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Erdgas als wichtiger und zuverlässiger Pfeiler der Schweizer Energieversorgung

Über Jahrzehnte hinweg hat die Schweizer Erdgas-Wirtschaft mit gezielten Massnahmen die Versorgungssicherheit unseres Landes ausgebaut und optimiert. Dazu gehören unter anderem ein geografisch breit diversifiziertes Beschaffungs-Portfolio, zuverlässige Lieferanten in Europa, die Fokussierung auf Förderländer in der Europäischen Union (EU) und auf Norwegen, ein gut ausgebautes und gesichertes Transportnetz mit Redundanz in der Schweiz sowie die Integration ins europäische Transportnetz direkt an einer der Hauptschlagadern. Ausserdem die Gewissheit, dass die globalen Erdgas-Reserven dank neu entdeckten Erdgas-Vorkommen und neuen Fördertechniken dramatisch gestiegen sind.

 

Seit der Einführung in den frühen 1970er-Jahren hat sich Erdgas in der Schweiz fest etabliert und seinen Marktanteil am Gesamtenergieverbrauch des Landes auf über 12% ausgebaut. 2010 wurden knapp 39 Mrd. kWh Erdgas verbraucht, was umgerechnet rund 164 000 Tanklastwagen mit Heizöl entspricht. Erdgas wird in der Schweiz multifunktionell genutzt: vorwiegend zur Produktion von Raum- und Prozesswärme; zur Erwärmung von Wasser; zum Kochen, Grillieren, Kühlen und immer öfter auch zum Auto fahren. Erst in beschränktem Umfang wird Erdgas in kleineren Anlagen für die gleichzeitige Strom- und Wärmeproduktion eingesetzt (Wärmekraftkopplung).Die meisten der rund 100 Schweizer Stadt- und Gemeindewerke haben einen Bedarf von weniger als 100 Mio. kWh. Der grösste Erdgas-Versorger der Schweiz verkaufte 2010 4,3 Mrd. kWh; der kleinste rund 400-mal weniger. Um die Beschaffung zu optimieren, wird der Bedarf der lokalen Versorger gebündelt. Sie beschaffen sich ihr Erdgas über eine der vier Regionalgesellschaften, die auch die regionalen Hochdruck-Transportnetze betreiben. Regionalgesellschaften bündeln den grössten Teil des Bedarfs bei Swissgas, einen Teil beschaffen sie selber über Beschaffungsverträge oder über die Swiss Energy Trading (SET) auf dem Spotmarkt. Regionalgesellschaften wie Swissgas und SET sind direkt oder indirekt im Besitz der lokalen Versorger und haben den Auftrag, für ihre Aktionäre auf genossenschaftlicher Non-Profit-Basis zu günstigsten Konditionen Erdgas zu beschaffen.

Versorgungssicherheit – das A und O


Haushaltkunden, Industrie und Gewerbe erwarten Versorgungssicherheit rund um die Uhr und zu jeder Tageszeit. Aus der Marktforschung ist bekannt, dass dieser Punkt für Kunden absolut entscheidend ist und sie auch bereit sind, namhaft höhere Preise zu bezahlen, wenn dafür die Versorgungssicherheit gesteigert wird. Noch bis vor wenigen Jahren stand für die Schweizer Erdgas-Wirtschaft die Absicherung der Versorgung über langfristige Verträge mit ausländischen Lieferanten im Vordergrund. Diese Verträge verpflichten den Lieferanten, in jedem Fall bis an den Übernahmepunkt zu liefern. Deshalb sichert er sich wiederum selber ab und betreibt grosse Untertagspeicher, die in den verbrauchsärmeren Sommermonaten gefüllt werden. Erst seit wenigen Jahren wird Erdgas auch an mehreren Spotmärkten in Europa gehandelt. Je nach Angebot und Nachfrage liegen die Preise über oder unter denjenigen aus den Langfristverträgen. Swissgas wie auch die Regionalgesellschaften optimieren laufend die Beschaffung im Spannungsfeld von Kosten und Versorgungssicherheit. Denn Erdgas muss konkurrenzfähig sein, da es in stetigem Wettbewerb zu anderen Energieträgern steht und – anders als Strom – substituierbar ist.Mit über einem Dutzend Beschaffungsverträgen konzentriert sich die Erdgas-Wirtschaft gezielt auf wenige renommierte, langjährige Lieferanten in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien. Das in der Schweiz genutzte Erdgas stammt zu rund zwei Dritteln aus der Förderung in Norwegen, den Niederlanden sowie weiteren EU-Ländern. Mit russischen Lieferanten bestehen keine Lieferverträge. Über Swissgas und deren Beteiligung an der Bayerngas Norge sind die Schweizer Versorger auch direkt an der Erdgas-Förderung in der Nordsee vor Norwegen beteiligt.In verschiedenen Ländern Europas verfügen grosse Erdgas-Förder- und -Handelsgesellschaften über grosse Untertagspeicher, welche die Versorgung Europas über mehrere Monate sicherstellen könnten. Das gesamte Speichervolumen in Europa (EU27) liegt heute bei ca. 84 Mrd. m3 und entspricht rund 16% des Jahresbedarfs. Die grössten Speicherkapazitäten befinden sich in Deutschland (rund 21 Mrd. m3) und sollen in den nächsten Jahren nahezu verdoppelt werden.Trotz intensiven Abklärungen wurden bisher keine geologischen Strukturen gefunden, die es ermöglichen, auch in der Schweiz einen Untertagspeicher zu bauen. Die Schweiz verfügt über vertragliche Speicherkapazitäten im grenznahen Etrez in Frankreich, die durch einen Staatsvertrag gesichert sind.

