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Die Rolle harter Faktoren bei der Standortwahl

Die Rolle harter Faktoren bei der Standortwahl

«Die Zahl ist das Wesen aller Dinge» sagte der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras. In der heutigen Wissensgesellschaft gewinnt dieser Satz aus der Antike immer mehr an Bedeutung. Auch die Standortqualität von Regionen lässt sich in Zahlen fassen. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Analyseansätze veröffentlicht, die genau dieses Ziel verfolgen. «Harte» Standortfaktoren, die quantitativ messbar und wertfrei sind, lassen sich mit geeigneten statistischen Methoden in Zahlen fassen. Die Quantifizierung «weicher» Kriterien ist ungleich schwieriger – bei der Verwendung solcher Analysen ist somit Vorsicht angezeigt.

Der Entscheid über einen zukünftigen Wohnort oder Geschäftsstandort hat einen langfristig bindenden Charakter. Eine Firma oder ein Haushalt ist angesichts der (finanziellen) Konsequenzen gut beraten, eine solche Entscheidung auf einer möglichst fundierten Grundlage zu treffen. Indikatoren der Standortqualität bieten dazu einen Überblick bezüglich der Rahmenbedingungen eines Standorts und ermöglichen sachliche Entscheide. Für grössere Investitionsentscheidungen von Unternehmen werden oft umfangreiche Analysen erstellt, welche die Vor- und Nachteile eines Standorts auf breiter Informationsbasis aufzeigen sollen. Der indikatorengestützte Vergleich vermag somit die Transparenz auf dem oft undurchsichtigen und oft von subjektiven Wahrnehmungen geprägten Standortwettbewerb zu erhöhen.

Wie wird Standortqualität gemessen?


Ob ein bestimmter Ort für einen Haushalt oder eine Unternehmung geeignet ist, hängt natürlich in erster Linie von den individuellen Bedürfnissen und Restriktionen ab. Gleichwohl lassen sich generelle Aussagen über die Rahmenbedingungen machen. So profitieren etwa alle betroffenen Steuerpflichtigen von einer geringen Steuerbelastung. Je nach Einkommens- oder Gewinnniveau ist die Bedeutung dieses Faktors für das Haushalts- oder Firmenbudget jedoch stark unterschiedlich. Gleichzeitig wirkt sich etwa ein reizvolles Panorama für einen Wohnstandort attraktivitätssteigernd aus; eine Logistikfirma profitiert jedoch stärker von einem nahen Autobahnanschluss. Die Messung der Standortqualität geht somit von einer unterstellten Bedeutung des Faktors oder von Erfahrungswerten aus. Als Grundlagen für die Messung eines Kriteriums können dabei einerseits statistische Quellen, (Steuer-)Gesetze, geographische Analysen (GIS) oder Befragungen herangezogen werden. Da sich die Grösse «Standortqualität» nicht in Masseinheiten messen lässt, zeigen die zu berechnenden Faktoren meist die relative Position eines Standorts im Vergleich zu einem geeigneten Durchschnitt und den Vergleichsregionen auf. Sämtliche Standortkriterien, die sich einigermassen in Zahlen fassen lassen, können grundsätzlich für die Berechnung von Vergleichsindikatoren herangezogen werden. Die wohl prominentesten Vergleiche beziehen sich auf die Steuerbelastung. Weitere Kriterien gehen vom Grünflächenanteil über Bildungsniveaus, Verkehrsinfrastruktur bis hin zu vergleichsweise exotischen Grössen – wie etwa der Verfügbarkeit von frischem Fisch und Gemüse oder der Qualität der Müllabfuhr.
Siehe Mercer, Quality of Living Survey 2010, http://www.imercer.com/uploads/common/swf/flipbooks/QOLSamples/qolsamplereport.html Neben allgemein gehaltenen Indikatoren, die für breit gestreute Fragestellungen hinzugezogen werden können, existieren spezifische Bewertungen – wie etwa der Business Trip Index der Economist Intelligence Unit.
Siehe http://www.economist.com/media/pdf/business_trip_index.pdf Grundsätzlich können «harte» Standortfaktoren, welche quantitative Grössen messen, von «weichen» Kriterien unterschieden werden. Letzteren geht die Übertragung von Qualitätskriterien auf eine quantitative Skala voran. Ein Vorgang, der zwangsläufig auf Werturteilen oder subjektiven Einschätzungen beruht. Das Beispiel der Verfügbarkeitsmessung von frischen Früchten ist Sinnbild für die Schwierigkeit und die potenzielle Subjektivität dieses Prozesses. Auf der Seite der «harten» Standortfaktoren kann das Beispiel der Steuerbelastung herangezogen werden. Unter Berücksichtigung relevanter Steuergesetze und Annahmen über einen Haushalt, lässt sich der zu bezahlende Steuerbetrag unzweifelhaft berechnen.Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Aggregation von Teilindikatoren zu einem Gesamtranking. Diese erfolgt meist mittels der Gewichtung einzelner Kriterien. Je nach Auswahl der Faktoren muss etwa die Bedeutung der Steuerbelastung im Vergleich zur Qualität der Müllabfuhr oder der Strasseninfrastruktur festgelegt werden. Bei einer hohen Anzahl und Verschiedenheit der Teilindikatoren ist dieser Schritt von Werturteilen geprägt. Bei ausgeprägt heterogenen Vergleichsregionen kann die an unterschiedlichen Orten wahrgenommene Gewichtung denn auch stark variieren.

