirtschaft gibt es aber keine Musterlösung. Jeder Standort muss seine eigene Strategie finden und seine eigenen Schwerpunkte setzen, auch hinsichtlich der konkreten inhaltlichen Ausrichtung. In einem Metropolraum liegt der Schwerpunkt vielleicht mehr bei der Förderung des kreativen Potenzials der Akteursnetzwerke; in einem Regionalzentrum eher auf der Förderung der Innovationsfähigkeit der Unternehmen und in einem Bergtal in der Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen, etwa im Bereich der Gewerbeflächen oder der Telekommunikationsinfrastruktur. Unabhängig von der konkreten Schwerpunktsetzung einer Standortförderung, die sich aus den spezifischen regionalen Bedürfnissen ableitet, ist es aber zwingend notwendig, dass sich die Standortförderung mit anderen Politikbereichen abstimmt und die verschiedenen Aktivitäten koordiniert. Diese horizontale Abstimmung sollte aber nicht nur auf der Ebene des Bundes erfolgen, sondern auch auf der kantonalen, regionalen und lokalen Ebene. Nur so kann es gelingen, wettbewerbsfähige Standorte zu erhalten und damit einen langfristigen Beitrag für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Schweiz zu leisten.

Kasten 1: Literatur

Literatur


− Bieger Thomas, Scherer Roland (2003): Clustering und integratives Standortmanagement – von einem theoretischen Konzept zur konkreten Handlungsstrategie, in: Scherer Roland, Bieger Thomas (Hrsg.): Clustering – Das Zauberwort der Wirtschaftsförderung, Haupt, Bern, S. 9–26.− D’Aveni, Richard A. (1994): Hypercompetition, New York, The Free Press.− Florida, R. (2002): The Rise of the Creative Class. And How It’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York, Perseus.− Porter, Michael E. (1990): The Competitive Advantage of Nations, New York, Free Press.− Scherer, Roland, Derungs, Curdin (2008): Location Choice between Rationality and Emotionality. The Concept of ’Emerging Place Decisions, in: University of Liverpool – 48th Congress of the Regional Science Association International, Liverpool.

Zitiervorschlag: Thomas Bieger, Roland Scherer, (2011). Die integrative Standortförderung als Antwort auf den hyperdynamischen Standortwettbewerb. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.