Lebensnerv Transportnetz


Die Schweiz ist heute in das feinmaschige europäische Transport- und Versorgungsnetz eingebunden. Insgesamt 12 Einspeisestellen aus dem Ausland stehen zur Verfügung. Wichtigste Anbindung ist die Transitgas-Leitung, welche die drei grössten kontinentalen Gasmärkte Deutschland, Frankreich und Italien miteinander verbindet. Sie ist in den Jahren 1997–2002 stark ausgebaut worden. In Wallbach (AG) gelangt Erdgas über zwei Transportleitungen mit je 90 cm Durchmesser aus Deutschland in die Schweiz. In Lostorf (SO) wird aus dem Leitungsstück von Rodersdorf (SO) Erdgas aus Frankreich eingespeist. Von Lostorf führt die Transitgas-Leitung durch das Mittelland zur Kompressorenstation in Ruswil (LU). Dort wird der Druck für den Weitertransport wieder auf bis zu 75 bar erhöht. Die dabei entstehende Abwärme wird verstromt und ins Netz eingespeist, zudem auch für die Beheizung des Tropenhauses in Wolhusen (LU) genutzt. Die Transportkapazität auf der Transitgas-Leitung beträgt für den Transit heute ca. 24 GW und für den Import rund 8 GW. Insgesamt entspricht dies in etwa der energetischen Leistung von 32 Kernkraftwerken des Typs Leibstadt.Entlang dem Transitgas-System befinden sich insgesamt sieben Zollmessstationen. Dort wird Erdgas in die regionalen Hochdrucknetze – Westschweiz, Mittelland, Ost- und Zentralschweiz – eingespeist. Mitte der 1990er-Jahre sind sie massiv verstärkt und die Kapazitäten verdoppelt worden. Ringschlüsse ermöglichen die Einspeisung von zwei und mehr Seiten. Die gesamte technisch mögliche Transportkapazität liegt heute bei bis zu 12 GW, an kalten Wintertagen erreicht die Belastung 5–6 GW.

Genügend Erdgas auch für Stromproduktion


In jüngster Zeit wird im Zusammenhang mit einer möglichen Abkehr von der Kernkraft auch die Stromproduktion mit Erdgas als Option diskutiert. Erste Analysen der Schweizer Erdgas-Wirtschaft zeigen, dass bereits heute auf der Transitgas-Leitung Kapazitäten für den Betrieb von 2–3 Gaskombi-Kraftwerken vorhanden sind. Dazu kommen noch Kapazitäten durch weitere Einspeisungen an den Landesgrenzen. Die Branche selbst favorisiert jedoch nicht Grosskraftwerke, sondern in erster Linie Wärmekraftkopplung, von der lokalen Heizzentrale bis zur stromproduzierenden Heizung im Einfamilienhaus. Denn durch die Stromproduktion bei gleichzeitiger Nutzung der Wärme wird eine deutlich effizientere Nutzung der Energie erzielt.