Messung der Standortqualität in der Schweiz


Neben internationalen Standortvergleichen haben sich in der Schweiz verschiedene Vergleichsmasse etabliert. Die föderalistische Struktur der Schweiz, die topographische und kulturelle Heterogenität sowie der intensive Binnen-Standortwettbewerb bieten sich für solche Analysen geradezu an. Die Verfügbarkeit regionaler Statistiken bietet einen Nährboden für verschiedene Analyseansätze. Der medialen Brisanz von Ranglisten bewusst, haben verschiedene Medienhäuser in Zusammenarbeit mit Analyseinstituten Städte- und Gemeinderatings publiziert.
Beispiele (nicht abschliessend): Bilanz-Städteranking, Weltwoche-Gemeinderating, Tages-Anzeiger Regionenrating In einigen Fällen werden dabei über 100 statistische Kennzahlen berücksichtigt, welche von der Steuerbelastung über die Anzahl Migros-Clubschulen und Klimakennzahlen bis hin zur Anzahl Opfer im Strassenverkehr reichen.
Siehe http://www.bilanz.ch/trends/so-wird-gewertetCredit Suisse Economic Research verfolgt einen pragmatischeren Ansatz. Bei der Beurteilung der Attraktivität der Schweizer Regionen wird ausschliesslich auf harte, quantitativ messbare Kriterien zurückgegriffen. So berücksichtigt etwa der Standortqualitätsindikator der Credit Suisse fünf Teilindikatoren aus den Bereichen Steuerbelastung, Bildung und verkehrstechnische Erreichbarkeit (siehe Kasten 1

Standortqualitätsindikator der Credit Suisse


Der Standortqualitätsindikator (SQI) wird von Ökonomen der Credit Suisse auf der Basis von Daten der rund 2700 Schweizer Gemeinden seit 2004 in der aktuellen Form berechnet. Dieser Indikator beruht auf folgenden fünf Standortfaktoren: der Steuerbelastung sowohl von natürlichen als auch juristischen Personen, dem Ausbildungsstand der Bevölkerung, der Verfügbarkeit von Hochqualifizierten sowie der verkehrstechnischen Erreichbarkeit.Für die Steuerbelastung der natürlichen Personen werden sowohl das Niveau wie auch die Progression der Einkommens- und Vermögenssteuern berücksichtigt. Die Steuerbelastung von juristischen Personen beruht auf einer Auswertung der Reingewinn- und Kapitalsteuern. Der Ausbildungsstand der Bevölkerung wird durch den Anteil der Personen an der Bevölkerung im Alter zwischen 19 und 69 Jahren gemessen, welche mindestens eine abgeschlossene Berufslehre aufweisen. Für die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften wird der Bevölkerungsanteil zwischen 25 und 69 Jahren berücksichtigt, der über eine Ausbildung auf Tertiärstufe verfügt. Die verkehrstechnische Erreichbarkeit wird für den motorisierten Individualverkehr und für den öffentlichen Verkehr berechnet. Neben den Fahrzeiten zwischen den einzelnen Gemeinden bzw. Verkehrsknoten wird dabei auch das zugehörige Potenzial an Einwohnern und Arbeitsplätzen berücksichtigt. Beim Standortqualitätsindikator handelt es sich um einen relativen Index, bei welchem der Wert für die ganze Schweiz bei Null liegt. Positive Werte des Indikators weisen auf eine höhere Standortqualität, negative Werte auf eine tiefere – immer im Vergleich zum gesamtschweizerischen Durchschnitt – hin.

). Ziel des Indikators ist es, die aus Sicht von ansiedlungswilligen Unternehmen wichtigsten Kriterien abzubilden, was Rückschlüsse auf langfristige wirtschaftliche Potenziale der Untersuchungsregionen erlaubt. Der Fokus liegt einzig auf allgemeingültigen Faktoren. Eine «Vollständigkeit» wird nicht angestrebt, da diese je nach Sichtweise anders definiert wird. Die Beschränkung auf eine geringe Zahl von Messgrössen erleichtert die Interpretation der Resultate und verringert das Problem von statistischen Ausreissern. Zusätzlich wird die Standortqualität vornehmlich auf Ebene der Kantone und Wirtschaftsregionen ausgewiesen (siehe Grafik 1). Auf diesem Weg werden in sich relativ homogene und untereinander vergleichbare räumliche Einheiten verglichen. Für spezifische Standortanalysen kann Credit Suisse Economic Research fallweise auf eine Reihe weiterer regionalökonomischer Indikatoren zurückgreifen. In Kombination mit dem Standortqualitätsindikator wird auch das Vollständigkeitsgebot für den untersuchten Einzelfall erreicht.

