Standortförderung – eine Kritik aus ökonomischer Perspektive
Der Erfolg von Standortförderung hängt nicht nur von ihrer Qualität, sondern auch von verschiedenen Erfolgsbedingungen ab. Im internationalen Vergleich ist die Qualität der Schweizer Standortförderung wohl eher hoch, die Erfolgsbedingungen sind eher weniger erfüllt. Deshalb ist es ausserordentlich schwierig, Bundesausgaben für die Standortförderung zu begründen.
Erfolgsbedingungen erfüllt?
Die bundesrätliche Botschaft betont zu Recht, dass unser Wohlstand auf Offenheit, Innovationskraft und Effizienz und damit vor allem auf guter Wirtschafts- und Finanzpolitik beruht, und dass die Standortförderung allenfalls eine Ergänzung dazu sein kann. Standortförderung nützt jedoch vor allem dort, wo ein offensichtlicher Mangel an Effizienz, Offenheit, Innovationskraft und Beschäftigung besteht. In sehr innovativen Volkswirtschaften mit Vollbeschäftigung und Offenheit gegenüber Zuwanderung wirken hingegen Standortförderungsmassnahmen kaum positiv. Zwar können solche expliziten oder impliziten Subventionen zusätzliche Exporte, Direktinvestitionen und Touristen bringen; die hochrentablen und hochproduktiven Projekte, Exporte und Besuche finden aber typischerweise auch ohne staatliche Förderung statt. Die zusätzlich ausgelösten Projekte sind eher die minderwertigen, eben die, welche sich ohne staatliche Förderung nicht gelohnt hätten. Infolgedessen haben export- und standortbezogene Fördermassnahmen bestenfalls einen positiven Effekt auf die Mengen, aber nicht auf die Qualität der Exporte, Direktinvestitionen und Touristen. Die Produktionsmengen können aber in einer Vollbeschäftigungswirtschaft wie der Schweiz nur gesteigert werden, indem zusätzliche Arbeitskräfte zuwandern, da das inländische Arbeitskräftepotenzial praktisch vollständig ausgelastet ist. Damit führen die meisten Standortfördermassnahmen bestenfalls zu einem höheren Gesamteinkommen bei entsprechend erhöhter Einwohnerzahl – also zu keiner Erhöhung des Prokopfeinkommens, dafür aber zu einer höheren Belastung der knappen Ressourcen Umwelt, Boden und Infrastruktur. Für eine Erhöhung des Prokopfeinkommens bräuchte es eine Standortförderung, die sich ausschliesslich auf besonders hochwertige Exporte, Direktinvestitionen und Touristen konzentriert. Eine solche Strategie wurde bisher aber kaum diskutiert, und leider weiss wohl auch niemand, wie sie aussehen müsste.
Gesundes theoretisches Fundament?
Aus theoretischer Sicht ist staatliche Standortförderung dann sinnvoll, wenn sie die betreffenden Leistungen besser als der freie Markt erbringt. So fordert die Botschaft für die Exportförderung völlig zu Recht: «Die Exportförderung beschränkt sich in Anlehnung an das Subsidiaritätsprinzip auf gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen, die im Markt sonst nicht angeboten würden, da sie kommerziell nicht interessant sind».
Ledermann, Daniel, Marcelo Olarreaga und Lucy Payton (2007). Export Promotion Agencies: What Works and What Doesn’t. World Bank Policy Research Working Paper 4044, S. 67. Schwieriger ist allerdings zu begründen, weshalb die betreffenden Beratungs- und Informationsdienstleistungen «kommerziell nicht interessant» sein sollen. Sie bringen ja den geförderten Unternehmen grossen Nutzen. Weshalb also können sie nicht so wie eine riesige Zahl anderer Beratungen und Informationen durch den heutigen äusserst leistungsfähigen internationalen Markt für Beratung und Information erbracht werden? Selbst wenn Marktversagen hinsichtlich gewisser Leistungen besteht, bedeutet das nicht automatisch, dass der Bund die Leistungen bereitstellen und finanzieren soll. So argumentiert die Botschaft völlig zurecht, dass die Förderung der Bekanntheit der Schweiz als Tourismusdestination für die schweizerischen Anbieter von Tourismusdienstleistungen ein öffentliches Gut darstellt, das im freien Markt und bei unkoordiniertem Verhalten der einzelnen Kantone wohl nicht in hinreichender Menge erbracht würde. Es bleibt aber unklar, weshalb der Bund die Massnahmen aus allgemeinen Mitteln finanzieren soll. Sinnvoller wäre es wohl, wenn die begünstigte Branche die Ausgaben selbst finanzieren würde – etwa über eine kleine Abgabe auf Übernachtungen von ausländischen Gästen. Das würde den Begünstigten auch erlauben, die Kosten- und Nutzen der Tourismusförderung selbst abzuwägen und – falls diese wirklich so wirksam wie behauptet ist – noch viel mehr Mittel dafür aufzuwenden. Das nahe liegende Gegenargument, die Branche könne sich eine solche Abgabe nicht leisten und sie führe zu einem starken Rückgang des Tourismus, wenn sie auf die Touristen überwälzt wird, spricht gerade gegen die bundesfinanzierte Tourismusförderung. Denn falls der Profit der Begünstigten kleiner als die Kosten für die Allgemeinheit ist, sollte unbedingt auf die Leistung verzichtet werden.