Alternative Erdgas-Quellen


Das Erdgas-Netz in der Schweiz bietet auch die Möglichkeit, Erdgas aus nicht traditionellen Quellen zu transportieren und zu nutzen. Bereits heute wird Biogas aus Rest- und Abfallstoffen ins Netz eingespeist. Mit einem Förderprogramm wird die Branche in rund sechs Jahren die heutige Einspeisemenge von über 60 GWh versechsfachen. Auch die Nutzung von überschüssigem Strom aus Sonne und Wind eröffnet neue Erdgas-Quellen. Der Strom wird durch Elektrolyse in Wasserstoff (H) umgewandelt, mit Kohlenstoff (C) angereichert und als sogenanntes Wind- und Sonnengas – also auch CH4 wie Erdgas – ins Netz eingespeist. Zudem lässt sich synthetisches Erdgas mit Holz herstellen.

Keine Erdgas-Insel


Weil die Schweiz mangels eigener Ressourcen alles Erdgas importieren muss und eine wichtige europäische Transitleitung durchs Land führt, ist unser Land wichtiger Partner des europäischen Erdgas-Verbunds. Auch als Nicht-EU-Mitglied und mit weniger als 1% des gesamten EU-Bedarfs ist die Schweiz in Gremien und Organisationen der europäischen Branche eingebunden. Bereits seit Jahrzehnten funktioniert diese Zusammenarbeit bestens. Dank diesen Kooperationen sowie den Aktivitäten und Investitionen der Branche im eigenen Land kam es in der nun 40-jährigen Geschichte von Erdgas in der Schweiz noch nie zu Versorgungsengpässen oder Ausfällen.

Grafik 1: «Erdgas-Import-Portfolio 2010 der Schweiz»

Kasten 1: Verfügbarkeit für mehrere Generationen

Verfügbarkeit für mehrere Generationen


Die bekannten und sicher förderbaren Erdgas-Reserven sind noch bis vor wenigen Jahren mit einer Reichweite von 60–70 Jahren ausgewiesen worden. Weltweit sind inzwischen weitere grosse Vorkommen entdeckt worden und neue Fördertechniken wurden entwickelt, deren Einsatz sich heute aufgrund der gestiegenen Energiepreise ebenfalls lohnt. So hat das ehemalige Importland USA durch die Förderung von Schiefergas Russland in der Rangliste der Erdgas-Produzenten auf Platz 2 verdrängt. Auch in Europa – beispielsweise in Polen – sind inzwischen verschiedene unkonventionelle Erdgas-Vorkommen entdeckt worden, mit deren Abbau in den nächsten Jahren begonnen werden soll. Dies führt dazu, dass die globale Versorgung mit Erdgas, auch bei steigendem Bedarf, noch für mindestens 200–250 Jahre sichergestellt sein wird. Verfügbarkeit und Angebot sind in jüngster Zeit in Europa markant gestiegen. Die Verflüssigung von Erdgas (LNG) und der Transport mit speziellen Tankschiffen erlauben es heute, Erdgas aus Übersee nach Europa zu transportieren und dort ins Transportnetz einzuspeisen. Ausserdem sind in Europa mehrere grosse Pipeline-Projekte – wie etwa Nabucco und South-Stream – geplant. Die Leitung North-Stream von Russland durch die Ostsee nach Deutschland wird noch 2011 in Betrieb genommen. Die Betriebsleitstelle für diese 1200 km lange Pipeline befindet sich übrigens in der Schweiz, in Zug.

Kasten 2: Erdgas-Förderung im Entlebuch

Erdgas-Förderung im Entlebuch


Auch in der Schweiz wurde verschiedentlich nach Erdgas und Öl gesucht; jedoch konnte Erdgas erst einmal kommerziell genutzt werden: Von 1985-1994 sind in Finsterwald im Luzerner Entlebuch rund 74 Mio. Kubikmeter Erdgas gefördert und in die Transitgas-Leitung eingespeist worden. Dann wurde das Bohrloch versiegelt, da die Fördermenge im Lauf der Zeit markant zurückgegangen war. Die letzte Erdgas-Bohrung in der Schweiz erfolgte 2010 bei Noville unter den Genfersee. Zurzeit werden die Daten ausgewertet, ob sich ein Abbau lohnen könnte. Private Investoren wollen auch nach Schiefergas suchen. Die engen Platzverhältnisse im Land sowie die strenge Umweltschutz-Gesetzgebung sprechen jedoch gegen eine allfällige Förderung.

Kasten 3: Literatur

Literatur


http://www.erdgas.chhttp://www.eurogas.org− Erdöl, Erdgas, Kohle. Heft 11/2010.− HandelsZeitung, Beilage Erdgas, September 2006.− Sonderdruck 150 Jahre Gasgeschichte.

Zitiervorschlag: Jean-Marc Hensch (2011). Erdgas als wichtiger und zuverlässiger Pfeiler der Schweizer Energieversorgung. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.