Standortförderung 2.0 – Optimierung der Rahmenbedingungen


Die Schweizer Kantone und Gemeinden stehen auf der anderen Seite des Standortmarktes. Sie sind bestrebt, günstige Rahmenbedingungen für Zuzüger zu schaffen und damit eine möglichst hohe Rangierung in den Vergleichsindikatoren zu erreichen. Eine Standortförderung jenseits von Subventionen, klassischer Industriepolitik und selektiven Anreizen besteht in der Optimierung der Rahmenbedingungen. Attraktive Wohn- und Unternehmensstandorte weisen gemäss Analysen von Credit Suisse Economic Research langfristig höhere Zuwanderungsraten auf und profitieren von einer höheren Investitionstätigkeit. Sorgfältig konstruierte Indikatoren der Standortqualität ermöglichen diesen Kantonen die Evaluation der eigenen Positionierung und offenbaren Entwicklungsbedarf. Neben dem Nutzen für Wohn- und Standortentscheide haben Vergleichsindikatoren somit auch Auswirkungen auf politische Entscheide von Kantonen und Gemeinden.

Nicht alle Zahlen zählen


Der Wunsch, die Rahmenbedingungen eines Standorts umfassend zu kennen, ist nachvollziehbar. Gleichwohl sollten dabei die Grenzen der Aussagekraft von Indikatoren beachtet werden. Gerade im Fall von weichen Standortfaktoren – etwa der Landschaftsqualität oder des Kulturangebots – muss berücksichtigt werden, dass das Wesen dieser Dinge ursprünglich nicht aus Zahlen besteht, sondern vielmehr auf Basis einer subjektiven Bewertung auf eine Zahlenskala übertragen wurde. Bei der Entscheidung über den zukünftigen Wohn- oder Geschäftsstandort sollte eine seriöse Analyse daher unbedingt die Entstehung der verwendeten Kennzahlen hinterfragen. Nicht alles, was in Zahlen ausgedrückt wird, hat einen quantitativen Hintergrund; nicht alles, was rechnerisch möglich ist, hat eine adäquate Aussagekraft.

Grafik 1: «Standortqualität der Schweizer Wirtschaftsregionen 2011»

Kasten 1: Standortqualitätsindikator der Credit Suisse

Standortqualitätsindikator der Credit Suisse


Der Standortqualitätsindikator (SQI) wird von Ökonomen der Credit Suisse auf der Basis von Daten der rund 2700 Schweizer Gemeinden seit 2004 in der aktuellen Form berechnet. Dieser Indikator beruht auf folgenden fünf Standortfaktoren: der Steuerbelastung sowohl von natürlichen als auch juristischen Personen, dem Ausbildungsstand der Bevölkerung, der Verfügbarkeit von Hochqualifizierten sowie der verkehrstechnischen Erreichbarkeit.Für die Steuerbelastung der natürlichen Personen werden sowohl das Niveau wie auch die Progression der Einkommens- und Vermögenssteuern berücksichtigt. Die Steuerbelastung von juristischen Personen beruht auf einer Auswertung der Reingewinn- und Kapitalsteuern. Der Ausbildungsstand der Bevölkerung wird durch den Anteil der Personen an der Bevölkerung im Alter zwischen 19 und 69 Jahren gemessen, welche mindestens eine abgeschlossene Berufslehre aufweisen. Für die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften wird der Bevölkerungsanteil zwischen 25 und 69 Jahren berücksichtigt, der über eine Ausbildung auf Tertiärstufe verfügt. Die verkehrstechnische Erreichbarkeit wird für den motorisierten Individualverkehr und für den öffentlichen Verkehr berechnet. Neben den Fahrzeiten zwischen den einzelnen Gemeinden bzw. Verkehrsknoten wird dabei auch das zugehörige Potenzial an Einwohnern und Arbeitsplätzen berücksichtigt. Beim Standortqualitätsindikator handelt es sich um einen relativen Index, bei welchem der Wert für die ganze Schweiz bei Null liegt. Positive Werte des Indikators weisen auf eine höhere Standortqualität, negative Werte auf eine tiefere – immer im Vergleich zum gesamtschweizerischen Durchschnitt – hin.

Zitiervorschlag: Thomas Ruehl (2011). Die Rolle harter Faktoren bei der Standortwahl. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.