Gute Argumente?
Richtige Erfolgsmasse? Der Erfolg von Wirtschaftsfördermassnahmen wird zumeist mit Zahlen für Firmenneuansiedlungen, ausgelöste Exportaufträge sowie «beeinflusste» Logiernächte und Tourismusumsätze zu belegen versucht. Dagegen spricht zweierlei: Erstens werden die Kosten für die Allgemeinheit den Umsätzen der Begünstigten gegenübergestellt. Richtig wäre jedoch, die Kosten mit den volkswirtschaftlichen Nutzen zu vergleichen. So besteht etwa der durch die Wirtschaftsförderung ausgelöste zusätzliche Gewinn der Hotellerie aus ihren Umsätzen minus den ihr durch die zusätzlichen Übernachtungen entstehenden Kosten. Bekanntlich sind die Gewinne der Hotellerie nur ein kleiner Bruchteil der erzielten Umsätze. Auch deshalb lohnen sich die meisten Fördermassnahmen nicht. Das Gegenargument, die Kosten der Hotellerie brächten auch Nutzen, weil wiederum jemand daran verdient, ist falsch. Kosten sind und bleiben Kosten, weil sie den Verbrauch knapper Ressourcen widerspiegeln. Zweitens wird eine kausale Wirkung der Standortförderung auf die Umsätze impliziert. Tatsächlich aber werden in den meisten heute vorliegenden Studien zur Wirkung von Standortförderung nur Korrelationen, aber keine kausalen Beziehungen erfasst. Häufig ist eine umgekehrte Kausalität mindestens ebenso plausibel. So werden zumeist alle Aufträge oder Niederlassungsentscheidungen von Firmen, die mit der Standortförderagentur Kontakt hatten, als von dieser «beeinflusst» oder gar «ausgelöst» klassiert. Tatsächlich aber hätten sich die Firmen sonst in anderer Weise um ihre Geschäfte gekümmert und wären zumeist auch ohne Unterstützung durch die Förderagentur zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Schlüssige Evidenz? Standortförderung wird oft mit Ländervergleichen begründet. Beispielsweise wird regelmässig argumentiert, andere Länder gäben mehr für die Exportförderung aus als die Schweiz. Dabei ist die Schweiz im Export weit erfolgreicher als alle angeführten Länder. Wenn schon legt der Vergleich eher Subventionskürzungen nahe. Zugunsten der Tourismusförderung wird regelmässig darauf verwiesen, dass Italien etwas mehr und Frankreich deutlich mehr ausgeben als die Schweiz. Diese Länder sind aber rund 8- bis 10-mal so gross wie die Schweiz. Deshalb müssten natürlich die Ausgaben pro Einwohner verglichen werden, die in diesen Ländern offensichtlich weit tiefer sind als in der Schweiz. Oft wird Standortförderung auch damit gerechtfertigt, dass sich die geförderten Firmen positiv über die Schweizer Standortförderung äussern. Tatsächlich aber hat sich kaum jemals jemand für die Abschaffung von an ihn verabreichten Subventionen oder subventionierten Dienstleistungen ausgesprochen. Solche Befragungen müssten deshalb viel vorsichtiger interpretiert werden. Schwierige Interpretation wissenschaftlicher Studien? Die Wirksamkeit staatlicher Standortförderung ist wissenschaftlich schwer zu belegen. Umso erfreulicher ist, dass die Botschaft eine besonders wichtige und aufwändige Studie der Weltbank
Der Autor ist auch Forschungsdirektor von CREMA (Centre for Research in Economics, Management and the Arts). sehr prominent zitiert. Diese kommt aufgrund der Datenanalysen aus 104 Ländern zum Schluss, dass ein Dollar für die Exportpromotion im Durchschnitt zu einer statistisch signifikanten Erhöhung der Exporte um 40 Dollar führt. Tatsächlich weist die Studie aber auch darauf hin, dass der Effekt nur in Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländer statistisch signifikant ist. Für die OECD-Länder hingegen findet sie nur eine statistisch nicht signifikante Erhöhung der Exportumsätze – nicht der Gewinne aus Exporten! – um 5 Dollar pro Dollar Fördermitteln. Zudem stellen sie fest, dass im Länderdurchschnitt die marginale Wirkung bei Ausgaben von über einem Dollar pro Einwohner und Jahr sogar negativ werden dürfte. Die Schweizer Exportförderung beträgt hingegen über 2,30 Franken pro Einwohner und Jahr.
Folgerungen
Staatliche Massnahmen zur Standortförderung sind schwer zu begründen. Das gilt ganz besonders für die Schweiz. Denn der wirtschaftliche Erfolg eines Landes beruht auf der Qualität seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik, und diese auf der Qualität seiner politischen Institutionen. Da die Schweiz wirtschaftlich besonders erfolgreich ist, bleibt kaum Spielraum für Wirtschaftsförderung.
Kasten 1: Literatur
Literatur
Ledermann, Daniel, Marcelo Olarreaga und Lucy Payton (2007). Export Promotion Agencies: What Works and What Doesn’t. World Bank Policy Research Working Paper 4044.
Zitiervorschlag: Eichenberger, Reiner (2011). Standortförderung – eine Kritik aus ökonomischer Perspektive. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.